Das Einrennen offener Scheunentore ist bei den deutschen Politikern eine der beliebtesten Disziplinen im Wettstreit um die Gunst der Wähler, der Menschen, der Bürger. In der abgelaufenen Woche haben sie sich dabei wieder einmal selbst übertroffen.
Während das Lumpengesindel des IS sich rühmte, gefangene Frauen, bevorzugt Christinen, für ein Handgeld als Lustobjekte zu verscherbeln, und bei den Saudis die Tradition auflebt, Ehebrecher zu steinigen, legten sich linke, soziale, liberale und grüne Demokraten hierzulande für die rechtliche Anerkennung der Homo-Ehe mutig ins Zeug.
Keiner sollte die Chance haben, dem anderen dabei zuvorzukommen. Kaum einer/eine, der oder die parteipolitisch etwas zu sagen hat, wollte versäumen, sich von einer Diskriminierung zu distanzieren, die es gar nicht mehr gibt. Jedenfalls können wir uns an keine Loveparade erinnern, die in den letzten Jahren nur unter massiven Polizeischutz hätte stattfinden können.
Solcher Sicherheitsvorkehrungen bedarf es nur noch, wo die „Wutbürger“ gegen das politische Establishment auf die Straße gehen. Die Kommandanten der Wasserwerfer werden da allemal schneller in Bereitschaft versetzt.
Über die gleichgeschlechtliche Liebe indes hält der Rechtsstaat seine schützende Hand seit langem. Sie zählt längst zu den sexuellen Selbstverständlichkeiten der modernen Konsumgesellschaft. Gehört es doch fast schon zum guten Ton, wenigstens ein bisschen schwul oder lesbisch zu sein. Wieso auch nicht. Immer wieder gab es in der Geschichte Epochen, in denen die Liebe vor allem spielerisch genossen wurde, weil es nicht mehr um die Reproduktion der Gesellschaft ging.
So wie die Menschen das Interesses an der Zukunft verloren, verlor die Liebe ihre existentielle Bedeutung. Alles sollte sich in der Gegenwart erfüllen, in ihrem lustvollen Genuss. Das eröffnete nicht nur der Kunst – man denke bloß an die Hochkultur der römischen Endzeit oder an das Fin de Siècle, an Egon Schiele und Gustav Klimt – ungeahnte Möglichkeiten. Es erlaubt auch in der Liebe vieles, was zuvor mit Tabus belegt war. Die sexuelle Toleranz zählt seit jeher zu den Errungenschaften der Dekadenz.
Jeder kann dann seiner Veranlagung entsprechend lieben, heute wie in früheren Epochen sexueller Befreiung. Daran ändern auch die Witze nichts, die über Schwule und Lesben nach wie vor im Umlauf sind, zumal es sehr viel weniger sind, als über die Heterosexuellen gerissen werden. Schließlich leben nicht mehr in den Zeiten, da man beim Sex das Licht ausknipsen und das Federbett über den nackten Hintern ziehen musste.
Nein und nochmals nein, es geht bei dem politischen Palaver um die Homo-Ehe mitnichten darum, einer bedrohten Minderheit endlich die versagte Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Wem das, die Anerkennung Andersdenkender und -fühlender, wirklich am Herzen läge, der müsste sich gerade heute mit ganz anderen Themen befassen. Denn tatsächlich werden in Deutschland noch immer oder bereits wieder Menschen diskriminiert, beschimpft und öffentlich verunglimpft, wie wir das noch vor wenigen Jahren nicht für möglich gehalten hätten.
Weil sie der Regierung nicht mehr über den Weg trauen, nennt Wolfgang Schäuble Tausende friedlicher Demonstranten „eine Schande für Deutschland“. Eine Partei, die volkswirtschaftlich begründete Zweifel an der Euro-Politik hegt, wird des „Rechtsradikalismus” geziehen; ihre Vertreter werden als „Nationalisten“ ausgegrenzt. Juden müssen sich als öffentlich „feige Sau“ anpöbeln lassen und fürchten, auf offener Straße angerempelt zu werden. Unter den Intellektuellen, der linken Elite des Landes grassiert ein Antisemitismus, der sogar die Frankfurter Rundschau veranlasste, vor einem ideologischen Rückfall in die Vergangenheit zu warnen.
Und die Politiker, unserer gewählten Volksvertreter, was tun sie, wenn sie nicht gleich vorneweg rennen wie bei der Hatz auf die Wutbürger? Weil sie gar nicht mehr wissen, wo sie noch hinschauen sollen, um das alles nicht wahrnehmen zu müssen, üben sie sich in höflicher Zurückhaltung und stürmen mit Getöse vornan, wenn es gilt, offene Scheunentore einzurennen.
Ihr Engagement für die Homo-Ehe ist ein Farce, über die man achselzuckend hinweggehen könnte, wenn der faule Zauber kein kalkuliertes Ablenkungsmanöver wäre, eine Falle, in die die Wähler tappen sollen. Wie ehedem die Spießer ziehen sie sich die Bettdecke – diesmal über den Kopf..
Es geht um brutale Gewalt, um Schwule, Lesben, Transen und Feministen, sowie um Bücher und Meinungsfreiheit. Im übertragenen Sinne geht es um die Uhr des Lebens, um Lawinen sowie um Adler und andere Vögel. Außerdem geht es – ebenfalls im übertragenden Sinne – um eine brennende Hütte und um die Frage, warum Volker Beck nicht die Feuerwehr ruft.
Die Bundestagsfraktion der Grünen hat in Berlin ein Fachgespräch veranstaltet mit prominenter Besetzung auf dem Podium, daruntet Volker Beck, Kai Gehring, Prof. Sabine Hark, Ulle Schwaus, Laurel Braddock (Beratung für schwule und lesbische Heranwachsende) und Anne Wizorek.
Sie sind allesamt bekannt als schwule, lesbische oder feministische Aktivisten. Das passt. Es ging bei dem Fachgespräch nämlich um „Strategien gegen Anti-Feminismus und Homophobie“ – also um Strategien gegen Leute, von denen die Promis auf dem Podium annehmen durften, dass sie von denen nicht gemocht werden und dass die sich ihren aktuellen Plänen in den Weg stellen wollen.
Es ging nicht etwa um ein Gespräch mit diesen Leuten. Vielmehr ging es um ein Gespräch über solche Leute. Da sich alle auf dem Podium einig waren, war es langweilig. Es war eine Verkündung von oben herab zu einem gleichgesinnten Publikum. Es war keine Diskussion mit Für und Wider, Pro und Contra, wie man das vielleicht noch von früher kennt.
Die Lawine und die Adler
Zwei fatale Irrtümer wurden bei der Veranstaltung deutlich. Nicht etwa dem Publikum oder den Meinungsführern auf dem Podium. Im Gegenteil – die schienen sich pudelwohl zu fühlen. Den kritischen Beobachtern wurden sie indes schnell klar, zum Beispiel dem Informatiker Hadmut Danisch, der darüber einen launigen Bericht verfasst hat, der gut zu lesen, aber auch von erschreckender Deutlichkeit ist. Oder Wolle Pelz, ebenfalls Informatiker und freiwilliger Protokollführer, dem aufgefallen ist, dass stets von „Maskulinisten“ die Rede war – eine Bezeichnung, mit der eine Menschengruppe benannt werden soll, die es gar nicht gibt.
Der erste fatale Irrtum liegt darin, dass der richtige Gegner nicht erkannt wird. Die Experten auf dem Podium wissen nicht, mit wem sie es zu tun haben. Kein Wunder also, dass niemand auf dem Podium war, der auch nur ansatzweise anderer Meinung war; die Veranstalter hätten gar nicht gewusst, wen sie hätten einladen sollten; denn sie wissen tatsächlich nicht, wer diejenigen sind, denen sie mit ihren „Strategien“ entgegentreten wollen und wer diejenigen sind, die eine wirkliche Gefahr darstellen.
Oder sie wissen es sehr wohl und verschweigen es bewusst. In beiden Fällen ist es fatal für die Lesben, Transen, Homos und Feministen, die damit über ihre wahren Gegner getäuscht werden. Gleichzeitig werden unnötigerweise diejenigen, die gar nicht die wirklichen Gegner sind, bestraft und geschädigt.
Stellen wir uns vor, da geht ein Wanderer auf einem Weg, auf dem die Gefahr besteht, dass ausgerechnet da Lawinen niedergehen. Nun kommt die Bergwacht, verschweigt dem Wanderer die Gefahr von Lawinen und redet ihm ein, dass er von Adlern bedroht sein könnte, deshalb müsse man überlegen, ob nicht zu seiner Sicherheit alle Adler und bei der Gelegenheit auch alle sonstigen Vögel abgeschossen werden müssen.
Der zweite Irrtum liegt darin, dass die Herrschaften auf dem Podium verkennen, was die vermeintlichen Gegner eigentlich angreifen wollen. Vielleicht erinnert sich noch jemand an die berühmte Unterscheidung, die früher einmal gemacht wurde, als – zumindest nach außen hin – differenziert wurde zwischen Gewalt gegen Sachen und Gewalt gegen Menschen. Hier findet so eine Differenzierung nicht statt: Es werden dem empfindsamen Publikum Menschenfeinde präsentiert, die in Wirklichkeit keine Menschenfeinde sind, sondern Sachfeinde.
Eine sachliche Diskussion wird jedoch gemieden. Um welche Themen geht es? Anne Wizorek fasste die Kritik, die sie wahrnimmt, folgendermaßen zusammen: Sie richtet sich gegen Gender-Mainstreaming, gegen die „Wissenschaft von der Geschlechter-Forschung“, gegen geschlechtergerechte Sprache, gegen Quotenregeln.
Zu diesen Punkten wird jedoch grundsätzlich keine Kritik zugelassen. Ersatzweise wird jeder, der Kritik dazu äußert, als antifeministisch, rechtsradikal und homophob hingestellt und geächtet. Deshalb ging es auch, wie es der Titel der Veranstaltung sagt, um „Strategien gegen …“ – jedoch nicht um Strategien gegen Meinungen, sondern um Strategien gegen Menschen. Da keine Sachdiskussion stattfindet, werden aus Gegnern in der Sache schwuppdiwupp Gegner der Menschen.
Doch in Wahrheit werden die Schwulen, Lesben, Transen und Feministen nicht gehasst. Jedenfalls nicht von denen, die ihnen das Podium präsentieren will. Natürlich ist es so, dass sie nicht von allen geliebt werden. Das kann man auch nicht erwarten. Aber jemanden nicht zu lieben, bedeutet nicht, ihn zu hassen. Kritik ist ebenfalls kein Hass, sondern Kritik. Die ist nicht nur erlaubt, sie ist notwendig. Die Kritik, die es tatsächlich gibt, richtet sich nicht gegen die Menschen im Publikum, sondern gegen die Politik, die von den Aktivisten auf dem Podium vertreten wird.
Die anwesenden Tunten – es waren jedenfalls auffällig viele da – werden damit an einem empfindlichen Punkt berührt. Ihre Besonderheit konfrontiert sie ständig mit der Frage: Wie wirke ich? Wie reagieren andere auf mich? Auf diese „gute Frage“, wie man heute sagt, erhalten sie eine schlechte Antwort. Sie sind weder so beliebt und so wichtig, wie es ihnen die Grünen weismachen wollen, noch sind sie so verhasst. Die Grünen präsentieren sich als falsche Freunde und bieten ihnen an, sie vor falschen Feinden zu schützen.
Sind sie von allen guten Geistern verlassen? Sind Intellektuelle jetzt ihre Gegner?
Kai Gehring, Mitglied des Bundestages, hat diejenigen, die er als Gegner sieht, grob in drei Gruppen aufgeteilt. Wohlgemerkt: Er sieht eine Gegnerschaft in Menschen, nicht in Argumenten. Er nennt dann auch keine Argumente, sondern Menschengruppen – und zwar: die „religiös Motivierten“, die „politisch Motivierten“ und … An dieser Stelle will ich gleich einen ersten Zwischenruf anbringen: „Na und?!“
Das besagt gar nichts. Warum sollte man etwas gegen solche Leute haben? Wir haben Religionsfreiheit und wir wünschen uns mündige Bürger, die sich engagieren und die gut motiviert an der Gestaltung der Politik mitwirken und nicht einfach nur lustlos alle vier Jahre ein kleines Kreuzchen malen. Was ist dagegen einzuwenden? Motiviert zu sein ist noch kein Inhalt und macht noch lange keine Gegnerschaft aus.
Die dritte Gruppe, die Kai Gehring erwähnt – die „Intellektuellen“ – bilden überhaupt keine Gruppe. Das sind einzelne, die von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch machen, die sich auf eigene Faust an Diskussionen beteiligen und so am Prozess der Meinungsbildung mitwirken. Dagegen spricht auch nichts. Die geheimnisvollen Maskulinisten gehören zu den Intellektuellen.
Wenn wir uns die Gruppen näher ansehen, bestätigt sich, was ich anfangs angesprochen habe – nämlich: Die angeblichen Gegner sind allesamt harmlos und stellen für Lesben, Schwule, Transen und Feministen keinerlei Gefahr dar. Die „Gruppe“ der Intellektuellen sowieso nicht. Die schreiben nur, die beißen nicht. Es sind womöglich seltsame, aber letztlich ungefährliche Vögel: Adler, Geier, Nachtigallen, Papageien … Intellektuelle hassen auch nicht – ihr Intellekt verbietet ihnen das. Sie bemühen sich vielmehr um eine wahrhaftige Sicht auf die Welt in ihrer Komplexität. Mehr oder weniger erfolgreich, versteht sich.
Außerdem bewegen sich die Autoren im geschützten Freiraum des Geistes. Die Meinungs- und Kunstfreiheit, die sie für sich in Anspruch nehmen, korrespondiert mit der Freiheit des Lesers, der sich nach der Lektüre seine eigene Meinung bilden kann (und das auch tun soll) und der selbstverständlich die Freiheit hat, ein Buch nach wenigen Seiten beiseitezulegen oder gar nicht erst anzufassen. Lesen färbt nicht ab. Wenn jemand ein Buch liest, bedeutet es nicht, dass er allem, was darin steht, zustimmt und eins zu eins für sich zu übernehmen muss.
Eine Leserschaft ist ebenfalls keine Gruppe. Sonst hätten wir es mit einer unüberschaubare Menge von Gruppen zu tun: mit Harry-Potter-Lesern, Shades-of-Grey-Lesern … Hinzu kommt, und das sollte Kai Gering berücksichtigen, dass die meisten mehr als ein Buch lesen.
Einfach nur ein paar Namen von Autoren in den Raum zu werfen – wie es auch Volker Beck getan hat – und dabei gänzlich auf Inhalte zu verzichten, verrät eine Haltung, die das Individuelle nicht schätzt und die Freiheit der Kunst und Meinungsäußerung missachtet. Das ist intellektuellenfeindlich, was eine Variante von Menschenfeindlichkeit ist, und wirkt so, als hätten die Politiker der Grünen Angst davor, dass jemand selbständig denkt.
Den Eindruck musste man tatsächlich haben. Da wurden vom Podium herab Namen präsentiert, als würden sie damit zum Abschuss freigegeben: Kelle, Kuby, Matussek, Martenstein, Pirincci. Ich bin mir sicher, dass die Herrschaften die Bücher gar nicht gelesen, sondern nur irgendetwas darüber gehört haben. Schlimmer noch: Sie sind offenbar der Ansicht, dass es auch nicht nötig ist, sich damit zu befassen. Name genügt. Angela Merkel hat Sarrazin schließlich auch nicht gelesen.
So werden diese Autoren, die etwas „zur Sache“ geschrieben haben, hingestellt als wären es Autoren, die etwas „gegen Menschen“ haben. Damit wird dem Publikum unnötig Angst gemacht und es werden Autoren, die mit ihrem Namen für das einstehen, was sie schreiben, persönlich angegriffen. André Heller sagte einst: „Denn merke: Wer das Denken nicht attackieren kann, attackiert den Denkenden“.
Die Herrschaften auf dem Podium schienen nicht viel von ihrem Publikum zu halten. Sie vermuteten – wahrscheinlich sogar zu recht –, dass es aus unkritischen Jubeltunten besteht, die schon zufrieden sind, wenn man – was unter Intellektuellen als Foulspiel, ja geradezu als Todsünde gilt – nicht etwa die Position, sondern die Person angreift und sich damit auf die ganz billige Tour eine inhaltliche Auseinandersetzung erspart.
Politiker, die Angst haben vor der Demokratie
Bei den „politisch Motivierten“ nannte Kai Gehring die AfD. Auch hier möchte ich ihm ein herzhaftes „Na und?!“ entgegenhalten. Die AfD ist neu im Parteienspektrum, ihr Programm unterscheidet sich von dem der Grünen und sorgt damit für eine wünschenswerte Vielfalt. Niemand muss sie wählen (es muss auch niemand ein Buch lesen). Soweit ist alles prima. Nun treten die Parteien in einen offenen Wettbewerb um Wählerstimmen. So ist Demokratie. Was ist daran falsch?
Von einem Mitglied des Bundestages erwartet man nicht unbedingt Leseempfehlungen (man erwartet auch nicht, dass von Büchern abgeraten wird), vielmehr wünscht man sich einen Bericht aus der Welt, in der sich ein Politiker auskennt. Wie ist es da? Wie sehen die Differenzen auf der politischen Bühne aus? Da kommt nichts. Fast nichts. Die AfD will partout nicht „gendern“ wird geklagt, die wollen stur bei diesem „AfD-Sprech“ bleiben, wie die nicht gegenderte Sprache inzwischen genannt wird. So der Vorwurf. Da wurde es endlich mal konkret. Und banal.
Wieder ertönt ein herzhaftes: „Na und?!“ So wird man nicht zum Gegner. Wenn jemand weiterhin so reden will, wie er es bisher getan hat, dann gehört er zu den Leuten, die bei einer Mode nicht mitmachen wollen, bei der sie auch nicht mitmachen müssen. Nicht-Mitmachen ist keine Gegnerschaft. Wenn sich jemand einer Sprachvorschrift nicht unterwerfen will, dann kann der Grund dafür auch in der Fragwürdigkeit der Sprachvorschrift liegen.
Es herrscht sowieso politische Windstille. Es gibt keinen scharfen politischen Gegenwind. Scharfen Gegenwind, den die Grünen fürchten müssten, gäbe es, wenn die AfD als etablierte Regierungspartei an der Macht wäre und sich aus der Position der Stärke heraus Strategien überlegte, wie sie der Gender-Sprache entgegentreten könnte und beispielsweise Strafmandate für den Gebrauch des Binnen-Is in Erwägung zöge.
So ist es nicht. Das war nur ein Gedankenspiel mit mehreren Konjunktiven. Selbst wenn es so wäre, dann befänden wir uns damit immer noch im grünen Bereich. Da blieben wir auch, solange die politischen Auseinandersetzungen weiterhin nach genau den Regeln ablaufen, die dafür vorgesehen sind. Selbst wenn es jemals soweit kommen sollte, müssten die Grünen damit umgehen können und müssten so eine Auseinandersetzung nicht fürchten. Es sei denn, sie fürchten die Regeln der parlamentarischen Demokratie. Tun sie das? Es sieht fast so aus.
Die Ja-Sager und die Nein-Sager
Wenn man sich ein brauchbares Bild von den Gegnern machen wollte, müsste man noch eine weitere Unterscheidung treffen, die sich anhört, als wollte man sich auf Brecht und das Stück die ‚Jasager’ beziehen („Viele werden nicht gefragt, und viele sind einverstanden mit Falschem. Darum: Wichtig zu lernen ist Einverständnis“). Wir müssen nämlich nicht nur zwischen Ja-Sagern und Nein-Sagern unterscheiden, sondern obendrein zwischen Nein-Sagern und Nichts-Sagern. Wir kennen das: Der Computer bietet uns immer wieder drei und nicht nur zwei Möglichkeiten zur Auswahl: Ja/ Nein/ Abbrechen.
Denn die meisten sagen nicht etwa „Nein“ zu Homos, Feministen und Transen – also zu den so genannten Buchstabenmenschen, den LGBTIlern – sie sagen vielmehr gar nichts dazu. Sie kennen sie nicht mal. Die meisten sagen auch nicht „Nein“ zu den Bildungsplänen (die sie auch nicht kennen). Sie sagen auch nicht „Nein“ zu einer gendergerechten Sprache, so wie es die AfD tut, sie sagen einfach nichts dazu. Ein „Nicht“ ist kein „Nein“. Im politischen Spektrum sind die Nichts-Sager inzwischen die größte Gruppe, es sind die Nicht-Wähler.
Auch bei denen müssen wir unterscheiden – das klingt wiederum nach Ernst Bloch – zwischen einem Noch-nicht und einem Nicht-mehr, also zwischen denen, die noch nicht so weit sind, dass sie sich zu einem „Ja“ oder „Nein“ durchringen konnten und denen, die eine klare Ja- oder Nein-Position inzwischen wieder verlassen haben.
Eine kurze Meldung zwischendurch für alle, die ungeduldig werden und sich langsam langweilen – wie es bei einem Kommentar zu einer solchen Veranstaltung auch zu befürchten ist: Die Lawine kommt noch.
Ich will nur noch schnell – was ich schon früher hätte tun sollen – auf den Titel der Veranstaltung hinweisen: ‚Wer will die Uhr zurückdrehen?’ Na, wer wohl? Keiner. Falls es doch einen geben sollte, dann wird er damit keinen Erfolg haben. Auch nicht bei dem Versuch, die Uhr anzuhalten. Beides geht nicht. Brauchen die Grünen etwa Strategien gegen Leute, die etwas versuchen wollen, das sowieso zum Scheitern verurteilt ist?
Wohl kaum. Ihre Strategien richten sich gegen etwas anderes; sie richten sich, wie sie es selbst sagen, gegen Reaktionäre. An dieser Stelle soll mein letztes „Na und!?“ ertönen. Es reicht nicht, einfach nur zu sagen, dass es Reaktionäre gibt, ohne zu erklären, was an deren Haltung so schlimm sein soll. Reaktionäre gibt es. Es wird sie immer geben. Jedenfalls solange die Bevölkerung noch nicht gleichgeschaltet und über einen großen Kamm geschoren ist. Wenn es keine Reaktionäre gibt, gibt es auch keine fortschrittlichen Kräfte.
Erst wenn alle auf einem Entwicklungsstand sind, ist Ruhe. Friedhofsruhe allerdings. Dann gibt es keine Sitzenbleiber und keine Überflieger mehr. Dann gibt es nicht mehr das, was Ernst Bloch die Ungleichzeitigkeit genannt hat. Dann gibt es niemanden mehr, der noch nicht – oder nicht mehr – „Ja“ oder „Nein“ sagen möchte, dann sagen alle nichts, beziehungsweise alle dasselbe – was letztlich auf dasselbe hinausläuft. Dann ist eine Egalität erreicht, bei der alles egal ist. Dann kann der Nachtwächter getrost verkünden, dass die Uhr nichts geschlagen hat.
So langsam verdichten sich die Hinweise, dass die Grünen genau das anstreben. Ein erster Hinweis lag in dem flüchtigen Blick auf die politische Landschaft, auf die Gruppe der „politisch Motivierten“, wie Kai Gehring sie genannt hat. Da war kein wirklicher Gegner mehr erkennbar. Kein Wunder.
Die Parteien sind längst gleichgeschaltet. Alle sind dem Gender Mainstreaming verhaftet, alle gendern die deutsche Sprache zugrunde und haben schon längst keine Wähler mehr, sondern „Wählerinnen und Wähler“, alle beteiligen sich am Gender-Pay-Gap-Schwindel, alle sind für Quoten, alle sind für die so genannte Vielfalt, mit der die traditionelle Familie überwunden werden soll, alle sind für sexuelle Frühaufklärung (ohne darüber aufzuklären, was den Kleinen damit schon früh zugemutet wird), alle sind für mehr Toleranz, für noch mehr Toleranz und für Akzeptanz. Alles ist alternativlos.
So soll auch die journalistische Landschaft sein. Dass jemand wie Ronja von Rölle es tatsächlich „gewagt“ hat, einen kritischen Artikel zum Feminismus zu schreiben, fanden die Vorsitzenden auf dem Podium empörend. Also wirklich! Das geht gar nicht. Und dann ist es auch noch eine Frau, die so einen „radikalen“ Text geschrieben hat. Eine Verräterin! Inzwischen hat sie nach einem Shitstorm mit heftigen Drohungen (sie wurde als rechtsradikal gebrandmarkt, man schrieb ihr, dass sie allein wegen dem „von“ im Namen „an die Laterne“ gehört) ihren Blog wieder eingestellt. Na also. Geschafft. Wieder ein Mensch, der sich duckt und schweigt.
Der Titel ‚Wer will die Uhr zurückdrehen?’ soll irgendwie poetisch sein. Klar. Das darf man nicht wörtlich nehmen. Das weiß ich auch. Doch was ist gemeint? Was sind das für Leute, um die es geht? Kann man vielleicht so sagen: Es sind Leute, die etwas erhalten wollen? Etwas bewahren?
Hier zeigt sich wieder, wie schwer das Versäumnis wiegt, keine Inhalte zu nennen. Denn etwas erhalten zu wollen ist genauso wenig verwerflich wie motiviert zu sein. Es kommt ganz darauf an, wozu man motiviert ist und was man erhalten will. Sind denn nicht auch die Grünen – bei anderer Gelegenheit – dafür, etwas zu erhalten? Zum Beispiel den Regenwald. Das Sozialsystem. Den Rechtsstaat. Sind sie dann nicht auch Reaktionäre? Regenwald-Reaktionäre.
Wie ist es mit dem Klassenerhalt? Nie wieder zweite Liga! Ich bin jedenfalls dafür, die Unschuldsvermutung und die Pressefreiheit (sofern noch vorhanden) zu erhalten und die Muttersprache als Mittel zur Verständigung. Ich bin auch dafür, die Familien zu erhalten und weiß sehr wohl, dass ich mich damit bei der Veranstaltung lächerlich gemacht hätte.
Brutale Gewalt und schleichendes Unglück
Da hätten sie endlich einen gehabt, auf den man mit dem Finger zeigen könnte: Seht an! Da ist so einer, der will die Uhr zurückdrehen. Das will ich nicht. Dazu habe ich weder die Kraft noch die Motivation. Auch nicht die Naivität. Ich muss jedoch sagen, dass es mich betrübt, mit anzusehen, wie die Familien scheitern. Ich beobachte den fortschreitenden Verfall der Familien – auch den meiner eigenen – mit Bedauern und Mitgefühl, ich sehe dabei in erster Linie Verluste, die – um auch mal das Modewort zu benutzen – nachhaltig sind.
Mein Mitleid gilt besonders den Kindern. Ihnen wünsche ich, dass sie in einer Familie aufwachsen, in der alle zusammenhalten. Erinnert sich denn niemand mehr daran, dass man uns immer wieder aufgefordert hat, Verständnis für Straftäter zu haben, die keine richtige Eltern hatten, weil das Fehlen von liebevollen Eltern für ein Kind dermaßen schlimm ist, dass man später jedwedes Fehlverhalten entschuldigen muss?
Richtig. Auch wenn das Argument der schweren Kindheit gelegentlich als Ausrede benutzt und oft genug überstrapaziert wurde, es stimmt: der Verlust von einem Elternteil oder gar von beiden Eltern – auch der Entzug von Nähe bei Kleinkindern – ist das größtmögliche Unglück, dass sich Kinder vorstellen können. Das sollten wir nicht zu ihrer neuen Normalität machen.
Ich kann die Uhr nicht zurückdrehen. Ich kann sie auch nicht vordrehen. Wenn ich es trotzdem versuche und neugierig in die Zukunft blicke – denn so ist das poetische Bild gemeint –, dann sehe ich eine Zukunft für die Familie und nicht für die LGBTILer. Natürlich können sie mit allerlei politischer Unterstützung versuchen, Familienersatz zu schaffen, Kitas auszubauen, Homopaaren die Adoption erleichtern und Möglichkeiten der künstlichen Befruchtung fördern. Es wird nichts nützen. Wir sind nicht allein auf der Welt.
Mit dem „Wir“, das ich nicht so oft und nicht so leichtfertig verwende, wie es die SPD tut, meine ich uns Deutsche. Insgesamt. Nicht nur die Grünen. Alle. Wenn wir als Gesamtheit der Deutschen keine Kinder mehr haben und sie nicht mehr in Familien aufwachsen lassen wollen, dann werden es eben andere tun. Andere, die genau das gerne tun wollen, was wir nicht mehr tun. Die werden dann, wenn es so weitergeht, die Mehrheit bilden.
Dass wir nicht allein sind, wissen wir nicht erst seit in letzter Zeit immer mehr nicht-Deutsche zu uns gekommen sind. Es sind längst schon welche da. Für sie steht die Familie an erster Stelle (neben der Religion), jedenfalls haben sie ein Weltbild, in dem der Wert der Familie hochgehalten wird und in dem Lesben, Transen und Feministen nur am Rande vorkommen. Wenn überhaupt.
Habe ich gerade die Homos vergessen? Nein. Die spielen durchaus eine Rolle im Weltbild der Migranten, der Zuwanderer, der Flüchtlinge, der Asylanten, der neuen Mitbürger mit Migrationshintergrund. Unter ihnen finden sich viele Nein-Sager, nicht bloß Nichts-Sager. Da finden sich viele, die eine starke Abneigung haben. Da finden sich viele, die genau das ans Licht bringen, was heute eilfertig als Hass bezeichnet wird.
Da gibt es Männer, denen Homosexualität zuwider ist. Sie widerspricht all ihren Werten: ihren Traditionen, ihren Kulturen, ihren Träumen, ihren Religionen, ihren Vorstellungen von Familie und von Sexualität. Sie müssen gar nicht erst zu einer schwulenfeindlichen Einstellung verführt werden – womöglich durch Schriften von Intellektuellen. Ihre Abscheu ist fest verwurzelt, sie reicht viel tiefer, als es bei einem so genannten Bio-Deutschen, der sowieso keinen Wert auf seine Wurzeln legt, jemals der Fall sein kann.
Nein, ich habe die Homos nicht vergessen. Kai Gehring hatte die Muslime vergessen, als er die Gegner der Buchstabenmenschen in Menschengruppen aufgeteilt hat. Er hat sie unterschlagen. Ich weiß nicht warum. Mir fällt kein guter Grund ein. Einige schlechte Gründe fallen mir sofort ein. Dabei ist er schon dicht dran gewesen, als er die „religiös Motivierten“ als eine Gruppe von Gegnern erkannt hat. Wen sah er da? Evangelikale Gruppen mit einem ungeklärten Verhältnis zur evangelischen Amtskirche und Ultrakatholiken – also Minderheiten ohne Macht und Einfluss und ohne Aggressionspotential. Wen sah er nicht?
Der Themenabend auf ‚arte’ unter dem Titel ‚Gleiche Liebe, falsche Liebe ?!? Homophobie in Europa’ schockte schon bei der Ankündigung mit einem Drama: Olivier und Winfred gehen Hand in Hand durch Paris und werden brutal zusammengeschlagen. Von wem? Von Intellektuellen? Von Ultrakatholiken? Wo in Paris sind sie langgegangen?
In einem überwiegend von Muslimen bewohntem Stadtteil. Da, wo – um im Bild zu bleiben – Lawinengefahr bestand. Zusammengeschlagen wurden sie von Taieb K. und Abdelmalik M. – die Familiennamen werden vorsichtshalber weggekürzt. Ich nehme an, dass die beiden inzwischen wegen schwerer Körperverletzung bestraft wurden und dass der Fall damit zu den Akten gelegt ist. Es wird jedoch, so ist zu fürchten, weitere Fälle dieser Art geben. Wie kann man damit umgehen? Wie kann der Abgrund, der da sichtbar geworden ist, überbrückt werden?
Hört auf zu buchstabieren, fangt an zu lesen
Womöglich gar nicht. Kann man denn überhaupt noch miteinander reden? Oder haben die Strategien der Dialogverweigerung und die Konstruktionen von Feindbildern zu einem Punkt geführt, an dem ein Gespräch nicht mehr möglich ist?
Stellen wir uns folgendes vor: Auf dem Podium sitzt Volker Beck neben einem muslimischen Familienvater, der schon lange in Deutschland lebt. Nennen wir ihn Yilmaz. Dem soll Volker Beck erklären, warum er dringend das Vater-Mutter-Kind-Modell in Frage stellen soll und warum sich Schwule, Lesben und Transen von der Heteronormativität, wie er sie verkörpert, unterdrückt fühlen und dass deshalb seine Kinder (die nebenbei bemerkt vom Schwimmunterricht befreit sind) sexuelle Frühaufklärung brauchen.
Herr Yilmaz könnte ihn nicht verstehen. Die Formulierungen, die Volker Beck benutzen würde, klängen für ihn hohl; für ihn wären es Begriffe, die nicht in dem Wörterbuch stehen, das er benutzt. Die Sprache von Volker Beck passt nicht zu seiner Lebenswirklichkeit.
Umgekehrt könnte Herr Yilmaz, obwohl er sehr gut Deutsch spricht, seine Vorstellungen auch nicht mitteilen. Er lebt in einer Familientradition, die er fortsetzen und nicht etwa aufbrechen will. Dafür braucht er keine Begründung. Die ist nicht notwendig. Deshalb fehlen ihm auch die passenden Ausdrücke. Für ihn ist seine Lebensweise etwas Selbstverständliches. Das Selbstverständliche braucht keine Rechtfertigung. Wenn er sagen würde, dass er seine Mutter und seine Familie liebt oder sich ihr verpflichtet fühlt, auch wenn sie ihn manchmal nervt, wäre das unpassend und irgendwie peinlich. Vermutlich würde er nichts dazu sagen.
Das muss er auch nicht. Es gibt keine spezielle Sprache dafür; man brauchte bisher auch keine. Familien gab es schon, als die Menschen noch nicht einmal so schlichte Sätze sagen konnten wie: „Ich Tarzan, du Jane“. Es ging auch so. Herr Yilmaz könnte sich auch nicht in gegenderter Sprache äußern, dann wäre er nämlich angehalten, bei jeder Gelegenheit das Trennende zu betonen; er würde aber vom Gemeinsamen sprechen wollen.
Die beiden kämen nicht auf einen Nenner. Hier offenbart sich ein Dilemma, das man vorhersehen konnte. Die Frage, die bisher im Hintergrund stand, drängelt sich nun in den Vordergrund: Was für Wähler wollen die Grünen? Welche Gruppe ist ihnen lieber? Die Gruppe der Migranten oder die der Schwulen und der Buchstabenmenschen?
Beides geht schlecht. Volker Beck ist, wie wir annehmen, nicht islamophob und Herr Yilmaz ist nicht wirklich homophob, man kann ihm auch die Übergriffe der Jugendlichen aus Paris nicht vorhalten, aber die Begriffe „Islamophobie“ und „Homophobie“ und die Verallgemeinerungen, die damit einhergehen, stehen wie kugelsichere Glasscheiben im Raum und trennen die beiden.
Selber schuld. Warum haben sich die Grünen auf solche pauschalen Kampfparolen eingelassen – Parolen, die sie nicht mehr unter eine Mütze kriegen? Nun zeigt sich, wie sehr die Projekte Multikulti und Toleranz bisher von Feindbildern genährt wurden – von Feindbildern, die man mit lauter Stimme herbeigerufen hat und nun nicht wieder loswird. Es ist schön bunt geworden im Land, doch die Farben beißen sich. Die Grünen buhlen um Wählergruppen, die sich untereinander nicht grün sind.
In den Homos, Lesben, Transen und Feministen sehen die Grünen womöglich ein neues revolutionäres Subjekt, zumindest neue Wähler. Doch solche Hoffnungen könnten sich verflüchtigen, wenn sich herausstellt, dass die Buchstabenmenschen viel zu stark mit sich selbst befasst sind und letztlich doch keine wirklich starke politische Kraft darstellen. Ich vermute, dass sich die Grünen im Zweifelsfall für Herrn Yilmaz entscheiden – ihm haben sie auch die Möglichkeit geschaffen, seine Familie nachziehen zu lassen.
Volker Beck sieht die Veranstaltung als großen Erfolg, er kommentierte schon flott: „Wir nehmen den Kampf gegen Hassplauderer & die Gegner der Gleichberechtigung auf. Den ‚Angry White Men’ brennt die Hütte”. Wen meint er damit? Warum freut er sich so über das Feuer? Was sind das für Töne –Hurra-Hurra-die-Hütte-brennt!? Warum ruft er nicht die Feuerwehr? Wessen Hütte brennt denn? Die von Herrn Yilmaz? Und wer sind die Hassplauderer? Diejenigen, die Ronja von Rölle zum Schweigen gebracht haben – oder wer?
Die Grünen sollten aufhören zu buchstabieren und anfangen zu lesen. Wenn die Herrschaften auf dem Podium die Bücher, die sie verteufeln, gelesen hätten, wären sie klüger. Hat denn ein Mitglied des Bundestages nicht die Möglichkeit, einen Mitarbeiter oder einen Praktikanten zu beauftragen, Texte durchzuarbeiten, Argumente herauszudestillieren und so übersichtlich aufzubereiten, dass ein Sprecher auf dem Podium in der Lage ist, wenigstens so zu tun, als wüsste er, wovon er redet?
Es ist alles da. Wenn ihnen etwa das neue Buch von Michel Houellebecq zu umfangreich sein sollte, dann genügt es, die Besprechung von Michael Klonovsky lesen. Die Probleme sind längst erkannt und beschrieben. Die Grünen müssten nur zugreifen. Sie müssten dazu allerdings ihre bockige Verweigerungshaltung aufgeben und sich der „Gruppe“ der Intellektuellen nicht länger verschließen.
Ich finde es armselig, von Büchern, die niemand lesen muss, die aber jeder lesen kann, der will, abzuraten und immer nur „Bäh!“ und „Igitt!“ zu schreien wie Kinder in der Trotzphase. Haben die Grünen außer Verbotsschildern und „Strategien gegen …“ nichts anzubieten? Dann will ich wenigstens eine Leseempfehlung geben – darf es etwas Erzählerisches sein? – und zwar: Harold Nebenzal: ‚Café Berlin’.
Das Buch führt uns in das Nachtleben der dreißiger Jahre unter den Bedingungen einer immer strenger werdenden Diktatur. Dabei geht es um die, wie man heute sagen würde, verschiedenen sexuellen Orientierungen unter besonderer Berücksichtigung der Transsexuellen.
Interessiert?
P.S.
Kleine Nachbemerkung: Anlässlich dieser Veranstaltung wurde die Zusammensetzung der Sachverständigenkommission für den kommenden zweiten Gleichstellungsbericht bekanntgegeben. Gerd Riedmeier hat dazu für das ‚Forum Soziale Inklusion’ ein Schreiben initiiert, das von mehreren Gruppen unterzeichnet wurde, in dem gegen die einseitige Besetzung protestiert und daran erinnert wird, dass sich das Ministerium verpflichtet hat, beide Geschlechter zu berücksichtigen: „Wir erwarten die Umsetzung dieser Forderungen entsprechend der politischen Strategie des Gender Mainstreamings, die ausdrücklich die Berücksichtigung der Anliegen beider Geschlechter gebietet. Auch das von der Bundesregierung 2015 verabschiedete Bundesgleichstellungsgesetz schreibt paritätische Teilhabe beider Geschlechter in allen Bundesgremien vor.“
Glaubt jemand, dass sie antworten werden und sich ein Gesamtbild machen?
Bernhard Lassahn: ‚Frau ohne Welt’
http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/falsche_freunde_und_falsche_feinde._die_halbe_wahrheit_ist_eine_ganze_luege

Die Schweiz ist um eine staatlich anerkannte Opfergruppe reicher. Bisher stand unter Strafe, wer Personen oder Gruppen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion pauschal verunglimpfte, neu kommt die sexuelle Ausrichtung hinzu. Nach dem Nationalrat hat letzte Woche der Ständerat einer entsprechenden Initiative des Walliser Parlamentariers Mathias Reynard (SP) zugestimmt. Jetzt fehlt nur noch, dass auch abschätzige Äusserungen über Frauen verboten werden, um die Kriminalisierung des politisch Inkorrekten zu vollenden.
Was bedeutet die beschlossene Ergänzung des Antirassismusgesetzes konkret? Muss SVP-Nationalrat Toni Bortoluzzi mit einer Gefängnisstrafe rechnen, wenn er seine flapsige Erklärung wiederholt, gleichgeschlechtliche Paare hätten «einen Hirnlappen, der verkehrt läuft»? Was, wenn jemand sagt, Homosexualität sei etwas Unnatürliches? Reynard möchte sich nicht festlegen: Wie das Gesetz ausgelegt werde, sei Sache der Gerichte, er respektiere die Gewaltentrennung. Bei der Schwulenorganisation Pink Cross allerdings werden genau diese beiden Beispiele als Gründe aufgeführt, weshalb ein gesetzlicher Schutz der Homosexuellen dringend nötig sei.
Das System schlägt zurück
Dass sie nun unter besonderem Schutz stehen, ist für die Homosexuellen höchstens auf den ersten Blick ein Sieg. Erstens zeigt die bisherige Erfahrung mit dem Antirassismusgesetz, dass sich die Öffentlichkeit im Zweifel instinktiv auf die Seite des Zensierten stellt, nicht auf jene des Zensors. Zweitens schlägt das System früher oder später zurück: In Deutschland ist kürzlich die linke Tageszeitung wegen Geschlechterdiskriminierung belangt worden, weil sie eine Praktikumsstelle explizit für eine Frau mit Migrationshintergund ausgeschrieben hatte. Ein männlicher Bewerber klagte – und erhielt recht. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis eine Frau oder ein heterosexueller Mann gegen eine Schwulendisco oder eine Schwulensauna vorgeht, weil das Etablissement Nichtschwule diskriminiere.
Dass sich Minderheiten nur dann vollwertig fühlen, wenn sie als Opfergruppe juristisch anerkannt werden, ist eine fatale Entwicklung. Offensichtlich unsinnige Aussagen, wie jene über die Hirnlappen, muss man nicht vor Gericht anfechten, man kann sie mit Argumenten leicht entkräften. Oder noch besser: einfach mal darüber lachen.
http://www.weltwoche.ch/ausgaben/2015-26/diskriminierung-ueber-hirnlappen-die-weltwoche-ausgabe-262015.html

jsbielicki:
WordPress hat auf meinen Blog psychosputnik.wordpress.com ohne mich zu fragen eine Homowerbung (Regenbogen) aufgedrückt. Siehe:

Erst nach meinem Protest wurde diese Homopropaganda von meiner Blogseite entfernt.
Ursprünglich veröffentlicht auf Kreidfeuer:
Mathias von Gersdorff: http://mathias-von-gersdorff.blogspot.de/2015/06/lsbtiq-deutschland-leben-wir-noch-in.html LSBTIQ-Deutschland — leben wir noch in einem Rechtsstaat? (28.6.15.):
Anlässlich des sog. Christopher-Street-Days haben etliche Bundesministerien die Regenbogenfahne gehisst. Diese Fahne symbolisiert die Ziele der Lobby der Lesben, Schwulen, Transgender und sonstiger sexueller Orientierungen.
Diese Lobby pflegt jeden als “homophob” zu bezeichnen, der sich gegen ihre politischen Forderungen ausspricht. Ist jemand beispielsweise gegen die Öffnung des Ehegesetzes für homosexuelle Paare, so gilt er als “homophob”. Ist jemand gegen die Einführung der Lerneinheit “sexuelle Vielfalt” in den Schulen, so gilt er als “homophob”.
Diese Ausdrucksweise verwenden inzwischen auch manche Bundes- und Landesminister, wie etwa Manuela Schwesig (Bundesfamilienministerium) oder Andreas Stoch (Kultusministerium Baden-Württemberg).
… Doch eines wird hiermit klar: Der deutsche Staat und seine Medien übernehmen die Weltanschauung und die Verleumdungsmethoden einer ganz bestimmten Lobbygruppe.
… Eines ist jedenfalls sicher: Die Freiheit in Deutschland ist keineswegs gesichert und muss möglicherweise bald selbst gegen staatliche Willkür verteidigt werden. …
————————–
Rüdiger Soldt: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/gleichstellungspolitik-die-gender-ideologie-spaltet-das-land-13662573.html Einer Lobby zu Diensten (25.6.):
… Es ist erstaunlich, wie ignorant sich gerade die Grünen, aber auch alle anderen Parteien seit Jahrzehnten gegenüber den Schattenseiten der zum Teil wissenschaftsfeindlichen Gender-Theorie verhalten. Schon der Hinweis, dass es sich um eine Zeitgeist-Theorie von begrenzter Reichweite handelt, wird als reaktionäre Aussage unter Bannfluch gestellt. …
https://kreidfeuer.wordpress.com/2015/06/30/gefahr-fuer-rechtsstaat-polit-mediale-klasse-als-homo-lobby/

Erstens und zweitens
von Karl Kraus
Amtlich wurde mitgeteilt:
»In der Nacht vom Samstag den 24. auf Sonntag den 25. d. hat der gewesene Oberst Redl durch Selbstmord geendet. Redl hat diese Tat vollführt, als man im Begriff war, ihn folgender schweren und außer Zweifel gestellten Verfehlungen zu überweisen:
- Homosexueller Verkehr, der ihn in finanzielle Schwierigkeiten brachte.
- Verkauf reservater dienstlicher Behelfe an Agenten einer fremden Macht.«
Wenn 1. schwerer wiegt als 2., dann ist nichts zu retten. Wenn aber 1. nur vorangeht, weil 2. folgen muß, dann verhindere man 2., indem man 1. straflos macht. Daß die von 1. Erpressung ist, rührt den Staat nicht. Wenn aber die Folge von Erpressung 2. ist und wenn man den Anschein erweckt, als wolle man Landesverrat mit unwiderstehlichem Zwang entschuldigen, dann bleibt zur Verhinderung des Landesverrats nichts übrig als die Homosexualität freizugeben. Falls man nicht etwa glaubt, daß ein homosexueller Offizier, der in Erpresserhänden ist, Selbstmord vor dem Landesverrat begehen müßte – was aber schon gar normwidrig wäre.
Heiteres aus ernster Zeit
»Er hat mit seinen Kameraden gegessen und getrunken, Salz und Brot mit ihnen geteilt …«
Das wäre das Geringste!
»Das unselige Geschlecht der Ephialtes stirbt nicht aus, Herostratische und gewinnsüchtige Motive fördern immer wieder das Kainsdenkmal der Verräterrasse zutage.«
Ein schönes Krätzel ist da beisammen. Aber der Theaterplauderer, dem der Fall Redl zugewiesen wurde, hat jedenfalls das Kainsmal mit dem Kainzdenkmal, das ja auch bös genug ist, verwechselt.
»Oberst Redl lebte als junger Offizier behufs Erlernung der russischen Sprache längere Zeit im Kaukasus, wo er naturgemäß mit russischen Offizieren verkehrte.«
»Bestätigt sich dies, dann zeige es wohl die ganze Skrupellosigkeit dieses gefährlichen Spions, der neben seinen positiven Verbrechen auch ein Reihe schwerer Verfehlungen durch Passivität, durch laxes Verhalten auf dem Gewissen hat.«
Dieser Auffassung widerspricht am nächsten Tag Herr Salten:
»Der Arzt, der den tödlichen Keim empfängt, ist ein willenloses, ein ahnungsloses Opfer und ein wehrloses dazu. Der Oberst Redl jedoch war nicht willenlos, nicht ahnungslos, und er war kein Opfer. Ihm ist nichts geschehen, was er in unschuldiger Passivität hätte erleiden müssen. Er hat Handlungen begangen, zu denen sehr viel aktive Entschlossenheit gehört. Gegen Ansteckung hätte er sich wehren können. … Er ist auch gar nicht von außen her infiziert worden.«
Sexualdemokratisches:
« … Man sieht daran, die Homosexualität, die Erpressungen und die dadurch entstandene Zwangslage zum Staatsverrat sind dumme Ausflüchte, die kein Mensch glauben kann, selbst wenn sie Redl vor seinem Tode gebraucht hat, um seine Missetat zu beschönigen. Es ist gewiß, daß Redl auch gleichgeschlechtlichen Verkehr suchte; aber das war seine kostspielige Leidenschaft. – Die Blätter, die sich so stellten, als glaubten sie an die Homosexualität und daran, daß auch dieser unglücklichen Veranlagung das ganze Unglück entsprungen sei, strafen sich aber selbst Lügen, indem sie erzählen, daß Redl Beziehungen zu Frauen gehabt habe … »
Vorher wurde nicht einmal die Spionage bemerkt, aber nachher:
»Wenn man die Wohnung betritt, bietet sich dem Beschauer sofort ein Moment, das
auf die Charaktereigentümlichkeiten Redls ein grelles Licht wirft. Die ganze Wohnung ist Rot in Rot gehalten, wohin man kommt, grelles Rot. … Aber die Wohnungseinrichtung Redls gibt auch sonst Gelegenheit, seinen Charakter kennen zu lernen. Die vielen Kästen, die in der Wohnung standen, waren direkt vollgestopft mit Uniformen und der reichsten Zivilgarderobe, alles in feinster Qualität hergestellt, gestickte Servietten und Tischtücher wurden in großen Quantitäten vorgefunden. Daß Redl für diese seine Vorliebe große Summen auslegte oder schuldig blieb, beweist auch der Umstand, daß beim Bezirksgericht auf der Kleinseite die Klage einer Wäschefirma auf Zahlung eines Restbetrages von 278 K überreicht worden ist. … Noch in der letzten Zeit hat sich Redl, wie bekannt geworden ist, bei einem in einem Prager Vorort wohnenden Regimentsarzt, der sich auch mit der Zahnpflege beschäftigt, acht goldene Brücken machen lassen …«
An anderer Stelle soll gar gemeldet worden sein, daß er nicht weniger als zwei Dutzend Taschentücher besessen habe. Und alles entdeckt man erst jetzt!
»Was Redl verraten hat, bleibt ein Geheimnis.«
In Ehrerbietung
hat Frank Wedekind der Wiener Presse gedankt. Das macht nichts, ihm schadt’s nicht und ihr nutzt’s nicht. Sollte aber doch etwas Ehre haften geblieben sein, weil semper aliquid haeret – so bin ich ja doch auch da, und ich werd’s schon wieder wegbringen.
Allgemeine Erwartung
… mit dieser ironischen Perspektive schließt die Komödie, in der sich trotz mancher Geschmacksentgleisung eine feine Lustspielbegabung verheißungsvoll offenbart. Sternheim geht auf die Wurzeln des Lustspiels zurück, die in früheren Jahrhunderten ruhen… . Die Komödie enthält in allen ihren Windungen sehr viel Geist; hätte sie außerdem Herz, was sie leider nicht hat, so wäre sie ein reizendes Lustspiel. Aber auch so wie sie ist, liegt sie auf dem Wege zum guten Lustspiel, das Sternheim vielleicht noch eines Tages schreiben wird.
Und Schnitzler, der uns bekanntlich vielleicht noch einmal das Lustspiel schenkt und von dem man es erwartet, ist gar nichts? Und Auernheimer, der es von ihm erwartet, und von dem man es auch erwartet, erwartet es von Sternheim? Von wem erwartet es Sternheim? Nun, es ist jedenfalls viel enttäuschungsloser und sicherer, wenn die Herren, anstatt uns das Lustspiel zu schenken, es erwarten.