Von Redaktion “German Foreign Policy” | – Berlin erhöht seinen Druck auf Kiew zur Durchsetzung des Waffenstillstands im Osten der Ukraine. Eine Fortführung des Bürgerkriegs gilt unter Beobachtern als riskant: Zum einen werden neue Gebietsverluste an die ostukrainischen Aufständischen befürchtet; zum anderen ist nicht ersichtlich, wie ohne ein Ende der Kampfhandlungen der komplette wirtschaftliche Kollaps des Landes verhindert werden kann.
Bundesaußenminister Steinmeier ist deshalb am Wochenende nicht nur nach Kiew, sondern eigens auch nach Dnipropetrowsk gereist; dort hat der Oligarch Ihor Kolomojskij seinen Sitz, der zwar kürzlich vom Amt des Gouverneurs zurücktreten musste, aber faktisch immer noch maßgeblichen Einfluss auf die teils faschistischen Milizen hat, die bislang nicht bereit sind, den Waffenstillstand zu akzeptieren.
Um Druck auf die Faschisten auszuüben, die halfen, den Kiewer Umsturz vom Februar 2014 herbeizuführen, nun aber im Bürgerkrieg aus dem Ruder zu laufen drohen, muss Berlin mit denjenigen Kräften paktieren, gegen die sich die Majdan-Proteste richteten – mit den ukrainischen Oligarchen.
Außenminister Steinmeier hat im Verlauf des vergangenen Jahres schon mehrmals mit mächtigen Oligarchen persönlich – Staatspräsident Poroschenko eingeschlossen – oder mit von ihnen direkt abhängigen Politikern Absprachen getroffen. Experten bestätigen: Das ukrainische Oligarchensystem hat die Umbrüche des vergangenen Jahres unversehrt überstanden.
Vor dem Kollaps
In Gesprächen mit der ukrainischen Staatsspitze hat Außenminister Frank-Walter Steinmeier Ende vergangener Woche zum wiederholten Male Druck zugunsten der Einhaltung der Minsker Waffenstillstandsvereinbarungen ausgeübt. Der Bürgerkrieg im Osten des Landes ist für die Kiewer Truppen gegenwärtig nicht zu gewinnen; vielmehr droht ihnen bei seiner Weiterführung der Verlust der Hafenstadt Mariupol, die wegen ihrer Industrie, vor allem aber wegen ihres Hafens für die Ukraine beträchtliche Bedeutung besitzt.
Zudem ist nicht nicht ersichtlich, wie unter Bürgerkriegsbedingungen die dringend nötige Stabilisierung der ukrainischen Wirtschaft gelingen soll. Kiew balanciert seit Monaten am Rande des Staatsbankrotts. Die Wirtschaftsleistung ist im vierten Quartal 2014 um 14,8 Prozent, im ersten Quartal 2015 um weitere 17,6 Prozent eingebrochen; Prognosen, der Gesamtrückgang könne im laufenden Jahr bei 8,5 Prozent gestoppt werden, erscheinen beinahe optimistisch. Außerdem kommt es zunehmend zu Protesten gegen Preiserhöhungen für Wasser und Energie, die im Auftrag der westlichen Gläubiger durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) erzwungen werden.
Nach einem teilweise zweistelligen Kostenanstieg im Jahr 2014 wurden jüngst erneut die Preise angehoben – für Erdgas um 40 Prozent, für Wasser um 55 Prozent und für Strom um 67 Prozent, dies bei gleichzeitigem klarem Rückgang der Reallöhne.[1] “Minsk II” gilt in Berlin als vielleicht einzige Chance, die prowestlich gewendete Ukraine halbwegs zu stabilisieren und ihren Kollaps zu verhindern.
Vorposten Dnipropetrowsk
Erschwerend wirkt sich dabei aus, dass die Kiewer Regierung die in der Ostukraine kämpfenden Freiwilligen-Einheiten – extrem nationalistische, teilweise offen faschistische Milizen, die den Waffenstillstand dezidiert ablehnen und immer wieder brechen – trotz aller Anstrengungen nicht unter Kontrolle hat. Sie kann also die Einhaltung von “Minsk II” nicht garantieren. Außenminister Steinmeier ist deshalb am Samstag aus Kiew nach Dnipropetrowsk gereist, um persönlich Einfluss zu nehmen.
Hintergrund ist, dass die Stadt nach dem Umsturz vom Februar 2014 schnell und systematisch zum Vorposten der neuen prowestlichen Regierung im Kampf gegen die Antimajdan-Opposition aufgebaut wurde. Dnipropetrowsk, relativ nahe des Donbass gelegen, war Ende 2013 und Anfang 2014 Schauplatz von Antimajdan-Protesten und galt deshalb aus der Perspektive der neuen Kiewer Machthaber als “gefährdet”.
Am 2. März 2014 setzten sie den Milliardär Ihor Kolomojskij zum neuen Gouverneur der Oblast Dnipropetrowsk ein, der bis heute im Ruf steht, einer der reichsten und vor allem der skrupelloseste Oligarch der Ukraine zu sein. Seine Herrschaft über Dnipropetrowsk hatte Folgen – bis heute.
“Nicht legal, aber wirkungsvoll”
Zum einen ist es Kolomojskij tatsächlich gelungen, die Antimajdan-Opposition weitgehend auszuschalten. “Die Regionalpolitik in und um Dnipropetrovsk” sei “schon früh entschlossen gegen separatistische und prorussische Bewegungen vor(gegangen)”, heißt es rückblickend in einem Bericht bei der Heinrich-Böll-Stiftung (Bündnis 90/Die Grünen).[2] Kritische Beobachter haben schon im vergangenen Jahr Kolomojskijs “entschlossenes Vorgehen” gegen Oppositionelle plastisch geschildert. “Mit manchen haben wir uns geeinigt, den Rest haben wir verängstigt”, wurde ein Stellvertreter des Gouverneurs zitiert.[3]
“Die praktische Seite erledigten die Schläger des Rechten Sektors, dem Kolomojskij in Dnipropetrowsk ein praktisches Betätigungsfeld und auch finanziellen Rückhalt geboten hat”, heißt es etwa in einem Bericht des Ukraine-Experten Reinhard Lauterbach: In der Verwaltung der Oblast werde das Vorgehen des Rechten Sektors, der seinen Hauptsitz im April 2014 nach Dnipropetrowsk verlegte, höflich als “nicht immer ganz legal, aber wirkungsvoll” umschrieben.[4]
Kolomojskij setzte ein Kopfgeld auf die Ergreifung von Oppositionellen (“Saboteuren”) aus und stellte sonstige Mittel für den Aufbau teils faschistischer Freiwilligen-Bataillone bereit. In Dnipropetrowsk konnte der Führer des “Rechten Sektors”, Dmitro Jarosch, bei den Parlamentswahlen im Oktober sogar ein Direktmandat für die Werchowna Rada gewinnen.
Der Hauptprofiteur des Majdan
Zum anderen hat Kolomojskij bis heute erheblichen politischen Einfluss in Dnipropetrowsk. Er sei derjenige unter den ukrainischen Oligarchen, der am meisten vom Umsturz im Februar 2014 profitiert habe, stellte eine Studie des Warschauer “Ośrodek Studiów Wschodnich” (OSW, “Centre for Eastern Studies”) zu Jahresbeginn fest.[5]
Tatsächlich ist Kolomojskij – gerade auch wegen seines maßgeblichen Einflusses auf diverse Freiwilligen-Bataillone – so stark geworden, dass Präsident Petro Poroschenko sich Ende März genötigt sah, ihn in einem beispiellosen Machtkampf aus dem Amt zu jagen [6]. Damit hat Kolomojskij nun zwar sein politisches Amt, nicht aber seinen Einfluss verloren, zumal er neben seinem Wirtschaftsimperium zahlreiche Abgeordnete in mehreren Fraktionen des ukrainischen Parlaments kontrolliert.
Wer die Milizen in der Ostukraine zum Waffenstillstand zwingen will, kann in Dnipropetrowsk mehr erreichen als in Kiew, weshalb Außenminister Steinmeier am Samstag dort eintraf. Zwar legt das Auswärtige Amt Wert auf die Feststellung, der Minister sei nicht Kolomojskij persönlich begegnet. Über dessen Amtsnachfolger Walentin Resnitschenko heißt es jedoch höflich, er könne sich gewiss “nicht gegen” den Oligarchen stellen.[7] Mit Resnitschenko hat Steinmeier am Samstag verhandelt.
Das oligarchische System
Dass Berlin direkt und indirekt mit ukrainischen Oligarchen kooperiert, gegen deren Willkür sich die Majdan-Proteste richteten, zeigt sich seit dem Umsturz des Jahres 2014 immer wieder. “Die Majdan-Revolution hat das oligarchische System der Ukraine nicht erschüttert”, heißt es beim Warschauer OSW.
Zwar habe es eine Art Umgruppierung gegeben; die Oligarchen um Ex-Präsident Wiktor Janukowitsch seien geschwächt oder gänzlich ausgeschaltet worden, andere wie Kolomojskij seien aufgestiegen. Doch seien die Oligarchen insgesamt womöglich sogar erstarkt; der Bürgerkrieg im Donbass und die eskalierende Wirtschaftskrise hätten den Staat weiter geschwächt und damit die politischen Spielräume der Milliardäre gesichert, vielleicht sogar noch vergrößert. Man müsse damit rechnen, dass sie ihre Macht auf absehbare Zeit sichern könnten.[8]
“Kopf der organisierten Kriminalität”
Entsprechend ist der deutsche Außenminister bei seinen Ukraine-Reisen immer wieder entweder mit Oligarchen persönlich zusammengetroffen oder doch zumindest an ihre Stammsitze gereist, um dort mit von ihnen abhängigen Politikern Absprachen zu treffen. Im März und im Mai 2014 traf Steinmeier persönlich mit Rinat Achmetow zusammen, den deutsche Medien zwei Jahre zuvor noch als “Kopf der organisierten Kriminalität im Land” bezeichnet hatten.[9]
Ziel des Treffens war es, Achmetows Einfluss im Donbass zu nutzen, um die dortige Antimajdan-Opposition zu schwächen.[10] Das Vorhaben scheiterte. Im Mai 2014 traf sich Steinmeier zudem mit dem neuen Gouverneur der Oblast Odessa, Ihor Palyzja. Auch dabei ging es darum, mögliche Unruhen zu unterbinden; Palyzja hatte damit nach dem Massaker faschistischer Schläger an Regimegegnern vom 2. Mai 2014 weitgehend Erfolg.Herausragender Kontaktmann Berlins ist mit Staatspräsident Petro Poroschenko, einem Süßwaren- und Rüstungsproduzenten, ohnehin ein Oligarch.[11]
Steinmeiers jüngste Gespräche in Dnipropetrowsk setzten die deutsche Kooperation mit den ukrainischen Oligarchen und ihrem abhängigen Umfeld fort.
Quelle: German Foreign Policy
http://politik-im-spiegel.de/steinmeier-und-die-oligarchen/
[1] Nina Jeglinski: Mit Galgenhumor gegen hohe Energiepreise. http://www.tagesspiegel.de 16.05.2015.
[2] Donata Hasselmann, Miriam Kruse: Eindrücke aus Dnipropetrovsk. http://www.boell.de 27.05.2015.
[3], [4] Reinhard Lauterbach: Im Reich des Condottiere. junge Welt 12.09.2014.
[5] Wojciech Konończuk: Oligarchs After The Maidan: The Old System In A “New” Ukraine. OSW Commentary Number 162, 16.02.2015.
[6] S. dazu Der Weg nach Westen.
[7] Majid Sattar: Steinmeier und der Pate von Dnipropetrowsk. http://www.faz.net 30.05.2015.
[8] Wojciech Konończuk: Oligarchs After The Maidan: The Old System In A “New” Ukraine. OSW Commentary Number 162, 16.02.2015.
[9] Carsten Eberts, Jürgen Schmieder: Glossar zur Fußball-EM. http://www.sueddeutsche.de 07.06.2012.
[10] S. dazu Die Restauration der Oligarchen (III).
[11] S. dazu Die Restauration der Oligarchen (IV).

Der Politikwissenschaftler Thomas Meyer über Medienkritik, politische Anmaßungen von Journalisten und sein Buch „Die Unbelangbaren“
Wie vielfältig ist die Berichterstattung der großen Medien in Deutschland? Für Thomas Meyer, emeritierter Professor für Politikwissenschaft, sind die Zeiten, in denen Journalisten mit völlig unterschiedlichen Meinungen in ihren Medien Grundsatzdebatten geführt haben, lange vorbei. Im Interview mit Telepolis stellt der Chefredakteur und Mitherausgeber der Zeitschrift „Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte“ fest: „Eine wechselseitige Kritik der Journalisten untereinander, sei es politisch, kulturell, ideologisch, findet nicht mehr statt.“ In seinem neuen Buch „Die Unbelangbaren“ analysiert er die problematische Entwicklung, dass Journalisten ihre Position immer häufiger nutzen, um in der politischen Arena mitzumischen.
Herr Meyer, Sie setzen sich als Wissenschaftler schon seit langem mit den Medien auseinander. Teilen Sie die Medienkritik, die derzeit vor allem im Internet zu vernehmen ist?
Thomas Meyer: Ich habe für die Kritik an den Medien Verständnis. Aber in der Form wie Sie z.B. von Pegida geäußert worden ist – Stichwort: Lügenpresse! -, halte ich sie für völlig überzogen. Das ist der falsche Ansatzpunkt.
Thomas Meyer: Diese Medienkritik ist mir zu undifferenziert und sie führt leider auch dazu, dass die wirklich angebrachte Medienkritik entschärft wird.
Thomas Meyer: Wenn Medienkritik so angebracht wird, wie es beispielsweise Leute von Pegida tun, dann ist es sehr einfach für die kritisierten Medien und Journalisten, die Kritik als substanzlos, da zu schrill, zu laut und zu unsachlich abzutun. Die fundierte Medienkritik, die zwischen all den lauten Tönen auch zu finden ist und die, so meine ich, durchaus auch ihre Schärfe hat, wird dann einfach übergangen. Insofern ist diese sehr überzogene Medienkritik eher kontraproduktiv und verstellt den Blick auf die notwendige, ganz anders ansetzende Medienkritik.
Wie sieht denn eine notwendige und fundierte Medienkritik aus?
Thomas Meyer: Sie hat drei Ansatzpunkte. Als erstes müssen wir erkennen, dass die Medien in ihrem Ringen um Aufmerksamkeit oft zu einer verzerrenden und oberflächlichen Wiedergabe politischer und gesellschaftlicher Ereignisse neigen. Wir müssen weiter erkennen, dass Medien uns in vielen Fällen ein schiefes Bild der politischen und gesellschaftlichen Welt vermitteln. Ein Bild, das unter anderem nach Unterhaltungskriterien verzerrt ist.
Der andere Punkt ist, dass Medien mittlerweile sehr stark gesellschaftlich selektiv sind. Bestimmte Themen, zum Beispiel soziale Fragen wie Armut, Ungleichheit, Exklusion, das Leben und Leiden der unteren Klassen, kommen in ihrer Berichterstattung praktisch nicht mehr vor. Und wenn einmal der Blickwinkel auf die Benachteiligten in unserer Gesellschaft geworfen wird, dann tendenziell aus der neoliberalen Perspektive.
Und der dritte Punkt ist, dass Medien, wie es etwa bei der letzten Bundestagswahl oder bei den Angriffen auf den ehemaligen Bundespräsidenten Wulff zu beobachten war, versuchen, politisch mitzumischen. Das gilt nicht für alle Medien, Tendenzen in Richtung zu einem Journalismus, der selbst zum politischen Mitspieler wird, sind aber klar zu erkennen. Wir können beobachten, dass die Alphajournalisten versuchen, politische Rollen zu spielen und auf die Machtpolitik direkt einzuwirken.
Das sind drei Ansatzpunkte, die ich für sehr wichtig halte und die ich daher in meinem Buch ausgewählt habe. Denn für eine demokratische Öffentlichkeit sind sie sehr belastend.
„Die Medien bereiten eine Bühne, auf der sie ihre eigenen Stücke vorführen“
Lassen Sie uns auf die Punkte näher eingehen. Medienkritiker unterstellen den Medien immer wieder, Wirklichkeit zu verzerren, nicht objektiv zu berichten und selbst eine mediale Wirklichkeit zu konstruieren, die mit der realen Wirklichkeit wenig oder nichts zu tun hat. In den vergangenen Monaten haben sich insbesondere leitende Redakteure gegen diese Medienkritik gestellt. Immer wieder wird deutlich, dass Vertreter großer Medien beanspruchen, einen Journalismus abzuliefern, der weitestgehend frei von Verzerrungen ist und die Wirklichkeit im Wesentlichen so abbildet, wie sie ist.
Da Sie sich in ihrem Buch auch auf den Soziologen Niklas Luhmann beziehen, der sich intensiv mit der Realität der Massenmedien auseinandergesetzt hat, sei hier eine Aussage aus seinem Buch angeführt: „Unsere Frage hat also jetzt die Form: Wie konstruieren Massenmedien Realität? Oder komplizierter…: Wie können wir (als Soziologen zum Beispiel) die Realität ihrer Realitätskonstruktion beschreiben?“ Deutlich wird: Für Luhmann steht fest, dass Medien viel eher Realität erzeugen, als dass sie diese abbilden. Teilen Sie diese Auffassung?
Thomas Meyer: Da hat Luhmann absolut Recht. Wir haben alle die Illusion, die auch von den Medien noch zusätzlich genährt wird, dass die Massenmedien uns ein Fenster zur Welt öffnen. Das ist aber absolut nicht der Fall. Das ist eine große Täuschung.
Die Medien bereiten eine Bühne, auf der sie ihre eigenen Stücke vorführen. Allerdings sagen sie uns das nicht. Vielmehr behaupten sie, sie würden die Welt und das, was sich in ihr ereignet, wirklichkeitsgetreu spiegeln. Aber dem ist nicht so.
Die empirischen Untersuchungen über die Wirkungsweisen der Medien haben ganz klar gezeigt: Die Medien wählen aus der unendlichen Fülle der realen Ereignisse ganz wenige aus und zwar nach bestimmten, festen Kriterien, z.B. Konflikt, Prominenz, Personalisierung, Nähe zum Betrachter. Ereignisse, die sich in diesen Kategorien einordnen lassen, nehmen die Medien auf und inszenieren sie so, dass sie unterhaltsam für das Publikum sind, also zum Beispiel als Drama, als persönliche Tragödie, als ‚artistisches Schaustück‘.
Die Wirklichkeitspartikel, die Medien aus der realen Welt aufnehmen, werden von ihnen intensiv bearbeitet und was dann dabei herauskommt, ist eine Neuinszenierung der Welt und hat mit der Realität oft nicht sehr viel zu tun.
Für die Medien scheint es jedenfalls ziemlich wichtig, dass die von ihnen geschaffenen Illusionen aufrechterhalten werden und vor allem: Sie scheinen selbst daran zu glauben, dass das, was sie jeden Tag zeigen, die Wirklichkeit widerspiegelt. Oder sehen Sie das anders?
Thomas Meyer: Ja, das ist erstaunlich. Obwohl Medien eigentlich ganz wenige Elemente aus der Wirklichkeit auswählen und diese Elemente dann durch ihre ganz spezifische Formen der Unterhaltsamkeit, der Aufmerksamkeitsmaximierung reanimieren, also neu inszenieren, erwecken sie doch die Illusion als seien sie nichts anderes als der Spiegel, der die Realität so, wie sie ist, wiedergibt.
Sie tun dies wohl, weil sie annehmen, die besten Experten für das zu sein, was für die Öffentlichkeit wichtig ist oder wichtig sein sollte. Viele Menschen glauben ja auch durchaus ohne Vorbehalte an diese medial erzeugten Illusionen. Allerdings erleben wir derzeit, dass Menschen mehr und mehr diese Medienrealitäten hinterfragen.
Thomas Meyer: Wenn Menschen Massenmedien konsumieren und dann plötzlich sehen, wie unterschiedlich das, was die Medien berichten, im Vergleich zu ihren eigenen lebensweltlichen Erfahrungen ist, dann spüren sie irgendwann, dass ihnen die Medien ihnen ihr eigenes Weltbild vorführen . Das ist der Zeitpunkt, wo leicht ein generalisierendes Misstrauen entstehen kann. Und genau diese Situation ist derzeit zu erkennen:
Die über Jahrzehnte erfolgreich gepflegte Illusion der medialen Wirklichkeit als Abbild der realen Welt zerfällt. Immer wieder erkennen Menschen: Vieles, was die Medien zeigen, ist verzerrt, oft irreführend, eben eine mediale Konstruktion.
Diese Entwicklung dürfte sehr viel mit dem Internet zu tun haben, oder? Im Internet, das als eine Art Ausgleichsmedium fungiert, finden sich viele Nachrichten und Informationen, die in den Medien völlig ausgeblendet werden. Mediennutzer scheinen durch das Internet plötzlich zu erkennen, wie eindimensional die Berichterstattung der Leitmedien oft ist. Jeder Bürger hat Zugang zu einem gigantischen ungefilterten Informationspool.
Thomas Meyer: Das ist eine der echten neuen Chancen, die das Internet mit sich bringt. Das Internet kann den Menschen zeigen, wo Journalisten verzerrte und lückenhafte Wirklichkeitsbilder präsentieren und dass die Schwerpunkte und Meinungen, die ‚Wahrheiten‘, wie sie in den großen Medien vorkommen, häufig nicht wirklich repräsentativ für die Gesellschaft sind. In solchen Fällen können die Menschen selbst die Selektoren erkennen, derer sich Medien bedienen.
Eine der Folgen dieser Entwicklung ist, dass kleine oder größere Gegenöffentlichkeiten entstehen. In diesen Gegenöffentlichkeiten bestätigen sich die betreffenden Nutzer dann gegenseitig, wo das, was die Medien berichten, nicht stimmt, fehlerhaft ist, wo es Auslassungen, Werturteilen oder Verzerrungen gibt.
„Wir leben in einer postmodernen Kultur. Alles ist gleichgültig geworden“
Wir erleben schon seit Jahren einen Kampf um die Deutungshoheit. Auf der einen Seite befinden sich die „normalen Bürger“, Blogger oder „Bürgerjournalisten“, die durch das Internet über den Wirklichkeitshorizont, den die Medien bieten, hinaus blicken können, und auf der anderen Seiten stehen die professionellen Journalisten, die für sich beanspruchen, die „legitimen Interpreten der Wirklichkeit“ zu sein. Reagieren so manche Alphajournalisten so angekratzt auf die Medienkritik, weil sie erkennen, dass das eigene Deutungsmonopol zerfällt und zerbröckelt?
Thomas Meyer: Das ist sicher so. Gerade die Alphajournalisten spüren plötzlich, dass sie nicht mehr das einzige Schlüsselloch in die Welt sind. Blicke in die Welt sind auch durch das Internet möglich – und zwar ganz ohne die Spitzenjournalisten. Vielleicht fühlen diese sich plötzlich reduziert und manchmal auch ein bisschen entlarvt.
Aber diese Entwicklung, also dass viele Menschen im Internet die mediale Berichterstattung kritisieren und korrigieren, kommt nicht überraschend. In den letzten 15-20 Jahren hat sich eine Uniformität in der Berichterstattung entwickelt, die es zuvor in dem Ausmaße nicht gegeben hat. Eine wechselseitige Kritik der Journalisten untereinander, sei es politisch, kulturell, ideologisch, findet nicht mehr statt.
Journalisten orientieren sich nur noch an dem, was andere Medien bringen. In der Wissenschaft nennen wir das Selbstreferenz. Alles was nicht in die Wirklichkeitsvorstellungen der Journalisten passt, wird aus der Berichterstattung ausgeblendet. Ihre eigentliche Realitätsprüfung besteht immer mehr in der wechselseitigen Bestätigung.
Viele Menschen, die anders denken als Journalisten, die andere Vorstellungen von der Welt haben, die andere politische Meinungen und Interesse haben, fühlen, dass ihre Sicht von den Medien nicht mehr aufgenommen wird. Da sie nicht mehr einbezogen werden, fühlen sie sich ausgeschlossen.
So mancher Chefredakteur würde an dieser Stelle wohl Einspruch! rufen und betonen, wie breit das Spektrum an Meinungen in den großen Medien doch ist. Ist dem so?
Thomas Meyer: Nein, wie gesagt, die große Meinungsvielfalt in der deutschen Presse ist Geschichte. Bedeutende Differenzen in der Berichterstattung, in den Meinungen, in der Auswahl von Themen und in der Art wie die Themen präsentiert werden, gibt es kaum noch. Vor 20, 25, 30, 40 Jahren gab es noch tatsächlich gravierende Meinungsunterschiede in den Medien. Damals waren große politische Richtungsunterschiede auszumachen. Es gab Medienhäuser, die ideologisch, in ihrem politischen Profil, völlig unterschiedlich ausgerichtet waren. Mit deutlichen Worten kritisierten die dort beschäftigen die Produkte der anderen Journalisten.
Warum ist die Situation heute so?
Thomas Meyer: Dafür gibt es mehrere Gründe. Wir leben in einer postmodernen Kultur. Alles ist gleichgültig geworden. Große politische Richtungsunterschiede werden nicht mehr ernst genommen und sobald sie auftauchen, lächerlich gemacht.
Dann spielen natürlich die Rahmenbedingungen, wie sie Medien heute vorfinden, eine große Rolle. Es gibt eine Verunsicherung bei Journalisten. Sie wissen nicht, welches Medienhaus morgen noch existiert oder von einem anderen geschluckt wird. Journalisten können nicht mehr wissen, ob sie nicht vielleicht schon morgen bei der Redaktion, die sie heute wegen ihrer politischen Positionierungen kritisieren, im Zuge der Konzentrationsprozesse landen werden. Sie sind hochgradig verunsichert und suchen mehr als je zuvor den Schutz der Herde unter den wachsamen Augen der Alphajournalisten und einiger Vorturner. Von dem auf diese Weise erzeugten Mainstream abzuweichen, wagen nur noch wenige.
Diese hoch problematische Homogenisierung des journalistischen Feldes scheint dann wiederum den Beleg dafür zu liefern, dass die journalistische Konstruktion der Wirklichkeit „wahr“ ist, da sie ja offenbar von allen gleich gesehen und berichtet wird. Ein grotesker Zirkelschluss.
Äußere Faktoren, die auf das journalistische Feld einwirken, sind das eine. Aber ergibt sich die Homogenität in der Berichterstattung nicht auch dadurch, dass es in den Medien so etwas wie einen gemeinsamen Klassenhabitus gibt?
Thomas Meyer: Ja, weitgehend. Da stimme ich Ihnen zu. Wir hatten früher unterschiedliche soziale Milieus, die in den Medien vertreten waren. Es gab die Konservativen, es gab die Liberalen, die Linken usw. Das heißt, in den Medien haben sich Journalisten bewegt, die von ihrer politischen Sozialisation, sozusagen „von zu Hause aus“ unterschiedliche politisch-kulturelle Prägungen erfahren und sich dann auch in den Medien in den jeweiligen Milieus wiedergefunden haben. In Ansätzen mag das auch heute noch so sein. Aber die verschiedenen Milieus finden sich heute nicht mehr so stark in den Medien, wie es etwa vor Jahrzehnten der Fall war.
Wenn ich die gegenwärtige Berichterstattung beobachte und mir auch die zugehörigen soziologischen Analysen der Gruppen, die sie produzieren, anschaue, muss ich feststellen, dass in den Medien heute sehr stark ein neubürgerliches, aufstiegsorientiertes oder neubesitzbürgerliches Milieu vorzufinden ist.
Das sind also Milieus von Leuten, die ganz stark an ihren eigenen Statusinteressen, ihrem Leistungsstolz und einer Welt, die dazu passt, orientiert sind. Ihr Habitus ist rundum geprägt vom Aufstieg und wohlerworbenem Status und Eigentum. Sie haben eine Mentalität, in der die ganze soziale Welt der Unterdrückten, der Randständigen oder der Ausgeschlossen nicht mehr als ein zu respektierender Teil der gesellschaftlichen Welt erscheint. Aus diesem Milieu geht ein Journalismus hervor, der die eigenen ökonomischen Interessen, auch die in seiner vorherrschende Weltsicht, immer wieder deutlich zum Ausdruck bringt.
Sie haben zu Beginn des Interviews gesagt, dass es eine Tendenz von Journalisten gibt, im politischen Spiel als Akteur mitzuwirken.
Thomas Meyer: Ja, und diese Tendenz ist von wichtigen Journalisten selbst benannt worden. Und auch der Titel meines Buches „Die Unbelangbaren“ (bzw. der Begriff) stammt von einem berühmten Feuilletonjournalisten.
Thomas Meyer: Der hochgeachtete Gustav Seibt hat den Begriff ins Spiel gebracht. Und derjenige, der gesagt hat, dass Journalisten mittlerweile eine unerträgliche Tendenz zum „Übermenschentum“ zeigen und denken, sie könnten der Politik ihre Richtlinien vorgeben, war immerhin die große journalistische Ikone Frank Schirrmacher.
Nur um das mal klar zu machen: Das sind Aussagen, die auf einige bedeutsame, einsichtige und selbstkritische Journalisten zurückgehen, aber leider im journalistischen Mainstream keinerlei Resonanz erkennen lassen.
„Die Grenzen zwischen der medialen Beobachtung der Politik und dem Politikmachen verwischen sich“
In ihrem Buch erwähnen Sie auch den Fall Wulff.
Thomas Meyer: Die Jagd auf Wulff kann man als einen Schulterschluss von Bild, Zeit, FAZ und anderen Medien betrachten. Es gab eine sich allmählich immer höher schaukelnde kollektive Stimmung: Dieser Mann muss jetzt zur Strecke gebracht werden. Im Fall Wulff haben Medien kampagnenmäßig Macht ausgeübt. Mit den Übertreibungen und Selektionen wurde nicht aufgehört, bis das gemeinsam verfochtene Ziel, Wulff zu stürzen, erreicht war.
Nicht anders war das Verhalten von so manchem Qualitätsmedium auch bei der letzten Bundestagswahl. Alles, was von Peer Steinbrück kam, wurde madig oder lächerlich gemacht. Er hatte in der ganzen Kampagne keine Chance, Fuß zu fassen.
Hier kommt jetzt aber auch so ein bisschen Ihre Nähe zur SPD zum Vorschein, oder?
Thomas Meyer: Das ist eine billige Ausrede derer, die auf die harten Fälle, die ich darlege und die Argumente, die ich bringe, nicht eingehen wollen. Auch mit einem grünen, linken oder sozialliberalen Herzen oder einfach aus Gründen der Fairness und Objektivität müsste man doch Einspruch gegen die mediale Verzerrung der sozialen Wirklichkeit einlegen. Leider zeigt sich da wieder der gleiche journalistische Abwehrreflex gegen alle Kritik, die Selbstimmunisierung aus der Position der Unbelangbarkeit heraus, die ich in meinem Buch ja gerade erkläre und kritisiere. Eine recht traurige, entmutigende Bestätigung meiner Analyse.
Auch der Vorwurf, ich kritisiere einerseits Verschwörungstheorien im Hinblick auf die auffällige Homogenisierung des Journalismus und wende sie dann mit meiner Bezugnahme auf die Netzwerktheorie selbst an, ist eine Form der journalistischen Selbstimmunisierung. Beides hat miteinander nichts zu tun, denn reale Netzwerke existieren doch unbestreitbar in vielen gesellschaftlichen Bereichen.
Denn natürlich gibt es auch Netzwerke, in denen sich bestimmte Journalisten bewegen, z.B. etwa die Journalisten, die sich mit Verteidigungs- und Außenpolitik beschäftigen. Diese Journalisten sitzen regelmäßig zusammen mit Politikern und anderen Funktionsträgern und bestärken sich darin, dass der offizielle Blick auf die Welt der richtige ist. Sprachregelungen werden eingeübt, die sich dann auch in den Medien finden. In meinem Buch analysiere ich, wie diese Journalisten unmittelbar im politischen Machtspiel mitmischen. Ich stelle fest, dass sich doch sehr weitgehend die Grenzen zwischen der medialen Beobachtung der Politik und dem Politikmachen verwischen.
Darf eine fundierte Medienanalyse bei den Verhältnissen, die Sie hier skizzieren, Medien überhaupt isoliert betrachten? Der französische Soziologe Pierre Bourdieu sagte einmal, dass es in der Politik um die Durchsetzung von Wahrnehmungskategorien geht. Von dieser Feststellung weiter gedacht: Wo werden denn diese Wahrnehmungskategorien durchgesetzt? Doch auch in und mit Hilfe der Medien. Medien sind also ein zentraler „Kampfplatz des Politischen.“
Thomas Meyer: Genau. Welche Macht am Ende als legitim gelten darf und welche nicht, wird in erheblichem Maße über die Medien vermittelt. Allerdings können die Medien nicht alles komplett selbst bestimmen. Sie tun das in einer dialektischen Auseinandersetzung mit der Politik. Aber auch in diesem Spiel zwischen Politik und Medien haben die Medien eine einzigartige Machtposition, weil sie letzten Endes immer entscheiden können, was kommt auf die Medienbühne, mit welcher Färbung, mit welcher Beurteilung usw.
Und die Politiker, die erfolgreich sein wollen, unterwerfen sich den Mediengesetzen, um auf diese Weise ihre Chance zu maximieren, auf der Medienbühne eine Rolle zu spielen. Das ist die überwältigende indirekte Macht der Medien durch die Vorherrschaft ihrer Regeln. Die Medien und die große Reichweite ihrer Gesetze in der Mediengesellschaft sind in der Welt von heute ein erstrangiger realer Machtfaktor.
http://www.heise.de/tp/artikel/45/45077/1.html

Der böse ungehobelte Russe
Stefan Braun, der Mann immerhin ein Dr. Phil., von der Süddeutschen war wohl dabei. Untergebracht im Handgebäck des Karl Georg Wellmann. Wie sonst könnte er uns so exklusiv vom Moskauer Flughafen berichten und wie es dem CDU-Politiker ergangen ist:
„…am Moskauer Flughafen wie ein Staatsfeind gestoppt, in kalter Atmosphäre in einer Kammer abgesetzt und im Niemandsland des Transitbereichs in die Nacht geschickt zu werden, um am nächsten Morgen wieder nach Hause zu fliegen.“
Natürlich, wie kann es anders sein, wurde Wellmann das
„Einreiseverbot …spät nachts„,
von einem,
„…ruppigen russischen Uniformträgern in die Hand gedrückt…“
Und das, obwohl Wellmann doch so ungeduldig in Moskau erwartet wurde.
„So hatte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Föderationsrat ihn vor wenigen Wochen angeschrieben mit der Bitte, er möge doch nach Moskau kommen; man müsse sprechen, mit dem Konflikt in der Ostukraine könne es so nicht mehr weitergehen.“
Um so unerklärlicher die Behandlung des CDU-Politikers:
„Stattdessen verbrachte Wellmann eine Nacht in der Lounge von Aeroflot, mit Schnittchen und „Abholservice“, der ihn derart ruppig ins Flugzeug verfrachtete, als sei er ein Verbrecher, den man ausweisen musste.“
Es geht ein Gespenst um in Deutschland, ein Gespenst, dass sich Journalismus nennt und uns alle foppt. Der verantwortungsvolle Journalismus ist längst tot. Heimlich, still und leise zu Grabe getragen. Von Beileidsbekundungen am Grab wurde abgesehen. Übrig geblieben ist sein Widergänger, die Propaganda. Sensationslüstern und diffamierend sucht er uns heim. Einer ausgewogenen, sich an Fakten orientierenden Berichterstattung ist dem Kampagnenjournalismus gewichen. Es werden keine Fakten mehr abgewogen, keine Informationen auf deren Wahrheitsgehalt und Possilibität geprüft, noch werden Informationen die von dritter Seite kommen auf die Interessen der Tipgeber hin kritisch geprüft.
Politische Gegner werden gnadenlos niedergeschrieben. Es werden regelrechte Kampagnen gegen missliebige Personen gefahren, bei denen auch vor persönlichen Diffamierungen nicht zurückgeschreckt wird. Dabei ist die Diktion vielfach die von Hetzschriften.
Länder und Nationen, die sich nicht widerstandslos der durchweg als werteorientiert, demokratisch und weltoffenen apostrophierten Politik von NATO und EU unterwerfen, werden als Feinde verstanden und gnadenlos diffamiert. Grundsätzlich wird nur noch nach Gut und Böse unterschieden. Wobei wir, die sogenannte westliche Wertegemeinschaft ausschliesslich gut und die Anderen die Bösen, die Barbaren, die Kriegstreiber und Menschenrechtsverletzer sind.
Es geht hier, in diesem Beitrag, weniger um die Sachverhalte der zitierten Artikel aus dem deutschen Blätterwald, als vielmehr um den Stil der Berichterstattung, falls man diese denn noch als eine solche bezeichnen will. Unsere Presse bedient sich fast ausnahmslos einer reisserischen gegen unliebsame Personen hetzenden Sprache, wie sie noch vor Jahren einzig und allein dem grossen Boulevardblatt mit den vier Buchstaben vorbehalten war. Heute gibt es kaum noch Unterschiede zwischen diesem Revolverblatt und der sogennnten seriösen Presse, was man schon allein an der Tatsache ablesen kann, dass diese „seriösen“ Blätter immer häufiger aus dem Blut- und Sexblatt zitieren.
Als Beispiele für diese absolut verantwortungslose Schreiberei sollen hier drei Beispiele dienen:
- Die „Berichterstattung“ über die verweigerte Einreisen nach Russland für den CDU-Abgeordneten des deutschen Bundestages, Karl Georg Wellmann, s. oben.
- Die Kampagne, die plötzlich gegen die FIFA und deren Chef Josef Blatter losgetreten wurde, nachdem man noch im letzten Sommer jede Menge Honig aus der „Fussballweltmeisterschaft“ in Berasilien, eine Veranstaltung jener korrupten Fifa gesogen hatte (Warum wurden Korruption und Vetternwirtschaft in der Fifa damals nicht thematisiert, als die deutsche Fußballnationalmannschaft keineswegs Fußballweltmeister geworden ist sondern der Gewinner des von der Fifa ausgelobten Weltpokals für Nationalmannschaften wurde?).
- Und drittens die Hassberichterstattung über die Lokführergewerkschaft GDL und deren Vorsitzenden Claus Weselsky, die lediglich ihr, von der Verfassun der Bundesrepublik verbrieftes Streikrecht wahrnahmen um ihre Interessen durchzusetzen.
Sepp Blatter und die Fifa
Ebenfalls in der Süddeutschen schreiben Thomas Kistner und Johannes Aumüller am Sonntag den 31. Mai über die Vorfälle in Zürich im Zusammenhang mit den Verhaftungen von sieben Fifa-Funktionären:
„Am Samstagmittag sitzt der wiedergewählte Sepp Blatter in seiner Prachtzentrale auf dem Zürichberg. Es ist wieder ein bizarrer Auftritt: Er schaut ernst und grinst nur wenig; er redet Probleme klein, säuselt was von Verantwortung und fantasiert über eine Art Weltverschwörung: die Amerikaner gegen ihn.“
Ein wenig Gruseleffekt, Guantanamo auf Schweizers Boden:
„Die US-Bundespolizei FBI wirft ihnen Korruption und Geldwäsche vor. Die Umstände seien hart, 23 Stunden Isolation, eine Stunde Hofgang und anfänglich noch nicht einmal anwaltlichen Beistand, heißt es im Umfeld der Inhaftierten. Zumindest einer Ehefrau sollen die Papiere abgenommen worden sein, damit sie im Land bleibt.“
Da wollte das ehemalige Nachrichtenmagazin aus Hamburg nicht abseits stehen. Spiegel-online schoss allein am Sonntag den 28. Mai in 15 verschiedenen Artikeln gegen Blatter und die FIFA.
„Finale der Europa League: Platinis große Gala, Concacaf-Präsident: Webb nach Festnahme von seinem Amt entbunden, Fifa-Chef Blatter vor Wiederwahl: Historische Chance vertan, Fußball und Korruption in Lateinamerika: Eine gewinnträchtige Verbindung, Uefa in der Fifa-Krise: Die Einknicker, System Fifa: Der Selbstbedienungsladen, Blatters Rede beim Fifa-Kongress: Wir können nicht jeden überwachen, Videoschnipsel zum Fifa-Skandal: Sepp Blatter und die Reporter, Moskaus Protest gegen Fifa-Ermittlungen: Am Ende ist immer alles ein Komplott des Westens, Fifa-Skandal: Platini bat Blatter unter Tränen um Rücktritt, Pressestimmen zum Fifa-Skandal: Das Spiel ist aus, Fifa-Präsident in der Krise: Blatters Welt, +++ Liveticker +++: Die Fifa-Show geht weiter, Korruptionsskandal: Sponsoren gehen auf Distanz zur Fifa, Korruptionsskandal: Ex-Fifa-Vize Warner stellt sich der Polizei, Fifa-Korruptionsskandal: Es wird eng für Blatter“
Die Pressekampagne zeigt dann auch bereits Wirkung. Heute verkündete Spiegel-online stolz das Ergebnis einer Umfrage:
„Eine Mehrheit der Deutschen kann sich das laut einer Umfrage vorstellen. Grund ist der Fifa-Skandal.“
Die GDL und ihr Vorsitzender Claus Weselsky
Das Beispiel der Lokführergewerkschaft und ihres Vorsitzenden Claus Weselsky: Focus-online titelt am 15. April:
„Weselskys Altbau-Fassade: So versteckt lebt Deutschlands oberster Streikführer“.
Dazu veröffentlichte Focus-online ein Bild des Wohnhauses Weselsky und dessen Wohnadresse. Erst eine Anzeige Weselskys bei der Polizei brachte die Redaktion dazu, Bild und Adrtesse aus dem Netz zu nehemn. Aus dem Gewerkschaftsboss wird allerdings der
„meistgehasste Deutsche“
Dabein weiss der Focus genau was er tut:
„Claus Weselsky – GDL-Chef und Streik-Führer – muss sich fühlen wie ein vorverurteilter Verdächtiger. Das öffentliche Urteil über ihn ist längst gesprochen. Klar, unmissverständlich und gegen den Angeklagten.“
Und auch hier zeitigt die Hetzkampagne der Blätter wie Focus bereits eindruchsvoll Wirkung. Das Blatt zitiert eine Nachbarin Weselskys:
„Der wohnt doch dort drüben, da ist neulich die Tiefgarage explodiert. Vielleicht hat ja jemand sein Auto anzünden wollen.“
Das wäre, wenn es denn zutreffen sollte ein nicht unerhebliche Straftat. Dem Focus wäre ein solcher Terrorakt durchaus denk- und entschuldbar:
„Denkbar wäre das. Denn Weselsky hat mittlerweile dieses Bild in Deutschland von sich gezeichnet: vom Rambo-Gewerkschafter.“
In seinem „Liveticker“ dreht der Focus am 9. Mai den Spiess gar um. Er zitiert die Bildzeitung:
„Mit der Lichthupe terrorisiert: Claus Weselsky drängelte auf der Autobahn“
Um Weselsky zum Terroristen zu machen, wurde eine alte Story aus dem Jahr 2014 ausgegraben:
„Ich fuhr etwa 180 auf der linken Spur, als von hinten plötzlich ein dunkler Audi heranrauschte“, sagt Dietrich O. zu „Bild“. Er war gerade auf der A5 in Hessen unterwegs. Der Audi fuhr dicht auf, doch nach rechts ausweichen konnte O. wegen eines Lkw nicht. Dann soll ihn der Fahrer mit der Lichthupe „terrorisiert“ haben. Als O. auf die rechte Spur ausweichen konnte, fuhr der Audifahrer auf gleicher Höhe mit O. – und zeigte ihm den Stinkefinger.“
Ganz sicher scheint man sich allerdings nicht zu sein. Deshalb ist hier die Sprache auch nur von „soll“ nicht war:
„Wie die „Bild“ berichtet, soll der Fahrer Claus Weselsky gewesen sein.“