Kategorie-Archiv: Christiane Linke

Der Mensch im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit

Community

Wie real ist real noch?

Von Christiane Linke

 

Spaß als Massen-Bewegung, oder sogar als Massenbetäubung. Die Community ist mittlerweile ein Muss. Dazu zu gehören ist für die meisten so wichtig wie Sauerstoff. Manche würden es sogar gerne mal wieder ohne probieren, finden aber vor lauter Verknüpfungen den Ausgang nicht. Dieser führt durch ein Labyrinth von Versuchungen und ungeahnten Hindernissen. Hat man keine Follower, früher Freunde, die hier aber nicht gemeint sind, dann ist man gesellschaftlich nicht existent. Das lernt man schnell und es prägt. Die relativ wahllose Zusammenführung von Fremden unter dem Vorwand eines gemeinsamen Interesses, scheint zeitgemäß. Hauptsache dabei sein. Ohne Smartphone ist man unsmart und gesellschaftlich nackt. Wie sagte Theodor W. Adorno so treffend: „So ist für die Ordnung gesorgt, die einen müssen mitmachen, weil sie sonst nicht leben können, und die sonst leben könnten, werden draußen gehalten, weil sie nicht mitmachen sollen.“ Heutzutage gibt es keinen Tag, der nicht für einen Zweck herhalten muss. Bespaßung ist Massendroge. Bei der Unmenge an Festen, Spotveranstaltungen und anderen pseudo-gruppendynamischen Unternehmungen bleibt keine Zeit für Reflektion. Die Marketingmaschinerie weckt dabei Bedürfnisse, von denen man gar nichts wusste und verpasst allem ein hübsches Outfit. Hier Fähnchen, da Bändchen und wieder wo anders Aufkleber, um nur einige unspektakuläre Beispiele zu nennen. Einige kommen bereits nicht mehr mit und fordern die a.s.a.p. Entschleunigung. Aber was macht man dann mit der gewonnenen Freizeit. Wieviel Selbstorganisation und ungelenkte Kreativität traut man sich noch zu. „Wer rastet, der rostet.“ Und schon wieder passt Adorno, wenn ich dabei bin, mich selbst zensieren zu wollen: „Die Besonnenheit, die es verbietet, in einem Satz zu weit sich vorzuwagen, ist meist nur Agent der gesellschaftlichen Kontrolle und damit der Verdummung.“

Die organisierte Bespaßung lenkt ab. Sie schafft ein Gruppengefühl, das high macht. Jeder Einzelne in der Gruppe erhöht die Sichtbarkeit und vielleicht auch die Sicherheit. Quantität ist die gemeinsame Glücksformel. Aber es gibt auch einige Ausscherer, oder ewig Gestrige (was positiv gemeint ist) an den Orten der herbeigesehnten Entschleunigung. Manch einer/eine von ihnen läuft durch wunderschöne Landschaften mit bezaubernden Tieren und palavert, entweder in ein Smartphone oder mit einem Mitläufer, und bekommt von der Umgebung nichts mit. Das Reale ist für manch einen vielleicht nicht gewohnt und zu unspektakulär, deshalb fotografiert man besser, um sich später daran erinnern zu können. Der Mann mit der Qualitätskamera steht an dem kleinen Teich und beschießt die Seerosen. Dabei entdeckt er bei all der Technik den eigentlichen Star unter den großen Blättern nicht. Der kleine Frosch lugt vorsichtig zwischen den Rosen hervor, schwimmt dann hurtig an den Beckenrand, macht einen blitzschnellen Sprung aus dem Wasser und schnappt sich ein Insekt. So schnell wie er aufgetaucht ist, verschwindet er auch wieder. Das würde ich mir auch für einiges andere wünschen.

Adorno würde es vielleicht so ausdrücken: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“

2016 © Christiane Linke
christianelinke22@gmail.com

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Transparent – die besondere Serie. Prädikat: wertvoll. Sehr gut gegen Mutlosigkeit.

Transparent – die besondere Serie

Prädikat: wertvoll. Sehr gut gegen Mutlosigkeit.


Der normale Alltag einer normalen Familie. Nur, dass diese erkennt, dass zur Wahrheit
Einbildungskraft gehört und das Kreative Möglichkeiten eröffnet. Ich bewundere die Themenvielfalt der Serie und die respektvolle Gelassenheit, mit der die neuen Lebensentwürfe der Protagonisten behandelt werden. Es sind eine Menge Themen, die auf einen einströmen, aber es gibt so viele Wendungen und unerwartete Reaktionen, dass es nicht kitschig oder überfrachtet wirkt. Man bekommt Lust, es ihnen gleichzutun. Die Charaktere sind so normal, wie man sein kann und doch so kreativ, wie man sein könnte und vor allem sein sollte. Zum Glück haben die Figuren nicht genug Angst, um sich die eigenen Ideen direkt kaputt zu grübeln. Und sie zeigen genug Neugierde, um sich den inneren und äußeren
Widerständen zu stellen. So sicher die Protagonisten auch wirken, Zweifel kommen bei allen auf. Aber sie bleiben mutig und experimentierfreudig. Einfach phantastisch gespielt. Die Einstellungen und Dialoge sind echt und erinnern an den Film „Victoria“. Während die meisten Serien eher kuschlig und stereotyp sind, geht es hier zur Sache. Ein besonderes Beispiel für die Nonkonformität ist die Szene, in der die Rabbinerin Rachel ihrem Freund Josh einen Heiratsantrag machen will. Sie kniet lächelnd und aufgeregt vor ihm, den Ring in der Hand, und beginnt zu sprechen. Aber Josh unterbricht sie sofort und sagt energisch „nein, nein, nein, warum vertraust du mir nicht…“ und entzaubert die Situation. Eben kein Kitsch und mehr als reine Unterhaltung. Die Charaktere können über sich und miteinander lachen und man lernt viel über die jüdische Kultur und Geschichte, die sich der jüngsten Tochter in
„Déjà-vu-Momenten“ zeigt. Eine kluge Brücke. Vielleicht sind die Geschichten auch deshalb so berührend, ohne dabei zu moralisieren. Die Serie hat mich begeistert und inspiriert. Mit jeder Folge habe ich mehr Lust bekommen, Angstbesetztes zu wagen. Das Ende der zweiten Staffel dient hoffentlich nur als Pause für den nächsten Kreativschub der Autoren. Ich hätte gerne mehr von diesem Stoff!

 

2016 © Christiane Linke
christianelinke22@gmail.com

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Christiane Linke über Kunst im Museum Städel

1/2/U (freundlich, schwer, blendend) – Ausstellung Städel Museum

Ein großes Portal und doch ein sehr enger Eingang. Dann ein großer runder Empfangstisch, an dem mehrere Kassiererinnen sitzen. Der Türsteher, den gibt es mittlerweile in fast jedem Geschäft, lächelt gebieterisch. Man hat zu warten. Dann seine Geste – zur nächsten Kasse. Die große Treppe in den ersten Stock hat etwas von „Vom Winde verweht“, obwohl sie keinen Bogen macht. Unwillkürlich läuft man nun ebenerdig zu den Schließfächern und dann zu den Kontrolleuren am Fuße der großen Treppe, die den Besucher nach Einlesen des Tickets mit einer öffnenden Seitbewegung nach oben schicken. Eigentlich könnte man aber auch in den unteren Stock gehen, aber das macht man gewöhnlich nicht.

Im ersten Stock begrüßt die Kunst der Moderne. Die Räume sind angenehm hell und die Exponate bekannt. Viele berühmte Maler, die mit Farbe, Form und innovativen Techniken gearbeitet haben. Das Museumsarchiv ist so vielfältig, dass es nur manche Auserwählte für längere Zeit ins Rampenlicht schaffen. Und doch habe ich vor einiger Zeit „Lissy

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entdeckt und ihren „Ausstellungszyklus“ verfolgt. Ihre Positionierung folgte der üblichen kurzen Aufmerksamkeitsspanne, die heute normal zu sein scheint. Am Anfang schien man stolz, dieser gelittenen Malerin (Elfriede Lohse-Wächtler)

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eine Bühne zu schenken. Dann ebbte die anfängliche Euphorie ab und das Bild musste dem Schnell-und-Neu weichen und wanderte in eine ruhigere Ecke. Dort duldete man sie eine gewisse Zeit und schickte sie schließlich wieder in die Versenkung. Auch um anderen Künstlern Platz zu machen.

ELW-Hafen

Einige große Maler überdauern jede Themenausstellung. Sie sind alttagstauglich und ziehen den Betrachter schnell in den Bann. Es ist wie im Internet, denn man hat nur sehr wenig Zeit für einen ansprechenden Eindruck. Und manche machten es richtig gut, wie zum Beispiel Auguste Renoir mit seinem Bild: „Nach dem Mittagessen“.

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Die Szenerie scheint so beiläufig wie detailgenau. Eine Momentaufnahme, bei der das Glimmen der Zigarette genau so echt wirkt wie das Wasser in den Karaffen. Und dann die Bilder von Picasso.

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Sie sind so vielfältig und tiefgründig in Ausdruck und Form, dass man bei jedem Besuch ein neues Detail entdecken könnte. Aber dafür braucht es Ausdauer. Picassos Bilder faszinieren, weil sie unnachahmlich kreativ, immer jung und en vogue sind. Ein Genie.

Und dann die Entscheidung. Hoch zu den „Alten Meistern“

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oder treppab zur „Gegenwartskunst“.

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Mag man es eher dunkel oder gleißend hell. Die alten Meister sind beeindruckend und ein Abbild ihrer Zeit. So genau und fein, aber auch brutal und düster wie die damalige Zeit selbst.

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Trotzdem haben sie etwas Beruhigendes, wenn man sich auf die einlässt. Sie sind ungekünstelt ehrlich und zeigen Details und Tiefe. Man kann in sie eintauchen, wie in einen Film.

Die Gegenwartskunst ist im Untergeschoss. Die Beleuchtung ist hell und metallisch. Mir fällt das Zitat von 100913_Albers_Portfolio_1366_l

ins Auge, das mich als Nicht-Kunsthistorikerin ermutigt, meine spontanen Eindrücke festzuhalten:
„Spielerischer Anfang (nicht durch Lehre beschwert, d. h. ohne Vorkenntnisse) entwickelt Mut, führt selbst zum Erfinden – Entdecken.“[i]
Einige Bilder wirken schnell, teilweise oberflächlich und psychohygienisch. Das Licht unterstützt die harte Anmutung. Ein Bild von Picasso stimmt mich wieder versöhnlich, obwohl ich keine Erklärung dazu gehört habe.

 

[i] Zitat: www.kunstzitate.de/bildendekunst/kuenstlerueberkunst/albers_josef.htm

 

2015 © Christiane Linke
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Shakespeare hat die Flüchtlingskrise vorausgesagt: Christiane Linke über Macbeth im Schauspiel Frankfurt

Die Infantilisierung der deutschen Gesellschaft schreitet voran, sowohl politisch, als auch kulturell.

Die Kulturschaffenden, whatever it means, meinen daß es Kunst sei, wenn es komisch ist.

Das Frankfurter Schauspiel tut sich mit dieser Attitüde hervor, es wird geschrieen, gekackt, nackt herumgelaufen, gepisst, gefickt und geblutet.

Erzählt wird nicht mehr. Wer es erleben will, daß ihm jemand etwas einfach erzählt, der muß ins Ausland.

Die Deutschen feiern Kinderpartys, gegenwärtig haben sie eine Menge Meerschweinchen willkommen geheißen.

Nun streiten die Deutschen heftig, ob die Ankommenden Meerschweinchen oder Ratten sind. Tatsächlich sind es Wildkatzen. Und die Deutschen sind infantile, mehr oder weniger fleißige, ängstliche Mäuschen. Vor lauter Angst sehen sie manche Gefahr nicht, und manches sehen sie übertrieben als gefährlich. Gelassenheit ist nicht die Sache der Deutschen, weder im Theater, noch in der Politik, die nur noch theatralisch ist.

Dabei wäre gerade Macbeth geeignet, die tragische Wandlung der Angela Merkel zum Tyrannen darzustellen, der sowohl den Verstand als auch seine Menschlichkeit verliert.

Auch das Ende ihrer Herrschaft hat Shakespeare vorausgesehen, der Wald, der sich seinem Schloß schrittweise nähert, ist die gegenwärtige Flüchtlingswelle.

Die Situation im Kanzleramt beschreibt Shakespeare so:

ERSTE HEXE

Um den Kessel dreht euch rund!
Giftgekrös in seinen Schlund!
Kröt, die unterm kalten Stein
Tag‘ und Nächte, dreißig und ein,
Giftschleim schlafend ausgegoren,
Sollst zuerst im Kessel schmoren!

ALLE

Doppelt plagt euch, mengt und mischt!
Kessel brodelt, Feuer zischt.

ZWEITE HEXE

Sumpfger Schlange Schwanz und Kopf
Brat und koch im Zaubertopf:
Molchesaug und Unkenzehe,
Hundezung und Hirn der Krähe;
Zäher Saft des Bilsenkrauts,
Eidechsbein und Flaum vom Kauz:
Starken Zauber eingemischt!
Höllenbrei im Kessel zischt.

ALLE

Doppelt plagt euch, mengt und mischt!
Kessel brodelt, Feuer zischt.

DRITTE HEXE

Wolfeszahn und Kamm des Drachen,
Hexenmumie, Gaum und Rachen
Aus des Haifischs scharfem Schlund;
Schierlingswurz aus finsterm Grund;
Auch des Lästerjuden Lunge,
Türkennase, Tatarzunge;
Eibenreis, vom Stamm gerissen
In des Mondes Finsternissen;
Hand des gleich erwürgten Knaben,
Den die Metz gebar im Graben,
Dich soll nun der Kessel haben.
Tigereingeweid hinein,
Und der Brei wird fertig sein.

ALLE

Doppelt plagt euch, mengt und mischt!
Kessel brodelt, Feuer zischt.

ZWEITE HEXE

Kühlt es nun mit Paviansblut,
Zauber wird dann stark und gut!

Hekate kommt.

 

(…)

DIE ERSCHEINUNG
Sei löwenkühn und stolz; nichts darfst du scheuen,
Wer tobt, wer knirscht, und ob Verräter dräuen:
Macbeth wird nie besiegt, bis einst hinan
Der große Birnams-Wald zum Dunsinan
Feindlich emporsteigt.
Versinkt.

MACBETH
Das kann nimmer werden!
Wer wirbt den Wald, heißt Bäume von der Erden
Die Wurzel lösen? Wie der Spruch entzückt!
Aufruhr ist tot, bis Birnams Waldung rückt
Bergan, und Macbeth lebt in seiner Hoheit
Bis an das Ziel der Tage, zahlt Tribut
Nur der Natur und Zeit.
Doch klopft mein Herz, nur eins noch zu erfahren;
Sprecht, kann mir eure Kunst dies offenbaren:
Wird Banquos Same je dies Reich regieren
?

http://www.william-shakespeare.de/macbeth/macbeth_4akt.htm

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Macbeth im Schau(der)spiel Frankfurt

von Christiane Linke

Bereits am Eingang hängt ein großes Schild mit dem Hinweis, dass es zum Teil sehr laut und grell wird. Eine wichtige Info für Leute mit Herzschrittmacher und Epilepsie. Die hätten das bestimmt gerne vor dem Kauf ihrer Karten gewusst. Und man hat nicht zu viel versprochen. Es wird so ohrenbetäubend laut, dass man zeitweise das Gefühl hat, dass die inneren Organe wandern möchten. Diese kleine Übertreibung sei gestattet. Eine Lärmnotwendigkeit und der klare Bezug zum Original sind nicht zu erkennen. Die Akteure wälzen sich auf den nüchternen Tischrequisiten, beschmieren die und sich mit Farbe und lassen das Durcheinander von schwarzen Figuren, die sich merklich vom ebenfalls schwarzen Bühnenbild abheben, aufräumen. Wer die Geschichte nicht kennt, kann der Darbietung nicht folgen. Die wenigen Sprecheinlagen bieten keine Hilfestellung. Bei der kurzen Einführung hatte man auf die tollen tänzerischen Einlagen und die harten Proben hingewiesen. Ich sehe eine übermenschliche, teilweise plumpe Anstrengung der Schauspieler, den hohen Anforderungen gerecht zu werden. Sind eben keine Balletteusen. Auf mich wirkt es weder ästhetisch noch in sich schlüssig, sondern nervig. Man könnte auch sagen, wie ich es dann zum Schluss auch tue, „…war ganz schön experimentell.“ Aber das ist im Grunde feige, denn ich habe recht früh darauf gewartet, dass es vorbei ist. Es gibt keine Pause und das ist gut so. Gerade wieder bei Gehör und ohne zuckende Lider würde man nur schwer zurückkehren wollen. Aber es gibt Besucher, die schnell das Weite suchen. Sie arbeiten sich mühsam durch die Sitzreihe, gehen hastig auf die riesige Flügeltür zu, schmeißen sich dagegen und katapultieren die von außen zur Hilfe geeilte Theaterangestellte fast aus der Senkrechten. Dabei rudern sie wild und unbeholfen mit den Armen.

Chapeau für die, die ausgehalten haben. Mehr kann ich zu der Aufführung nicht sagen. Auch, weil ich zum Schutz über längere Zeit Ohren und Augen schließen musste.

2015 © Christiane Linke
christianelinke22@gmail.com

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Christiane Linke über die „Memoiren eines alten Arschlochs“ von Roland Topor

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„Memoiren eines alten Arschlochs“ von Roland Topor

 Topor-Foto

 

Warum so hart? könnte man sich fragen. Aber genau dafür steht der Autor. Situationen und Personen schonungslos zu zeigen, Schamgrenzen („….Schamgrenzen erfinde ich nicht, sondern die Gesellschaft. Daran zu erinnern, dass der Mensch isst, verdaut, kopuliert etc. das ist nicht der Skandal. Aber wer das verdrängt, wird das Leben kaum ertragen.“ (aus einem Focus-Interview mit Gabi Czoeppan, 1994)) zu überschreiten und ungeniert zu beleuchten.

Das Buch zeichnet die fiktive Geschichte eines berühmten Malers. Aus gutem Haus und von den Eltern bis zum Bankrott des Vaters gepäppelt, zeigt sich bereits bei dem kleinen Jungen die besondere Begabung. Das Bild eines kleinen Mädchens hat es ihm angetan. Er kopiert das Gemälde und tauscht es, ohne, dass es die Besitzer zunächst bemerken, aus. Nach dem Bankrott seines Vaters als Bankier und dessen Freitod muss der Junge in der Küche eines Restaurants arbeiten. In seiner kleinen Stube fertigt er Zeichnungen an, die von einem Kellner mit Sachverstand entdeckt werden. Dieser führt ihn in die Pariser Künstler- und Intellektuellenszene ein. Nun überschlagen sich die Ereignisse und bei der folgenden irrwitzigen Reise durch die Zeitgeschichte begegnet er Größen wie Picasso, Trotzki, und leider auch Hitler, Stalin und anderen. Er nimmt diese systematisch auseinander und seziert dabei ironisch ihre Stärken und Eitelkeiten. Dabei scheut er sich auch nicht, den Kubismus zu erfinden, Trotzki versehentlich zu erschlagen, oder längst verstorbene Künstler zu berühmten Werken anzuregen. So unterrichtet er Picasso im Töpfern und inspiriert ihn zu seinen ersten Skulpturen. In hohem Alter versickern die Erinnerungen und er glaubt noch einmal seinen alten Freund und Mäzen aus dem Restaurant zu treffen. Hier schließt sich der Kreis.

Topors Mut ist beachtlich. Man könnte sagen, dass er jeden Stein anhebt und darunter schaut. Manche Affen fallen dabei in Ohnmacht. Er stellt in Frage und hält dies für eine Selbstverständlichkeit, ja vielleicht sogar für eine Pflicht. Keine Obrigkeitshörigkeit. Sondern Lust, Tabus zu brechen, zu provozieren, aber nicht zu verletzen.

Die Idee seines Buches ist gut, wird aber mit der Vielzahl der Figuren überstrapaziert. Man denkt unwillkürlich „und wer kommt jetzt noch?“ Bei manchen Figuren ist er zum Teil scharf satirisch, dann aber bei einer Schreckensfigur wie Hitler zu seicht plaudernd.

 

Topor über Topor (aus dem Begleitheftchen „Memoiren eines alten Arschlochs, Diogenes): „Der typische Humor ist für mich die Geschichte von dem zum Tode Verurteilten, der die letzte Zigarette mit den Worten ablehnt: „ Nein danke, ich will doch aufhören!“

 

 

galeriemartel / Werke von Roland Topor

 

                 „Bon appetit“                                                                „Drehbuch“

Topor - BA                            Topor - D

 

2015 © Christiane Linke
christianelinke22@gmail.com

 

 

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Victoria – Film mit Sogwirkung

Victoria – Film mit Sogwirkung

von Christiane Linke

 

 

Hier könnte man wirklich sagen …“und action“, denn es gibt 140 Minuten lang keinen Schnitt.

Eine junge Frau tanzt in einem Berliner Club. Die Kamera ist ganz nah, nimmt jede Bewegung mit. Sie bestellt einen Drink, geht auf Toilette, wischt sich den Schweiß von der Stirn. Im Eingang trifft sie auf ihre späteren Begleiter. Die junge Frau ist freundlich, offen und so kommen sie ins Gespräch. Berliner Schnauze trifft auf Madrid. Die vier jungen Männer überreden sie zu einer Aussichtstour auf eine private Dachterrasse. Die Typen wirken schräg, aber nicht gefährlich. Sonne (weil er immer lächelt) wickelt die süße Victoria mit seinem Berlinenglisch ein und wird schnell zur zweiten Hauptfigur. Die Kamera klebt an den Darstellern und man hat das Gefühl, dass man wirklich dabei ist, einfach mitläuft und die Nächte in Berlin so sein müssen. Sonne und Victoria flirten. Die Texte sind echt, weil auch improvisiert, die Längen nicht gekürzt. Die Dialoge wirken zum Teil so intim und die Darsteller so verletzlich, dass man sich gerne ausklinken würde. Die Story folgt einem roten Faden. Die Fünf werden schnell zu Sympathieträgern und so taucht man tiefer als gewohnt in den Film ein. Die leichte Stimmung kippt, als die nun nur noch drei jungen Männer einen Auftrag ausführen müssen und Victoria um Hilfe bitten. Man brauche einen vierten „Mann“. Zunächst scheint alles gut zu gehen, aber dann überschlagen sich die Ereignisse. Victoria, die eigentlich nur das geklaute Auto fahren soll und bislang neugierig mitgelaufen ist, übernimmt. Sie muss handeln, die Situation irgendwie retten. Bei all dem überträgt sich die Aufregung und Verzweiflung direkt auf den Zuschauer. Das Auto will nicht starten, alle Wege enden in Sackgassen und die vermeintlich sichere Sache endet im Fiasko. Die letzten Minuten sind etwas überzogen. Zu viele Spucke Fäden und überbordende Gefühle. Ansonsten aber ein tolles Debüt.

Verglichen mit diesem Film ist „Kopfüber in die Nacht“ mit Michelle Pfeiffer und Jeff Goldblum vorhersehbar und langweilig. Einfach zu perfekt.

 

2015 © by Christiane Linke

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Ein- und Ausdruck – Eine Erzählung von Christiane Linke

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Photo: 2015 © Christiane Linke

Ein- und Ausdruck.

Christiane Linke ist Schriftstellerin und lebt und arbeitet in Frankfurt am Main.

 

Ein kleiner Garten mit eigener Dramaturgie. Wie in England. Dort folgt der Aufbau auch einer Inszenierung. Man sieht nicht gleich die ganze Vielfalt, sondern spaziert sich dorthin.
Durch das Tor und bereits auf dem schmalen Weg beginnt die andere Welt. Hohe Bäume und eine kleine Graslandschaft, die nach links zum Kräutergarten oder rechts zum Steingarten führt. Der Botanische Garten ist eigenständig und gehört doch zum großen Park. Wie so oft ist die Perle gut versteckt und für Ängstliche schwer zu knacken. Man läuft jahrelang an dem kleinen Tor vorbei und ahnt nichts. Dann nimmt man allen Mut zusammen.
Die Vogelstimmchen sind so vielfältig, dass man denkt, sie würden sich zurufen: „Hier ist es schön, hier sind wir sicher.“ Die Vielfalt ist enorm. Gezwitscher, das ich zuvor noch nicht gehört habe. Ich kann sie nicht benennen, aber braucht es immer für alles Bezeichnungen.
Der rechte Weg führt in einer großen Runde um den Garten herum. Große Bäume und viele Ranken. Manches ganz dicht und anderes wieder sehr licht. Dann blickt man auf ein kleines Gewirr aus Wegen, die durch den Steingarten und direkt in unbegrenzter Weite auf den darunter liegenden Teich führen. The frogs. Man hört sie bereits, wenn man den Garten betritt. Ich gehe nach rechts, nehme einige kleine Wege durch die seltenen Bäume und bin überrascht wie schön sich die Kulisse nach jeder kleinen Biegung formiert. Die Sonne fällt aus unterschiedlichen Winkeln auf Weg und Bäume und die Anordnung suggeriert große Weite. Die vielfältige Vegetation gaukelt fremde Länder vor und ich fühle mich plötzlich wie in der Provence. Vom Steingarten blickt man auf eine mittlerweile hohe Wiese mit bunten Blumen. Ich halte mich weiter rechts und sehe gerade noch wie eine Meise aus einem Brutkasten fliegt. Dann lautes Piepsen. Ich warte ein wenig, aber die Meise kommt nicht zurück. Wahrscheinlich beobachtet sie mich besorgt.
Ich nehme einen kleinen Abstecher zum Teich und bin plötzlich in einem Spinnennetz gefangen. Die Fäden sind stark und klebrig und es hängen einige Larven in dem Gewebe. Es dauert einige Zeit und Mühe bis ich mich befreien kann. Ein kleines Insekt hätte keine Chance. Die Besucher stehen am Teich und fotografieren mit großen Linsen die Frösche. Man sieht sie kaum in dem dunklen Wasser, sie tauchen immer wieder ab und schwimmen davon. Ein Film wäre sinnvoller. Und dann schlendert der Gartenhüter vorbei. Ein älterer Mann mit rundem Gesicht. Er macht es vermutlich ehrenamtlich. Ein freundliches Lächeln und ein Gruß. Ich gehe weiter und fühle mich irgendwie ertappt. Und schon überlege ich, ob ich den nächsten Tag noch mal dorthin gehen kann.
Auf der rechten Seite entlang des Kräutergartens stehen hohe Weinreben, kleine Bottiche mit Seerosen und man hat einen freien Blick auf die alte, unbewohnte Fassade eines Instituts. Auf dem Rasen steht eine imposante, sehr großblättrige Pflanze aus Brasilien. Auf der Unterseite ihrer Riesenblätter sitzen kleine hellgrüne Dornen. Die Natur ist erfinderisch, um die Pflanzen zu schützen. Aber es gibt sicherlich auch Tiere, die diese Dornen umgehen können.
Der letzte Bogen Richtung Ausgang. Vorbei an den Kräutern steht auf der rechten Seite ein kleines Holzhaus mit Warnhinweis „Betreten auf eigene Gefahr“. Die Imkerei. Die Bienen fliegen emsig zu den Verschlägen und liefern ordnungsgemäß ihre süße Ware ab. Der Honig schmeckt köstlich.
Der Gang durch den Garten hat etwas Meditatives. Ich gehe möglichst langsam und konzentriere mich auf die Pflanzen. Die Gesichter und Stimmen versuche ich auszublenden. Kleine bewusste Schritte zur Ruhe.

2015 © Christiane Linke
christianelinke22@gmail.com

Botanischer Garten Ffm - CL2015-b - s

Botanischer Garten Frankfurt am Main
http://www.botanischergarten-frankfurt.de/

Botanischer Garten Ffm - CL2015-c - s