Aus dem Neandertal
Karl Kraus
Aus dem Neandertal
Eine arbeitslose, ungefähr vierzigjährige Frau reichte um die Arbeitslosenunterstützung ein. Der mit den Erhebungen betraute Gendarm verlangte von der Frau – nach ihrer und ihrer dreizehnjährigen Tochter gerichtssaalmäßigen Aussage – die geschlechtliche Hingabe und versprach ihr, daß sie in diesem Falle sehr rasch die Arbeitslosenunterstützung bekommen werde. Daraufhin warf die Frau den Gendarmen mit Entrüstung hinaus und erhielt auch weiterhin keine Arbeitslosenunterstützung. Auf eine neuerliche Reklamation erschien ein zweiter Gendarm bei der Frau, dem sie das Erlebnis mit dem ersten Gendarmen erzählte. Es wurde ein Protokoll aufgenommen und der Gendarm klagte daraufhin die Frau wegen Ehrenbeleidigung. Das Gericht (im Land Salzburg) schenkte den Aussagen der Frau und ihrer dreizehnjährigen Tochter keinen Glauben und verurteilte sie mit folgender Begründung:
1. Der Frau ist schon deshalb kein Glauben zu schenken, weil der Gendarm, ein fünfundzwanzigjähriger Mann, wenn er an eine vierzigjährige Frau ein derartiges Verlangen stellen sollte, abnormal sein müßte.
2. Wenn er aber abnormal wäre, müßte diese Tatsache seiner Dienststelle und der Öffentlichkeit bekannt sein.
3. Davon ist aber der Dienststelle nichts bekannt, daher ist der Mann auch nicht abnormal und kann daher auch ein derartiges Begehren an eine vierzigjährige Frau gar nicht gestellt haben.
Das haben die Mädchen so gerne
und so träumt jetzt, in München, wo Hitler waltet, die deutsche Jungfrau den Frühling:
Frühlingstraum
Wo finde ich feschen Herrn zwecks bald. Ehe.
Wunsch:
Metzgermeister
od. Autobesitzer
Bin jung, lustig, tüchtig, besitze sehr schöne Möbel und Wäscheausstattung u. Vermögen. In Frage kommen nur Briefe mit Bild u. gew. Herrn, alles andere Papierkorb. Briefe unter Auto 142251 a. d. M. N. N.
Ich gäb‘ was drum, wenn ich nur wüßt‘, wer der »gew. Herr« gewesen ist. Offenbar einer der Gewaltigen. Jedenfalls ein Habebald der Mädchen, ein Haltefest der Möbel und ein Raufebold der Nation.
Mit den Negern kann man machen, was man will
Aus einer Zuschrift:
In einem Gespräch mit einem jungen Mann, der seit einiger Zeit im kaufmännischen Beruf tätig ist und demnächst nach Westafrika gehen wird, um dort zu arbeiten, stellte ich die Frage, aus welchem Grunde er die dortigen Lebensbedingungen für besser halte als die hiesigen; ich bekam die folgende Antwort: »Hier ist man der Übervorteilung durch andere sehr ausgesetzt, aber wenn mir dort in Afrika etwas nicht recht ist, dann hau‘ ich dem betreffenden Neger eine Watschen herunter oder knall ihn nieder; keine Katz schert sich dann um ihn; mit den Negern kann man dort machen, was man will. Wissen Sie übrigens, die bekommen zwei Zigaretten Taglohn und müssen schinden von der Früh bis auf d‘ Nacht.«
Die Worte aus Ihrem Aufsatz »Der Neger«, angefangen von »Geh hörst’rr schau drr den schwoazen Murl an!« bis »Tepataa –!« »Stinkataa –!« haben mir, seit ich sie kenne, die Art der Wiener, alles was ihnen fremd ist, eben nur einzig und allein aus dem Grund, weil es ihnen fremd ist, auf diese Weise zu beurteilen und ihre verletzte Gemütlichkeit so zu bekunden, am treffendsten charakterisiert; auch hierin ist schon die Grausamkeit, daß man einem Schwarzen alles antun kann, enthalten; weil er als Schwarzer geboren wurde, hat er alle Konsequenzen zu tragen, auch die, von jedem Wiener Pülcher, falls er erwischt wird, durchgehaut zu werden. Ob so bald jemand, der nicht in Wien bodenständig ist, gefunden werden könnte, der eine Bemerkung, die ähnliche Roheit verrät, machen würde, ist sehr zu bezweifeln.
Sicherlich ist, wiewohl ja die Schwarzen moralisch turmhoch über ihren weißen Peinigern jeder Landsmannschaft stehen, derlei nur in der Gegend möglich, die von Gott ein Patent auf Gemütlichkeit bekommen hat. Aber er hat es, weiß Gott, doch schlecht eingerichtet, wenn man sich vorstellen soll, daß in Westafrika ein nichtsahnender Neger sich heute noch der Sonne freut, der zu Weihnachten schon erschlagen sein wird, weil er etwas getan hat, was dem feschen Wögerer Pepi, dem soeben die Freunderln auf dem Bahnhof Abschied zuwinken, »nicht recht ist«.
Die Zauberlehrlinge
äußern sich:
»– Noch merkwürdiger erscheint das Vorgehen der Behörde, wenn man bedenkt, daß das Kurpfuscherwesen auch auf dem Gebiete der Psychoanalyse überhandzunehmen droht.
Wo denn sonst?
– Ich habe erst kürzlich anläßlich eines Vortrages … auf die Gefahren der Analyse hingewiesen.
Mit Recht.
– Wie immer die Einzelheiten dieses Falles sind, er hat gezeigt, daß sich der Analytiker selbst oft in sehr großen Gefahren befindet,
ah so
auf die ich meine Schüler wiederholt aufmerksam gemacht habe, da sich Impulshandlungen unter Umständen auch gegen den Arzt selbst richten können.
Warum nicht, wenn sich Intelligenzhandlungen gegen den Patienten richten?
– Wie in anderen Ländern droht nun auch bei uns die Analyse zu einer förmlichen Seuche zu werden,
wem sagen Sie das
indem Menschen, die keinen festen eigentlichen Beruf haben, oder halbgeheilte Neurotiker plötzlich die Mission in sich fühlen, durch ihre analytische Betätigung die Menschen glücklich zu machen.
Mit einem Wort, Psychoanalytiker.
In vielen Fällen haben Leute, die sich ihnen anvertraut haben, die schwerste Schädigung ihres Organismus und ihres Seelenlebens erlitten.«
Auch ihrer Vermögensverhältnisse.
»– Die Psychoanalyse ist geradezu zur Seuche geworden. Nicht nur in Wien, sondern in allen Kulturzentren der Welt. Zahlreiche verkrachte Existenzen drängen sich zur Analyse, weil das Publikum danach verlangt und dorthin geht, wo sie eben angeboten wird. Wir kennen ausgesprochene Verbrechernaturen, die wir analysiert haben, die wir jedoch wegen ihrer unangreifbaren moral insanity zu keinem guten Ende führen konnten, und waren aufs Unangenehmste betroffen, als wir Annoncen dieser Leute in den Tageszeitungen antrafen.«
Das ist alles buchstäblich wahr, besonders das mit der moral insanity; ich kann ein Lied davon singen und habe den Text. Aber wie kommt das alles nur? Es wird wohl so sein wie mit dem Hauptmann von Köpenick, dem die Menschheit für die Entlarvung eines Berufs dankbar sein sollte, der sie noch länger fetischhaft fasziniert hat und dessen Idolatrie gleichfalls eine psychische Lücke ausfüllte. Die falschen Militärpatrouillen, denen der Bürger hereinfiel, haben ihn gelehrt, sich vor den echten in Acht zu nehmen. Die falsche Psychoanalyse hat ein Verdienst, das die echte vorläufig nicht hat: von der Falschheit der echten zu überzeugen. Es gibt echte Psychoanalytiker, bei denen man zum mindesten nicht weiß, ob sie Arzt oder Patient sind, und es gehört zum Wesen der Krankheit und ihrer Therapie, daß die Krankheit die Therapie hat und die Therapie die Krankheit, daß die Gesunden als Patienten aus der Ordination hervorgehen und die Patienten als Ärzte. Da herrscht ewige Verwechslung und so auch zwischen echten und falschen Psychoanalytikern. Es ist ein Zauber, der Neurose wie weiland der Montur, und die Menschheit soll eben trachten, sich auch gegen den Reiz abzuhärten, der vom Reglement der Hemmungen ausgeht. Es ist aber ein Zauber, der keinen Meister hat und nur fortzeugend Lehrlinge muß gebären. Die Berufe haben’s in sich, nämlich das, was die falschen Psychoanalytiker so gut erkennen lassen wie die falschen Militärs. Sie machen sich um die Menschheit verdient. Wenn die Psychoanalyse eine Seuche geworden ist, die sie ja eigentlich immer und schon beim ersten beobachteten Fall war, so ist das insofern gesund, als man sich hüten wird, Ausnahmen gelten zu lassen, weil sie befugt seien, die Cholera zu haben.