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Deutsche Christen

Erich Später
Deutsche Christen
Die evangelische Kirche Mecklenburgs war eine stramm nationalsozialistische Organisation. Nach 1945 hat der Pfarrer Joachim Gauck in ihr Karriere gemacht, ohne bis heute über ihre braune Geschichte auch nur ein Wort zu verlieren. Erich Später
Deutschland im Frühjahr 1933. Die protestantischen Kirchen begrüßen die Machtergreifung der NSDAP und also die Zerschlagung der linken Parteien, die Einlieferung Tausender NS-Gegner in Konzentrationslager, die Ermordung Hunderter Mitglieder und Funktionäre der Arbeiterbewegung, die Zerstörung des Rechtsstaates und die beginnende Entrechtung der jüdischen Minderheit als »Zeitenwende« und Aufbruch in einen »christlichen Kulturstaat« unter Führung Adolf Hitlers. Von den 18.000 Pfarrern ihrer 28 Landeskirchen mit fast 40 Millionen Protestanten sind schon 1933 nach verschiedenen Schätzungen fast 6.000 Mitglieder in der NSDAP.
Organisiert waren sie als »Deutsche Christen «. Bei der letzten freien Kirchenwahl am 23. Juli 1933, in der zahlreiche Kirchenbehörden, vom obersten Kirchenrat bis zu den Kirchenältesten in den Gemeinden, neu gewählt worden waren, hatte die Liste »Glaubensbewegung Deutsche Christen« fast 75 Prozent der Stimmen erhalten. Sie kontrollierte damit fast alle Machtpositionen innerhalb der protestantischen Landeskirchen, besetzte 25 von 28 Landesbischofsstellen und propagierte ein Christentum als »Nationalsozialismus der Tat«. Was als jüdisch galt, sollte aus der Kirche und aus Deutschland entfernt werden.
Damit fanden die »Deutschen Christen« breite Unterstützung weit über den Kreis ihrer etwa 600.000 registrierten Mitglieder hinaus. Die innerkirchliche Opposition gegen die »Deutschen Christen«, seit 1934 organisiert in der »Bekennenden Kirche« und im »Pfarrernotbund «, hatte gegen die Entrechtung der jüdischen Minderheit nichts einzuwenden und war begeistert über den außenpolitischen Konfrontationskurs des Regimes, der Deutschlands Macht und Größe wiederherstellen sollte. Ihre Differenzen zur Politik der »Deutschen Christen « lagen vor allem in der Abwehr des innerkirchlichen Machtanspruchs der radikalen Nazis und der Verteidigung des Evangeliums gegen ideologische Vereinnahmung durch die NS-Ideologie. Man war empört über die Forderung nach Abschaffung des Alten Testaments, das nach Ansicht der »Deutschen Christen« im wesentlichen aus Viehhändler- und Zuhältergeschichten bestand, wogegen die »Bekennende Kirche« unter großem Aufwand theologische Argumente und Bekenntnisse formulierte.
Solidarität mit den von der Auslöschung bedrohten Juden gab es nicht. Denn in der »Judenfrage « waren beide Fraktionen nicht weit voneinander entfernt. Martin Niemöller, Mitbegründer des »Pfarrernotbundes«, predigte vom Fluch, der auf die Juden, die Kreuziger Christi, gekommen sei, und meinte, daß die »nicht arischen « Pfarrer aus Liebe zur Kirche auf ihre Stellen verzichten sollten.
Nach der Verabschiedung der Nürnberger Rassengesetze im Jahr 1935 wurden »Arier« und »Nicht-Arier« auf der Basis der jeweiligen Glaubenszugehörigkeit der Großeltern bestimmt. Die Zugehörigkeit zum Judentum wurde gesetzlich definiert. Von nun an mußte jeder Bürger zum Nachweis seiner Abstammung eine Ahnentafel vorlegen. Jeder Bewerber um ein Amt in Staat, Partei oder SS brauchte mindestens sieben Dokumente: seine Geburts- oder Taufurkunde sowie die entsprechenden Urkunden der Eltern und Großeltern.
Vor 1875/76 waren Geburten, Taufen und Sterbefälle nur von den Kirchen registriert worden. Der Aufbau des NS-Rassestaates und die »erbbiologische« Erfassung der Juden auf dem Weg in die Vernichtungslager wären ohne die Mitwirkung der deutschen Kirchen mit ihren 600.000 Kirchenbüchern nicht möglich gewesen. Die katholische und die evangelische Kirche stellten ihre Unterlagen dem NS-Staat bereitwillig zur Verfügung.
Besonders eifrig bei der Durchführung der erbbiologischen Erfassung war die evangelische Landeskirche Mecklenburg, deren Landesbischof Schulz ein fanatischer Nazi war. Am 1. Mai 1934 errichtete die Mecklenburgische Landeskirche im Einvernehmen mit dem Gaupersonalamt Schwerin der NSDAP aus eigener Initiative die Kirchenbuchabteilung des Schweriner Oberkirchenrates. Bis zum Mai 1934 hatten 274 Pfarrämter ihre Kirchenbücher übergeben. Im Schweriner Raiffeisenhaus befanden sich Anfang 1935 fast 2.000 Kirchenbücher aus Mecklenburg. Von seiten der Kirchenführung betrachtete man die Einrichtung der Kirchenbuchabteilung als »einen bedeutsamen Beitrag zum Neuaufbau unseres Heimat- und Vaterlandes, als einen bedeutsamen Dienst für Führer und Volk«.
In den Augen der mecklenburgischen Kirchenführung war das deutsche Volk seit Jahrhunderten einer mehr oder weniger systematisch betriebenen »blutsmäßigen Verjudung« ausgesetzt. Diese zu erfassen und durch Taufregister und »Judenkarteien« zu belegen, scheute man keinen Aufwand. Ende April 1939 verfügte die Forschungsstelle über 70 Mitarbeiter. Seit ihrem Bestehen hatte sie mittlerweile 418.872 Eingänge bearbeitet und circa eine Million Beurkundungen ausgestellt. Über 18.000 ehrenamtliche Mitarbeiter unterstützten die Arbeit der evangelischen Rasseforscher.
Ab 1939 wurde ein großer Teil der Mitarbeiter zur Wehrmacht eingezogen. Zu diesem Zeitpunkt war Mecklenburg allerdings bereits fast »judenfrei«. Von den 1.600 jüdischen Bürgern des Landes waren viele vor dem antisemitischen Terror geflohen. Wem die Flucht nicht gelungen war, dem stand die Deportation in die Ghettos und Vernichtungslager bevor. Auch die getauften Juden wurden in ganz Deutschland aus der Kirche ausgeschlossen und zur Tötung freigegeben. Am 21. Februar 1939 wurde im kirchlichen Amtsblatt verkündet: »Juden können nicht Angehörige der evangelisch-lutherischen Kirche Mecklenburgs werden.« Der Zutritt zu Kirchengebäuden und die Teilnahme an Gottesdiensten wurden getauften Juden verwehrt.
Den vollkommenen moralischen und politischen Bankrott des deutschen Protestantismus vollendete die begeisterte Unterstützung für Hitlers Krieg. Gepredigt wurde die patriotische Pflicht zum Dienst in Hitlers Wehrmacht, als christlicher Kreuzzug gegen den jüdischen Bolschewismus gefeiert der Überfall auf die Sowjetunion. Die Ermordung Hunderttausender jüdischer Männer, Frauen und Kinder bis Ende 1941 auf dem eroberten Terrain der Sowjetunion war der Kirchenführung bekannt. Anfang November 1941 hatten die ersten Massendeportationen deutscher Juden nach Minsk begonnen. Dessen ungeachtet veröffentlichten die protestantischen Kirchen von Mecklenburg, Thüringen, Sachsen, Hessen-Nassau, Schleswig- Holstein, Anhalt und Lübeck nach einem schweren Bombenangriff der englischen Luftwaffe am 17. Dezember 1941 eine Erklärung, in der es hieß, die Juden könnten aufgrund der Eigenheiten ihrer Rasse durch Taufe nicht erlöst werden, sie seien für den Krieg verantwortlich und »geborene Welt- und Reichsfeinde«. Daher »seien schärfste Maßnahmen gegen die Juden zu ergreifen und sie aus Deutschland auszuweisen «. Damit billigten die Landeskirchen offiziell und aus eigener Überzeugung den Massenmord an der jüdischen Bevölkerung im deutschen Machtbereich.
Nach dem Ende der NS-Herrschaft wurden die protestantischen Landeskirchen auch in der sowjetischen Besatzungszone weitestgehend geschont. Die Pfarrer blieben während der Entnazifizierungsphase fast ausnahmslos im Amt. Das gilt auch für den mecklenburgischen Pfarrer Gerhard Schmitt. Während seines Studiums der evangelischen Theologie war er bereits 1931 Mitglied der NSDAP (Mitgliedsnummer 624.169) und des NS-Studentenbundes geworden. Seine besondere Hingabe galt allerdings der SA, in deren Dienste er 1934 trat. Noch im gleichen Jahr organisierte er »praktische und weltanschauliche Schulungen« in SA-Kasernen und wurde SA-Gruppenführer. Er setzte seine Karriere in der mecklenburgischen Landeskirche fort und beendete seine erste Laufbahn 1945 als oberster Militärseelsorger für den gesamten Militärabschnitt Ostsee. Von 1951 bis 1954 war er Domprediger in Güstrow und von 1954 bis 1959 Landessuperintendent – und damit höchster kirchlicher Würdenträger der evangelischen Landeskirche Mecklenburg. 1959 traute er seinen Neffen Joachim Gauck und sorgte dafür, daß dieser Theologie in Rostock studieren konnte.
Gauck, der in einem Nazi-Elternhaus groß geworden ist und noch heute seine Mutter, die 1932 Mitglied der NSDAP wurde, und seinen Vater, der dies angeblich erst 1934 tat, als Mitläufer entschuldigt, hat über die nazistischen und antisemitischen Traditionen seines Tätigkeitsbereichs, der mecklenburgischen Kirche, bis heute kein Wort verloren. Auch die Rolle, die sein Onkel, ein aktiver Nazi (»Übermorgen habe ich Exekution«, schreibt Schmitt am 5. Dezember 1944 an seine Frau Gerda), für seine Karriere in der Kirche gespielt hat, verschweigt er in seiner 2009 veröffentlichten Autobiographie. Er geht sogar noch weiter und präsentiert seine Familie als Opfer der Kommunisten. Bis heute predigt er einen militanten Antikommunismus, der keinen Begriff von den deutschen Massenverbrechen in der Sowjetunion während des Zweiten Weltkrieges hat. Damit befindet er sich in guter Gesellschaft, denn eine Auseinandersetzung über den mörderischen Antisemitismus der evangelischen Kirche und deren Unterstützung des Naziregimes hat es bis heute so gut wie nicht gegeben.
Dafür blühte die Legende vom »Kirchenkampf « und dem Widerstand vieler Protestanten gegen den gottlosen NS-Staat. Auch die »Judenfrage « wurde durch die evangelische Kirche unmittelbar nach Kriegsende wieder gestellt. Man war beunruhigt über die Anwesenheit Zehntausender jüdischer Überlebender. Da die alten Methoden nicht mehr anwendbar waren, sollte das »jüdische Problem« durch die Bekehrung der Überlebenden zum Christentum gelöst werden. Dazu wurden in allen Landeskirchen Vereine für die »Judenmission« gegründet. Am 2. September 1946 gründeten Vertreter der mecklenburgischen Landeskirche den »Judenmissionsverein für Mecklenburg-Schwerin «. Die Zahl der zu Bekehrenden war allerdings überschaubar. Von den jüdischen Bürgern Rostocks hatten lediglich 14 die Verfolgung überlebt. In Stralsund waren es zwei. Über den Erfolg der Missionsbemühungen gibt es keine Angaben. 1966 wurde der Verein umgetauft in »Arbeitsgemeinschaft Kirche und Judentum«.
Literatur
Zeitschrift »Geschichte und Gesellschaft«, Heft 4/2003: »Protestantismus und Nationalsozialismus«
Der Schweriner Historiker und Archivar Bernd Kasten hat über die Verfolgung und Deportation der Juden in Mecklenburg 1938 – 45 geforscht. Sein Buch ist zum
Preis von 5 Euro über die Landeszentrale für politische Bildung in Schwerin zu bestellen.
Erich Später schrieb in KONKRET 3/12 über den plötzlichen Rückgang der Mitgliederzahl des Bundes der Vertriebenen

Konkret 04/12, S. 16