Kategorie-Archiv: Dekadenz

In den vergangenen Jahren hat sich überall im Westen eine abgehobene, sektiererische Elite festgesetzt, die sich Tag für Tag um sich selber dreht.

Von Jörg Somm.

Ob das im Rückblick ein guter Tag für Amerika sein wird, ist offen: Zu launenhaft, zu schwer fassbar ist Donald J. Trump, dieser erstaunliche und abstossende Mann zugleich, der am Dienstag zum neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde. Was aber feststeht: Es ist eine Revolution, die vor unseren Augen statt­gefunden hat – und mit Goethe, dem grossen Dichter, können wir sagen: Wir sind dabei gewesen.

2016 ist das Jahr der Wende. Nach der ersten Revolution, die im Sommer in Grossbritannien vorgefallen war, als ein eigenwilliges, mutiges Volk den Brexit beschloss, ist das nun die zweite Rebellion der einfachen, normalen Leute, die noch grösser, noch bedeutender, noch schmerzhafter ist für jene Kreise, die so felsenfest davon überzeugt sind, besser zu wissen, wie man ein modernes Land zu führen hat, als jene, die ihnen jetzt die Gefolgschaft verweigert haben: nämlich die Coiffeusen, die Stahlarbeiter, die Lastwagenfahrer und die Hausfrauen, die Buchhalter und Metzger, der Malermeister und die Unternehmerin, die Arbeits­losen und die Sparkassen­verwalter, die Kellner und die Kindergärtnerinnen, mit einem Wort, die Mehrheit der Leute – und allen Um­­fragen zum Trotz leben wir nach wie vor in einer Demokratie.

Auch in Amerika, gerade in ­Amerika. Das Volk entscheidet, nicht die Elite. Es ist die grösste Ohrfeige aller Zeiten. Man muss weit zurück­gehen, bis man einen ähnlichen ­demokratischen Aufbruch erlebt hat. 1989? Vielleicht.

Elite der Dekadenz

Ich wiederhole mich, doch man kann es nicht oft genug sagen: In den vergangenen Jahren hat sich überall im Westen eine abgehobene, sektiererische Elite festgesetzt, die sich Tag für Tag um sich selber dreht: Man hat merkwürdige Rituale erfunden, die ­niemand versteht, der nicht ein paar Semester an einer Universität verbracht hat, wie etwa die gefürchtete Inquisition der Worte, die man politische ­Korrektheit nennt, wo Leute ohne ­Prozess zum sozialen Tod verurteilt werden, weil sie angeblich das Falsche sagen – es ist eine Elite aufgekommen, ob in der Wirtschaft oder in der Politik, die immer mehr ihr Heil im Interna­tionalen sucht, wo undurchsichtige Gremien Schwerwiegendes beschliessen, ohne dass die betroffenen Völker etwas dazu zu sagen hätten, man ist verliebt in diesen gut ausgebildeten Milieus in das Völkerrecht und die «Weltgemeinschaft», man hasst das eigene Land oder rümpft immerhin die Nase und verachtet die eigenen Leute, die etwas weniger elegant Englisch sprechen, wenn überhaupt –, oder auf Amerika gemünzt: Man belächelt jene Leute, die nicht einmal einen Pass haben, weil sie nie ins Ausland reisen. Dass die einfachen Amerikaner das nicht tun, weil sie etwa borniert wären, wie ihnen die College-Absolventen insgeheim vorhalten, sondern weil sie sich die Reise nach Europa nicht leisten können: Wen interessiert das?

Die Schocktherapie

Es ist last, but not least eine Elite an die Macht gelangt, die zwar so tut, als ob sie intern streitet, es werden ­theatralische Stellungskämpfe geboten zwischen links und rechts, zwischen Republikanern und Demokraten, ­zwischen Sozialdemokraten und ­Bürgerlichen – doch in den wesentlichen Fragen, die das Volk unten beschäftigen, ist man sich oben gespenstisch einig: Grenzenlose Immigration gilt als gut, der Nationalstaat ist schlecht, Freihandel hilft allen, der Westen ist schuld und die Saläre in der Elite müssen so hoch liegen, schliesslich herrscht hier oben angeblich internationaler Wettbewerb. Man ist gefangen in einer Ideologie des Privilegs. Wer es anders sieht – oder darunter leidet, wird beschimpft oder ignoriert.

In Demokratien kann es sich eine Elite ein paar Jahre leisten, sich nicht um die Mehrheitsmeinung ihrer Völker zu kümmern, aber nicht endlos. Was in den USA geschehen ist, wo ein völlig ungeprüfter Aussenseiter das höchste Amt im Sturm erringt: Es dürfte nur der Anfang sein. Viele Länder im ­Westen werden bald Ähnliches ­erfahren. Es herrscht eine revolutionäre Stimmung. Friede den Hütten, Krieg den Palästen, hat Georg Büchner, der grosse deutsche Dramatiker, geschrieben. Das gilt noch heute. Wenn man das Vorgefallene analysiert, fällt auch auf, in welchen Ländern die Rebellion begonnen hat. Ohne allzu unbescheiden zu wirken: Die Schweiz ging voran. Hier waren die ersten An­­zeichen des Unbehagens zu beobachten, schon vor Jahren – was bei näherer Betrachtung nicht überrascht, denn dank der direkten Demokratie verfügen wir über eines der sensibelsten politischen Systeme der Welt. Seismografisch muss die Politik auf jede kleinste Unruhe in der Bevölkerung reagieren.

Welches Land hat wiederholt über internationale Organisationen abgestimmt – und tat sich schwer mit ihnen? (UNO und EWR.) In welchem Land konnten sich die Bürger frei dazu äussern, ob sie es in Ordnung finden, dass Manager astronomisch verdienen, und wo wurde diesen eine Grenze gesetzt? (Minder-Initiative.) Wo schliesslich hat das Volk die entfesselte Migration erlitten und zum ersten Mal mit demokratischen Mitteln zurück­gewiesen? (Masseneinwanderungs-­Initiative.) Nur in der Schweiz wurde darüber entschieden, nur in der Schweiz war aufgrund ihrer einzig­artigen ­Demokratie früh zu erkennen, was die Mehrheit der Leute von diesen Fetischen der Elite hält. Nichts.

Kein Zufall

Dass Jahre später Grossbritannien den Austritt aus der EU beschliesst, dass die Niederlande der EU mit dem ­Ukraine-Referendum in diesem Frühjahr einen Denkzettel verpassen, dass schliesslich die Amerikaner Donald Trump, den Schrecken aller Internationalisten, zum Präsidenten machen: Es ist kaum ein Zufall. Die Schweiz, Grossbritannien, die Niederlande, die USA: Diese Länder zählen zu den ältesten Demokratien des Westens. Je reifer und etablierter die demokratische Tradition eines Landes, desto eher regt sich Widerstand im Volk, desto mehr muss die Elite zittern. So gesehen ist es ­durchaus denkbar, dass die nächste Revolution schon im kommenden ­Frühjahr anlässlich der Präsidentschafts­wahlen in Frankreich vor sich geht. Marine Le Pen, die ich mit grosser Skepsis betrachte, hat Donald Trump fast als erste französische Politikerin gratuliert.

Wird Donald Trump ein guter ­Präsident oder ein katastrophaler?

Wir wissen es nicht. Was wir aber ­wissen: Die Welt wird nie mehr so sein, wie sie vor ihm war.

Markus Somm ist Chefredakteur der Basler Zeitung. Dort erschien dieser Beitrag zuerst.

Merkel machte unsere Demokratie wehrlos, ängstlich, permanent betroffen und schockiert, weinerlich, depressiv und dekadent.

Die Meinungsvielfalt spiegelt sich nicht hinreichend – weder in der Politik noch in den Massenmedien. Diese Entwicklung führt zu Frustrationen bei den Bürgern. Sie wenden sich ab. Es macht sich ein Gefühl der Gleichgültigkeit breit. Schlecht für die wehrhafte Demokratie.

 

Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahre 1952 sich wie folgt zum Wesen der Demokratie geäussert:

„So lässt sich die freiheitliche demokratische Grundordnung als eine Ordnung bestimmen, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen:

  • die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung
  • die Verantwortlichkeit der Regierung”

Der von mir geschätzte Professor für Philosophie Julian Nida Rümelin kommt zur der Überzeugung, das “Demokratie nur gelingen könne, wenn wir bereit wären, die Rolle des Citoyen anzunehmen.“

Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach zu verstehen gegeben, dass die parlamentarische Demokratie, wie sie in Deutschland herrscht, eine streitbare und wehrhafte Demokratie sein muss. Denn sie muss auch in der Lage und absolut entschlossen sein, sich gegen jegliche Kräfte zu Wehr zu setzen, die eben diese freiheitliche Grundordnung in Frage stellen oder gar bekämpfen.

Die aktuellen Entwicklungen in Deutschland lassen an dieser wehrhaften Demokratie Zweifel aufkommen. Haben wir uns daran gewöhnt, dass wichtige Werte wie Meinungsfreiheit mit Füßen getreten werden? Darf ich als Bürger dieses Landes keine Kritik ausüben? Oder anders gefragt, wieviel Kritik darf ich ausüben, um nicht beschimpft und bedroht zu werden? Gibt es bestimmte Gruppierungen und Menschen, die nicht sachlich kritisiert werden dürfen? Leben diese Menschen außerhalb des Systems? Gelten für diese Menschen andere Prinzipien? Was unterscheidet uns von Diktaturen, wenn man in Deutschland bedroht wird, weil man sich zu bestimmten Themen positioniert hat?

Wie ist eine Demokratie “wehrhaft”?

Daraus folgernd stellt sich für mich die entscheidende Frage, wie eine Demokratie sein muss, um wehrhaft zu sein? Oder anders gefragt – ist unsere Demokratie den Herausforderungen gewachsen? Kann sie sich erfolgreich gegen die extremistischen Strömungen behaupten?

In der Verfassung sind in der Tat Hürden eingebaut worden, die es den extremistischen Bewegungen sehr schwer machen, Fuß zu fassen. Betrachtet man jedoch die Entwicklungen der letzten Monate in Deutschland, dann gewinnt man den Eindruck, dass die Demokratie Ihre Wehrfähigkeit entweder verloren hat oder wir die Rolle des Citoyen nicht ernst nehmen.

Haben wir zu viel Freiheit und zu wenig Sicherheit? Jaschke sieht hierin ein Dilemma. Denn „Zu viel Freiheit eröffne auch extremistischen und antidemokratischen Kräften politischen Spielraum. Zu viel Sicherheit hingegen, zu viele Verbote etwa, erdrosseln die individuellen Freiheitsrechte und höhlen die Demokratie von Innen aus.“

Der Parlamentarische Rat, der 1948/49 das Grundgesetz der Bundesrepublik erarbeitete, nahm ausdrücklich Bezug auf die Erfahrungen der Weimarer Republik. Nicht noch einmal sollte es Verfassungsgegnern gelingen, das demokratische System derart zu demontieren. Die Idee der “wehrhaften Demokratie” ist daher im Grundgesetz der Bundesrepublik verankert und durch verschiedene Artikel festgeschrieben. Hierzu gehört auch die Verwirkung von Grundrechten, wenn diese zum Kampf gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung missbraucht werden (Art. 18 GG). Sowie die Pflicht der Angehörigen des öffentlichen Dienstes zur Verfassungstreue (Art. 5 Abs. 3 u. Art. 33 Abs. 5 GG in Verbindung mit beamtenrechtlichen Vorschriften). Des Weiteren die Verfolgung von Straftaten, die sich gegen den Bestand des Staates oder gegen die Verfassung richten (so genannte Staatsschutzdelikte).

Wie sieht diese wehrhafte Demokratie heute aus?

Nicht dass die parlamentarische Demokratie keine Instrumente hätte, um sich gegen verfassungsfeindliche Strömungen wehren zu können. In der Theorie ist die Demokratie wehrhaft, aber in der Praxis lässt sie diese Wehrhaftigkeit vermissen. Menschen werden öffentlich diffarmiert, beleidigt, bedroht und beschimpft. Wo bleibt der Staat? Ich erinnere hier gerne an die Worte von Nida Rümelin, der den Citoyen in der Pflicht sieht.

Es ist nicht die Demokratie, die hier versagt, sondern es sind die Träger des demokratischen Systems – die Bürger dieses Landes. Zuschauen oder nicht wählen zu gehen oder gar aus Trotz Parteien zu wählen, die genau dieses System bedrohen, zeugt von Naivität und mangelnder Verantwortung!

Es lohnt sich die parlamentarische Demokratie zu schützen und ihr zu helfen – wehrhaft zu bleiben.

Denn dieses System, wohlwissend, dass es nicht perfekt ist, ist das Fundament, auf dem dieses Land aufgebaut wurde. Wir geniessen im Vergleich zu vielen anderen Ländern eine Meinungs-, Presse- und Religionsfreiheit, um nur einige wichtige Aspekte zu nennen. Es lohnt sich, sich für diese Werte einzusetzen, die das Wesen der Demokratie ausmachen. Wer soll sich für dieses demokratische System einsetzen, wenn nicht wir – die Bürger dieses Landes. Wir sind die Pfeiler dieses Systems.

Eine wehrhafte Demokratie ist sehr wohl in der Lage, verfassungsfeindliche Vereine und Organisationen zu verbieten oder sie in ihrem Spielraum einzuschränken, damit diese Demokratie weiterhin eine streitbare bleibt.

Dazu gehört aber auch, dass sich Politiker und Massenmedien ihrer Verantwortung bewusst werden!

Dazu gehört, dass Politiker sich darüber informieren, wen sie einladen, wen sie unterstützen. Dazu gehört aber auch, dass die Politiker diese Wehrhaftigkeit, die unsere Demokratie ausmacht, in der Praxis leben. Das kann auch mit Konflikten einhergehen, aber auch das gehört zur Demokratie. Fatal ist es, wenn Politiker aus Opportunismus und falsch verstandener Toleranz Dinge akzeptieren oder gar verharmlosen, die an den Grundpfeilern dieses Systems sägen.

Massenmedien: bitte Expertise vor Quote

Die Massenmedien können sich ebenfalls nicht der Verantwortung entziehen. Es ist nicht im Sinne einer wehrhaften und streitbaren Demokratie, wenn populäre politische Sendungen mehr auf die Quote achten als auf die Expertise! Man gewinnt zunehmend den Eindruck, dass einige Personen von bestimmten Sendern nahezu abonniert werden. Zu unterschiedlichen Themen äussern sich sehr häufig dieselben Personen. Wie kann das sein? Welches Bild entsteht in der Öffentlichkeit? Auch für die Medien gilt das Prinzip des Gleichgewichtes oder um es in den Worten des Aristoteles zu sagen – der Weg der Mitte. Dazu bedarf es der Klugheit. Diese vermisse ich bei den Medienmachern in diesem unserem Lande!

Die Meinungsvielfalt spiegelt sich nicht hinreichend – weder in der Politik noch in den Massenmedien. Diese Entwicklung führt zu Frustrationen bei den Bürgern. Sie wenden sich ab. Es macht sich ein Gefühl der Gleichgültigkeit breit. Es kommen Fragen auf. Wo sind unsere Intellektuellen? Wo sind die Philosophen geblieben? Was ist aus der Streitkultur geworden? Haben wir vor der Oberflächlichkeit kapituliert?

Müssen wir extreme Meinungen dulden und ertragen? Ja, das müssen wir, denn das gehört zu einer streitbaren und wehrhaften Demokratie dazu. Aber wäre es nicht angemessen, bei solchen Diskursen für ein Gleichgewicht zu sorgen? Wem hilft es, wenn immer wieder derselbe Politiker sich zu Themen äussert, von denen er offensichtlich keine Ahnung hat? Wem nützt es, wenn zu wichtigen Themen wie Integration Menschen eingeladen werden, die entweder einer solchen im Wege stehen oder alles positiv sehen? Verhelfen wir nicht gerade durch solche Konstellationen den extremistischen Positionen, sich zu etablieren? Wo bleiben diejenigen, die den kritischen, aber sachlichen Diskurs pflegen? Menschen, die über entsprechende Expertise verfügen. Jene, die sowohl die Streitbarkeit als auch die Wehrhaftigkeit der Demokratie nicht nur theoretisch denken, sondern praktisch demonstrieren?

Manchmal gewinnt man den Eindruck, als würde man gegen die Wand reden. Aber als Optimist setze ich auf das Prinzip Hoffnung. Wohlwissend, dass Tucholsky Recht haben konnte, als er sagte: „Der Mensch hat neben dem Trieb der Fortpflanzung und dem, zu essen und zu trinken, zwei Leidenschaften: Krach zu machen und nicht zuzuhören. Man könnte den Menschen gradezu als ein Wesen definieren, das nie zuhört. Wenn er weise ist, tut er damit recht: denn Gescheites bekommt er nur selten zu hören. Sehr gern hören Menschen: Versprechungen, Schmeicheleien, Anerkennungen und Komplimente. Bei Schmeicheleien empfiehlt es sich, immer drei Nummern gröber zu verfahren, als man es gerade noch für möglich hält. Der Mensch gönnt seiner Gattung nichts, daher hat er die Gesetze erfunden. Er darf nicht, also sollen die anderen auch nicht.“