Die deutsche Wiedervereinigung und die „Flüchtlingskrise“ – wenn es hinkt, muss es ein Vergleich sein
Fünfundzwanzig Jahre ist die Deutsche Einheit nun her und was bei den soeben zu Ende gegangenen Feierlichkeiten am meisten auffiel, war das neue Narrativ, das die Politiker zur Erbauung des Volkes anzuwenden versuchen. Zusammengefasst lautet es: die Wiedervereinigung war toll, wir haben es geschafft, nun wartet aber eine noch größere Aufgabe auf uns, nämlich die Bewältigung der Flüchtlingskrise, jetzt muss zusammenwachsen, was nicht zusammen gehört.
Muss es das wirklich?
Bisher war Asyl eine zeitlich begrenzte Sicherheitsoption für Verfolgte. Deutschland scheint die „Flüchtlinge“ aber förmlich herbeizusehnen und aufsaugen zu wollen. Dazu passt, dass das, was Politik und Medien „Flüchtlingskrise“ nennen, mindestens genauso eine Demokratiekrise ist.
Den Begriff Flüchtling mit Krise zu verbinden, erscheint wie ein Pleonasmus. Natürlich entspringt jeder Flüchtling einer krisenhaften Situation. Zudem weiß niemand, wieviele der zu uns strömenden Menschen wirklich Flüchtlinge sind. Vorletzten Monat waren es noch ca. 20% Syrer, die in Deutschland ankamen. Jetzt scheint jeder Syrer zu sein, auch wenn er schwarz ist, kein Wort Arabisch spricht und keinen Pass besitzt. Ob hier der Begriff „Flüchtlingskrise“ als einzig gültiges Narrativ wirklich angebracht ist, sollte zumindest mit einem Fragezeichen versehen werden.
Der Begriff der Flüchtlingskrise lenkt davon ab, dass es der politische Wille ist, der aus den Asylbewerberströmen erst eine Krise erwachsen ließ: verfehlte internationale Krisenpolitik, fehlende Absprachen mit den europäischen Partnern, moralischer Hochmut unseren östlichen Nachbarn gegenüber, keinerlei Planung und Vorbereitung, völliges Unvorbereitetsein der staatlichen Stellen, die Verschleppung der Asylanträge, die falschen Anreize durch Geldmittel, Kanzlerinnen-Selfies, die völlig aus dem Ruder laufende Unterbringung, die Plötzlichkeit der politischen Entscheidungen, das Ignorieren der bestehenden, nicht auf diese Massen ausgelegten Infrastruktur – erst all das zusammen macht die Krise zu dem Brand, der sie heute ist. Politische Stümperhaftigkeit scheint das Gebot der Stunde zu sein.
Auch ist der Vergleich der jetzigen Krise mit der deutschen Wiedervereinigung Augenwischerei, um von den augenblicklichen eklatanten Demokratiedefiziten abzulenken. Zwischen dem 9. November 1989 und der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 lag fast ein Jahr, in dem zudem noch eine gesamtdeutsche Wahl abgehalten wurde. Die damalige SPD mit ihrem Kanzlerkandidaten Lafontaine warb im Wahlkampf dafür, die Schnelligkeit der Wiedervereinigung zu drosseln und beide deutschen Zonen langsam zusammenwachsen zu lassen. Das mag man als falsch empfunden haben, aber die SPD war die klassische Oppositionspartei mit einem von der CDU abweichenden Programm.
Wo ist die Opposition 2015? Wo die Partei mit einem Programm, das vom Merkelschen „wir schaffen das“ abweicht? Wo sind die Wahlen, um den Bürger an dieser, die kommenden Generationen betreffenden Entscheidung zu beteiligen?
Wo?
Die Kardinalsfrage lautet: hat die deutsche Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel den gesellschaftlichen und politischen Notstand bewusst und willentlich herbeigeführt oder war er ein Versehen, ein Fehler?
Die Beantwortung dieser Frage ist entscheidend, um einen Konsens über das weitere Vorgehen und auch über das Schicksal Angela Merkels herbeizuführen. War die Inkaufnahme des Notstands ein Fehler, muss die deutsche Bundeskanzlerin schnellstmöglich zurücktreten und ihre forschen Zusagen müssen zurückgenommen werden. War die Herbeiführung des Notstands gewollt, muss die Bundeskanzlerin erklären, welches Ziel sie damit verfolgte und ob dieses Ziel im Sinne der Bevölkerungsmehrheit ist. Auch dies sollte schnellstmöglich passieren.
Katrin Göring-Eckardt von den Grünen hat die Frage im Namen des politischen Establishments der Bundesrepublik Deutschland bereits am 16. September 2015 bei Anne Will beantwortet. In ihrer salbungsvoll frömmelnden Art ließ sie folgendes wissen: „Dieses Land wird sich (…) ziemlich drastisch verändern. Es wird ein schwerer Weg sein, aber dann, glaube ich, können wir wirklich ein besseres Land sein.“ Die Grüne Jugend setzte zum Tag der deutschen Einheit folgenden Facebook-Post hinterher: „Am 3. Oktober wurde ein Land aufgelöst und viele freuen sich noch 25 Jahre danach. Warum sollte das nicht noch einmal mit Deutschland gelingen?“ Darüber ein großes REFUGEES WELCOME.
Nun werden die Grünen als künftiger Koalitionspartner einer CDU unter Angela Merkel gehandelt. Der beklagenswerte Zustand der CDU ist dabei weder neu, noch kommt er überraschend.
Erinnert sich noch jemand an den kleinen Vorfall am Wahlabend der Bundestagswahl 2013, als Angela Merkel, die strahlende Siegerin, auf der Bühne des Konrad-Adenauer-Hauses steht und der damalige Generalsekretär der CDU, Herrmann Gröhe, sich eine kleine Deutschlandfahne greift und sie begeistert schwenken möchte? Es dauert nur wenige Zehntelsekunden, da ist Angela Merkel bei ihm, entwendet dem gemaßregelten und vor Peinlichkeit lachenden Gröhe die Fahne und legt sie mit angewidert-vorwurfsvollem Blick kopfschüttelnd zur Seite. Das nur wenige Sekunden lange Video finden Sie hier (https://www.youtube.com/watch?v=siqHZsMMwkM).
Interessant an dem Vorfall ist nicht nur die Geste Angela Merkels, die als Kanzlerin Deutschlands ein ganz offensichtlich gebrochenes Verhältnis zu ihrem Land und seinen Symbolen hat. Mindestens genauso vielsagend ist das verdruckste Lachen Gröhes, das statt Wut oder Empörung zu zeigen, einfach nur versucht, die eigene Peinlichkeit zu überspielen. Es sind erwachsene Menschen, gestandene Damen und Herren, die sich da von Merkel zurechtweisen lassen und dabei jedes Rückgrat und jeden Eigensinn über den Jordan schicken. Hätte ein Roland Koch sich das gefallen lassen?
Die CDU, ein Bild des Jammers. Eine Partei von Untertanen und Speichelleckern, die sich nicht trauen, gegen die Königsspinne Merkel zu rebellieren.
Etwas anders sieht es bei der „Schwesterpartei“, der CSU aus. Seehofer hat sich deutlich gegen die Kanzlerin positioniert. Das mag politischer Instinkt sein oder Überzeugung. Gebracht hat es außer Symbolpolitik bisher nichts.
Natürlich wurde ein Asylgesetz verabschiedet, das die Handschrift der CSU trägt. Derweil strömen jedoch weiterhin Zehntausend und mehr tagtäglich über die offenen deutschen Grenzen. Merkwürdig dabei nur: Bilder der Menschenmassen aus Ungarn, Serbien oder Mazedonien werden in den Medien nicht mehr gezeigt. Die hochemotionalen Bilder der riesigen Menschenströme sind wie durch Geisterhand unsichtbar geworden, stattdessen erscheinen nur noch Zahlen auf Papier. Mehr als 1,5 Millionen Asylbewerber sollen es allein dieses Jahr werden.
Diese Zahl konnte jeder bereits vor vier Wochen ahnen und vor zwei Wochen wissen, als die offiziell ausgegebene Zahl noch bei 800.000 lag. Aber zum Glück schützt uns das politische Establishment vor derart umwerfenden Wahrheiten so lange, bis auch der dümmste Depp den offiziell kolportierten Zahlen keinen Glauben mehr schenken mag (und der Tag der deutschen Einheit vorbei ist).
Jetzt sind es also Anderthalbmillionen Menschen, die nach Deutschland kommen. Man sollte im Hinterkopf den Multiplikator behalten, der nach erfolgtem positiven Asylbescheid den Familiennachzug betrifft. Mutter, Vater, Geschwister, Frau und Kinder. Der Multiplikator wird bei geschätzt vier pro erfolgreichem Asylbescheid liegen.
Der scheinbare Sieg der CSU hat nur Symbolcharakter. Die Asylverfahren beschleunigen? – im Land des Amtsschimmels ein Lippenbekenntnis. Sach- statt Geldleistungen „so weit wie möglich“? – hübsche Einschränkung, die aus verwaltungstechnischen Gründen dazu führt, das weiterhin Geldleistungen ausbezahlt werden. Abgewiesene Asylbewerber abschieben? – wer wird es machen, wer die Kosten und die Verantwortung tragen? Wir reden hier über Hunderttausende, denen man den Rückflug in die Heimat bezahlen müsste. Die Lufthansa wäre ein Jahr lang ausgebucht. Und bekanntlich ist der Rechtsweg nie ausgeschlossen, weswegen man von einer Prolongation des Zustands ad infinitum ausgehen darf. Natürlich auch der Kosten.
Nein, die CSU wird nur etwas ändern können – sofern sie überhaupt etwas ändern will -, wenn sie rasch und mit Gepolter aus der Koalition ausscheidet und endlich ihre Drohung, bundesweit als eigenständige Partei anzutreten, wahr macht. Natürlich wäre es ein taktisches Risiko, hätte aber den nicht von der Hand zu weisenden Vorteil, dass man damit die AfD wenn nicht in den Orkus der Geschichte befördern, so doch empfindlich schwächen könnte. Aber glaubt jemand wirklich, dass die alten weißen Männer der CSU noch so viel Mut aufzubringen imstande sind? Andererseits: wenn nicht sie, wer dann?
Richtig, da war doch noch eine andere Partei!?
Die gute alte Tante SPD! Schon seit Jahren leidet die ehemalige Volkspartei unter Wahlergebnissen, die sie meist nur zum Juniorpartner irgendwelcher Koalitionen degradieren. Zu einer gesunden Demokratie gehört Streit, aber auch eine gehörige Portion Machtinstinkt. Wo aber ist der nur geblieben?
Zuerst mahnten die Genossen ein Machtwort Merkels zur Asylkrise an. Und als diese, inhaltsleer aber instinktsicher, die SPD scharf links und mit Karacho überholte, blieben die Sozen um Gabriel und Oppermann auf ihrer eigenen Schleimspur kleben. Nun hecheln sie dem „freundlichen Gesicht“ Merkels hinterher, verraten ihre eigene Wählerklientel und liefern sich mit der Kanzlerin einen Wettstreit um das höher, schneller, weiter der besseren Moral. Die twenty-something-Partei macht keinerlei Anstalten, aus der Krise einen Vorteil zu ziehen.
Dabei ginge jetzt doch viel mehr. Ein Angriff auf die übermächtige Kanzlerin erschiene möglich, eine Profilierung gegen sie erfolgsversprechend. Auch das Hineinstoßen in ein Machtvakuum gehört zur Demokratie. Aber dieses Demokratieverständnis inklusive ausgeprägtem Machtinstinkt ist der SPD komplett abhanden gekommen. Es scheint, als würde sie lieber als moralische Erbauungssekte, denn als politische Partei ihr tristes Dasein fristen wollen.
Wird die SPD also bei der nächsten Bundestagswahl wirklich auf einen eigenen Kanzlerkandidaten verzichten und sich als noch freundlicherer Merkel-Wahlverein empfehlen? Oder werden wir in Deutschland wegen der Größe der Krise eine Art Einheitspartei unter Führung Merkels bekommen, eine Fusion aus CDU, SPD und Grünen? Dass die Kanzlerin davon träumt, darf man mit gutem Gewissen annehmen.
Gerade nach den Feierlichkeiten zum Tag der deutschen Einheit und den landauf, landab kolportierten Unwahrheiten und hinkenden Vergleichen gilt: entweder legt Frau Dr. Angela Merkel die Karten auf den Tisch und erklärt, warum diese gewaltige Gesellschaftstransformation politisch gewollt ist und warum wir mit Hilfe von Millionen Ungebildeten, Traumatisierten und unserer Sprache nicht Mächtigen „ein besseres Land“ werden sollten. Auf diese Erklärung kann man gespannt sein.
Oder aber Frau Merkel gesteht ihren Fehler ein und tritt zurück.