Es ist wohl ein böser Scherz der Geschichte. Auch nach der Maidan-Revolution regieren in der Ukraine immer noch die großen Unternehmer, obwohl sich die Proteste auch gegen die große Macht der Oligarchen richteten. Einer der mächtigen Superreichen ist ironischerweise das Staatsoberhaupt selbst. Petro Poroschenko, der im Mai 2014 zum vierten Präsidenten der Ukraine gewählt wurde, besitzt nach wie vor nicht nur seinen berühmten Schokoladen-Konzern Roshen, sondern weitere Unternehmen in den Bereichen Metallurgie, Rüstungsindustrie und Medien.
Vor seiner Wahl versprach Poroschenko noch öffentlich, seine Aktiva zu verkaufen. Ein Jahr danach ist davon fast nichts zu hören. Angeblich liegen vor allem für seinen Roshen-Konzern keine passenden Angebote vor.
Ende April sollte in Wien entschieden werden, ob Firtasch an die USA ausgeliefert wird. Es ging um einen erheblichen Korruptionsvorwurf. Angeblich bezahlte der 50-jährige Oligarch über 18 Millionen US-Dollar Schmiergeld an indische Offizielle, um sich so einen Vorteil bei seinen Geschäften in der dortigen Metallindustrie zu verschaffen. Laut Firtasch ist dieser Prozess politisch motiviert. Während der politischen Unruhen soll die US-Regierung angeblich die damals noch inhaftierte Oppositionspolitikerin Julija Tymoschenko unterstützt haben, Firtasch setzte dagegen auf den Ex-Boxweltmeister Klitschko. Wegen dieses Arguments und wegen des Wirtschaftskonflikts zwischen Firtasch und den USA lehnte das Gericht den Auslieferungsantrag ab.
Vitali Klitschko, der laut Firtasch seit 2012 von den großen Gasoligarchen unterstützt wurde, bestritt die Vorwürfe öffentlich. Aber es geht nicht nur um Klitschko, sondern auch um Poroschenko. Schon längst gab es Gerüchte, dass sich Firtasch, Klitschko, Poroschenko und der Ex-Präsidialamtschef von Janukowitsch, Sergej Ljowotschkin, im Frühjahr 2014 in Wien getroffen hätten. Angeblich sprachen sie bei diesem Geheimtreffen über den Verzicht Klitschkos auf seine Präsidentschaftskandidatur – zugunsten von Poroschenko. Dieses Treffen hat Firtasch vor Gericht bestätigt: „Wir wollten Tymoschenko isolieren. Ich unterschrieb aber geheime Verpflichtungen und kann dazu nichts mehr sagen. Nur eins: Wir erreichten das, was wir wollten. Poroschenko ist jetzt Präsident, Klitschko wurde zum Bürgermeister von Kiew gewählt.“
Von diesen Aussagen Firtaschs könnte vor allem einer profitieren, den man auf keinen Fall als seinen Freund bezeichnen kann. Während Firtasch auch heute noch eng mit Russland zusammenarbeitet und die westlichen Sanktionen gegenüber Moskau für sinnlos hält, greift der 52-jährige Ihor Kolomoiski nicht nur den russischen Präsidenten Putin, sondern auch Poroschenko hart an.
Kolomoiski war schon immer einer der größten ukrainischen Oligarchen, doch nach der Maidan-Revolution konnte der gebürtige Dnipropetrowsker seinen Einfluss stark erweitern. Kolomoiski, der im März 2014 Gouverneur seiner Heimatstadt Dnipropetrowsk wurde, gehört zu den größten Gewinnern der politischen Krise. Seine Rolle in den tragischen Ereignissen bleibt dagegen weiterhin unklar. Trotzdem konnte sich Kolomoiski als einflussreichster Oligarchen des Landes durchsetzten. Und löste auf dieser Position den Donezker Rinat Achmetow ab.
Weder Poroschenko noch die Europäische Union waren aber mit der neuen Rolle von Kolomoiski zufrieden. Der Präsident war vor allem deswegen beunruhigt, weil der Gouverneur von Dnipropetrwosk einige Freiwilligenverbände finanzierte, die nicht im Rahmen des Gesetzes handelten. Die EU interessierte sich in erster Linie für die Liberalisierung des Binnenmarktes. Es häufen sich Gerüchte, dass das neue Gasmarkt-Gesetz, das Ende April von Poroschenko unterzeichnet wurde, faktisch in Brüssel geschrieben wurde. Die Beweise dafür liegen aber bisher nicht vor. Das Gesetz ist für den Oligarch aus Dnipropetrowsk nicht gerade günstig. Früher durfte er die Pipelines innerhalb des Landes kostenlos nutzen, jetzt ist damit Schluss.
Die meisten Menschen aus der Umgebung von Poroschenko betonen, dass der ukrainische Präsident keinen offenen Konflikt mit Kolomoiski wollte. Doch er konnte nicht vermieden werden. Mitte März beschloss das ukrainische Parlament die Änderungen für das Gesetz über die Aktiengesellschaften, die die Entlassung eines Ukrnafta-Managers, der von Kolomoiski installiert wurde, möglich machten. Als Reaktion ließ der Gouverneur von Dnipropetrowsk die Gebäuden von Ukrnafta und Ukftransnafta, des staatlichen Pipelinebetreibers, von Bewaffneten besetzen, die höchstwahrscheinlich zu den von Kolomoiski finanzierten Freiwilligenverbänden gehören.
Für Poroschenko war es wohl eine schwierige Entscheidung, doch am Ende hatte er wegen des Drucks aus dem Westen keine Wahl. Nach einem langen Gespräch bedankte sich der Präsident bei Kolomoiski für dessen Arbeit: „Sie haben vieles für die Einheit der Ukraine getan, und ich bin mir sicher, Sie werden das auch weiterhin tun.“ Poroschenko wusste genau, wie diese versöhnlichen Worte wirken. Denn durch seine Autorität und Popularität im Regierungsbezirk Dnipropetrowsk hat Kolomoiski alle Möglichkeiten, die Stabilität des Landes wieder in Frage zu stellen.
Die erste Phase des Konflikts hat der ukrainische Präsident gewonnen, aber das heißt noch lange nicht, dass es nicht noch einmal krachen wird. Eher ist das Gegenteil wahr: Der Einfluss, den Kolomoiski auf viele Parteien im Parlament hat, gibt dem Oligarchen viele Argumente weiterzumachen. Zudem sind auch in der Regierung seine Leute vertreten. Allen voran der langjährige Kolomoiski-Vertraute und heutige Innenminister Arsen Awakow. Außerdem deutet einiges daraufhin, dass der Oligarch aus Dnipropetrowsk, der überwiegend in der Schweiz lebt, eine neue Partei gründen will, die allein mit seinen eigenen Beliebtheitswerten vieles erreichen könnte.
Anderseits ist Kolomoiski nach wie vor der größte Profiteur der politischen Veränderung. Vor allem im Vergleich zu Rinat Achmetow, dem anderen großen Oligarchen, mit dem Kolomoiski über Jahre konkurrierte. Der gebürtige Donezker Achmetow war der größte Geldgeber der Partei der Regionen von Ex-Präsident Wiktor Janukowitsch. Der verlor auch deswegen seine Macht, weil er gegen ein unbeschriebenes Gesetz verstieß. Bei aller Konkurrenz war das Vermögen der Oligarchen immer tabu. Janukowitsch nutzte jedoch seine Macht, um für sich und seinen Clan große Summen abzuzweigen. Was letztendlich dazu führte, dass sich die meisten Oligarchen von ihm abwandten und ihm so das Fundament seiner Macht entzogen.
Wie viele andere Oligarchen kam der 48-Jährige Achmetow in den früheren 90er Jahren faktisch aus dem Nichts. „Wir hatten damals eine Firma gegründet, die Kohle verkaufte. So habe ich meine erste Million verdient“, beschrieb Achmetow einmal seinen rasanten Aufstieg. Doch es gibt große Zweifel an dieser Geschichte. Von vielen Experten wird Achmetows Vergangenheit eher als „kriminell“ bezeichnet.
Mit seinem Kohlegeschäft, das immer staatlich subventioniert wurde, schaffte es Achmetow zum reichsten Milliardär des Landes zu werden. Doch der militärische Konflikt in seiner Heimatregion hat Spuren hinterlassen. Keinem ist klar, welche Rolle der ehemalige „König des Donbass“ tatsächlich spielt. Wenn er im März 2014 das Angebot angenommen hätte, wie Kolomoiski Gouverneur zu werden, hätte die Situation rund um Donezk heute vielleicht anders aussehen können. Doch Achmetow lehnte ab. Stattdessen hat er den kleineren Partner Sergej Taruta unterstützt, der großen Einfluss in der Hafenstadt Mariupol besaß. Taruta hat seinen Anteil daran, dass Mariupol bis heute ukrainisch ist, mit Präsident Poroschenko konnte er aber nur wenig anfangen und wurde am Ende von diesem gefeuert.
Finanziell muss Achmetow heute auf einiges verzichten. Am härtesten traf es sein Metallunternehmen Metinvest, welches im April Insolvenz anmelden musste. Viele seiner Unternehmen sind momentan von Separatisten besetzt, in der Ukraine steht der Oligarch auch unter Druck. Die Generalstaatsanwaltschaft hat sogar ein Verfahren gegen Achmetow eingeleitet. Ihm wird vorgeworfen, die Separatisten im Donbass finanziell und organisatorisch unterstützt zu haben.
Deswegen ist es auch nicht gerade überraschend, dass sich Achmetow aus der aktiven Politik eher raushält. Der frühere Janukowitsch-Vertraute, der unter anderem den bekannten Fußballverein Schachtar Donezk finanziert, versucht das zu retten, was noch zu retten ist. Außerdem schickt Achmetow humanitäre Hilfe in seine Heimatregion. Seine Rolle wird trotzdem auch im Donbass als umstritten bewertet. Trotz der Tatsache, dass seine Hilfe laut Augenzeugen fast die einzige ist, die tatsächlich bei den Menschen ankommt.
Es gibt noch weitere Personen, die aktiv mitspielen, doch im Grunde genommen geht es vor allem um Rinat Achmetow, Dmytro Firtasch, Ihor Kolomoiski und Petro Poroschenko. Manchmal scheint es sogar, dass die Oligarchen eine viel größere Rolle in der Politik spielen als je zuvor. Dieser Eindruck täuscht wohl, aber die grundsätzlichen Veränderungen, die von den Menschen auf dem Maidan gefordert wurden, bleiben nach wie vor aus. Dafür ist auch die ukrainische Gesellschaft verantwortlich, die Leute wie Kolomoiski weitgehend akzeptiert.
Rostislaw Ischtschenko
С треском провалившееся государство
Dieser Text ist ebenso interessant, wie er lang ist. Aus diesem Grund erscheint er in zwei Teilen; morgen folgt das nächste Stück.
Die ukrainischen Eliten, die bei der Aufteilung des sowjetischen Erbes alles erhielten, was für den Aufbau eines erfolgreichen Staates erforderlich, haben durch ihre eigenen Handlungen das Land an den Rand des Zusammenbruchs gebracht.
Ideale Startbedingungen
Politik und Geschichte sind nicht vorherbestimmt. Das „Projekt Ukraine“, das jetzt seine letzten Tage erlebt, war nicht von Anfang an zum Untergang verurteilt.
Das plötzlich entstandene neue Land hatte die zehntgrösste Wirtschaft der Welt. Auf seinem Gebiet befanden sich 40% der sowjetischen Industrie und 60% der Schwerindustrie. Die gut entwickelte Landwirtschaft konnte nicht nur genug liefern, um die örtlichen Bedürfnisse zu decken, es konnten sogar landwirtschaftliche Produkte exportiert werden. Das Netzwerk aus Eisen und Autobahnen, weitreichenden Pipelines und mehreren Warmwasserhäfen haben die Bedürfnisse des Fernhandels gedeckt, sondern hatten ein fast unbegrenztes Potential für den Transit. Die Bevölkerung der Ukraine umfasste 52 Millionen, und die demografische Dynamik war 1991-92 noch immer positiv. Das Land besass bestens ausgebildete Arbeitskräfte und war ein hochqualifizierter Wissensschaftsstandort. All diese Güter wurden durch eine, eine halbe Million Mann starke, Gruppe der sowjetischen Armee beschützt – der grössten in der UdSSR – ausgerüstet mit den modernsten Waffen, da dort der Punkt der möglichen Hauptoffensive gesehen wurde.
Zum Zeitpunkt ihrer Unabhängigkeit hatte die Ukraine weit mehr, als nötig war, um einen erfolgreichen Staat aufzubauen. Mehr noch, auch die geopolitische Situation war zu ihren Gunsten. Das Land hatte keine mächtigen Feinde, nicht einmal ernsthafte Konkurrenten. Im Gegenteil, 1992 war die ukrainische Führung glücklich, das Fehlen äußerer Bedrohungen zu verkünden. Die Beziehungen mit allen Nachbarn waren freundlich, und die wichtigsten Spieler der Welt wünschten selbst gute Beziehungen mit Kiew. Erinnern wir uns daran, dass 1994-97 das Format G7+ geboren wurde, das nur für Kontakte mit Moskau (G7 + Russland) und Kiew (G7 + Ukraine) genutzt wurde. Das russische Format entwickelte sich jedoch mit der Zeit weiter in die ausgewachsenen G8, während das ukrainische in Raum und Zeit entschwand; aber 1990 waren diese Formate noch gleich.
Es gab ein kleines Problem: die Ukraine hatte nicht genug Energie, um ihre Industrie zu betreiben. Nicht bei allen Sorten, aber zumindest bei Öl und Gas. Trotz eines relativ hohen Niveaus der heimischen Produktion – 4-5 Millionen Tonnen Öl (soviel, wie Rumänien produziert) und 20 Billionen Kubikmetern Gas (mehr als in Aserbeidschan produziert wird) – die Ukraine konnte nur etwa ein Fünftel ihres Bedarfs an Öl und ein Viertel ihres Gasbedarfs selbst decken. Es gab theoretisch die Möglichkeit, die heimische Produktion zu erhöhen, aber sie wurde vernachlässigt. Gleichermaßen wurden die Möglichkeiten vernachlässigt, die Energieabhängigkeit der Industrie zu verringern.
Russland jedenfalls hat traditionell die benötigten Mengen Öl und Gas geliefert. Angesichts dessen, dass 60-80% der russischen Energieexporte in den 1990ern durch ukrainische Pipelines erfolgten, war es nicht schwer, sich auf Handelsbedingungen zum beiderseitigen Vorteil zu einigen. Das war es, was Kutschma tat, als er 2002 ein Zehn-Jahres-Abkommen mit „Gazprom“ über den Gasverkauf zu 50$ für tausend Kubikmeter unterzeichnete. Der Vertrag sollte bis 2012 gelten und beschaffte der ukrainischen Industrie enorme Wettbewerbsvorteile auf dem Weltmarkt, die (angesichts des schnellen Anstiegs der Öl- und Gaspreise) von Jahr zu Jahr zunehmen würden.
Das beträchtliche geopolitische und wirtschaftliche Potential der Ukraine beruhte ebenfals auf der Abhängigkeit ihres Aussenhandels und der Wirksamkeit ihrer Industrie bei den russischen Energieressourven, auf russischen Märkten und bei russischen Kooperationspartnern. 1992-2003 durchlebte Russland die politische Krise, die 1993 begann, die es an den Rand des Bürgerkriegs brachte und eine langfristige Spaltung der Gesellschaft auslöste, zwei Tschetschenienkriege und einen Staatsbankrott im Jahr 1998. Russland, das völlig in seinen inneren Problemen gefangen war, die durch zunehmende geopolitische Konflikte mit seinen euroatlantischen Partnern erschwert wurden, brauchte die minimale politische Loyalität Kiews (Russland bestand auf nicht mehr als Neutralität) und war bereit, dafür mit ernsten wirtschaftlichen Zugeständnissen zu zahlen (und zahlte).
Wenn heute in Moskau von 35 Milliarden Dollar geredet wird, die in die ukrainische Wirtschaft investiert worden seien, so wird dabei nur das Geld berücksichtigt, das gezählt werden kann. Dabei sind sowohl die Geschenke der niedrigen Öl- und Gaspreise als auch die Kreditie zu günstigen Bedingungen und die Investitionen in gemeinsame Projekte mit eingeschlossen. Die Verluste, die Russland durch den der Ukraine lange gewährten Meistvergüngstigungsstatus und andere indirekte Formen der Stützung der ukrainischen Wirtschaft erlitten hat, können nicht einmal theoretisch berechnet werden (Fachleute zitieren eine Summe von 200-300 Milliarden Dollar, aber das ist eine spekulative Schätzung).
Gegen den Trend
Wie kam es dann, dass die Ukraine trotz all dieser Segnungen den Punkt erreicht hat, an dem ein schreckliches Ende besser scheint als ein Schrecken ohne Ende?
Es wurde schon viel über die Käuflichkeit der Eliten gesprochen, die das Land wörtlich ausgeplündert haben. Es stellt sich jedoch die legitime Frage: warum haben 52 Millionen Menschen mit fehlgeleiteter Beharrlichkeit immer wieder genau diese Art Leute an die Macht gebracht? Warum hat, trotz aller Unterschiede zwischen den Führungsstilen der russischen, weißrussischen und kasachischen Eliten, für sie die Formulierung „Staatsinteressen“ eine Bedeutung, während das für die ukrainische Führung im besten Falle etwas völlig Unverständliches ist? Im schlimmsten Falle ist der Bezug auf „Staatsinteressen“ in der Ukraine nichts andres als eine Art, die Bevölkerung zu täuschen. Wie konnten Millionen Menschen glücklich zustimmen, getäuscht, beraubt und um eine Zukunft betrogen zu werden, zum Wohl eines ihnen völlig fremden, bedeutungslosen Symbols – eines Symbols, das nichts mit der sowjetischen Zivilisation gemein hatte, aus der diese Menschen hervorgingen, noch mit der europäischen Zivilisation, der sich anzuschließen sie vermeintlich wünschten, oder, noch wichtiger, mit dem wirklichen Leben?
Meiner Meinung nach liegt die Antwort auf diese Fragen in einem essentiellen und recht offensichtlichen Unterschied zwischen den Prinzipien des Staatsaufbaus, die durch die ukrainische, und jenen, die durch die russische, weißrussische und kasachische Elite angenommen wurden. In den letzteren drei Fällen wurden Bürgerstaaten errichtet. In Weißrussland führen nationalistische Parteien ein elendes, halb marginalisiertes Dasein. Erst in den letzten drei bis vier Jahren begann das offizielle Minsk einen loyalen „Staatsnationalismus“ zu fordern, der sich einerseits vom Nationalismus der Opposition abhebt, und andererseits der weißrussischen Führung eine Grundlage liefern soll, dem überwältigenden russischen Einfluss in der Eurasischen Wirtschaftsunion etwas entgegenzusetzen.
In Kasachstan ist der kasachische Nationalismus relativ stark, aber strukturell nicht definiert (als politische Parteien) und drückt sich vor allem im Alltagsleben und auf der Ebene bürokratischer Gruppen aus. Dennoch gibt es erfahrene Aussagen wie von Nursultan Nasarbajew, der schon in den ersten Tagen der kasachischen Unabhängigkeit den kasachischen Nationalismus als größte Bedrohung der Stabilität, der territorialen Integrität, ja selbst der Existenz des Landes ansah. Ein Konzept eines kasachstanischen Staates – im Gegensatz zu einem kasachischen – wurde eingeführt. Nationalisten mussten sich mit der Dominanz „nationalen Personals“ in Politik und Geschäftswelt zufrieden geben. Diese Dominanz war jedoch nie absolut, und die Rechte anderer Nationalitäten, zuallererst der Russen (der russisch Sprechenden, der russischen Kultur) waren durch das Gesetz geschützt. Was Russland betrifft, jammern die Nationalisten dort noch immer, dass der imperiale Diskurs in der russischen Politik nie durch den nationalen ersetzt wurde. Das heisst, Russland hat sich nicht als Nationalstaat ethnischer Russen entwickelt, sondern als der Staat der russischen Bürger, und in den letzten Jahren – der russischen Welt.
Daher haben Moskau, Minsk und Astana durch den Kompromiss zwischen den Nationen, verbunden mit der Ablehnung nationalistischer Politik innere Stabilität erreicht. Die adequate Innenpolitik ermöglichte eine konstruktive, auf Kompromissen beruhende Außenpolitik. Trotz aller Probleme bewegten sich seit Mitte der 1990er Russland, Weißrussland und Kasachstan auf eine Reintegration des postsowjetischen Raums zu, beruhend auf neuen politischen, wirtschaftlichen und ideologischen Realitäten.
Seit dem ersten Tag seines Bestehens wurde der ukrainische Staat als der Staat der „Titularnation“ errichtet. Der nationalen Entwicklung wurde Vorrang gegeben, und die Worte, die Graf Cavour zugeschrieben werden – „Wir haben Italien geschaffen, jetzt müssen wir Italiener schaffen“ – wurden von den ukrainischen Nationalisten umgeschrieben in „Wir haben die Ukraine geschaffen, jetzt müssen wir Ukrainer schaffen“. Statt einer Idee der Gleichheit der Bürger wurde das Konzept der „positiven Diskriminierung“ eingeführt, wobei Jahrhunderte der „Unterdrückung“ ins Feld geführt wurden, um die Notwendigkeit zu begründen, alles „Ukrainische“ zu bevorzugen.
Die Einheit post-sowjetischer Bürokraten und Nationalisten
Von den ersten Tagen des Staatsaufbaus der Ukraine an fanden sich die ukrainischen Nationalisten in starkter kognitiver Dissonanz, als die Ziele, die sie erklärten, in scharfem Gegensatz zu den wirklichen Zielen und den zu ihrer Erreichung genutzten Mitteln standen. Einfach gesagt, sie logen schlicht, im vollen Wissen, dass sie, hätten sie die Wahrheit über ihre Ziele gesagt, nicht nur nie die Macht hätten erlangen können, sondern es ihnen schwer gefallen wäre, überhaupt in der Politik zu bleiben. Die Menschen in der Ukraine hätten sich das nicht bieten lassen. Vom Anfang bis Mitte der 1990er blieb das hohe Niveau politischer Aktivität nach der „Perestroika“ in der ukrainischen Bevölkerung erhalten und sie hatte sich noch nicht in eine einfach zu führende Masse verwandelt, wie es zu Beginn der 2000er der Fall war.
Es sollte angemerkt werden, dass die Hardcore-Nationalisten, die eine solche Position selbst vor dem Ende des Sowjetsystems vertreten hatten, die Nationalisten, die das Recht hatten, zu erklären, sie hätten tatsächlich für die ukrainische Unabhängigkeit gekämpft, die winzigste Minderheit in der ukrainischen Politik der 1990er darstellten. Stepan Khmara, Levko Lukyanenko, Vyachelsav Chornovol und die Brüder Gorin – das waren mehr oder weniger alle ihre bekannten Führer. Organisationen wie die Ukrainische Nationalversammlung (UNA) und die Ukrainische Volksselbstverteidigung (UPSD) waren marginal und hatten wenige Mitglieder. „Die Volksbewegung der Ukraine für die Perestroika“ stellte sich, selbst nach ihrer Umformung in die „Volksbewegung der Ukraine“ als eine breite demokratische Bewegung dar (wenn auch mit nationalistischem Beigeschmack). Vor der Definition der Parteistruktur war das ein amorpher politischer Körper, in dem radikale Nationalisten mit ehemaligen kommunistischen Opportunisten (wie Yavirivskiy und Pavlichko) verkehrten, wie auch mit der liberalen Intelligentia.
Die Wählerschaft war nicht sonderlich interessiert an Nationalisten, die üblicherweise 20-25% der Stimmen erhielten (im Landesdurchschnitt). Die nationalistischen Kräfte hatten wirkliche politische Unterstützung nur in den drei Regionen Galiziens (Lwow, Ternopol und Ivano-Frankisk). In allen anderen Regionen selbst in der Westukraine hatten sie immer weniger als 50% der Stimmen, und in den Gebieten Noworossijas – nicht mehr als 5-10%. Unter diesen Bedingungen hätten die Nationalisten entweder in ewiger Opposition verharren müssen, oder sich einen starken Verbündeten suchen. Und sie fanden einen solchen Verbündeten.
Die ehemaligen Führer der Partei und des sowjetischen Staates, die ihrer Vergangenheit abschworen, um ihre Stellungen zu halten, waren zu der Zeit auf der Suche nach einer Ideologie, die ihr Recht, an der Macht zu bleiben, stützen könnte. Sie hatten der kommunistischen Ideologie bereits abgeschworen und fürchteten die Rhetorik der Reintegration. Sie glaubten, eine Rekonstruktion eines vereinten Staates würde die Moskauer Kontrolle über die Provinzeliten wiederherstellen und damit ihre Fähigkeit, den auf dem Gebiet der Ukraine befindlichen Besitz, den der Sowjetunion eingeschlossen, zu kontrollieren, beträchtlich einschränken. Auf gewisse Weise fiel die Ukraine dem Reichtum des sowjetischen Erbes zum Opfer. Es schien unerschöpflich, und die ukrainische Elite war begierig darauf bedacht, es gegen die ehemaligen Kollegen zu schützen, die weniger erhalten hatten. Jede Intiative in Richtung auf eine Reintegration wurde nicht als ein Versuch gesehen, zum beiderseitigen Vorteil eine Zusammenarbeit sich ergänzender Ökonomien zu organisieren, sondern als ein Zusammenstoß mit den Eliten der Nachbarrepubliken, die den Ukrainischen Teil des Besitzes neideten.
Hier fielen die Interessen der ukrainischen ex-kommunistischen ex-Parteiführer und der ukrainischen Nationalisten in eins. Die Nationalisten wollten in einem russischen Land, was die Ukraine in den frühen 1990ern war, einen nicht-russischen Staat errichten (zu der Zeit war er noch nicht als anti-russischer geplant). Die ehemalige Elite der kommunistischen Partei wollte ihren eigenen Staat, um ihr Recht, den von der UdSSR ererbten Besitz zu plündern, abzusichern. Da alle Prozesse einer post-sowjetischen Integration kein anderes Zentrum haben konnten als Moskau (als traditionelles politisches Zentrum, Bindeglied zwischen den europäischen und den asiatischen Republiken und Eigner unbegrenzter natürlicher Ressourcen), wurde Russland objektiv zum Gegner sowohl der Nationalisten als auch der Staatsbürokraten. Daher die Popularität des Mythos über den jahrhundertelangen Freiheitskampf der ewig unterdrückten Nation (offensichtlich gegen Russland). Das war auch der Ursprung des Mythos über die Integration in die EU als Hauptentwicklungsroute der Ukraine. Die ukrainischen Politiker machten sich gar keine Gedanken, wie realistisch ihre Projekte einer EU-Mitgliedschaft waren; das wichtigste Ziel war, die Weigerung, an Projekten zur Integration des post-sowjetischen Raums teilzunehmen, durch den Hinweis einer anderen Richtung zu legitimieren.
Die Verbindung von Bürokraten und Nationalisten hat es geschafft, die einflussreiche Linke (Sozialisten und Kommunisten) zur Seite zu schieben. Interne Karrierestreitigkeiten zwischen den Führern der kommunistischen und sozialistischen Parteien trugen dazu bei. Die faktische Kontrolle der Bürokraten über den Staatsapparat war ebenso bedeutend, wie auch eine gewisse Enttäuschung der Bevölkerung, was die linke Ideologie angeht (die Sowjetunion war gerade zerfallen). Im Ergebnis erlangten die Bürokraten die Kontrolle über Wirtschaft und Finanzen wie auch die Gelegenheit, sich ungehindert zu bereichern, während die Nationalisten die Sphäre der Ideologie und der Kultur übernahmen (Kultur, Wissenschaft, Bildung).
Nationalistisch-oligarchische Symbiose
Während dieser zwanzig Jahre wurde nicht nur zwei Generationen von Schülern und Studenten eine Gehirnwäsche verpasst, die nazi-nationalistische Ideologie wurde in allen Gebieten absorbiert, wo irgend eine Form von Bildungsprozess stattfand, die Armee, die Strukturen des Innenministeriums, den Sicherheitsdienst der Ukraine, jegliche militärische oder Polizeikräfte eingeschlossen.
Anfänglich wurde der ukrainische Nationalismus in einer sanften Version präsentiert. Genauer, bis in die frühen 90er haben Nationalisten die zweifelhafte Natur der Praktiken der Ukrainischen Aufstandsarmee Banderas (UPA) anerkannt, und sie von der rein politischen Organisation der ukrainischen Nationalisten (OUN) unterschieden. Sie haben sogar die Tätigkeit solcher Formationen ukrainischer Nationalisten wie der Batallione „Roland“, „Nachtigall“, der Divsion „Galizien“ und der Schutzmannschaftsbatallione öffentlich verurteilt. Zu jener Zeit war es nicht nur undenkbar, Bandera und Schuchewitsch zu Helden der Ukraine zu erklären, sondern schon zu irgendwie positiven politischen Gestalten.
Aber mit dem Auftauchen neuer Generationen in der politischen Arena begann die Betonung sich zu verlagern. Dabei half das Verhalten Russlands, das im Grunde, mit seinen inneren Problemen beschäftigt, das Ringen um den Informationsraum der Ukraine aufgab. Mitte der 1990er wurden die russischen TV-Kanäle aus der Ukraine gedrängt und Ende der 1990er/Anfang der 2000er geschah das Selbe mit der russischen Presse. Die ukrainische Propagandamaschine, die nicht wirklich effektiv war und der die intellektuelle Komponente völlig abging, war unter den Bedingungen des Informationsmonopols ziemlich wirkungsvoll. Natürlich konnte jeder, der interessiert genug war, leicht an alternative Informationen kommen, aber die Mehrheit der Bevölkerung erhält ihre politischen Nachrichten immer aus den am leichtesten erreichbaren Quellen.
Als die soziale Atmosphäre sich änderte, wurde der ukrainische Nationalismus immer radikaler und verwandelte sich langsam in offenen Nazismus. Institutionalisierte „zivilisierte“ Nationalisten aus den frühen 2000ern (noch vor Juschtschenko) hörten auf, Abscheu vor nationalistischen Militanten zu zeigen. Sie fanden schnell Rechtfertigung für den Radikalismus der Nationalisten. Es scheit, dass die Nationalisten Nazis sind, weil sie durch die Erhaltung der sowjetischen Symbole beleidigt werden, dadurch, dass die Mehrheit der Bevölkerung den 9. Mai feiert, russisch spricht und nicht in Eile ist, die mörderischen Anhänger Banderas zu Helden zu erklären, die bis in jene Tage nur Dank des Stalinschen Humanismus überlebten.
Zu einem bestimmten Moment erzeugte die Bürokratie, die eifrig darauf bedacht war, die soziale Basis der Linken durch Privatisierung zu zerstören (ein gleichartiger Prozess fand in Russland statt), die Oligarchie. Nun waren es nicht Bürokraten, die irgend jemanden dazu ernannten, Millionär zu werden, sondern die Milliardäre, die ganze Parlamentsfraktionen, Minister, Premiers und Präsidenten kauften. Der bürokratisch-nationalistische Konsens wurde durch den oligarchisch-nationalistischen ersetzt. Zu der Zeit erschien die Lage in der Ukraine dem Westen (vor allem den USA) reif für aktive Einflussnahme. Möglicherweise hätte der Westen, hätten sich die ukrainischen Eliten nicht von sich aus für den anti-russischen Kurs entschieden, es nicht gewagt, sich direkt einzumischen und Zwang auszuüben. So jedoch wollte sich die Ukraine von Russland trennen, in sich selbst alles russische zu lange auslöschen; nährte zu sorgsam das Allerrussophobischste, die dunkelsten Kräfte, als das das übersehen und nicht genutzt werden könnte.
Zusätzlich konzentrierte sich Russland seit Anfang der 2000er mit dem neuen Präsidenten mehr und mehr auf seine nationalen Interessen und weniger auf „universelle“ Werte. Diese Politik brachte Russland auf Kollisionskurs mit den Interessen der USA, und die anti-russische Ukraine erschien Washington ein wirkungsvolles Mittel, um Russland einzugrenzen. Es ist nicht wirklich überraschend, dass die USA dabei auf die Kräfte setzten, die für den oligarchisch-nationalistischen Konsens standen und die ukrainische Politik völlig kontrollierten (unabhängig von der formellen Konkurrenz oder gar Feindseligkeit zwischen den Parteien), insbesondere angesichts der Tatsache, dass diese Kräfte nicht nur aus ideologischen Gründen russophob waren, sondern ebenso in Folge ihrer praktischen Interessen
Die Ukraine wurde zum Hauptschauplatz für die USA
Wir können nicht sagen, dass die USA der Lage in der Ukraine in den 1990ern nicht gefolgt ist und keine loyale Gruppe von Politikern, Bürokraten und Personen des öffentlichen Lebens versammelt haben. Das war ein normales Vorgehen „nur für den Fall“ (jeder Nachrichtendienst nutzt immer jede Gelegenheit, wertvolle Aktivposten in Ländern in strategisch wichtiger Lage zu erwerben, vor allem, wenn sie nicht viel kosten). Aber in den 1990ern dankten die USA für die Bereitwilligkeit Russlands unter Jelzin, in den meisten Fragen im Schlepptau der amerikanischen Politik zu bleiben, mit einer gewissen Anerkennung Moskauer Kontrolle über den post-sowjetischen Raum als lebenswichtige russische Einflusssphäre und versuchten, ihre Einmischung in die inneren Angelegenheiten der post-sowjetischen Länder nicht zu betonen.
Ab Anfang der 2000er wurde die russische Außenpolitik zunehmend unabhängiger. Natürlich blieben viele Politiker mit Verbindungen nach Washington an der Macht, aber der Einfluss der proamerikanischen Lobby war nicht länger entscheidend und die Dynamik und Richtung der Veränderung liess wenig Zweifel daran, dass die neuen russischen politischen Eliten einem Kurs der Wiederherstellung der Unahbhängigkeit in der Außen- und Innenpolitik folgten. Putin war bereit, ein Freund und Verbündeter der USA zu bleiben, aber auf Augenhöhe und nicht als Vasall.
Das war der richtige Zeitpunkt, um die antirussischen Aktivposten in den post-sowjetischen Ländern zu nutzen. Fast alle erfolgreichen oder gescheiterten „Farbrevolutionen“ in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) ereigneten sich zwischen 2003 und 2008 (von der „Rosenrevolution“ in Georgien bis zum Krieg am 8.8.08). Das Ziel dieser Staatsstreiche war nicht einfach, Russland von der post-sowjetischen Region abzuschneiden, sondern, eine Kette feindlicher Staaten entlang seiner westlichen und südlichen Grenzen zu schaffen (bis hin zur Grenze mit der Mongolei und China). Im Ergebnis wären die Möglichkeiten Russlands, eine unabhängige Aussen- und Wirtschaftspolitik zu verfolgen, blockiert, die Ressourcen wären durch die feindselige Umgebung aus ehemaligen Sowjetrepubliken gebunden worden. Der Ruf der russischen Regierung im Innern wie im Äusseren wäre beständig durch immer neue Provokationen untergraben worden (wie jene, die Saakaschwili im Übermaß lieferte). Gleichzeitig hätte Moskau seine Fähigkeit, auf solche Provokationen zu reagieren, eingeschränkt, weil jeder entscheidende Zug einen offenen Krieg mit einem Block post-sowjetischer Staaten ausgelöst hätte (Juschtschenko hat versucht, die Ukraine in den russisch-georgischen Konflikt hineinzuziehen, aber nach diesem Plan hätte es 10-11 solcher Georgien und Ukrainen geben sollen). Russland hätte daher gegen einen Länderblock vom Baikal bis zum Baltikum gestanden. Die USA hätten das als einen Krieg ehemaliger Kolonien gegen russischen Neokolonialismus deuten könne, und auf Russland die UN-Deklaration über die Gewährung der Unabhängigkeit an koloniale Länder und Völker vom 14. Dezember 1960 (nebenbei, von der Vollversammlung auf Initiative der UdSSR angenommen) und alle anderen Resolution zu diesem Thema anwenden können.
Russland sind die Schläge 2003 in Georgien und 2004 in der Ukraine entgangen. Die weitere Verbreitung der „Farbinfektion“ konnte Moskau verhindern (die Staatsstreiche haben sich nicht über Bischkek hinaus bewegt, aber selbst in Kirgistan folgte auf die „Revolution“ die gleiche „Farb-Konterrevolution“).
Im Fünftagekrieg im August 2008 startete Russland die geopolitische Offensive. Ab diesem Augenblick wurde alle Macht Washingtons eingesetzt, nicht um Moskau zu marginalisieren, um es daran zu hindern, ein geopolitischer Herausforderer zu werden, sondern um den bereits etablierten geopolitischen Rivalen zu zerstören. Russische Bemühungen brachten einen (wenn auch zerbrechlichen und instabilen) Frieden nach Zentralasien und blockierten die amerikanischen Interessen im Kaukasus. Letzteres war überwiegend zwei Faktoren geschuldet: dass Kadyrow es auf sich nahm, selbst die Lage im Nordkaukasus zu stabilisieren, und dass das pro-amerikanische Regime von Saakaschwili sich durch die Niederlage im Krieg gründlich diskreditierte (die Politiker, die auf Saakaschwili folgten, sind zwar Russland nicht freundlicher gesonnen, aber vernünftiger, was eine Gelegenheit schuf, die Beziehung zu stabilisieren). All diese Faktoren machten die Ukraine Ende 2010 zum entscheidenden Land im post-sowjetischen Raum für die USA.
Rostislaw Ischtschenko
С треском провалившееся государство
Der zweite Teil des langen Textes. Manchmal wünscht man sich beim Übersetzen solcher Brocken ganz kindlich ein paar Bilder im Text…
Die Marionette verhandelt mit dem Marionettenspieler
Zu dieser Zeit glaubte der oligarchisch-nationalistische Block, Russland sollte als die Quelle aller möglichen wirtschaftlichen Vorzüge behandelt, die Politik aber auf den Westen ausgerichtet werden. 2010 war die „orange“ Maidan-Mannschaft völlig diskreditiert und hatte keinerlei relevante Unterstützung in der Öffentlichkeit. Mehr noch, die Mannschaft hatte ihre völlige Unfähigkeit bewiesen, einen akuten Konflikt mit Russland auszulösen (wie den georgischen), der die russischen Ressourcen in ukrainischer Richtung gebunden und es damit daran gehindert hätte, sich in die globalen Fragen einzumischen.
Aus diesem Grund widersetzten sich die USA der Wahl Janukowitschs zum Präsidenten 2010 nicht. Washington wusste, dass Janukowitsch versuchen würde, zur Politik im Stile Kutschmas zurückzukehren, die in viele Richtungen zielte und voraussetzte, durch Nutzung russischer Ressourcen die Integration in die EU zu finanzieren. Anfang der 2000er war eine solche Politik den USA nicht mehr genehm, und das löste den Staatsstreich 2004 aus. Damals brauchte Washington keine Verbündeten mehr (gleich, wie loyal und abhängig), sondern Ausführende bereits getroffener Entscheidungen. Aber 2010 hatte sich die Lage geändert: die USA wurden durch die allgemeine Schwächung ihrer geopolitischen Position wie durch die zunehmenden Probleme der amerikanischen Wirtschaft dazu gedrängt, den ukrainischen Ansatz in mehrere Richtungen zu stützen. Die USA hatten kein Geld mehr, um ihre Verbündeten zu unterstützen. Jetzt wurde von den stimmlosen Vasallen erwartet, die amerikanische Politik aus der eigenen Tasche zu finanzieren.
In der Lage des Jahres 2010 war Janukowitsch der einzige den USA genehme Präsidentschaftskandidat. Das Team Juschtschenko (das die heutigen „Helden“ Jatsenjuk und Poroschenko mit einschloss) war völlig diskreditiert, und es würde Zeit brauchen, um sein Image aufzupolieren. Tomoschenko hatte sich den Ruf erworben, unvorhersehbar zu sein und dazu zu neigen, ständig ihre Partner zu betrügen. Der einzige Schmutz, mit dem die USA sie (in Zusammenarbeit mit Lasarenko) bewerfen konnten, war in den ukrainischen Medien bereits verwendet worden, mit geringer Wirkung. Janukowitsch hingegen war nicht nur unter Kontrolle amerikanischer Agenten (der Gruppe Lewotschkin-Firtasch), sondern wollte die Ukraine ernsthaft durch die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens „in die EU integrieren“. Offensichtilich entschied Viktor Feodoriwitsch, all jenen, die ihn 2004 abgesetzt hatten, zu beweisen, dass er der einzige sei, der die „Ukraine vereinigen“ könnte, indem er den Osten und den Westen aussöhnt. Tatsächlich bedeutete das die Verleugnung seiner Wahlversprechen und den Anfang der pro-westlichen Politik.
Es wurde von Janukowitsch erwartet, das Assoziierungsabkommen zu unterzeichnen, das die ukrainische Industrie zerstören würde, sich selbst völlig zu diskreditieren, alles Negative auf seine Person zu lenken und dann 2015 die Wahlen gegen den amerikanischen Schützling zu verlieren. Um sicherzustellen, dass diesem Szenario gefolgt wird (falls Janukowitsch sich weigern sollte, friedlich zu gehen), wurde für 2015 ein weiterer Maidan vorbereitet.
Janukowitsch war naiv genug, zu glauben, dass er, wenn er dem Westen nur die gesamte Ukraine überreichen würde, 2015 wiedergewählt werden dürfte. Mit diesem Ziel unterstützten und finanzierten er und seine Umgebung aktiv Naziorganisationen (nicht nur „Freiheit“, sondern auch die „ukrainischen Patrioten“, UIA-OUN und andere). Der „Zorn auf den Faschismus“ sollte die antifaschistischen Stimmen aus dem Südosten um Janukowitsch vereinen. Für die moderaten Nationalisten und die „Eurointegratoren“ sollte das unterzeichnete Assoziierungsabkommen mit der EU als Anreiz dienen. Schließlich war es, um die Loyalität der Bevölkerungsmehrheit, besonders jener, die sich ausschließlich um ihren wirtschaftlichen Wohlstand kümmerten, zu sichern, geplant, unter dem Vorwand der Assoziierung einen Kredit in Höhe von 15-20 Milliarden von der EU zu erhalten, was nach Asarows Berechnungen ausreichen würde, um den Lebensstandard bis zu den Wahlen 2015 aufrechtzuerhalten oder sogar zu verbessern.
Janukowitschs Plan war logisch vollkommen. Die EU, die ihre Hände auf die Ukraine legen konnten – ein Anlagegut im Wert von Billionen – sollte dafür ihre Börse für blosse 20 Milliarden öffnen. Janukowitsch und Asarow dachten, dass Brüssel, wenn Griechenland von ihm 200 Milliarden erhielte, 20 Milliarden für die Ukraine finden könnte.
Die USA aber, das war das Problem, wollten Janukowitsch nicht an der Macht behalten, der die Interessen der nationalen Industrie vertrat, und diese Interessen würden früher oder später mit den abstrakten, aber unprofitablen „europäischen Werten“ kollidieren. Er sollte durch einen völlig gezähmten Kompradoren ersetzt werden, und die nationalen ukrainischen Unternehmen sollten aussterben, um durch die europäischen ersetzt zu werden.
Maidan an Stelle des goldenen Schlüssels
Als Ergebnis der fünfjährigen Operation hätten die USA Anfang 201 5 in der Ukraine ein völlig zahmes und legitimes russophobisches Regime etabliert. Die EU hätte die Freihandelszone mit der Ukraine gehabt, die zuerst, nach dem Dahinscheiden der ukrainischen Industrie, ihr den 45 Millionen Kunden starken ukrainischen Markt verschafft hätte (wenn auch mit sinkender Kaufkraft, aber immer noch im Stande, eine Zeit zu halten), dann aber, wichtiger noch, durch die Freihandelszone innerhalb der CIS den Zugang zu den Märkten aller CIS-Länder, insbesondere den Russlands. Das hätte die Verluste der Europäer aus dem geplanten Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU minimiert, das zum Nachteil der EU war. Europa hoffte, die Verluste aus der Freihandelszone mit den USA auf Kosten Russlands und der CIS zu kompensieren.
Offensichtlich scherten sich die USA nicht um die Kompensation europäischer finanzieller und wirtschaftlicher Verluste, sondern um ihre eigenen geopolitischen Interessen. Wichtiger noch, das Freihandelsabkommen fungierte als „Wurmloch“ direkt von den USA in die CIS und machte die Zollunion wertlos und negierte alle Integrationspläne Russlands in Eurasien. Mit einem Schlag hätten die USA ihre politische und wirtschaftliche Vorherrschaft in der Welt wieder hergestellt, und der gefährlichste amerikanische Rivale – Russland – sollte dafür bezahlen.
Das war ein ziemlich eleganter Plan, und ich kann mir vorstellen, wie irre die Politiker Washingtons wurden, als dieser Büffel Janukowitsch schließlich begriff, dass er nie europäische Milliarden zu Gesicht bekäme, um die soziale Stabilität zu stützen, und plötzlich, nur drei Monate vor der Unterzeichnung des Abkommens, das Ereignis hinausschob. Janukowitsch dachte, er könne handeln, das Geld bekommen und dann unterzeichnen. Um die EU gewogener zu stimmen, ging er nach Moskau, nach der alten ukrainische Tradition, wo ihm die ersehnten Milliarden unter deutlich besseren Bedingungen versprochen wurden. Putin versuchte im letzten Moment, die ukrainische Karte, die ihm gegeben wurde, auszuspielen, daher wurden die Entscheidungen schneller getroffen und das große Geld freier ausgehändigt.
Im Gegensatz zu Janukowitsch wussten die Leute in Washington sehr gut, was das Fenster der Möglichkeiten war. Alle verbundenen Elemente – von der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens über den Maidan 2015 bis hin zum Freihandelsabkommen zwischen EU und USA – waren Teil eines rigiden Schemas und zeitlich koordiniert. Wurde ein einziger Baustein herausgezogen, brach das ganze Gebäude zusammen. Das Ergebnis dessen war, dass Janukowitsch seinen Maidan bereits Ende 2013 erhielt.
Wer den Bürgerkrieg auslöste
Wir müssen dafür jedoch nicht so sehr den USA als Lewotschkin danken. Er und Firtasch haben ihre Geschäfte in dem Assoziierungsabkommen vorausschauend geschützt, das unter dem aufmerksamen Blick des Stabschefs des Präsidenten der Ukraine erstellt wurde – was ebenjener Lewotschkin war.
Daher würden, wenn es mit der Wirtschaft des Landes nach der Unterzeichnung wie erwartet abwärts ginge, die meisten Oligarchen ärmer werden, während die Gruppe Lewotschkin-Firtasch reicher würde. Die Weigerung, das Assoziierungsabkommen zu unterzeichnen, beendete das finanzielle und politische Wohlergehen dieser Gruppe. Lewotschkin, der seine Tätigkeit schon lange mit der US-Botschaft abstimmte und in die Vorbereitungen des Maidan involviert war, entschloss sich, diesen Mechanismus zu nutzen, um Druck auf Janukowitsch auszuüben und ihn zur Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens zu zwingen. Er initiierte den Studenten-Maidan, und sorgte, als dieser auf Janukowitsch keinen rechten Eindruck machte, für die Provokation, die Studenten zusammenzuschlagen, wonach der Maidan aufhörte, friedlich zu sein.
Danach hatte Janukowitsch nur zwei bis drei Wochen, um den Maidan aufzulösen, ehe seine Macht begann, von innen zu zerfallen, ehe seine nominell loyalen Minister und Generäle anfingen, Verhandlungen mit der Opposition über einen Seitenwechsel zu führen, ehe der Westen aktiv intervenierte. Janukowitsch, der sich der Stärke seiner Stellung und der Bedeutungslosigkeit des Maidan zu sicher war, nahm lange Verhandlungen mit der Opposition auf und versuchte, den Maidan durch vorübergehende Zugeständnisse zum Verschwinden zu bringen. Sobald seine Schwäche offenkundig wurde, trat der Westen in das Spiel ein. Das Regime war dem Untergang geweiht.
Janukowitsch, der aus dem vorhergehenden Maidan gelernt hatte, war bereit, sich zu verteidigen. Er wollte den Maidan hinter Polizeiabsperrungen schlicht aussitzen. Die Idee war folgende: wenn sie in einem halben Jahr nicht gehen, dann doch nach einem Jahr; früher oder später geben sie auf. Und dann wurde offenbar, dass die ukrainische Polizei, im Gegensatz zur Armee, professionell und gut ausgebildet war, und ein friedlicher Maidan keine Chance hätte, die Regierung zu stürzen. Nur ein Militärputsch hätte diese Chance.
In dem Moment, als die ukrainische Opposition und die USA den Pfad eines Militärputsches wählten und die EU dieser Entscheidung zustimmte, war das Schicksal der Ukraine besiegelt. Wenn es bis dahin, trotz Jahrzehnten eines kalten Bürgerkriegs zwischen der russischen und der galizischen Ukraine, immer noch Möglichkeiten für eine friedliche, auf Kompromissen beruhende Lösung des inneren Konflikts gegeben hätte, wurde jetzt, mit dem heißen Bürgerkrieg, der Zusammenbruch des Landes unvermeidbar. Das Problem war, dass die Neonazi-Aktivisten im Putsch die Schlüsselrolle spielen sollten, da die Opposition sonst keine weitere organisierte Kraft besaß. Wenn diese Militanten jedoch Waffen erhielten (um den Putsch durchführen zu können), und die angemessene Reaktion der Strafverfolgungsbehörden blockiert wird, dann werden diese Militanten tatsächlich die Herren des Landes.
Die Strafverfolgungsbehörden, die von den Politikern verraten wurden, verfielen rasch; wirkliche Fachleute gingen, Neonazis kamen dazu, Opportunisten, die bereit sind, jeder Macht zu dienen, blieben. Die Nazis fanden sich in der günstigen Position, nicht nur ihre Zahlen und ihre Versorgung mit Waffen schnell zu steigern, sondern ebenso, eine wirkungsvolle Kontrolle über die Strafverfolgungsbehörden zu errichten.
All das war eine klare und gegenwärtige Bedrohung für die russische Bevölkerung der Ukraine. Sie war weniger organisiert, besass keine militärischen Einheiten, hatte fast keine Waffen, aber unter den Bedingungen des drohenden Naziterrors wurden diese Probleme rasch gelöst. 25 Millionen Antifaschisten konnten nicht aus der Ukraine fliehen. Noch konnten sie den Sieg des zweiten Maidan akzeptieren, wie sie den des ersten akzeptiert hatten. Der erste Maidan trampelte auf ihrer Wahl herum, auf der Verfassung und dem Gesetz. Der zweite bedrohte ihr Leben.
In einer militärischen Konfrontation der zwei fast gleichen Teile der Ukraine, die jeweils von den USA und Russland unterstützt wurden, war ein Sieg einer Seite schwierig und der Krieg möglicherweise endlos. So könnte es sich leicht entwickelt haben, und Moskau hätte sich für viele Jahre im ukrainischen Konflikt gefangen gefunden, aber zur Zeit des Putsches waren die inneren wirtschaftlichen Ressourcen, die das Funktionieren des ukrainischen Staates stützen, fast erschöpft. Um die Ukraine aus der Krise zu ziehen, brauchte es Kredite von vielen Milliarden wie auch langfristige Investitionsprojekte und aufnahmebereite Märkte für ukrainische Waren. Russland war bereit, Janukowitsch all dies zu bieten, aber hatte keine Absicht, den Nazis irgend etwas zu bieten (und könnte es nicht, selbst wenn es wollte).
Sofort wurde offensichtlich, dass weder die EU noch die USA beabsichtigen, die Ukraine zu finanzieren. Der Ausbruch des Bürgerkriegs kam Washington gerade recht: es war nicht nötig, irgendwelches Geld auszugeben, aber sowohl Moskau als auch Brüssel hätten sicher Probleme, und die Möglichkeit einer für die USA gefährlichen Allianz zwischen der EU und der Eurasischen Union wäre blockiert. Die EU selbst hat es während der gesamten Krise nicht geschafft, aus dem Schatten der USA hervorzutreten und ihre eigenen, nicht die amerikanischen, Interessen zu verteidigen.
Mörderischer Streit
Der Mangel an Ressourcen nicht nur für einen längeren Krieg, sondern auch für die gewöhnlichen Funktionen des Staates, hätte den ukrainischen Bürgerkrieg kurz, aber extrem intensiv und blutig machen müssen. Anfänglich entwickelte sich der Konflikt tatsächlich in diese Richtung, bis es Moskau gelang, die Intensität der Kämpfe vorübergehend zu verringern, indem es Kiew in das Minsker Abkommen zwang.
Dennoch löste das Minsker Abkommen die ukrainischen Hauptprobleme nicht, und konnte sie nicht lösen. Daher wurde es von Anfang an von beiden ukrainischen Konfliktparteien als eine Pause gesehen, die genutzt werden sollte, um die eigenen Stellungen zu verstärken und die militärischen Fähigkeiten zu verbessern. Kiew fand sich hier in einer schlechteren Lage als DNR und LNR. Die beiden Republiken hatten Russland zum Hinterland, und ein Teil ihrer relativ kleinen Bevölkerung floh nach Russland, während jene, die blieben, mit russischer humanitärer Hilfe überleben konnten. Die Ukraine andererseits erlitt eine wirtschaftliche Katastrophe, die schnell zur politischen Krise anwuchs. Der sich beschleunigende Absturz des Lebensstandards der Mehrheit, eine steigende Arbeitslosigkeit, die jetzt bei einem Drittel der Arbeitsbevölkerung liegt, ein Mangel an Aussichten, all das untergrub das Vertrauen in die Politiker des Maidan, erzeugte Ablehung und Radikalisierung in der Gesellschaft, die mit einem weiteren Maidan drohte.
Die wirtschaftliche Katastrophe spaltete die Maidan-Elite, die von Anfang an nicht einig war. Die politischen Gruppen werden um die verbleibenden wirtschaftlichen Ressourcen kämpfen müssen, außerdem Personen finden und präsentieren, die für die Niederlagen im Krieg wie für die Zerstörung der Wirtschaft verantwortlich sind, und das macht jegliche Übereinkunft zwischen ihnen unmöglich. Wenn man berücksichtigt, dass jede politische Gruppe in der Ukraine bereits ihre eigenen militärischen Einheiten besitzt (vor allem Freiwilligenbatallione), deren einzige politische Erfahrung in der Teilnahme am Militärputsch gegen Janukowitsch und am Bürgerkrieg besteht, ist es gewiss, dass sie diesen mörderischen Konflikt innerhalb des Maidan mit Waffengewalt lösen werden.
Die fatale Unvermeidlichkeit der Selbstauflösung
Der Bürgerkrieg in der Ukraine nimmt mehrere Gestalten an, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis er sich intensiviert. Die Ukraine ist auf sich gestellt außerstande, diesem fatalen Trichter zu entfliehen. Die Nazis werden nicht zulassen, dass die Regierung einen Kompromiss mit Noworossija erreicht. Noworossija wird nicht schweigend mit einer Naziregierung leben. Es gibt keine Ressourcen, die sozialen Probleme zu mildern. Die ukrainische Führung ist unzulänglich, und versteht kaum, was in Wirklichkeit in den Überresten der ukrainischen Wirtschaft geschieht und wer die Politik des Landes bestimmt und wie. Ein Versuch, den Konflikt intern zu lösen, würde in Folge des relativen Gleichstands der beiden Seiten, so viele Todesopfer fordern, dass die Nachbarn nicht unbeteiligt bleiben könnten, schon allein, weil Millionen Flüchtlinge über ihre Grenzen strömen würden.
Um eine solche Entwicklung des Konflikts nach dem schlechtesten Szenario zu verhindern, braucht es eine externe Macht, die gewillt ist, die Verantwortung für die Entwaffnung der Konfliktparteien und für die finanzielle und wirtschaftliche Unterstützung der Ukraine beim Wiederaufbau ihrer Wirtschaft zu übernehmen. Gegenwärtig gibt es keine Freiwilligen für dieses Wohlfahrtsunternehmen. Wenn man die politische Situation in der Ukraine betrachtet (eine gespaltene, hasserfüllte und bis an die Zähne bewaffnete Gesellschaft) wie auch die wirtschaftlichen Bedingungen, würde der Wohltäter Gefahr laufen, sich beim Schultern der ukrainischen Last zu übernehmen.
Die Unfähigkeit der ukrainischen Elite, ihr irrationaler Glaube in die Bereitschaft des Westens, die Probleme der Ukraine auf seine Kosten zu lösen, bringt den Staat in eine Lage, wo die schnelle Selbstauflösung die logische Weiterentwicklung der jetzigen Situation ist. Im Gegensatz dazu scheint eine Erhaltung und Wiederherstellung der ukrainischen Staatlichkeit, selbst auf vermindertem Gebiet, weniger wahrscheinlich bis unwahrscheinlich. Damit sich diese Option verwirklichen kann, bedürfte es eines Wunders, das alle gerade wirkenden Faktoren verändert. Wenn man es mit dem religiösen Glauben an Wunder betrachtet, scheint das möglich, aber aus der Sicht der politischen Analyse ist diese Wahrscheinlichkeit so gering, dass man sie nicht einmal in Betracht ziehen sollte.
Unmöglich, den Krieg abzusagen
Und das letzte Argument ist womöglich das unangenehmste für Bürger der Ukraine, die noch an die Möglichkeit einer Wiederbelebung ihres Landes glauben. Das land könnte gerettet werden, wenn zumindest einer der globalen Spieler an einer Verlängerung seines Daseins interessiert wäre. Natürlich könnte man, wenn man den Diplomaten und Staatslenkern lauscht, glauben, dass die ganze Welt von nichts anderem träumt als der Wiederbelebung der Ukraine und der Wiederherstellung ihrer territorialen Integrität. Aber wir wissen, Diplomaten gebrauchen Sprache, um ihre Gedanken zu verbergen, und die wahre Position eines Staates wird niemals offen ausgesprochen (andernfalls gäbe es keinen Bedarf, Nachrichtendienste und Spionageabwehr zu unterhalten). Wir können die wahren Ziele und Absichten eines Staates nur an seinen Handlungen erkennen.
Zuerst wurde zwischen August und Dezember 2014 im Donbass eine Armee aufgebaut, um die einzelnen Gruppen der Miliz zu ersetzen. Diese gut ausgebildete und ausgerüstete Armee überschritt deutlich das für die Verteidigung der Stummel der Regionen Donezk und Lugansk, die jetzt von den Streitkräften Noworossijas verteidigt werden, erforderliche Maß. Wir könnten natürlich glauben, dass die Milizionäre Panzer, Gewehre, selbstfahrende Einheiten schwerer Artillerie, Mehrfachraketetenwerfer und andere nette Dinge in der Donezker Steppe gefunden haben. Sie hatten all diese Dinge von April bis August nicht bemerkt, und dann, plötzlich – reiche Ernte: wer jemals Pilze sammeln war, weiss, das sowas passieren kann. Man könnte ebenso glauben, dass Tausende von Ausbildern (von Unteroffizieren bis zu kompletten Regimentshauptquartieren), die nötig sind, um eine wirkungsvolle militärische Struktur zu schaffen, einfach aus unterschiedlichen Ländern kamen, weil sie ihren Herzen folgten (was auf dieser Welt nicht geschieht). Es ist sogar möglich, zu glauben, dass die Waffen, die gefunden wurden, und die Ausbilder, nicht nur in der erforderlichen Zahl, sondern sogar mit der nötigen Spezialisierung kamen. Ersatzteile, Munition und in für die intensiven Kämpfe ausreichender Menge musste immer noch von jemandem geliefert werden.
Die untere Grenze der geschätzten Größe der Streitkräfte Noworossijas sind 35 Tausend Mann (etwa drei Divisionen in der Zeit des Großen Vaterländischen Krieges). Um reguläre militärische Einsätze durchzuführen (und die Zivilbevölkerung zumindest auf einem überlebenssichernden Niveau zu versorgen) sollte der Nachschub hunderte Tonnen täglich betragen. Zum Vergleich: die 6. Armee von Paulus benötigte in Stalingrad zu Beginn der Einkreisung nach den Berechnungen des deutschen Kommandos täglich 600 Tonnen Nachschub, nur um die Kampfbereitschaft zu erhalten. Paulus dachte, die Minimalanforderung seien 800 Tonnen. Zum Zeitpunkt der Umkreisung kommandierte Paulus bis zu 240 Tausend Soldaten (möglicherweise wurden 30 Tausend Rumänen vom deutschen Kommando nicht mitgezählt).
Das beduetet, was auch immer die Patrioten-Alarmisten sagen, in Noworossija wurde in kürzester Zeit eine Armee geschaffen, die deutlich die Erfordernisse zur Verteidigung der kontrollierten Gebiete übersteigt. Eine solche Armee hätte ohne Russlands Hilfe nicht organisiert werden können. Russland neigt offensichtlich nicht dazu Geld und Ressourcen (die nicht unbeschränkt vorhanden sind) ohne gute und ausreichende Gründe einzusetzen. Wenn eine Armee gebildet wird, die angreifen kann, dann heisst das, sie wird angreifen.
Zweitens, wenn Russland und die Russland gewogenen Medien bei jeder Gelegenheit wiederholen, wie vertrauenswürdig Poroschenko ist, und wie er jederzeit eine föderalisierte, nazifreie Ukraine errichten könnte, dann scheint es, zieht man die augenblickliche Lage in der Ukraine in Betracht, wo der Neonazi und Kollege an der Macht Poroschenko regelmäßig Verrat vorwirft, dass Petr Alekseevich zur Schlachtbank geführt wird, während Russland seine Gegner bereitwillig mit Gründen für den Putsch versorgt.
Drittens, wenn die OSZE, die EU und dieUS-amerikanischen Satelliten alle dabei scheitern, russische Soldaten in der Ukraine oder irgend etwas anderes als humanitäre Konvois beim Überqueren der Grenze zu sehen (was in Kiew mehrfach hysterische Anfälle auslöste), dann, weil sie nichts sehen wollen. Schließlich sehen die Amerikaner oder Europäer, wenn sie etwas wahrneben wollen, sogar Dinge, die gar nicht da sind, wie Massenzerstörungswaffen im Irak, ein Referendum im Kosovo oder einen russischen Fehler bei der Katastrophe des malaysischen Flugzeugs bei Donezk. In anderen Worten, im Wissen, dass die Armee, die in Noworossija organisiert wurde, viel stärker ist als jene, die die ukrainische Armee im August geschlagen hat, und dass diese Armee früher oder später eine Offensive beginnen wird, übergehen die EU und die USA völlig die Möglichkeit, Russland die Bewaffnung einer Seite des Konflikts vorzuwerfen. Mehr noch, unsere westlichen „Partner“ bieten Moskau, indem sie entscheiden, der Ukraine militärische Hilfe zu leisten (Waffen eingeschlossen), die Gelegenheit, seine eigene Teilnahme durch die Bewaffnung Noworossijas zu legalisieren.
Viertens, die USA treiben Kiew zur Eskalation des bewaffneten Konflikts im vollen Wissen, dass jede mehr oder weniger ernste Kiewer Offensive von Noworossija genutzt würde, um der ukrainischen Armee eine weitere katastrophale Niederlage zuzufügen. Washington versteht ebenso, dass die nächste Katastrophe die letzte sein dürfte – selbst wenn die Zahl der Milizen nicht ausreicht, um das ganze Gebiet der Ukraine auf einmal zu besetzen, würde ein Putsch in Kiew und eine darauf folgende völlige Anarchie auf den nicht von den Milizen Noworossijas kontrollierten Gebieten unvermeidlich. In jedem Fall gäbe es keine Ukraine mehr (weder geeint noch geteilt).
In anderen Worten, jeder bereitet sich auf den Krieg vor, in vollem Wissen um das Ergebnis dieses Krieges. Die Manöver der wirklichen Spieler im Konflikt, die sich hinter den Führern in Kiew, Donezk und Lugansk verbergen, zielen darauf, den Gegner überzeugend für die Wiederaufnahme der Kämpfe verantwortlich zu machen, ihre unvermeidliche Eskalation und zunehmende Brutalität. Ja, Moskau und Brüssel brauchen keinen Krieg in der Ukraine. Ja, es wäre wünschenswert, eine friedliche Lösung zu finden. Aber weil Washington auf Kampf scharf ist und Kiew keine Wahl hat, als zu kämpfen, konnte zwar der Anfang der zweiten Phase des ukrainischen Bürgerkriegs hinausgezögert werden, die Armee Noworossijas konnte so weit vorbereitet werden, dass ein offizieller Einsatz der russischen Armee vermieden werden kann, aber der Krieg kann nicht abgesagt werden.
London und Paris wollten, dass die UdSSR 1939 mit Deutschland kämpft. Stalin wollte den Beginn des Krieges wenigstens bis Mai 1942 hinauszögern (zu dieser Zeit sollte die Aufrüstung der sowjetischen Armee abgeschlossen sein). Der Krieg begann 1941. Offensichtlich wäre Putin froh, den Konflikt bis 2017 zu verzögern. Zu der Zeit gabe es eine gute Chance, ohne Eskalation und ohne weitere Verluste die Kontrolle über die Ukraine zu erhalten. Es ist gleichermaßen offensichtlich, dass die USA es lieber gesehen hätten, hätte Russland den Kampf im April/Mai 2014 begonnen. Es scheint, als hätte Russland es geschafft, eine direkte Verwicklung in den Konflikt zu vermeiden, aber der Preis dafür wird ein vollständiger Bürgerkrieg in der Ukraine 2015 sein (von Lwow bis Kharkow und von Kiew bis Odessa).
Die Rückkehr des Reiches
Die letzte Frage, die für uns möglicherweise von Interesse ist: was wird als Ergebnis des Krieges mit der Ukraine geschehen? Nichts. Es wird keine Ukraine geben. Die schlichte Tatsache, dass bis jetzt in der DNR und LNR mit Moskauer Hilfe noch keine adequaten Regierungsstrukturen geschaffen wurden, legt nahe, dass diese Republiken nicht benötigt werden. Noworossija bleibt ein geografischer und historischer Begriff, aber wird keine politische Wirklichkeit. Die Armee war nötig – sie wurde organisiert, während die Regierungsstrukturen nicht nötig sind – und sie haben sich nicht entwickelt. Das bedeutet, Noworossija ist nicht geplant. Die Patrioten-Alarmisten ziehen daraus den Schluss, Noworossija würde an Kiew verraten. Aber Kiew ist, wie wir oben gezeigt haben, selbst verraten, und die Selbstauflösung des Regimes ist schlicht eine Frage der Zeit und nicht des Prinzips, und wir reden hier von einer kurzen Zeitperiode, also an wen sollte Noworossija verraten werden?
Es wird an niemanden verraten, und niemand wird es schaffen. Wozu braucht Russland eine neue Ukraine im Gewand Noworossijas? Russland braucht auch keinen „Pufferstaat“ zwischen der eurasischen Union und der EU. Er geriete nur in den Weg. Und Russland hat ohnehin Grenzen mit NATO-Ländern (Norwegen, Estland, Lettland). Russland braucht die ganze Ukraine, oder fast die ganze Ukraine. Es ist jetzt nicht nur für Moskau, sondern auch für Brüssel offensichtlich, dass dieses Gebiet zu einer selbständigen Entwicklung unfähig ist und nur eine Quelle von Problemen wird. Daher ist ein Noworossija als föderale Region (wie auch Malorossija) möglich, während ein unabhängiger Staat (unabhängige Staaten) es niht ist. Die Welt hat kein Geld mehr für Unabhängigkeit, sei es ukrainische, sei es die Noworossijas – so einfach ist das.
Es ist Zeit, dass das Reich auf seine natürlichen Grenzen zurückkehrt (zumindest im Südwesten).
http://vineyardsaker.de/ukraine/ein-elend-gescheiterter-staat-teil-2/

by Anna Poludenko-Young
This article originally appeared on Global Voices. It was also published by Russian Insider.
Ukraine’s State Security Service (SBU) was initially aiming to shut down five websites that had been allegedly spreading pro-Russian views about the conflict in Ukraine. Instead, they ended up crushing thousands of other websites, halting business and other activities of the Ukrainian segment of the Internet.
How It All Went Down
In an attempt to block five allegedly anti-Ukrainian websites, the State Security Service cracked down on a local web-hosting company, NIC.ua, also the largest domain registrar in Ukraine. SBU officers seized hosting servers at four NIC.ua data centers in Kyiv on April 7, 2015. Surprisingly, the targeted ‘pro-Russian’ websites resumed work in a few hours, but almost 30,000 Ukrainian websites that had nothing to do with the information war between Ukraine and Russia went down for weeks. Among them were e-commerce, charity, news, and even local government websites.
The problem was hidden in the details. As it turned out, the Ukrainian service provider was not hosting the websites targeted by the SBU. According to Andrew Khvetkevich, NIC.ua CEO, his company previously hosted only one of the five websites, and had blocked it back in January. In a Facebook post, Khvetkevich said that hree other websites used the Ukrainian company only as a registrar, but kept all their files on servers in Russia. Finally, the last targeted website turned out to be a WordPress.com blog, hosted by WordPress.

This is a list of sites that have been in the court’s decision (which allowed to seize servers): nahnews.com.ua; slv.org.ua; rubezhnoe.org.ua; odnarodyna.com.ua; slavgromada.wordpress.com.
- nahnews.com.ua – Works, since we are only a registrar for them and this domain is not on our servers;
- slv.org.ua – Does not work, wasn’t using our servers. It was redirected to another site and the domain will work again when you refresh the cache;
- rubezhnoe.org.ua – Works, hosting in Russia, we didn’t host their domain on our equipment (we are only a registrar for them);
- odnarodyna.com.ua – This domain we have identified and froze on 17:37:48 +02 January 21, 2015;
- slavgromada.wordpress.com – We have nothing to do with this domain. It is supported by WordPress.
Markian Lubkivskyi, senior advisor at the Security Service of Ukraine, said that before seizing the servers, the SBU officially requested NIC.ua to block the targeted websites, but the company did not comply.
NIC.ua denied the fact that they received any official requests from SBU. CEO Khvetkevich said they received only a few poorly scanned information requests. Khvetkevich also noted that it is illegal in Ukraine to simply block a website based on a scanned request or warrant, and the proper procedure would require original documents.
While the SBU and NIC.ua have been trying to decide who is to blame for hosting the ‘pro-Russian’ websites, a few hundred websites that are hosted by NIC.ua servers still remain inaccessible. Thousands of websites that were initially incapacitated have been coming back online over the last few weeks, after SBU’s Lubkivskyi promised that SBU would be returning copies of data from the seized servers to those who approach the Security Service with a written request. SBU said it would keep the physical servers for the next two months ‘for investigative purposes.’
Internet Users Not Impressed
Needless to say, the online community was not very excited about SBU’s actions. Maksym Savanevsky, chief editor of Watcher, a website about Internet business and social media marketing in Ukraine, whose website also went down as a result of the server seizure, wrote in a blog post that SBU’s server data return mechanism looked strange and wasn’t very helpful.
This is very weird, because it is impossible to get data without a concrete connection to the servers. Without the NIC.ua experts, the SBU will be able to return only files at best, not the databases, but the website doesn’t function without them.
Facebook users also left quite a few angry comments under Lubkivsky’s announcement about providing copies of the data to websites who had suffered from the blanket server seizure. User Ekaterina Glebova wondered who would compensate for the hosting fees she’d paid and where SBU suggested she put the copies of files if her server was in their hands.
Dear Markian Lubkivskyi, where are we supposed to put those obtained copies? We’ve paid for the hosting. Maybe the hosting for all the NIC.ua customers will be on you? Also, why do I have to go now somewhere to obtain my lawfully created website, that I worked on and invested in?
Let’s come to the SSU all together and stand there until we get back our websites and hosting from those who caused us these loses.
Mykola Radchenko echoed Glebova’s sentiment and said even schoolchildren could figure out that you don’t need to extract the whole server farm to take down a few websites.
What do I need the copy of the website for? What am I going to do with it? I want to use the hosting that I paid for. The provider can’t help me, because you seized the servers. It is all very simple. Will you be reimbursing people or what?
[…]
In order to turn off the light in one apartment, you don’t need to destroy the power station! I hope you got the comparison.
Facebook users, especially representatives of Internet businesses, expressed another concern: incidents like this could very well kill the Ukrainian hosting market. If servers can be seized so easily and without due process, hosting providers fear that Ukrainian companies and individuals are likely to shift to services by international hosting companies, forcing the local ones to go out of business.
That fear is not entirely unreasonable: over three weeks, thousands of Ukrainian websites were offline, losing views, clicks and potential business. At the time of publishing, NIC.ua said 91% of hosted accounts that were down as a result of the server seizure are now back online.
Copyright Anna Poludenko-Young, Global Voices, 2015
http://www.globalresearch.ca/ukraine-secret-police-takes-down-30000-websites-to-fight-pro-russian-propaganda/5446820

Autor: U. Gellermann
Datum: 11. Juni 2015 rationalgalerie.de
Es ist kein Mensch, es ist kein Tier, es ist ein Panzergrenadier: So besingt die Bundeswehr in schöner Selbsterkenntnis ihre Panzergrenadiere. Und deren Schlachtruf: „Dran! Drauf! Drüber!“ belegt diese Einschätzung. Dran an den Feind sollen die Grenadiere, dann sollen sie auf ihn drauf, um nur wenig später siegreich über ihn herzufallen. Das im sächsischen Marienberg stationierte Panzergrenadierbataillion 371 wird diesen Ansprüchen sicher gerecht geworden sein. Denn das „Marienberger Jäger“ genannte Bataillon war schon im Kosovo auf Jagd, in Bosnien und auch in Afghanistan. Diesmal soll es in die Nähe von Sagan gehen, nach „Niederschlesien“. Auch wenn man die Gegend seit fast 70 Jahren Woiwodschaft Lebus nennt, die Vorkriegsberichterstatter von der FAZ kümmert das nicht. Denn es geht in der angekündigten NATO-Übung „Noble Jump“ gen Osten, da kann man nicht so kleinlich sein.
Der Kompaniefeldwebel der 2. Kompanie des Bataillons 371 war schon „überrascht wie schnell sich das Verhältnis zu Russland abgekühlt“ hat. Aber jetzt muss er erstmal „zur Sicherung der NATO-Ostflanke“ nach Polen. Wenn der unbefangene Betrachter sich fragt, ob denn der Feind schon an der NATO-Ostflanke steht, erteilt ihm Generalleutnant Bruno Kasdorf, Inspekteur des Heeres, eine klare Antwort: „Die sicherheitspolitische Lage hat sich hingegen – sehr schnell und nicht vorhersehbar – verändert.“ Aber ihm ist – trotzt der Lage in der Ost-Ukraine – nicht bange: Die Truppe sei nun mal ein „Weltklasseheer“, denn „im Einsatz hat sich das Heer herausragend bewährt – in allen Einsatzgebieten vom Balkan bis nach Afghanistan – und zwar mit modernster Ausrüstung.“ Offenkundig sieht die Heeresleitung eine schreckliche Feindlage. Denn die Hauptaufgabe der Panzergrenadiere ist der Kampf gegen feindliche Infanterie und Panzerverbände in offenem Gelände. Und da es sich rund um Sagan kaum um die polnische Armee handeln wird, die man niederkämpfen muss, wird der Russe wohl durchgebrochen sein: Erst im Gewaltmarsch durch die Ukraine, schließlich quer durch Polen, dann ist es nur noch ein Sprung über die Grenze nach Cottbus. Dort wo der Verfassungsauftrag zur Verteidigung des Landes eigentlich beendet wäre.
Manchmal fragt man sich, ob die Bundeswehr-Generalität ihren Kopf nur zum Haareschneiden benutzt, oder ob unter der Schirmmütze mit den gekreuzten Säbeln auch noch Platz für eigenes Denken ist. Mal wieder ist die Bundeswehr im NATO-Auftrag im Ausland. Zwar „nur“ zur Übung, aber genau dieser Auftrag – mit einer „Speerspitze“ die russische Armee an der Flanke zu kitzeln – erhöht die Spannungen in Ost-Europa: Zur Zeit sollen insgesamt 15.000 Soldaten der NATO – von der Ostsee über das Baltikum bis nach Polen – dem Russen mal zeigen, wie sich die USA einen Kampfeinsatz gegen Russland vorstellen: Deutsche und andere Europäer sollen die Hauptlast tragen, die Leitung allerdings liegt bei den US-Stäben. Man kann auch so lange den Ernstfall üben, bis der im Grundgesetz definierte „Spannungsfall“ eingetreten ist: Jener Gleiwitz-Bedrohungs-Zustand, an dem mit willigen Medien seit Monaten gearbeitet wird. Dass eine Parlamentsarmee, so definiert das Grundgesetz die Bundeswehr, zu solchen Husaren-Ritten wie dem der „Marienberger Jäger“ eigentlich eine Debatte und eine Entscheidung des Bundestages benötigt, weiß die Bundeswehr-Führung. Was sie nicht hindert, dem gefährlichen NATO-Manöver bisher ohne Frage und ohne Widerstand zu folgen.
Anders als die traditionell obrigkeitsgläubige Bundeswehr verlässt sich das gemeine Volk offenkundig auf den eigenen Kopf: Das amerikanische Meinungsforschungsinstitut „Pew Research Center“ stellt in diesen Tagen fest, dass bei den Deutschen die Zustimmung zur NATO deutlich nachlässt. Waren es im Jahr 2009 noch 73 Prozent der Befragten, die ein positives Bild von der NATO hatten, sind es 2015 nur noch 55 Prozent. In keinem anderen Nato-Land ist der Vertrauensverlust so gravierend. Auch die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine schätzen die Deutsche nüchtern ein: Nur ein Drittel würde dieser Bündnis-Erweiterung zustimmen. Je weiter die Befragten von einem möglichen Krieg in Europa entfernt sind, um so dümmer sind die Zustimmungsraten: Kanadier (65 Prozent) und Amerikaner (62 Prozent) sähen die Ukraine ganz gern in der NATO.
Und während die deutsche Regierung und ihre Bundeswehr das gefährliche Spiel der USA ohne Widerspruch mitspielen, bleibt den Panzergrenadieren nur der „Lauterbacher Tropfen“, ein Magenbitter, der im erzgebirgischen Lauterbach, einem Ortsteil von Marienberg, hergestellt und abgefüllt wird. Das Gesöff, das in Sachsen auch „Waldbenzin“ genannt wird, kann so zum Treibstoff einer Truppenbewegung werden, die als „Edler Sprung“ („Noble Jump“) beginnt und als elender Sprung in der Schüssel der US-Militärpolitik enden kann.
http://www.rationalgalerie.de/home/ein-weltklasse-heer-nach-osten.html

Im Jahr 1917 waren nur 20 Prozent der Einwohner Kiews Ukrainer. Und der Rest von ihnen waren Russen, Polen und Juden. Im östlichen Teil der Ukraine, zum Beispiel in Charkow, gab es noch mehr Russen. So gab es nur einen kleinen Teil der Nationalisten auf der Seite des Parlaments in den Städten. Und das Dorf unterstütze das nicht. Eine katastrophale Situation der Nahrungsmittelversorgung brachte Die Stadt dazu, das Dorf auszurauben Hungersnot (Holodomor) fing nicht erst mit den Bolschewiki an, sondern schon früher. Wirtschaftliche Instrumente funktionierten nicht mehr. Rada begann, Lebensmittel zu fordern, aber das Dorf wollte kein Brot abgeben. Und das Dorf rebellierte. Als Folge lehnte die Bauernschaft, die Grundlage der Ukrainischen Nationalen Republik, die Republik ab. Der Zentralrat verlor alles, weil er es versäumte den Bauern das Nötige zu geben. Und die Bauern wollten, daß ihr Recht auf das Land, das sie von Grundbesitzern und anderen wohlhabenden Landbesitzer nahmen (raubten), gesetzlich bestätigt wird.
Von Frank Brendle
Überzeugt von deutscher Wertarbeit: Taras Tscholij, »Direktor« des Projekts »Territorium des Terrors« in Lwiw demonstriert die Funktionsweise seines Wehrmacht-Karabiners
Foto: Frank Brendle
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Der Rathausplatz von Lwiw im Spätsommer: Eine Gruppe von Fahrradfahrern kämpft für mehr Platz auf der Straße. Auf ihrer Fahne steht »Critical Mass«. So sieht sie also aus, die ukrainische Zivilgesellschaft. Wie in Deutschland. Anders als in Deutschland: Der Anführer ruft »Slawa Ukraini«, die Menge antwortet »Heroiam Slawa«, »Ruhm der Ukraine – Ruhm den Helden«. Es folgt die Parole: »Ruhm der Nation – Tod den Feinden«. Das Ganze wiederholt sich mehrfach, Passanten rufen der Menge die Parolen zu, die freudig antwortet. Neu sind die Schlachtrufe nicht, es sind die Grußformeln der faschistischen Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) und ihres 1942 gegründeten militärischen Arms, der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA). Die kämpfte meist gegen die Sowjetunion, selten gegen Deutsche und brachte Zehntausende Polen und Juden um. Heute ist zumindest der erste Spruch eine gängige Anrede jener Ukrainer, die sich »proeuropäisch« wähnen. Die Geschichtspolitik ist in der Ukraine seit der Unabhängigkeit des Landes 1991 ein politischer Kampfplatz. In der Offensive sind diejenigen, die die nationalistischen Kräfte der Zwischen- und Kriegszeit als Freiheitskämpfer rehabilitieren wollen. Seit auf dem Maidan Poster der OUN und ihres Anführers Stepan Bandera prominent plaziert wurden, ist deren Verehrung gesellschaftsfähig.
Lwiw, das frühere Lemberg, ist seit dem Ende des 19. Jahrhunderts die Hochburg des (west-)ukrainischen Nationalismus. Hier fuhr die ultrarechte Partei »Swoboda« zuletzt Wahlergebnisse von über 30 Prozent ein. Die Straßen tragen die Namen nationalistischer Größen oder heißen gleich »Helden der UPA«. Auf den Märkten werden Tassen, T-Shirts und Schals mit den Konterfeis von Bandera und seinen Kameraden feilgeboten. Auch das Gesicht des russischen Präsidenten Wladimir Putin ist zu sehen: auf Klopapierrollen und Fußabtretern. Der »Boulevard Stepan Bandera« verbindet das überlebensgroße Denkmal des OUN-Führers mit dem »Denkmal für die Opfer kommunistischer Verbrechen«. Dort, in einem ehemaligen Gefängnis, befindet sich auch das »Museum der Opfer der Besatzungsregime«. Einheiten des sowjetischen Innenministeriums (NKWD) ermordeten hier im Juni 1941 mehrere tausend Häftlinge, ein Anlass zum Gedenken ist zweifellos vorhanden. Doch dass Nazis und ihre einheimischen Kollaborateure Juden in das Gefängnis schleppten, um sie für die Tötungen verantwortlich zu machen, und dabei rund 4.000 Menschen ermordeten, daran erinnert nichts. Hier geht es nur um Ruhm und Opferbereitschaft von Ukrainern.
Im »Museum des nationalen Befreiungskampfes«, das vor zwei Jahren im Beisein von UPA-Veteranen eröffnet wurde, bietet sich das gleiche Bild. In chronologischer Reihenfolge werden die gescheiterten Unabhängigkeitskämpfer der Jahre nach 1917 ebenso wie die Milizen der OUN, die UPA und selbst die Waffen-SS-Division »Galizien« präsentiert, allesamt als angebliche Repräsentanten eines kontinuierlichen »Befreiungskampfes«. Diese Logik findet ihre Fortsetzung auf dem militärischen Teil des Lytschakiwski-Friedhofes, wo die Soldaten, die derzeit bei den Kämpfen im Osten ums Leben kommen, bestattet werden – neben UPA-Soldaten und einem Obelisken der Waffen-SS. Auch an Roman Schuchewitsch, einst Kommandeur des Wehrmachtsbataillons »Nachtigall« und später der UPA, erinnert ein Ehrenmal. An den Holocaust erinnert in Lwiw – einer Stadt, in der bis zum Einmarsch der Wehrmacht rund ein Drittel der Bevölkerung Juden waren – nur wenig. Die jüdische Gemeinde hat in Eigenregie ein Mahnmal am früheren Ghetto-Eingang errichtet. Ein »offizielles« gibt es nicht.
Fundgrube für nationalistische Souvenirjäger – Tassen mit dem Konterfei von Stepan Bandera auf einem Markt in Lwiw
Foto: Reuters
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Die jüdische Sozial- und Bildungseinrichtung Hesed-Arieh hat vor sechs Jahren eine Unterrichtseinheit über jüdische Kultur und den Holocaust entwickelt. Dazu gehörten auch Filmsequenzen, die zeigen, wie Ukrainer 1941 den Einmarsch der Wehrmacht begrüßten. Politiker von Swoboda protestierten, die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen »antiukrainischer Tätigkeiten«, Hesed-Arieh wurde vor eine Kommission zitiert. »Im Ergebnis hat man uns nicht erlaubt, diese Tätigkeit an den Schulen fortzusetzen«, erklärt Irina Belous, eine Mitarbeiterin der Organisation.
Holocaust als Randerscheinung
Auch Taras Tscholij will die Erinnerung an den Holocaust in Lwiw fördern, wenn auch sehr eigentümlich: Der Filmproduzent hat sich in den Kopf gesetzt, auf den Resten des früheren Ghettos, wo nach 1945 eine Haftanstalt des NKWD stand, ein »Territorium des Terrors« zu installieren. »Maximal interaktiv« soll es sein, inklusive wiederaufgebauter Stacheldrahtzäune, Baracken und Wachtürme. Als wir vor Tscholijs Büro ankommen, ist der Mittdreißiger gerade dabei, einen alten Wehrmachtskarabiner im Kofferraum seines Autos zu verstauen, für eine private Militärübung. Dazu passend trägt er ein T-Shirt mit der Aufschrift »Karpaten-Schützen«. Der Ableger der OUN kämpfte 1938 für die Unabhängigkeit der Karpato-Ukraine. Tscholij will OUN und UPA ehren, sein Facebook-Auftritt macht mit einem UPA-Plakat auf, doch es geht ihm durchaus auch um eine Erinnerung an den Holocaust. »Da gab es Leute, die wussten, wo die Juden das Gold versteckt hatten, und sie den Deutschen ausgeliefert haben«, sagt er. Und er räumt, immerhin, »Fehler« der UPA ein; einige ihrer Kommandanten hätten polnische Dörfer überfallen. Was er sonst erzählt, ist haarsträubend. Selbstverständlich werde der größte Teil der Gedenkanlage den sowjetischen Opfern gewidmet sein, »weil das zeitlich gesehen am längsten gedauert hat und wahrscheinlich auch am schrecklichsten war«. Der UPA Morde an Juden vorzuwerfen, weist er als »unlogisch« zurück: Schließlich habe die UPA auf die Hilfe der USA gehofft, und »in den USA dominiert das jüdische Kapital«, glaubt er zu wissen. »Also wo«, fragt er, »sollte der Sinn sein, Aktionen gegen Juden zu unternehmen?« Der Stadtrat hat Tscholij zum »Direktor« des Projektes ernannt. Faktisch ist das eher ein Ehrentitel, für den es nicht mehr als ein Taschengeld gibt. Die Baukosten müssen fremdfinanziert werden, im Moment stockt das Vorhaben.
Welche Rolle die Holocaust-Erinnerung in der Ukraine hat, spiegelt kaum ein Ort besser wider als Babi Jar. In dieser Schlucht, ein paar Kilometer vom Zentrum der Hauptstadt Kiew entfernt, erschossen Nazis und ukrainische Polizisten am 29. und 30. September 1941 33.771 jüdische Einwohner. Die SS hatte genau mitgezählt. In den 1960er Jahren wurde ein Mahnmal für die ermordeten »friedlichen sowjetischen Bürger« errichtet, doch erst nach der Unabhängigkeit konnte die jüdische Gemeinde ein eigenes Denkmal aufstellen. Die Ankündigungen ukrainischer Regierungen unterschiedlicher Couleur, hier ein Holocaust-Museum zu errichten, kamen über zwei symbolische Grundsteinlegungen nie hinaus.
Überzeugt von deutscher Wertarbeit: Taras Tscholij, »Direktor« des Projekts »Territorium des Terrors« in Lwiw, demonstriert die Funktionsweise seines Wehrmacht-Karabiners
Foto: Reuters
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Kein leeres Versprechen blieb dagegen die »Holodomor«-Gedenkstätte, die 2008 auf den Dnjepr-Hügeln errichtet wurde. Gewidmet ist sie den Toten der Hungersnöte in der sowjetischen Ukraine, vor allem den bis zu vier Millionen Opfern von 1932/33. Eine Mitschuld Moskaus ist historisch kaum strittig. In einer höchst suggestiven Ausstellung wird die Hungersnot hier jedoch als absichtsvoller Genozid von Russen und Bolschewisten am ukrainischen Volk dargestellt. Dass auch Menschen russischer, jüdischer und anderer Nationalitäten verhungerten, interessiert nicht – Ziel des Memorials ist es, »nationale Identität« auf der Basis eines rein ukrainischen Leides zu konstruieren.
»Nach der >orangen Revolution< wurde der >Holodomor< zum Mittelpunkt der wissenschaftlichen Forschung. Der Holocaust galt als marginale jüdische Angelegenheit«, resümiert Boris Zabarko. Der 79jährige jüdische Historiker hat den Holocaust im Ghetto eines kleinen Schtetls im rumänischen Besatzungsgebiet überlebt. Heute leitet er die Vereinigung der ehemaligen Ghetto- und KZ-Häftlinge. Das »Institut des nationalen Gedächtnisses«, das während der Präsidentschaft von Wiktor Juschtschenko, dem Vorgänger des im Februar gestürzten Wiktor Janukowitsch, gegründet worden war, habe »die Kämpfer der UPA gepriesen, die Führer der OUN, die Kollaborateure« und damit »auch diejenigen, die an antijüdischen Aktionen in der Westukraine beteiligt waren«. Der Bandera-Kult löst bei Zabarko sichtbare Emotionen aus. »Ich weiß viel zu gut, welche Rolle Bandera und seine Leute gespielt haben, dass sie an der Endlösung der Judenfrage beteiligt waren«, sagt er. Über den Holocaust zu reden hieße auch, über die Kollaboration zu reden. »Aber hier bei uns wird das Thema eher verschwiegen.«
Faschisten schöngeredet
Zu den Gewinnern des Maidan gehört Wolodimir Wiatrowitsch. Der Mann ist der wohl wichtigste Weißwäscher der OUN, den es in der Ukraine gibt. Er hat nach der »orangen Revolution« das staatliche »Institut des nationalen Gedächtnisses« geleitet – das einzige Geschichtsprojekt, das überhaupt Staatsgelder erhält. Unter Janukowitsch zum einfachen Angestellten degradiert, ist Wiatrowitsch seit April wieder ganz oben und hat die Kontrolle über einen Großteil der historischen OUN/UPA-Akten. Wiederholt betont er im Gespräch, alles Negative, was über die OUN zu lesen sei, entstamme der sowjetischen Propaganda. Auf die Frage, wie es dann komme, dass etliche westliche Historiker gerade in den vergangenen zehn Jahren ausführlich über den faschistischen Charakter und die Verbrechen der OUN geschrieben hätten, über die Massenmorde an Polen und anderen, hat er eine verblüffend einfache Antwort. »Diese Historiker stehen nach wie vor unter dem Einfluss der sowjetischen Darstellungen«, meint Wiatrowitsch.
Die Totalitarismusdoktrin in Reinform: Eine Schautafel im »Museum der Opfer der Besatzungsregime« in Lwiw setzt die KPdSU mit den Nazis gleich – der Einfachheit halber per Rechenzeichen
Foto: Reuters
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Die Bandera-Anhänger seien »die ersten gewesen, die den illegalen Kampf gegen Nazideutschland führten«, beteuert Wiatrowitsch, und im gleichen Atemzug betont er, die Zusammenarbeit mit den Nazis sei nur rein praktischer, nicht aber ideologischer Natur gewesen. Heute seien die Bandera-Nationalisten jedenfalls »ein Vorbild für viele Ukrainer, ein Vorbild des kompromisslosen und aufopferungsvollen Kampfes für einen unabhängigen Staat«. Wiatrowitsch verweist zudem auf eine Folge der angeblichen russischen Propaganda: Weil diese den Maidan undifferenziert als Angelegenheit von »Banderowzy« gegeißelt habe, sei dort die Antwort gewesen: »Ja, wir sind Banderowzy, wir kämpfen auch für die Unabhängigkeit der Ukraine.«
Wiatrowitsch stammt – man möchte fast sagen: natürlich – aus Lwiw. Dort hat der Historiker Jaroslaw Hryzak, Dozent an der Katholischen Universität, nicht viel für ihn übrig: Sein Fachkollege stehe in der Tradition der Exilukrainer, die »die historische Forschung und die Erinnerung kontaminiert hat«. Wiatrowitsch spiele mit Dokumenten, um den Bandera-Mythos zu stärken, sagt Hryzak, der das als »Verrat an seiner professionellen Ausbildung« ansieht. Bandera sei populär, weil die Leute nicht wahrnähmen, dass es zwischen dem aufgehübschten Bild ihres Idols als antirussischem Freiheitskämpfer und den historischen Tatsachen eine erhebliche Differenz gebe: »Bandera war mit Sicherheit antirussisch, aber er war genauso sicher kein Gegner eines autoritären Staatsmodells«, so Hryzak. Den Bandera-Flügel der OUN nennt er fremdenfeindlich und antieuropäisch. Wüsste Bandera, dass er heute für proeuropäische und liberale Werte in Anspruch genommen werde, »er würde sich im Grabe umdrehen«. Vor zehn Jahren hat Hryzak einen OUN-kritischen Artikel veröffentlicht, als »Einladung zur Diskussion«. Die wurde nicht angenommen, rief aber die »Swoboda« auf den Plan: »Mehrere ihrer Anführer bedrohten mich öffentlich und versprachen mir, wenn sie an die Macht kommen, werden sie eine hübsche Gefängniszelle für mich finden«, erzählt der Geschichtsdozent.
Selbst kritische Historiker wollen derzeit keine öffentliche Debatte über OUN und Bandera führen. Georgi Kasianow, Historiker an der Akademie für Wissenschaften in Kiew und in der Vergangenheit scharfzüngiger Kritiker der herrschenden Geschichtspolitik, hält es für das Beste, historische Diskussionen bis auf weiteres zu vermeiden. »Wenn die Westukrainer den Bandera-Kult etablieren und von den Helden der UPA reden wollen, sollen sie das tun, und zwar bei sich. Sie sollen aber nicht nach Donezk gehen und anderen ihre historische Bewertung aufzwingen, und das gleiche sollte für die Ostukraine gelten«, findet Kasianow, der dann noch, wenn auch mit ironischem Unterton, von einer »friedlichen Koexistenz zwischen Bandera und Lenin« spricht. Ähnlich plädiert Hryzak für einen »Pakt des Vergessens«, so wie er in Spanien nach Francos Tod 1975 praktiziert worden sei. »Nach meinem Verständnis ist die Ukraine nicht reif für historische Diskussionen«, sagt er. Es wäre gar »selbstmörderisch« für das Land, »wenn man Debatten über Bandera« lostrete. »Das werden Sie als Deutscher nicht verstehen«, schiebt Hryzak hinterher.
In der Praxis gibt es seinen erinnerungspolitischen Waffenstillstand aber ohnehin nicht. Der amtierende Präsident Petro Poroschenko hat zwar mehrfach, geradezu integrativ, sowohl die Veteranen der Roten Armee als auch die der UPA als Verteidiger der Ukraine bezeichnet; erst dieser Tage erklärte er aber den 14. Oktober, den die Nationalisten als Gründungstag der UPA begehen, zum staatlichen Feiertag. Die Bandera-Anhänger denken überhaupt nicht daran, passiv zu bleiben. Wo sie hinkommen, werden Lenin-Statuen gestürzt, und mit Wiatrowitschs »Institut des nationalen Gedächtnisses« genießen ihre Deutungen Protektion von ganz oben. Jüdische und polnische Einwohner des Landes müssen weiter zusehen, wie ein faschistischer Politiker und seine Killertruppe zu Heroen aufgebaut werden.
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