Kategorie-Archiv: Narzissmus

Der Freundeskreis schrumpft plötzlich. Moralischer Autismus geboren aus moralischem Narzißmus.

achgut.com

 Der Streit über Zuwanderung geht mittlerweile sogar mitten durch Familien. Ich habe in den letzten zwei Jahren viele frühere Freunde und Bekannte verloren. Manche verschwanden, antworteten nicht mehr. Andere meldeten sich ab, mit manchmal bewusst verletzenden Bemerkungen.

Sag mir, wo die Freunde sind


Seit geraumer Zeit – inzwischen mehr als ein Vierteljahr – geht mir immer mal wieder ein Beitrag durch den Kopf, den eine Facebook-Freundin dortselbst veröffentlichte. Sie berichtet darin von einem Treffen in der Weihnachtszeit, bei dem einige alte Freunde zusammen kamen. Ich möchte den Anfang ihres Textes zitieren:

„Gestern habe ich im Kreise von einer Handvoll guten Freunden ins neue Jahr gefeiert. Freunde von früher. Ich sage das deshalb, weil es für mich ein Davor und ein Danach gibt. Wann genau dieses Davor und Danach zu verorten sind, ist schwer zu sagen, denn es hängt auch mit meiner ganz persönlichen Wahrnehmung zusammen. Und genau das ist auch das Thema: die ganz persönliche Wahrnehmung.

Gestern also lief unter anderem The Police. Und so redeten wir über Sting als Musiker und über unsere Erinnerungen von früher mit seiner Musik. Er wurde hochgelobt – und dann kam der Moment, in dem ich es mir nicht verkneifen konnte: Ich erwähnte, dass ich seine Aktion, im Bataclan das Gedenkkonzert mit dem Song „Inshallah“ zu eröffnen, ziemlich taktlos fand. Stille. Blicke. Erste Frage: „Wo?“ Ich: „Na, in Paris, im Bataclan.“ Verständnislose Mienen. Ich: „In Paris! Im Bataclan! Da, wo 130 Menschen den islamistischen Anschlägen letztes Jahr am 13. November zum Opfer fielen.“ Betroffene Blicke: „Achso.“ Schweigen. Ich: „Naja, und das Neueröffnungskonzert ein Jahr später, das auch gleichzeitig Gedenkkonzert für die Opfer des Anschlags sein sollte, eröffnete Sting. Mit einem Song namens „Inshallah“. Betroffene Blicke. Wegwischen imaginärer Krümel von der Tischkante. Schweigen. Ich (mittlerweile etwas verzweifelt): „Naja, wie kann man nach diesem blutigen Massaker, das von islamistischen Dschihadisten verübt wurde, auf die Idee kommen, das Gedenkkonzert mit so einem Song zu eröffnen?“ Vorsichtiges Nachfragen: „Wie heißt der Song?“ Ich (in die Nähe des Wahnsinns kommend): „INSHALLAH!“ … „Was heißt das?“ „Das ist arabisch und heißt: So Allah will.“ – ich, wilde Blicke in die Runde werfend. Betretenes Schweigen. Dann, zögerlich: „Aber Sting ist doch Buddhist!“

Der Text ist um einiges länger, ich würde ihn gerne ganz zitieren, belasse es aber beim persönlichen Fazit der Freundin: „Nie habe ich es so deutlich empfunden, dass das Universum, das uns doch alle halten sollte, auseinanderklafft, nicht mehr eins ist – sondern ein diffuses Etwas, das aus Millionen von Wahrnehmungen besteht, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Meine Freunde wussten nicht, was das Bataclan ist. Sie wussten nicht, dass Sting dort die Konzerthalle ein Jahr nach den Anschlägen eröffnete, dass überhaupt ein Gedenkkonzert stattfand. Sie wussten nicht, was Inshallah heißt. Sie konnten nicht verstehen, was ich daran seltsam fand. Sie leben nicht mehr in meiner Welt, und ich nicht mehr in ihrer.“

Der Freundeskreis schrumpft plötzlich

Warum mich dieser Beitrag noch immer beschäftigt: ich kann alles das aus eigener Erfahrung, vor allem der letzten zwei Jahre, nur zu gut nachempfinden. So ging und  geht es auch vielen Anderen; leicht an den Kommentaren unter dem oben zitierten Text zu erkennen.

„Du ahnst gar nicht, wie Du mir damit aus der Seele gesprochen hast.“, „Danke. Manchmal ist es schon erleichternd zu wissen, dass man eben nicht alleine ist. Das soll nicht arrogant klingen, denn ich habe auch nicht die Weisheit mit Löffeln gegessen, aber vielen unserer Mitmenschen fehlt das breite Wissen. Die Neugier auf die Wahrheit, das Interesse für Zusammenhänge, der Sinn für Logik.“ oder „Du sprichst mir aus der Seele. Ich kann Deine Gedanken und Gefühle so gut nachvollziehen, weil ich sie auch erlebe.“

Dabei scheint dieser Abend noch durchaus friedlich abgelaufen zu sein; in anderen Fällen führten (und führen) ähnliche Begegnungen mit Bekannten oder Freunden noch zu ganz anderen Ergebnissen, bis hin zu wahren Hass- und Wutausbrüchen derer, für die sofort jeder, der die so genannte Flüchtlingspolitik und die Verharmlosung des Islams in Frage stellt, Volkstümler, Rassist und Nazi ist. Was eine ungeheure Diffamierung darstellt. Die zitierte Schreiberin ist all das nicht, so wie auch ich es nicht bin; wäre sie es, wäre sie nicht unter meinen Kontakten. Und das gilt für alle meine Kontakte.

Ich habe in den letzten zwei Jahren nahezu alle früheren Freunde und Bekannte verloren. Manche waren plötzlich verschwunden, antworteten nicht mehr auf Nachrichten. Andere meldeten sich ab, mit hochtrabenden, manchmal bewusst verletzenden Bemerkungen. Wo der kleine Geist gar nichts eigenes hergab, wurden mir Zitate an den Kopf geworfen, von Kant bis Camus und sonst wem. Ich gebe zu, die ersten Nazikeulen taten noch weh, aber das legte sich schnell. Denn niemals, nicht einmal, gab es wirklich substantiell formulierte Gegenpositionen. Das bestätigt erfreulich die eigene Wahrnehmung der Welt ringsum; so lässt es sich ganz gut verarbeiten, dass teils Jahrzehnte währende, persönliche Beziehungen abgebrochen wurden. Nicht erstaunlich, dass die, die geblieben sind, auch wirklich die sind, an denen mir etwas liegt, bei durchaus kontroversen Positionen in manchen Fragen. Es geht mir bei Freundschaften ja nicht um Konformität, sondern um Integrität. Bildung, Neugier, Austausch und Respekt.

Die Fälle gehen weit über das Anekdotische hinaus

Andere hat es härter getroffen als mich. Da wurde einer Mutter, die bei Facebook davon berichtete, dass ihre junge Tochter auf der Straße angefasst wurde, offen und mehrfach mit beruflicher Vernichtung bedroht; sie hatte gewagt zu erwähnen, dass das Kind ihr von einem dunkelhäutigen Mann erzählte. Ein anderer meiner FB-Kontakte berichtete, eine Freundin seiner Frau habe dieser empfohlen, doch einmal dafür zu sorgen, dass ihr Mann nicht mit gewissen Äußerungen die Existenz der Familie aufs Spiel setzen solle. Fälle dieser Art habe ich ohne Ende vorliegen, man muss sie nicht alle schildern, sie gleichen sich stets im Kern und gehen weit über das Anekdotische hinaus.

Sie sind symptomatisch für eine Entwicklung in unserer Gesellschaft, die dazu angetan ist, darüber zu verzweifeln. Noch einmal die anfangs zitierte FB-Freundin: „Die Erkenntnis, diese Menschen nicht erreichen zu können, ganz egal, wie viele kritische Beiträge ich z.B. hier poste, ganz einfach, weil sie nicht erreicht werden wollen, weil sie selbst entscheiden – genau wie ich – wann sie welche Wahrheiten an sich heranlassen, diese Erkenntnis macht mich ohnmächtig und kraftlos. Weil ich weiß, dass wir uns nicht annähern werden, im Gegenteil: wir werden uns immer weiter voneinander entfernen.“

Ich betone es noch einmal: Niemals ist mir, seitdem ich zum Nazi gestempelt wurde, von anderer Seite substantielle Kritik begegnet. Niemand hat auch nur versucht, seine Position des „besseren Menschen“ argumentativ zu untermauern. Statt dessen wird man ohne Umweg weggehitlert, und damit die substanzlose Gegenposition nur ja nicht ins Schwanken gerät, heißt es dann „Mit Sachargumenten brauche ich Dir ja gar nicht erst zu kommen!“  Vielen – in diesem Moment, da ich diesen Text schreibe, lese ich weitere Beispiele dieser Art – tut das (noch) weh; mit Faschisten und Massenmördern gleich gesetzt zu werden, lässt ja wohl kaum jemanden kalt.

Dass es Gruppierungen in unserer Gesellschaft gibt, die von ganz alten Zeiten träumen und tatsächlich gegenüber Fremden generell feindlich bis hassend eingestellt sind, steht nicht in Frage; aber nichts von dem, was solche Leute vertreten, kann dafür herhalten, Kritik an der aus dem Ruder geratenen Migrationspolitik generell abzuschmettern. Kein Verweis auf Geschrei rechtsradikaler Nationalisten kann dazu dienen, Kritik am islamischen Gewaltpotenzial und am wachsenden Einfluss dieser religiös verbrämten, theokratischen und antidemokratischen Ideologie auf die westlichen Gesellschaften verstummen zu lassen. Und kein noch so ins pseudo-religiöse driftender Humanismus kann die Tatsache aus der Welt schaffen, dass es zum eigenen Untergang führt, wenn man ungehindert Millionen von Menschen mit vollkommen anderem kulturellen und sozialen Hintergrund ins Land holt. Was kann eigentlich, um es deutlich zu sagen, rassistischer sein als die Vorstellung, ja Erwartung, alle diese Menschen seien willens und in der Lage, sich in unsere Gesellschaft zu integrieren?

Das Problem sind nicht die Flüchtlinge, sondern die Mitschwimmer im Kielwasser

Über die amorphen Motive der verschiedenen Befürworter, Unterstützer oder zumindest Dulder der hemmungslosen Fernstenliebe wurde und wird viel geforscht, geschrieben, spekuliert und analysiert. Da gibt es ebenso die Ignorierer („Wo ist das Problem?“) wie es die Deutschland-muss-weg-Radikalen gibt, denen offenbar jedes Mittel recht ist, die westliche Kultur untergehen zu sehen. Da gibt es die völlig Verwirrten, die frohlocken, dass Deutschland „bunt“ wird und die allen Ernstes bejubeln, dass Migranten „Vielfalt in unser Leben und unsere Städte“ bringen, dass sie „Lücken in Gesellschaft und Wirtschaft schließen“, „unsere Kultur als Menschen und Freunde bereichern“, weil sie „mutig sind“ und „weil wir durch euch Demut“ lernen. Genug davon.

Wer nicht einmal erkennen mag, dass es den tatsächlichen Flüchtlingen deshalb an gesellschaftlicher Akzeptanz wie an materieller Hilfe fehlt, weil so viele in ihren Kielwasser mitschwimmen, ja sogar hergeschifft werden, die unsere bisher stabile Demokratie und deren kulturellen wie sozialen Werte nicht nur in Frage stellen, sondern aktiv ablehnen und untergraben, der ist einem fatalen Irrtum erlegen, einem Irrtum, der immer absehbarere Folgen hat. So jemand regt sich über den Begriff Nafri mehr auf als über das, was diese Leute anrichten; nicht in Einzelfällen, sondern mit einem fest definierten Ziel.

Himmel und Erde sind nicht gütig. Ihnen sind die Menschen wie strohernde Hunde. (Laotse)

Wir sind schlecht, die anderen sind Opfer, und von je weiter weg diese Opfer kommen, um so mehr sind sie Opfer, und weil wir schlecht sind, müssen wir jetzt um den Preis des eigenen gesellschaftlichen Friedens dafür Buße tun. So das Credo derer, die kritisch denkende Mitbürger als Rassisten und Nazis diffamieren.

Wer in einer von hohen Mauern und Sicherheitskräften umgebenen Festung sitzt, kann wie der aktuelle Papst wohlfeil darüber lamentieren, dass es falsch sei, Mauern zu errichten. Wer ignoriert, dass seine eigenen Glaubensbrüder und -schwestern in ihren Heimatländern oder auf der Flucht massakriert werden, kann bräsig-empört vor dem Kölner Dom auf einem Kahn stehen und von diesem herab Fernstenliebe predigen. Wer sein ganzes Leben lang keinem handfesten Beruf nachgegangen ist, sondern sich von einem Kirchenposten zum nächsten gebetet hat, kann sich natürlich darüber freuen, dass Deutschland „bunter und religiöser“ wird.

Moralische Verdammung  geboren aus moralischer Verdummung

Wer als erwachsener Mensch noch immer die Frisur eines Kapauns trägt, kann sich, den Antisemiten Augstein und dessen Blatt hinter sich wissend, anmaßen, differenzierend denkende und argumentierende Kritiker als „Aber-Nazis“ zu beschimpfen, weil diese nicht bereit sind, alles abzunicken, was seit dem völligen Kontrollverlust der deutschen Bundesregierung in unserem Land passiert und noch passieren wird. Wer auf einer jenseits jeglichen Verstandes schwebenden, „einen Doppelzentner fleischgewordene Dummheit“ (Henryk M. Broder) tragenden  Wolke sitzt (wenn sie nicht gerade hinter dem Spruch „Deutschland, du mieses Stück Scheiße“ herläuft und mit dem iranischen Botschafter in Berlin, an dessen Händen viel Blut klebt, abklatscht), kann sich, stets nahe am Wasser gebaut, darüber auslassen, wie widerlich doch jeder sei, der nicht bereit ist, sein Land diesem Merkel’schen Kontrollverlust zu opfern.

Und wer sich als Bundesminister öffentlich bei Musikanten für ihren Einsatz im Dienst des Linksradikalismus bedankt und sich in Kumpanei mit alten Stasiseilschaften an einer der wesentlichsten Stützen unserer Demokratie, der Meinungsfreiheit, vergeht, kann dies heute, nahezu ungehindert, gegen nur schwache Proteste ohne mit der Krawatte zu zucken durchziehen. Warum? Weil so jemand sich immer noch auf den bedeutenden Teil der schweigenden Bevölkerung stützen kann, die, sei es aus Angst um ihre eigene private und berufliche Existenz oder sei es aus Ignoranz, den Dingen ihren Lauf lässt. Mit schlimmen Folgen, wie sich täglich mehr zeigt. Es ist doch noch immer gut gegangen? Das haben schon ganz andere Kulturen geglaubt, und die hatten eine weitaus längere Existenz in der Geschichte vorzuweisen als die Bundesrepublik Deutschland. Von manchen dieser Kulturen sind nicht mehr als Legenden übrig geblieben.

Ein Fernstenliebender kann vieles, aber eines kann er nicht: mir einreden, ich sei ein Rassist, ein Nationalist, ein Nazi, nur weil ich nicht bereit bin, dem Niedergang unserer westlichen Kultur kritiklos, womöglich sogar mitwirkend, zuzuarbeiten. Und das gilt für ungezählte Mitmenschen, denen all das ganz und gar fremd ist, was mit Tümelei und Fremdenfeindlichkeit zu tun hat, und die trotzdem erkannt haben, auf was unsere Gesellschaft zusteuert. Viele von ihnen sehen sich hilflos den Anschuldigungen ausgeliefert, und je mehr diese Anschuldigungen von Leuten kommen, mit denen sie – bisher – viele Gemeinsamkeiten hatten, viel mehr als mit reaktionären Positionen, um so fassungsloser sind sie, müssen sie doch auf einmal erkennen, welche autoritären, reflexionsunfähigen Charaktere in den früheren Freunden und Bekannten stecken, die sofort mit der ach so wohlfeilen Nazikeule um sich schlagen. Wohlfeil, weil man sich dann nicht inhaltlich mit kritischen Positionen auseinandersetzen muss. Und da es keine inhaltlich tragfähigen Gründe für das gibt, was in dieser Zeit nicht einfach nur über uns herein bricht, sondern sogar noch gefördert wird, bleibt nur eins übrig: moralische Verdammung. Geboren aus moralischer Verdummung.

Der moralische Narzißmus. Wer keine Lebensfreude hat, der hat die Moral.

ANDRE GREEN, PARIS

Der moralische Narzißmus*

*Unter dem Titel »Le narcissisme moral« zuerst erschienen in der Revue franvaise de psychanalyse, 1969, Jg. XXXIII, Heft 3. 416 Andre Green“

Übersicht: Im Vergleich zweier Tragödien von Sophokles, Aias und Ödi­pus, arbeitet Green einleitend die Unterschiede zwischen den Kulturen der Scham und den Kulturen der Schuld heraus. Anschließend entfaltet er seine Typusbeschreibung des moralischen Narzißmus, den er der Kultur der Scham zurechnet. Unter moralischem Narzißmus versteht der Autor den Sieg des Triebverzichts über die Befriedigungen der Illusion bzw. den Sieg des Über-Ich im Kräftespiel mit dem Ich-Ideal. Green, der in der As­kese und der Affektverhaltung wichtige Merkmale des moralischen Nar­zißmus sieht, beschreibt die zugehörige Konfliktebene sowie die entschei­denden Abwehrformen des moralischen Narzißten. Er stellt des weiteren deren Psychodynamik dar, nimmt eine metapsychologische Einordnung vor und schließt mit einer Darstellung der durch Scham, Stolz und Ehre bedingten technischen Schwierigkeiten in der Behandlung.

»Die Tugend gleicht nicht nur jenem Streiter, dem es im Kampfe allein darum zu tun ist, sein Schwert blank zu erhalten, sondern sie hat auch den Streit darum begonnen, die Waffen zu bewahren; und nicht nur kann sie die ihri­gen nicht gebrauchen, sondern muß auch die des Feindes unverletzt erhalten und sie gegen sich selbst schützen, denn alle sind edle Teile des Guten, für welches sie in den Kampf ging.« (G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes)

»Ja, unbewußtes Leben ist am süßesten, bis ei-
ner kennenlernt, was Freude ist und Schmerz.«
(Sophokles, Aias)

Der Narzißmus, dem in Frankreich in den letzten Jahren so viele theoreti­sche Beiträge galten, hat das Interesse nur weniger klinischer Studien auf sich gezogen. Eine frühere Arbeit (Green, 1963) über die phallisch-nar­zißtische Position war uns Anlaß, einen aus klinischer Beobachtung stam­menden Zustand, den Wilhelm Reich als erster beschrieben hat, genauer zu untersuchen. Jetzt möchten wir eine andere aus der analytischen Ar­beit hervorgegangene Konfiguration näher umreißen, möchten deren Gültigkeit für die Erfahrung eines jeden verifizieren und ihr, wenn möglich, eine Struktur zuordnen. Im Folgenden wird der moralische Nar­zißmus zur Diskussion gestellt.

Ödipus und Aias

Für den Analytiker sind die legendären Helden der Antike ein unver­zichtbarer Fundus, auf dessen Reichtum er nur zu gern zurückgreift. In der Regel beruft er sich auf diese erhabenen mythologischen Figuren dann, wenn er eine Behauptung mit einem verführerischen Zierrat ver­sehen will. Was uns angeht, werden wir von einer Gegenüberstellung ausgehen, die, indem sie an das Gedächtnis eines jeden appelliert, als ein allgemeines Beispiel fungieren soll, das dann sekundär den einen oder anderen Patienten in Erinnerung zu rufen vermag. Dodds stellt in sei­nem Buch Die Griechen und das Irrationale (1963) die Kulturen der Scham den Kulturen der Schuld gegenüber. Nicht umsonst soll hier daran erinnert werden, daß nach Dodds die Idee der Schuld an eine Ver­innerlichung, wir würden sagen, eine Internalisierung des Begriffs der Verfehlung oder Sünde gebunden ist; diese ist das Resultat einer Über­tretung göttlichen Gesetzes. Die Scham hingegen ist ein zwangsläufiges Schicksal, verhängt als Zeichen des Götterzorns, eine Ate oder Verblen­dung, eine unbarmherzige Züchtigung, die kaum an eine objektive Ver­fehlung gebunden ist, es sei denn an die der Anmaßung. Die Scham er­eilt ihr Opfer unerbittlich; zweifellos muß man sie weniger einem Gott als einem Daimon — einer Höllenmacht — zuschreiben. Dodds bringt die Kultur der Scham in Zusammenhang mit einer sozialen Stammes-form, bei der der Vater allmächtig ist und keine Autorität jenseits der seinen anerkennt, während die Kultur der Schuld auf dem Weg zum Monotheismus steht und ein über dem Vater stehendes Gesetz impli­ziert. Ganz zu schweigen von der Wiedergutmachung der Verfehlung, die in beiden Fällen unterschiedlich ist. Der Übergang von Scham zu Schuld bzw. Schuldgefühl hat seine Entsprechung in dem Weg, der von der Vorstellung von Schmutz und Schande zum Bewußtsein eines mo­ralischen Übels führt. Zusammengefaßt ist die Scham ein Affekt, bei dem die menschliche Verantwortung kaum eine Rolle spielt, sie ist ein von den Götter verhängtes Geschick und trifft den Menschen, der der Hybris (Anmaßung) verfallen ist, während das Schuldgefühl sich als Folge einer Verfehlung einstellt, an der der menschliche Wille im Sinne einer Übertretung beteiligt ist. Erstere entspricht einer Ethik des Tali­onsgesetzes, letztere einer Ethik von mehr auf Einsicht fußender Ge­rechtigkeit.

Mir schien eine Gegenüberstellung dieser beiden Problembereiche — der Scham und der Schuld — möglich zu sein, wenn man Aias mit Ödipus ver­gleicht. Aias, der nach Achill tapferste unter den Griechen, hofft beim Tod des Thetissohnes dessen Waffen zugesprochen zu bekommen. Das aber geschieht nicht. Die Waffen werden auf je nach mythologischer Version unterschiedlichen Wegen Odysseus zugesprochen. In der ältesten Version wird dies durch die von den Griechen besiegten Trojaner vollzogen, die erklären sollen, welchen Feind sie am meisten fürchten. Sie nennen Odys­seus, der vielleicht nicht der Tapferste, wohl aber der Gefährlichste, weil Listenreichste sei. Nach anderen Versionen, an die sich auch Sophokles hält, sind es die Griechen selbst, die sich für Odysseus entscheiden.

Aias empfindet diese Wahl als Ungerechtigkeit und Beleidigung. Er be­schließt gewaltsame Rache und überredet die Achäer, Agamemnon und Menelaos, die Argiver gefangenzunehmen, Odysseus zu ergreifen und zu Tode zu peitschen. Athene aber, die Aias mit seiner Zurückweisung ihrer Hilfe im Kampf gegen die Trojaner beleidigt hatte, schlägt ihn mit Wahnsinn. Anstatt eine Heldentat im Kampf gegen jene, die er strafen will, zu vollbringen, richtet er ein Blutbad an und vernichtet in seiner Verblendung die Herden der Griechen. Der Urheber des Gemetzels kommt erst wieder zu sich, als das Schreckliche schon geschehen ist. Wieder zur Vernunft gekommen, begreift er seine Verblendung. Gleich­sam doppelt wahnsinnig geworden, aus Schmerz und Scham darüber, daß weder das Recht noch die Gewalt ihm zum Triumph haben verhelfen können, und in seinem Stolz verletzt, bringt er sich um. Er stürzt sich in Hektors Schwert, das er als Siegestrophäe erhalten hatte — er durchbohrt sich, wie Jean Lacarriere ziemlich wahrscheinlich macht.

Beim Lesen des Sophokles-Textes erkennt man, daß »Scham« das Schlüs­selwort dieser Tragödie ist. »Ah! Schauderhaftes Gerücht, Mutter meiner Scham!« sagt der Chor, als die Nachricht von Aias‘ Massaker eintrifft. Der Wahnsinn an sich entschuldigt gar nichts: Er ist vielmehr die schlimmste aller Beschämungen, Zeichen dafür, daß Gott den davon Geschlagenen verworfen hat. Ein Wahnsinn zudem, der Ehrverlust bedeutet, denn er führt zu einem ruhmlosen, mörderischen Tun. Er gibt den Helden der Lä­cherlichkeit preis, weil er ihn, der sich um die Auszeichnung höchster Tapferkeit bewirbt, dazu bringt, harmlose, der Nahrung dienende Tiere wie wildgeworden umzubringen. Dieser Wahnsinn befrachtet ihn mit der »schweren Illusion eines verabscheuenswürdigen Triumphes«. Wieder bei Besinnung, erscheint der Tod ihm als einzig mögliche Lösung. Aias kann, nachdem er seine Ehre verloren hat, nicht mehr unter der Sonne leben. Kein Band ist stark genug, um ihn gegen diese Versuchung des Nichts zu halten. Eltern, Frau, Kinder, die sein Tod praktisch zur Sklaverei ver­dammt, vermögen nicht, ihn zurückzuhalten. Sein Verlangen gilt der Un­terwelt; seine Wünsche berufen die Nacht des Todes: »0 Nacht — du mein Licht«. Seine leibliche Hülle läßt er hinter sich, wie ein Schandmal; mögen seine Spötter über ihr Schicksal entscheiden: ob sie den Geiern zum Fraß ausgeliefert oder — als Sühneleistung — bestattet wird. Die Ethik des Maßes wird uns durch den Boten übermittelt: »denn überheblich unbesonnen Volk, es stürzt in schweres Leid durch Gottes Hand, falls, sprach der Seher, jemand, menschlicher Natur entsprossen, Menschenmaß nicht wahrt.« Das Beispiel des Aias schien mir den Vergleich mit Ödipus herauszufor­dern. Ödipus‘ Verbrechen ist nicht weniger groß. Ihn entschuldigt die Ver­kennung, die Täuschung des Gottes. Die Strafe, die er an sich vollzieht, hilft ihm jedoch, den Verlust seiner Augen, die zu viel haben sehen wollen, hinzunehmen und mit Unterstützung seiner Tochter Antigone in die Ver­bannung zu gehen und dort unter den Menschen in seiner Schande zu le­ben und diese bis zur Neige auszukosten. Schließlich nimmt er auch hin, noch vor seinem Tod Anlaß von Streit und Auflehnung zu werden, die zwi­schen seinen Söhnen (die er dann verflucht) und Kreon — seinem Schwager bzw. Onkel — und Theseus, unter dessen Schutz er sich gestellt hatte, ent­stehen. Im Wald von Kolonos, im Gebiet Athens, wartet er darauf, daß die Götter ihm ein Zeichen geben. Nachdem sein Vergehen einmal aufgedeckt ist, kann sein Leben kein Vergnügen mehr sein. Aber es ist das Leben; das haben die Götter gegeben, und sie werden es nach ihrem Ermessen wieder nehmen. Vor allem aber hält Ödipus an seinen Objekten fest. Sie sind sein Leben, so wie sie ihn am Leben halten. Er kann sie nicht im Stich lassen, selbst wenn er zum Einsatz im unseligen Ränkespiel seiner Kinder wird. Die einen — natürlich seine Söhne — wird er hassen. Seine Töchter dagegen, auch sie Früchte seines Inzests, liebt er väterlich.

Wie man sieht, trifft unsere Gegenüberstellung die Problematik zweier Themenkreise, die den zwei Arten der Objektwahl und der Objektbeset­zung entsprechen: objektale Besetzung des Ursprungsobjekts bei Ödipus; durch Übertretung: Schuldgefühl — narzißtische Besetzung des Ur­sprungsobjekts bei Aias; durch Enttäuschung: Scham.

Klinische Aspekte des Narzißmus: Der moralische Narzißmus

Das Exempel des Aias, das uns als Einleitung gedient hat, führt sofort zu einer Frage für den Psychonalytiker. Sieht es nicht so aus, als ob eine be­stimmte Beziehung zum Masochismus für diese Form des Narzißmus unabdingbar ist? Und geht es dabei nicht zuallererst um Selbstbestrafung?

Bevor wir unsere Entscheidung darüber vorantreiben, ob nicht der Ma­sochismus als eigentliche Triebfeder am besten die Aiassche Thematik kennzeichnet — Aias, der nicht die Strafe sucht, sondern sie, um seine Ehre (ein anderes Schlüsselwort des Narzißmus) zu retten, an sich voll­zieht —, wollen wir einen Augenblick bei den Beziehungen von Maso­chismus und Narzißmus verweilen.

In seiner Arbeit über »Das ökonomische Problem des Masochismus« (1924) gelangte Freud gleichzeitig mit seiner Aufteilung der Paare Span­nung/Unlust und Entspannung/Lust zur Unterteilung des Masochis­mus als Ausdruck des Todestriebes in drei Substrukturen: erotischen Masochismus, weiblichen Masochismus, moralischen Masochismus. Diese Aufgliederung folgt demselben Prinzip, das wir hier zur Anwen­dung bringen, nur daß wir als Basis nicht die Wirkungen des Todestriebs, sondern die des Narzißmus nehmen. Unter klinischen Gesichtspunkten lassen sich unserer Auffassung nach mehrere Varianten, mehrere Sub­strukturen des Narzißmus unterscheiden:

  • ein körperlicher Narzißmus, der die Empfindung (den Affekt) des Kör­pers sowie die Repräsentationen des Körpers umfaßt; des Körpers als Ob­jekt für den Blick des Anderen, insofern er ein dem Körper äußerlicher ist, vergleichbar etwa wie der Narzißmus des Körpergefühls — des gelebten Körpers — ein Narzißmus des Abtastens des Anderen ist, insofern er ein dem Körper innerlicher ist. Bewußtsein des Körpers oder Wahrnehmung des Körpers sind dabei die basalen Elemente (vgl. Green, 1966/67);
  • ein intellektueller Narzißmus, der uns hier nicht weiter beschäftigen muß, weil die analytische Literatur voll von derartigen Beispielen ist. Der intellektuelle Narzißmus manifestiert sich in der Besetzung, die die Herrschaft durch den Intellekt erfährt, verbunden mit einem übermäßi­gen Vertrauen in diese, was oft von den Tatsachen widerlegt wird. Der Nachdruck, mit dem er fortbesteht, vergegenwärtigt, daß »das nicht daran hindert, trotzdem zu existieren«. Diese Form des Narzißmus, die uns hier nicht weiter aufhalten soll, führt uns die Illusion einer intellek­tuellen Herrschaft vor Augen. Sie ist eine Sekundärform zur Allmacht der Gedanken. Sie ist Allmacht des Denkens, insofern sie den Sekundär­prozeß dieser Aufgabe unterstellt;
  • ein moralischer Narzißmus schließlich, den wir jetzt und hier be­schreiben wollen und den wir im Moment nur beiseite lassen, um ihn an anderer Stelle auszuführen.1

1 Wir müssen wohl nicht betonen, daß wir keine Entsprechung zwischen den drei Formen des Masochismus und den drei Formen des Narzißmus im Blick haben.

Seit Das Ich und das Es (1923) weist Freud den unterschiedlichen Instan­zen ein je spezifisches Arbeitsmaterial zu. Was der Trieb für das Es, ist die Wahrnehmung für das Ich und die Funktion des Ideals — Funktion des Verzichts auf Triebbefriedigung und die Öffnung auf den ins Unend­liche zurückgedrängten Horizont der Illusion — für das Über-Ich. Dem­nach scheint der moralische Narzißmus, insoweit als die Beziehungen von Moral und Über-Ich deutlich etabliert sind, in einer engen Relation von Ich und Über-Ich verstanden werden zu müssen oder, genauer, da es dabei um die Funktion des Ideals geht, von Ich-Ideal und Über-Ich. Daß das Es an dieser Situation keineswegs unbeteiligt ist, wird der weitere Verlauf unserer Arbeit zeigen. Wenn wir uns vorstellen, daß das Es vom Antagonismus zwischen Lebenstrieben und Todestrieben bestimmt wird, daß das Ich einen unaufhörlichen Besetzungsaustausch zwischen Ich und Objekt erfährt und daß das Über-Ich aufgeteilt ist zwischen dem Verzicht auf Befriedigung und den Trugbildern der Illusion, verste­hen wir, daß das Ich in seinem Zustand doppelter Abhängigkeit — vom Es und vom Über-Ich — nicht zwei Herren, sondern vieren dienen muß, weil ein jeder sich verdoppelt. Das passiert normalerweise jeden von uns, und keiner ist frei von moralischem Narzißmus. So rührt die Annehm­lichkeit unserer Beziehungen aus der allgemeinen Ökonomie dieser Ver­bindungen, vorausgesetzt, daß die Lebenstriebe über den Todestrieb und die Tröstungen der Illusion über den Stolz des Triebverzichts obsie­gen. Das ist aber nicht in jedem Fall so. Die pathologische Struktur des Narzißmus, die wir beschreiben wollen, wird vielmehr durch eine Öko­nomie charakterisiert, die das Ich infolge eines Sieges des Todestriebs in doppelter Hinsicht schwer belastet; ein Sieg, der dem Nirwana-Prinzip (dem einer Spannungsermäßigung bis auf die Null-Linie) eine relative Vorherrschaft über das Lustprinzip einräumt und der ein Sieg des Trieb­verzichts über die Befriedigungen der Illusion ist.

So etwa der Haupteffekt aus Todestrieb und Triebverzicht. Verweist uns das nicht abermals auf die Strenge des masochistischen Über-Ichs? An­näherungsweise, ja. Genaugenommen, nein.

Masochistische Phantasien und narzißtische Phantasien

»… der richtige Masochist hält immer seine Wange hin, wo er Aussicht hat, einen Schlag zu bekommen«, schreibt Freud (1924, S. 378). Auf den moralischen Narzißten trifft das nicht zu. Freud paraphrasierend, könn­te man sagen: »Sobald es auf irgendeine Befriedigung zu verzichten gilt, meldet sich der moralische Narzißt freiwillig.« Vergleichen wir denn diese so aufschlußreichen masochistischen Phantasien mit den narzißti­schen. Im Masochismus geht es darum, geschlagen, gedemütigt, be­schmutzt zu werden, reduziert auf einen Zustand der Passivität, einer Passivität allerdings, die immer die Präsenz des Anderen erfordert. Über diese für den Masochisten geltende Notwendigkeit der Beteiligung eines Anderen sagt Lacan, daß sie beim Anderen die Angst errege, inwieweit er, der Sadist, sein Begehren aufrechterhalten kann, will er nicht das Ob­jekt seiner Lust zerstören.

Nichts dergleichen beim Narzißten. Es geht nur darum, rein zu sein, al­so allein zu sein, auf die Welt zu verzichten, auf ihre Freuden genauso wie auf ihre Leiden, weil man, wie wir wissen, aus Unlust noch Lust ge­winnen kann. Die Subversion des Subjekts durch die Inversion ist für ei­nen jeden erreichbar. Schwieriger und verlockender ist es, sich jenseits von Lust/Unlust anzusiedeln und ein Gelübde der Enthaltsamkeit abzu­legen, ohne Schmerz zu suchen, ein Gelübde der Armut und Besitzlo­sigkeit, der Einsamkeit, ja der Einsiedelei; alles Bedingungen, die an Gott heranführen. Hat Gott Hunger oder Durst? Ist Gott abhängig von der Liebe, vom Haß der Menschen? Es kommt schon vor, daß solches geglaubt wird; die aber so denken, wissen nicht, was der wahre Gott ist: das Unnennbare. Diese tiefreichende Askese, die Anna Freud (1936) als einen der Adoleszenz eigenen Abwehrmechanismus innerhalb der nor­malen Entwicklung des Individuums beschreibt und auf die sich Pierre Mäle in seinen Studien über den Adoleszenten mehrfach bezieht, kann pathologische Formen annehmen. Selbst wenn das Leiden nicht gesucht wird, kann es doch nicht vermieden werden, wieviel Energie das Subjekt auch daran setzen mag, es sich zu ersparen. Freud sagt vom Masochi­sten, er wolle tatsächlich wie ein kleines Kind behandelt werden. Der moralische Narzißt verfolgt ein anderes Ziel: Er will als das Kind, das er ist, den Eltern gleichen, die er sich — zumindest ein Teil von ihm — als je­manden vorstellt, der keinerlei Probleme mit der Triebbeherrschung hat: Er will groß sein. Beides führt zu unterschiedlichen Konsequenzen. Der Masochist maskiert mit seinem Masochismus eine nicht bestrafte Verfehlung, Resultat einer Übertretung, hinsichtlich deren er sich schul­dig fühlt — der moralische Narzißt hat keine andere Verfehlung begangen als die, in seiner infantilen Megalomanie verhaftet zu bleiben, und er ist, gemessen an seinem Ich-Ideal, immer im Rückstand. Die Folge ist, daß er sich nicht schuldig fühlt, sondern sich schämt, nur das zu sein, was er ist, oder aber sich schämt, weil er vorgibt, mehr zu sein, als er ist. Viel­leicht könnte man sagen, daß der Masochist einer Beziehungsebene an­gehört, bei der es um das Haben in Form einer ungebührlichen Aneignung geht, während der Narzißt einer Beziehungsebene, der es um das Sein geht (man ist, wie man ist), angehört.2 Im moralischen Masochis­mus, erinnert uns Freud, wird das Subjekt nicht zu sehr für seine Verfeh­lung bestraft als vielmehr für seinen Masochismus. Die libidinale Erre­gungsausbreitung benutzt die Schiene der Unlust nur, um auf diesem ge­heimen Weg zu einem dem Subjekt nicht bewußten Lusterleben zu kom­men; etwa so, wie der Rattenmann eine »ihm selbst unbekannte Lust« erlebt, wenn er Freud die Strafe ausmalt, die sein Entsetzen und seine Mißbilligung hervorgerufen hatten (vgl. Freud, 1909, S. 392). Im morali­schen Narzißmus, dessen Ziel genauso wie das des Masochismus zum Scheitern verurteilt ist, erfüllt sich die Strafe — hier die Scham — mittels der unerträglichen Verdoppelung des Stolzes. Die Ehre ist niemals si­cher. Alles ist verloren, weil nichts die Schande einer befleckten Ehre be­seitigen kann, es sei denn ein neuer Verzicht, der auf Kosten der weiter verarmenden Objektbeziehungen einzig und allein zu Ehren des Nar­zißmus geleistet wird.

Hier enthüllt sich der markante Hauptunterschied des Gegensatzpaa­res: Der Masochist bewahrt in der Negativierung der Lust und in seiner Suche nach Unlust eine vielfältige Bindung an das Objekt, die der Nar­zißt gerade aufzugeben sucht. Man wird vielleicht diesen Begriff »viel­fältig« kritisieren, da er gewöhnlich mit normativen Qualitäten ausge­stattet ist. Wir sollten vielleicht eher von einem substantiellen Bezug zu den Objekten sprechen, insofern diese ihrerseits die phantasmatischen Objekte nähren, von denen das Subjekt letztendlich zehrt.

Der Narzißt wird den Konflikt dadurch zu lösen versuchen, daß er seine objektalen Beziehungen mehr und mehr zurückbildet, bis das Ich auf seinem vitalen Minimum an Objektbeziehung angelangt ist und so sei­nen befreienden Triumph erfährt. Dieser Versuch wird allerdings durch die Triebe ständig zum Scheitern gebracht, die verlangen, daß die Befrie­digung über ein Objekt, das nicht das Subjekt ist, verläuft. Als Lösung,

2 Sollte das Beispiel, das wir dem Aias-Mythos entlehnt haben, im Widerspruch stehen zu dem eben Entwickelten? Aias tötet sich, weil die Waffen des Archill an einen anderen ge­hen. In seinem Fall würde es sich also wohl um eine Beziehung zu einem Haben handeln, dessen er beraubt ist. Täuschen wir uns nicht. Das, woran Aias leidet, ist eine Wunde des Seins. Es geht darum, daß er nicht als der furchterregendste der Krieger anerkannt wurde, wofür die von Hephaistos geschmiedeten Waffen des Achill zeugen. Es geht um ein phalli­sches Attribut, das ihm fehlt, insofern, als dieses ihm die Bewunderung von Freunden und Feinden einbringen würde. Deshalb ist seine Reaktion die der Scham, als ob ihre Zuwei­sung an einen anderen seine Erniedrigung und seinen Unwert verkörpern würde. Der Un­terschied zwischen dem Tapfersten (der er ist) und dem Furchterregendsten (der Odysseus wegen seiner List ist) sind tote Buchstaben für ihn. Der Entehrung kann er nur entgegen­treten durch die Aufgabe seines Lebens und aller Objekte, die ihn an dieses binden

ja als einzige Lösung bietet sich die narzißtische Besetzung des Objekts an, der allerdings, wie wir wissen, die Depression auf dem Fuß folgt, wenn das Objekt sich entfernt, verlorengeht oder enttäuscht.3

Diese Überlegung läßt uns die Besonderheiten in der Behandlung sol­cher Patienten besser verstehen. Während masochistische Patienten jene von Freud ins Auge gefaßten Probleme der negativen therapeutischen Reaktion aufwerfen, der das stete Bedürfnis nach Selbstbestrafung zu­grunde liegt, konfrontieren uns die moralischen Narzißten, treue und tadellose Patienten, mittels einer progressiven Verdünnung ihrer Beset­zungen mit einem Abhängigkeitsverhalten, bei dem das Bedürfnis nach Liebe oder, genauer, nach Achtung von seiten des Analytikers der Sauer­stoff ist, ohne den sie sich nicht unter die Sonne wagen können. Zudem gilt das Bedürfnis einer besonderen Art der Liebe, der es darum geht, die Opferung der Lust anerkannt zu bekommen.

Wie Freud sagt, kann »die Selbstzerstörung der Person […] nicht ohne li­bidinöse Befriedigung erfolgen« (1924, S. 383). Welche Befriedigung fin­det nun der moralische Narzißt in seiner Verarmung? Das Gefühl, auf­grund des Verzichts besser zu sein als andere — die Grundlage des menschlichen Stolzes. Das vergegenwärtigt zwangsläufig die Beziehung zwischen dieser klinischen Form des Narzißmus und dem Primärnar­zißmus der Kindheit in seiner Verbindung mit dem Autoerotismus. Wenn Freud hat sagen können, daß der Masochismus die Moral resexua­lisiere, sind wir versucht zu sagen: Der Narzißt macht aus der Moral eine autoerotische Lust, wobei auch noch die Lust abgeschafft wird.

Teilaspekte und Abkömmlinge des moralischen Narzißmus

Der Gegensatz zwischen masochistischen und narzißtischen Phantasien hat uns den Hauptaspekt dieser Struktur vor Augen geführt. Wir möchten jetzt kurz einige dieser abgeleiteten oder partiellen Gesichts­punkte ins Auge fassen, bevor wir die dazugehörige Metapsychologie entwerfen.

Wir haben weiter oben die Askese erwähnt, insofern sie über die Adoles­zenz hinausgeht und zu einem Lebensstil wird. Diese Askese unter­scheidet sich entschieden von jener, der eine religiöse Überzeugung oder eine Regel — immer in der religiösen Bedeutung des Worts — zugrunde liegt. Sie ist wirklich unbewußt. Sie nimmt Beschränkungen materieller

3 Pasche hat in ihrer Arbeit über die Depression der Minderwertigkeit Fälle beschrieben, die in diesen hier beschriebenen Rahmen gehören (1969, S. 181 ff.).

Art zum Anlaß, um das Ich zu einer fortschreitenden Einengung seiner Besetzungen zu bringen, dergestalt daß die Verbindung von Wunsch und Bedürfnis von der Ebene des ersten auf die des zweiten verschoben und so der Wunsch auf das Bedürfnis reduziert wird. Man trinkt, man ißt, nur um zu überleben, nicht aus Lust. Man eliminiert die Abhängigkeit gegenüber dem Objekt wie dem Wunsch mit Hilfe eines verarmten Au­toerotismus, der von allen Phantasien abgekoppelt wird und dessen Ziel die Entladung im Sinne einer hygienischen Entleerung darstellt; oder aber man vollzieht eine massive Verschiebung auf die Arbeit und setzt ei­ne rastlose Pseudosublimation in Gang, die eher die Bedeutung einer Reaktionsbildung als die eines Triebschicksals mit Hemmung, Zielver­schiebung und sekundärer Desexualisierung hat. Diese Pseudosublimie­rung bekommt einen wahnhaften Charakter — wir schließen uns Ella Sharpe mit dieser Akzentuierung an. Wir werden an anderer Stelle se­hen, warum.

Die letzten Bemerkungen bringen uns geradewegs zu einem zweiten Aspekt des moralischen Narzißmus. Er findet sich unter den Merkma­len eines selten erwähnten Syndroms, das dennoch häufig vorkommt: dem der Affektiven Hemmung. Eine Störung, die sich unserem Blick erst nach und nach erschlossen hat und die nicht einfach eine benigne Form der Konfliktbearbeitung darstellt, ganz im Gegenteil. Ihre Be­zeichnung »Hemmung« trägt sie einerseits zu Recht, denn ihre Folgen hinsichtlich der affektiven Besetzungen sind für das Subjekt genauso gravierend wie die der intellektuellen Hemmung hinsichtlich der kogni­tiven Besetzungen. Andererseits bildet ihr Substrat die Verleugnung des Wunsches und seiner triebhaften Basis, was die Tatsache rechtfertigt, daß frühere Autoren wie Laforgue sie unter dem Namen Schizonoia dem psychotischen Formenkreis zugeordnet haben. Man ist oft überrascht über die quasi paranoische Form des Verhaltens. Die affektive Hem­mung ist nicht das Alleinrecht junger Mädchen — weit gefehlt — und läßt sich genauso — mit einer schlechten, wenn nicht noch schlechteren Pro­gnose — bei jungen Männern finden. Wir kennen ihre banalen Aspekte: die Empfindsamkeit — nicht die Sensibilität; das Zurückschrecken vor den menschlichen Gelüsten oraler oder sexueller Natur — nicht deren Sublimierung, was ja hieße, sie anzuerkennen; die Angst vor allem Ge­schlechtlichen, insbesondere vor dem Penis, der Neid auslöst, und zwar einen bei beiden Geschlechtern vorhandenen absoluten, maßlos dimen­sionierten Neid; die Gebundenheit an Träumereien, die einem puerilen, pathetischen und leicht messianischen Genre angehören. Im Leben las­sen sich diese Wesen oft daran erkennen, daß sie in die Position von Prügelknaben geraten, was sie allerdings kaum aus der Fassung zu bringen vermag, überzeugt, wie sie sind, weit über das gemeine Volk erhaben zu sein.

Diese kursorischen Bemerkungen lassen vielleicht keine sichere Unter­scheidung zwischen Hysterie und affektiver Hemmung zu. Der wesent­liche Unterschied scheint uns darin zu bestehen, daß bei der affektiven Hemmung dem Ich-Ideal eine übermäßig hohe Bedeutung beigemessen wird. An dieser Stelle sollte man an Melanie Kleins Überlegungen zur Idealisierung denken. Melanie Klein sieht in der Idealisierung einen der ursprünglichsten und grundlegendsten Abwehrmechanismen. Wobei die Idealisierung das Objekt wie das Ich betreffen kann. Mit dieser Un­terscheidung auf ökonomischer Ebene läßt sich am ehesten die Auftei­lung in Hysterie und affektive Hemmung begründen, dergestalt daß letztere das Ergebnis eines auf die Spitze getriebenen Narzißmus bei gleichzeitig zunehmendem objektalen Besetzungsabzug ist.

Man könnte nur zu leicht in eine Falle geraten, wenn man hinter diesem ganzen Verhalten lediglich eine Abwehrposition gegen die Triebbeset­zungen herauslesen wollte; was diese Wahlentscheidungen nämlich kennzeichnet, ist ein hinter den täuschenden Formen der Ergebenheit verborgener immenser Stolz, der in keinem Verhältnis zu den gewöhnli­chen Leistungen des Narzißmus steht.4 Es lohnt, sich einige Gedanken über den zweifelhaften Wert dieser Besetzungsverarmung als Abwehr­maßnahme zu machen. Bei dieser Abschirmung gegenüber den Schick­salen des Triebs und seiner Objekte ist sicher eine Abwehrbedeutung im Spiel. Man kann sich vorstellen, daß dieses Verfahren dem Subjekt Schutz gewährt, und bekommt manchmal die heftige Angst vermittelt, die der Analysand empfindet, weil die Besetzung ein beträchtliches Des­organisationsrisiko für das Ich zu beinhalten scheint. Auf dieselbe Weise wie der Reizschutz, der gegenüber den äußeren Reizen, deren Intensität die fragile Ichorganisation in Gefahr bringen könnten, aufgerichtet ist und der das Ich jenseits einer gewissen Quantität an Reizen mittels Ver­weigerung schützt, soll die Verweigerung gegenüber dem Trieb als ver­gleichbare Schutzmaßnahme wirksam werden. Diese Patienten erleben sich wirklich als extrem fragil und haben das Gefühl, daß, wenn der Trieb tatsächlich zum Bewußtsein zugelassen würde, die Gefahr eines perversen oder psychotischen Verhaltens bestünde. Wenn sie sich nicht ununterbrochen beobachten, sie sich vielmehr tatsächlich ungebremst

4 Natürlich ist diese narzißtische Überbesetzung die Konsequenz einer irreparablen nar­zißtischen Wunde.

gehenlassen würde — sagte uns eine Patientin —, wäre sie über kurz oder lang verwahrlost. Aber jeder von uns verwahrlost (am Sonntag oder in den Ferien) ein ganz klein wenig und akzeptiert diesen Zustand mehr oder weniger. Der moralische Narzißt kann sich das nicht erlauben. Deshalb muß er so notwendig an der narzißtischen Besetzung des Stol­zes festhalten.

Wir haben von Messianismus gesprochen, und tatsächlich geht es nur zu oft genau darum. Bei den Frauen ist dies von der Identifikation mit der Jungfrau Maria begleitet, »die ohne Sünde empfing«, eine gängige Vor­stellung. Welch folgenschwerer Satz für die weibliche Sexualität, sehr viel gefährlicher als der vom »Sündigen ohne zu empfangen«, gleichfalls ein Ziel der Frauen. Dem entspricht beim Mann die Identifikation mit dem Osterlamm. Es geht dann nicht nur darum, sich ans Kreuz schlagen oder sonstwie abmurksen zu lassen, es geht vielmehr darum, im Mo­ment des Holocaust unschuldig zu sein wie das Lamm. Aber wie man weiß, werden die Unschuldigen oft durch die Geschichte mit Verbrechen beladen, die sie, um rein zu bleiben, veranlaßt haben.

Diese Verhaltensweisen einer durch den Widerstreit mit dem Realen im­mer wieder zum Scheitern verurteilten Idealisierung haben, wie gesagt, die Scham und nicht das Schuldgefühl im Gefolge und die Abhängigkeit viel eher als Unabhängigkeit. In der analytischen Behandlung zeigen sich mehrere Besonderheiten:

  • der schwierige Zugang zum objektalen analytischen Material, verbor­gen unter dem Deckmantel dessen, was Winnicott hier das falsche Selbst nennen würde;
  • die narzißtische Wunde, die als Gewaltakt oder Einbruch, als unver­meidliche Bedingung beim Bergen des objektalen Materials erfahren Die Arbeit der Demystifikation richtet sich hier nicht nur auf den Wunsch, sondern auch auf den Narzißmus des Subjekts, den Hüter seiner narzißtischen Einheit, wesentliche Bedingung des Wunsches zu leben;
  • die Verankerung außerhalb der Kur in einem aktiv passiven Wider­stand, der die Abhängigkeitswünsche des Subjekts befriedigen soll, eine Abhängigkeit, die es erzwingen könnte, mit dem Analytiker auf ewig verbunden zu bleiben und ihn, wie einen Schmetterling, den man im Netz der analytischen Situation gefangen hat, in seinem Sessel festzu­spießen;
  • den Wunsch nach einer bedingungslosen Liebe, einziges Verlangen der Dies zeigt sich im Verlangen nach absoluter Achtung in Form eines unerschöpflichen Bedürfnisses nach narzißtischer Würdigung, deren ausdrückliche Bedingung darin besteht, daß der sexuelle Konflikt und der Weg zu der an die erogenen Zonen gebundenen Lust unzugänglich gemacht, wenn nicht ausgeklammert wird;

— die Projektion als Korrelat dieses Wunsches, der mit taktischem Ziel eingesetzt wird, um nämlich die beruhigende Verleugnung des Analyti­kers zu provozieren. »Versichern Sie mir, daß Sie in mir keinen gefalle­nen, verdorbenen, verbannten Engel sehen, der jedes Recht auf Achtung verloren hätte.«

Metapsychologie des moralischen Narzißmus

Was wir gerade in deskriptiven Begriffen beschrieben haben, soll nun seinen metapsychologischen Status erhalten. Dazu ist es nötig, die Be­ziehung des moralischen Narzißmus zu den verschiedenen Formen der Gegenbesetzung, den anderen Arten des Narzißmus, der Libidoent­wicklung (erogene Zonen und Objektbeziehung) und schließlich zu Bi­sexualität und Todestrieb zu untersuchen.5

Die unterschiedlichen Arten der Gegenbesetzung

Das Konzept des Abwehrmechanismus hat sich seit Freud deutlich er­weitert. Die Vielfalt der Abwehrformen, wie sie Anna Freuds Arbeit Das Ich und die Abwehrmechanismen (1936) auflistet, berücksichtigt jedoch nicht die strukturellen Besonderheiten der nosographischen Hauptfor­men, die man immer wieder umsonst zu umgehen versucht. Nur eine Reflexion über die Gegenbesetzung verspricht Abhilfe: die Verdrän­gung, insofern sie eine Abwehr darstellt, nicht die erste, dafür aber die wichtigste für die psychische Zukunft des Individuums.6 Kurz rekapitu­lieren sollte man jene Formenreihe, die Freud beschreibt und deren Funktion es ist, alle übrigen Abwehrformen in eine bestimmte Ordnung stellen zu können — ihnen quasi einen Rahmen zu geben. Somit haben wir:

  1. die Verwerfung — le rejet, von einigen mit Lacan auch als forclusion
    übersetzt —: Man kann vielleicht über das Wort diskutieren, kaum über
    die Sache, die eine radikale Verweigerung, etwas anzuerkennen oder zur

5 Wir betrachten also nicht die Metapsychologie gemäß den drei Gesichtspunkten, dyna­misch, topisch, ökonomisch — jeweils für sich genommen. Aber in jeder Rubrik sollte jeder bekommen, was ihm gebührt.

6 Man findet hier die Opposition zwischen dem Ersten und dem Wichtigsten, Prima und Summa, so verteidigt von G. Dumezil.

Kenntnis zu nehmen, impliziert und die auf die eine oder andere Weise in direkter oder verdeckter Form den Trieb und seine Repräsentanzen aus­klammert, deren Wiederkehr sich dann im Realen vollzieht;

  1. die Verleugnung — le dd.ni oder dAavceu, Verdrängung der Wahrneh­mung (vgl. z. B. Fetischismus);
  2. die Verdrängung im eigentlichen Sinn — le refoulement —, die sich auf den spezifischen Affekt und auf die Triebrepräsentanz bezieht;?
  3. die Verneinung schließlich — la neation oder dbleation, die sich auf das Urteil bezieht. Sie ist (wir vereinfachen) Zulassung zum Bewußtsein unter einer Negativform. »Dies ist nicht …« in der Bedeutung von »Dies ist«.

Der moralische Narzißmus scheint uns in seiner reinsten und charakte­ristischsten Ausprägung die Antwort auf eine Situation zu sein, die zwi­schen Verwerfung und Verleugnung, zwischen rejet und dAavceu, steht: Was dann allerdings bedeutet, daß er strukturell, aufgrund seiner Schwe­re, in die Nähe der Psychosen gehört.

Mehrere Argumente stützen diese Vorstellung. Zunächst der Gedanke, daß es sich um eine Abart der »narzißtischen Neurose« handelt, etwas also, das wir aufgrund unserer klinischen Erfahrung gewöhnlich mit be­sorgtem Blick betrachten. Dann die Dynamik der Konflikte selbst, die eine Verweigerung gegenüber den objektalen Trieben implizieren, ver­bunden mit einer Zurückweisung des Realen. Weigerung, die Welt so zu sehen, wie sie ist, d. h. als ein geschlossenes Feld, auf dem die menschli­chen Begierden sich eine Schlacht liefern, die kein Ende hat. Und endlich liegt dem moralischen Narzißmus die Megalomanie zugrunde, in der ei­ne vom Ich ausgehende Verweigerung der Objektbesetzungen impliziert ist. Immerhin handelt es sich nicht wie in der Psychose um eine Verdrän­gung der Realität, sondern eher um eine Verleugnung, um eine Nichtan­erkennung der Ordnung der Welt und des persönlichen Anteils, den der Wunsch des Subjekts daran hat. Freud beschreibt die mit der Ablehnung der Kastration verbundene Verleugnung, die sich im Fetisch manife­stiert. Der moralische Narzißt weiht sich einer ähnlichen Funktion der Auffüllung des Fehlenden, wenn er sich als Objekt einer Opferung an­bietet, als ein Objekt, das die Löcher, die die Schutzlosikeit der Welt of­fenbar werden lassen, mit einem allmächtigen göttlichen Bild zu ver­schließen sucht, um diesem unerträglichen Mangel abzuhelfen. »Wenn Gott nicht existiert, ist alles erlaubt«, sagt Dostojewskis Held. »Wenn

7 Wir für unseren Teil nehmen entgegen der gängigen Meinung der letzten Jahre an, daß der Affekt verdrängt wird und nicht nur zurückgewiesen (vgl. Green, 1973).

Gott nicht existiert, ist es mir erlaubt, ihn zu ersetzen und das Beispiel zu sein, das den Glauben an Gott wiederherstellt. Ich werde also Gott in Stellvertretung sein.« Man kann sich vollstellen, daß das Scheitern dieses Unternehmens — wie Pasche (1969) betont —, in der Depression mündet, entsprechend dem Motto »Alles oder Nichts« ohne die Möglichkeit ir­gendeiner Vermittlung.

Die anderen Aspekte des Narzißmus

Die drei Aspekte des Narzißmus, die wir im einzelnen herausgearbeitet haben — moralischer Narzißmus, intellektueller Narzißmus, körperli­cher Narzißmus —, lassen sich als Varianten der Besetzung darstellen, die aus Gründen der Abwehr oder der Identifikation — je nach individueller Konfliktlage — erwählt werden. Genauso aber, wie die narzißtische nicht von der objektalen Beziehung abgelöst werden kann, stehen auch die un­terschiedlichen Aspekte des Narzißmus in wechselseitigem Zusammen­hang.

Der moralische Narzißmus ist besonders eng mit dem intellektuellen Narzißmus verbunden. Darunter verstehen wir, wie gesagt, jene Form der Selbstgenügsamkeit und der einsamen Valorisierung, die durch intel­lektuelle Beherrschung oder Verführung Ersatz bieten will für das Es­sentielle menschlichen Begehrens. Nicht selten verbündet sich der mo­ralische mit dem intellektuellen Narzißmus und findet über diese Art der Verschiebung einen Weg zur Pseudosublimierung. Grundlage des moralischen Narzißmus bildet eine Hypertrophie desexualisierter Be­setzungen, die für gewöhnlich eine Verschiebung prägenitaler Partial-triebe Skoptophobie/Exhibitionismus und Sadismus/Masochismus ver­anlassen. Wir kennen die Affinität, die bestimmte religiöse Orden zu in­tellektueller Gelehrsamkeit aufweisen. Ein solcherart moralisch-philo­sophisch getöntes intellektuelles Forschen hat zum Ziel, Begründungen für eine gegen ein Triebleben gerichtete Ethik, wie man sie schon bei Gott gesucht hatte, bei den Philosophen zu finden, und zwar ein Trieb­leben, das nicht etwa aufgegeben oder unterdrückt, sondern um jeden Preis ausgelöscht werden soll. Die Scham darüber, wie jedes menschliche Wesen mit einem Triebleben versehen zu sein, verleiht, bezogen auf das uneingestandene Ziel der Arbeit, ein Gefühl der Scheinheiligkeit. Diese Scham wird auf die intellektuelle Aktivität verschoben, die dann zu einer höchst schuldbeladenen wird. Man müßte eigentlich sagen — der Begriff dazu fehlt —, zu einer schambeladenen, als ob das aufmerksame Über-Ich zum überhellsichtigen Verfolger würde, der die Erinnerung wachhält und hinter der intellektuellen Beweisführung das Verlangen nach Absolution für die verbliebenen Reste des Trieblebens errät, die nicht aufhören, das Ich umzutreiben. Zugleich wird die in einer solchen Suche enthaltene Größenphantasie bestraft, die auf rationaler und intellektuel­ler Ebene die moralische Überlegenheit des Subjekts begründen soll.

In anderen Fällen entwickelt sich die intellektuelle Aktivität — Synonym des väterlichen Phallus —, die mit ihren in der Schulzeit unternommenen Anstrengungen für die Kindheit befriedigend verlaufen war, in der Adoleszenz zu einem Anlaß von Blockierung.

Man müßte an dieser Stelle die Analyse der Sublimierung und der Re­gression vom Handeln zum Denken weiter verfolgen. Das allerdings würde die Grenzen unseres Vorhabens überschreiten. Dennoch einige Anmerkungen:

  • Die intellektuelle Aktivität, ob nun von einer phantasmatischen Akti­vität begleitet oder nicht, wird sehr stark erotisiert, ist schuldhaft besetzt und wird vor allem als schmachvoll Mit ihr gehen Kopf­schmerzen, Schlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten beim Le­sen und die Unfähigkeit einher, das Angeeignete angemessen zu nutzen usw. Beschämend daran ist, daß gerade, wenn das Subjekt dieser Aktivi­tät nachgeht, es diese in Beziehung bringt mit einer oft masturbatori­schen Sexualität: »Ich lese Werke von großer Humanität oder hohem moralischen Wert, aber nur, um mich als etwas darzustellen, was ich gar nicht bin, und so meine Mitwelt darüber wegzutäuschen, daß ich kein reiner Geist und voller sexuelle Wünsche bin.« Nicht selten hat in sol­chen Fällen das Kind den Vorwurf ungesunder Anmaßung oder unge­sunder Neugier von seiten seiner Mutter erfahren.
  • Die intellektuelle Aktivität stellt eine Möglichkeit aggressiver Trieb­abfuhr dar: Lesen heißt dann, sich eine destruktiv geartete Macht einzu­verleiben; heißt, sich vom Kadaver der Eltern zu ernähren, die man le­send durch die Inbesitznahme des Wissens tötet. Ella Sharpe (1931) ver­bindet nicht umsonst Sublimierung mit Inkorporation innerhalb der phantasmatischen Repräsentation.
  • Intellektuelle Aktivität und Ausübung des Denkens werden im Fall des moralischen Narzißmus von einer Rekonstruktion der Welt beglei­tet; diese ist die Errichtung einer moralischen Regel mit Hilfe einer gera­dezu paranoischen Aktivität, die ununterbrochen das Reale neu er­schafft, neu modelliert, gemäß einem Muster, bei dem alles Triebhafte übergangen oder konfliktlos aufgelöst wird. Ella Sharpe hat sehr gut die Verbindungen zwischen Sublimierung und Wahn herausgearbeitet. Alles in allem befindet sich das System Wahrnehmung-Bewußtsein, insofern es narzißtisch besetzt ist, im Zustand der »Überwachung«, kon­trolliert und schikaniert vom Über-Ich, und befindet sich ähnlich wie beim Überwachungswahn in einem ökonomischen, wenn auch anders-gearteten Gleichgewicht.

Vor allem aber mit dem körperlichen Narzißmus unterhält der morali­sche Narzißmus die engsten Beziehungen. Der Körper als Erscheinung, Quelle der Lust, der Verführung, der Eroberung des anderen, wird mit dem Bann belegt. Die Hölle sind für den moralischen Narzißten nicht die anderen — die hat der Narzißmus längst abgeschafft —, die Hölle, das ist der Körper. Der Körper ist der Andere, der trotz aller Versuche, seine Spur zu tilgen, immer wieder aufersteht. Der Körper ist Begrenzung, Knechtschaft, Endlichkeit. Das Unbehagen ist so zuallererst und zu­nächst ein körperliches Unbehagen, das sich bei den Betreffenden im Ge­fühl, in seiner Haut nicht wohl zu sein, ausdrückt. Die analytische Sit­zung, die den Körper zum Sprechen bringt (intestinale Geräusche, vaso­motorische Reaktionen, Schweiß-Kälte-Wärmeempfindungen), wird dann zur Folter, denn wenn es noch gelingt, die Phantasien unter Kon­trolle zu halten oder zum Schweigen zu bringen, so bleibt doch die Machtlosigkeit gegenüber dem Körper. Der Körper ist der absolute Herr — die Scham.8 Deshalb sind die Betreffenden auf der Couch verstei­nert, unbeweglich. Auf stereotype Weise legen sie sich hin, erlauben sich keine Änderung der Stellung, geschweige denn irgendeine Bewegung. Nur zu verständlich ist, daß angesichts dieser motorischen Stille des Be­ziehungslebens die viszerale Motorik losbricht. Dabei handelt es sich al­lerdings nur um Verschiebungen des sexuellen Körpers, um Verschie­bungen dessen, der seinen Namen nicht zu sagen wagt: Während einer Sitzung wird ein vasomotorischer Anfall ein Erröten hervorrufen, die emotionale Bewegung wird Tränen entlocken, was alles nur von der De-

8 Diese körperliche Intoleranz könnte an das denken lassen, was Balint in seiner Arbeit über die drei Ebenen des psychischen Geschehens beschreibt, insbesondere an das, was er die Grundstörung nennt. Das Ich als Körper-Ich, als »Oberflächenprojektion« ist wie das System Wahrnehmung-Bewußtsein Objekt einer besonderen Überwachung — aufgrund der Rückkehr des Verdrängten von einer diffusen Erogenität — von Kopf bis Fuß, als sei den erogenen Zonen die Besetzung entzogen um den Preis einer erogenen Ausbreitung, einer Diffusion auf das ganze Ich, einer Ausbreitung dessen, was das Subjekt auszulöschen ver­sucht. Am Ende von fünf Jahren Analyse sagt eine Patientin nach einer Deutung, die auf die narzißtische Besetzung ihrer Rede abzielte: »Zum ersten Mal hat das, was Sie mir gesagt haben, nicht in meinem ganzen Körper nachgeklungen, sondern nur in meinem Kopf.« Die Stimme muß auch erwähnt werden: Die Vortragsart ist gesangsartig, psalmodisch, die Sit­zung ist ein langer Klagegesang, von dem man sagen würde, daß das Subjekt sich selbst zu­hört. Irrtum, es wiegt sich und den Analytiker mit ihm. In der Beute seiner psalmodieren­den Rede ist es dem Narzißten noch einmal gelungen, die Falle der Verzauberung des Ana­lytikers, den er in seiner Narzißmuswelt immobilisiert, zufallen zu lassen.

mütigung durch das Begehren spricht. Folglich wird für den Analytiker, anders als es der Körper signalisiert, das Erscheinungsbild abschrek­kend, abweisend, entmutigend gestaltet, gerade für ihn, der die gering­sten Ansprüche stellt an die Kriterien körperlicher Anziehung.

Wir zeigen hier Aspekte auf, die allem Anschein nach Abwehrcharakter haben. Aber auch hier sollten wir nicht außer acht lassen, daß hinter die­ser Demutshaltung eine verborgene stolze Lust steckt. »Ich bin weder Mann noch Frau, ich gehöre zum Geschlecht der Neutren«, sagte mir ei­ne solche Patientin. Wichtig ist jedoch, daß dieses Unbehagen, so peini­gend es auch ist, gerade ein Zeichen von Leben darstellt. Das Leiden ist nachgerade ein Existenzbeweis für eine irgendwie geartete Lebendig­keit. Wenn es nämlich — was gar nicht so unmöglich ist, wie man glaubt —, tatsächlich gelingt, die Angst in all ihren Erscheinungsformen, ein­schließlich der viszeralen, unter Kontrolle zu bekommen, und sich die Stille ausbreitet, überkommt den Analysanden das Gefühl einer entsetz­lichen Niedergeschlagenheit. Die Bleikappe des psychischen Leidens weicht nur, um den Deckel des Sarges zum Vorschein zu bringen. Denn hier geht es um ein Gefühl der Nichtexistenz, des Nichtseins, der inne­ren Leere, das um vieles unerträglicher ist als jenes, vor dem man sich schützen zu müssen glaubte. Vorher passierte wenigstens noch etwas, während nun die gelungene Beherrschung des Körpers zur Präfiguration des definitiven Schlafes wird — zum Vorzeichen des Todes.

Die psychische Entwicklung: die erogenen Zonen und die Objektbeziehung

Diese Abhängigkeit vom Körper, die wir beim Narzißten, besonders beim moralischen Narzißten, antreffen, hat ihre Wurzeln in der Bezie­hung zur Mutter. Wie wir wissen, ist die Liebe der Schlüssel zur mensch­lichen Entwicklung, oder wie Lacan sagt, das Begehren als Wesen des Menschen. Freud wurde nicht müde, gerade in seinen letzten Arbeiten, den unverjährbaren Anspruch des Triebes und den nicht minder unver­jährbaren Anspruch der Kultur, die den Triebverzicht fordert, miteinan­der in Einklang zu bringen. Die ganze Entwicklung ist durch diese Anti­nomie gezeichnet. In Der Mann Moses und die monotheistische Religion (1939, S. 224 f.) macht Freud dazu genauere Ausführungen:

»Wenn das Ich dem Über-Ich das Opfer eines Triebverzichts gebracht hat, erwartet es als Belohnung dafür, von ihm mehr geliebt zu werden. Das Bewußtsein, diese Liebe zu verdie­nen, empfindet es als Stolz. Zur Zeit, da die Autorität noch nicht als Über-Ich verinnerlicht war, konnte die Beziehung zwischen drohendem Liebesverlust und Triebanspruch die nämliche sein. Es gab ein Gefühl von Sicherheit und Befriedigung, wenn man aus Liebe zu den Eltern einen Triebverzicht zustande gebracht hatte. Den eigentümlich narzißtischen Charakter des Stolzes konnte dies gute Gefühl erst annehmen, nachdem die Autorität selbst ein Teil des Ichs geworden war.«

Diese Passage zeigt, daß man sich den Begriff der Entwicklung unter mindestens zwei Gesichtspunkten vorzustellen hat. Einerseits die nicht aufzuhaltende Entwicklung der Objektlibido hin zum phallischen, dann genitalen Stadium; andererseits die der narzißtischen Libido von der ab­soluten Abhängigkeit hin zu einer wechselseitigen genitalen Abhängig­keit. Demnach kann die notwendige Sicherheit — wenn man nicht den Ver­lust der Liebe der Eltern hinnehmen möchte — nur durch den Triebver­zicht, der das Selbstwertgefühl zu garantieren vermag, gewonnen werden. Die Vorherrschaft des Lustprinzips, ganz wie überhaupt das Überleben, sind nur möglich, wenn zu Anfang die Mutter die Bedürfnisbefriedigung sicherstellt, damit sich das Feld des Begehrens als Ordnung des Signifi­kanten öffnen kann. Dasselbe gilt für den Bereich des Narzißmus, der sich nur insofern zu etablieren vermag, wie die Sicherheit des Ichs durch die Mutter gewährleistet ist. Wenn aber diese Sicherheit und diese Bedürf­nisebene einer vorzeitigen Konfliktaktualisierung unterliegen (im Inne­ren des Subjekts oder ausgelöst von der Mutter), kommt es — parallel zum Erlöschen des Begehrens und seiner Reduktion auf den Status des Be­dürfnisses — aufgrund der narzißtischen Verletzung, die ein Erleben der Omnipotenz und damit auch ihr Überschreiten nicht erlaubt — zu einer exzessiven Abhängigkeit vom mütterlichen, Sicherheit garantierenden Objekt. Die Mutter wird so zur Stütze einer Omnipotenz, die mit Ideali­sierung einhergeht, deren psychotisierender Charakter ebenso bekannt ist wie die Tatsache, daß sie von einem Erlöschen des libidinösen Begeh­rens begleitet wird. Diese Omnipotenz läßt sich um so leichter überneh­men, als sie auf den Wunsch der Mutter antwortet, Kinder ohne Beitrag eines väterlichen Penis zu bekommen; gerade als sei das Kind, da mit Hil­fe dieses Penis gezeugt, ein mißglücktes, wertloses Produkt.

Ein Autor hat sich dieser Problematik der Abhängigkeit gewidmet: Winnicott (1958). Er hat gezeigt, wie, nachdem ein Teil der Psyche den Rückzug angetreten hat, die Abspaltung des verbleibenden Teils zu einer Konstruktion führt, die er das falsche Selbst nennt und die das Kind ge­zwungenermaßen für sich übernimmt.

Daß diese narzißtische Problematik mit der Zeit der Oralität zusam­menfällt, in der die Abhängigkeit von der Brust eine reale ist, verstärkt diese Abhängigkeit noch zusätzlich. In der analen Phase, in der bekannt­lich die kulturellen Zwänge wichtig sind — man spricht von Dressur (»Sphinkterdressur«) wie bei den Tieren —, in der gebieterisch Verzicht gefordert wird und die Reaktionsbildungen vorherrschen, bildet sich bestenfalls ein rigider Zwangscharakter, schlimmstenfalls eine versteck­te paranoische Charakterform aus; letztere trägt darüber hinaus Inkor­porationsphantasien eines gefährlichen und restriktiven Objektes in sich, das von einer antilibidinösen Allmacht beseelt ist. Alle diese präge­nitalen Reste prägen die phallische Phase nachdrücklich und verleihen der Kastrationsangst beim Jungen einen grundlegend entwertenden Charakter und dem Penisneid beim Mädchen eine Gier, über die es errö­ten und die es sich, so gut es kann, verbergen wird.

Die Instanzen

Untersuchen wir den Narzißmus in seinem Verhältnis zum Es. Dabei kann es sich nur um den primären Narzißmus handeln. An anderer Stel­le (Green, 1966/67) haben wir auf die Notwendigkeit verwiesen, das vom Es Abhängige —gewöhnlich unter dem Begriff des narzißtischen Hoch­gefühls oder der Selbsterweiterung beschrieben — ebenso zu berücksich­tigen wie das, was unserer Auffassung nach den primären Narzißmus in besonderer Weise kennzeichnet: eine Spannungsminderung auf das Nullniveau. Wir wir sehen konnten, ist es das Vorhaben des moralischen Narzißten, sich auf die Moral zu stützen, um sich damit von den Wech­selfällen der Bindung an das Objekt zu befreien und über diesen Umweg die Befreiung von der an die Objektbeziehung gebundenen Knecht­schaft zu erreichen und so dem Es und dem Ich die Möglichkeit zu ge­ben, sich von einem fordernden Über-Ich und einem tyrannischen Ich-Ideal lieben zu lassen. Aber dieser mystifikatorische Versuch mißlingt: zum einen, weil man das Über-Ich so billig nicht täuscht, zum anderen, weil die Forderungen des Es sich trotz der asketischen Manöver des Ichs weiterhin Gehör verschaffen.

Wenn unsere Überlegungen stimmen, daß nämlich der moralische Nar­zißmus aus der Moral eine autoerotische Lust macht, wird auch ver­ständlicher, inwieweit das Ich an diesen Operationen Interesse haben kann und es mit allen dem sekundären Narzißmus — diesem Dieb, der die für die Objekte bestimmten Besetzungen stiehlt — zur Verfügung ste­henden Mitteln jener Verkleidung Vorschub leistet, die es ihm erlaubt, in Freuds Worten zum Es zu sagen: »Sieh‘, du kannst auch mich lieben, ich bin dem Objekt so ähnlich« (Freud, 1923, S. 258). Man müßte hinzufü­gen: »Und ich zumindest bin rein, erhaben über jeden Verdacht, frei von jeder Beschmutzung.«

Am engsten aber sind die Beziehungen zum Über-Ich und Ich-Ideal. Wir haben hervorgehoben, was Freud 1923 beschrieb und worauf er in der Folge immer wieder zurückkam. Präzise gibt er die Ordnung der dem Über-Ich eigenen Phänomene an: die Funktion des Ideals, das dem Über-Ich das ist, was der Trieb dem Es und die Wahrnehmung dem Ich. Um den Sachverhalt kurz zu rekapitulieren: Wenn am Anfang alles Es, alles Trieb, genauer Antagonismus der Triebe (Eros und Destruktions­trieb) ist, so kommt es im Gefolge der Differenzierung gegenüber der Außenwelt zu einer »Kortikalisierung« des Ichs, die die Wahrnehmung zur Geltung bringt und in Verbindung damit die Repräsentation der Triebe. Die Teilung in Ich und Über-Ich, wobei letztere Instanz ihre Wurzeln im Es hat, zieht die Verdrängung der Es-Befriedigungen nach sich und parallel dazu die Notwendigkeit, sich die Welt nicht nur so vorzustellen, wie man sie sich wünscht, sondern so, wie sie ist: das heißt dergestalt, daß man sich ihrer durch ein System von Konnotatio­nen bemächtigen kann. Daraus folgt — als Kompensation oder sekundä­re Bildung: beides ist plausibel — die Errichtung des Ich-Ideals, mit dem sich der Wunsch eine Genugtuung gegenüber dem Realen verschafft. Weil die Funktion des Ideals — Funktion der Illusion — am Werk ist, gibt es die Reiche der Phantasie, der Kunst, der Religion.

Für den moralischen Narzißten wahrt das Ideal, das sich durchaus ent­wickeln kann, ohne im geringsten auf seinen anfänglichen Anspruch zu verzichten, seine ursprüngliche Macht. Da es seine erste Anwendung in der Erhöhung der Eltern findet, d. h. in der Idealisierung ihres Imagos, gewinnt es seine charakteristischen Züge aus der Beziehung zu den El­tern, vor allem natürlich zur Mutter. Bei diesen Menschen ist die Liebe von seiten des Ich-Ideals ebenso unentbehrlich wie die Liebe, die sie von ihrer Mutter erwarteten — so unentbehrlich auch wie die Nahrung, die sie von ihrer Mutter empfingen, deren Liebe bereits die erste Illusion war. »Ich werde genährt, also werde ich geliebt«, sagt der moralische Narzißt. »Wer sich nicht zur Verfügung stellt, um mich zu nähren, liebt mich nicht.« In der Analyse wird der moralische Narzißt dieselbe unab­dingbare Nahrung verlangen — und sich bemühen, unablässig davon zu bekommen, indem er seine Besetzungen abzieht oder reduziert, ein Ziel, das dem der Kur diametral entgegensteht. Während also sein Ver­langen ihn entsetzlich abhängig macht, sichert er seine Herrschaft über den Anderen und dessen Knechtschaft. Wir stoßen hier auf das weiter oben bereits erwähnte Band zwischen Liebe und Sicherheit. Geschützt zu sein — geschützt vor der Welt, der Auslöserin der Reize (wie Freud sagt) —, versehen mit der Liebe des Analytikers als Garantie des Überlebens, der Sicherheit, der Liebe: das ist der Wunsch des moralischen Nar­zißten.

Und das Über-Ich? Damit ist eines der charakteristischsten Merkmale des moralischen Narzißmus angesprochen. Denn der moralische Nar­zißt lebt in einer ständigen Spannung zwischen Ich-Ideal und Über-Ich. Alles verläuft, als decke das Über-Ich aufgrund der idealisierenden Funktion des Ich-Ideals — Funktion der Täuschung und der umgeleite­ten Befriedigung, Verdunkelung einer zweifelhaften Unschuld — die Falle dieser Maskerade auf und lasse sich sozusagen nichts vormachen. So sucht das Ich-Ideal das Über-Ich durch seine Opferungen und Selbst­aufopferungen in die Irre zu führen, während das Über-Ich die »Sünde des Stolzes« der Megalomanie durchschaut und das Ich wegen seiner Täuschungsmanöver aufs strengste bestraft.

Das Ideal des Ichs des moralischen Narzißten wird auf den Relikten des Ich-Ideals errichtet; das heißt auf einer Macht zu omnipotenter ideali­sierender Befriedigung, die nichts von den Beschränkungen der Kastra­tion weiß und damit weniger mit dem Ödipuskomplex der ödipalen Phase zu tun hat als mit dem, der jene verleugnet.

In jedem Über-Ich steckt ein Keim von Religion, wird es doch durch die Identifikation nicht mit den Eltern, wohl aber mit dem Über-Ich der Eltern geschaffen, d. h. mit dem toten Vater, dem Vorfahren. Aber nicht jedes Über-Ich verdient die Qualifikation »religiös«. Die Beson­derheit jeder Religion beruht darin, daß die Grundlage dieses Über-Ichs als ein System entworfen ist: das Dogma, notwendiger Vermittler des elterlichen Verbotes. Das meint Freud, wenn er in den Religionen die Zwangsneurosen der Menschheit sieht. Umgekehrt hat er auch, da ja Reziprozität besteht, die These vertreten, daß die Zwangsneurose die halbtragische, halbkomische Verkleidung einer Privatreligion sei. Vieles verbindet die moralischen Narzißten mit den Zwanghaften, nicht zuletzt die intensive Desexualisierung, die sie ihrer Objektbezie­hung aufzuprägen versuchen, und die tiefe Aggressivität, die sie ver­schleiern. Auf der anderen Seite haben wir auf die Beziehung zur Para­noia verwiesen. Diese Beobachtungen zusammenzufassend, kann man sagen: Je mehr Bindungen zum Objekt bewahrt wurden, desto stärker wird die Beziehung eine zwanghafte sein — und je mehr Bindungen vom Objekt abgelöst sind, desto paranoischer wird sie sein. Jeder Miß­erfolg im einen wie im anderen Fall, jede Enttäuschung, die das Objekt dem Ich-Ideal bereitet, zieht Depression nach sich — in der Form, die Pasche (1969) beschrieben hat und auf die hier nicht weiter eingegan­gen wird.

An dieser Stelle noch ein Wort zum Verhältnis von Scham und Schuldge­fühl; Dodds‘ Überlegungen zu Griechenland (1963) finden ihr Echo in den individuellen pathologischen Strukturen. Die Scham gehört, wie er­wähnt, zur narzißtischen Ordnung, das Schuldgefühl dagegen zur ob­jektalen Ordnung. Das ist nicht alles. Man kann auch davon ausgehen, daß diese Empfindungen — für Freud Träger der ersten Reaktionsbildun­gen, lange vor dem Ödipus — für die Vorläufer des Über-Ichs vor der Ver­innerlichung als charakteristischem Erbe des Ödipuskomplexes grund­legend sind. Scham derart mit den prägenitalen Entwicklungsphasen zu verknüpfen erklärt nicht nur ihre vorwiegend narzißtische Geltung, sondern auch ihren unversöhnlichen, grausamen und nicht wieder gut­zumachenden Charakter.

Selbstredend handelt es sich hier um schematische Gegenüberstellun­gen. Scham und Schuldgefühl kommen immer zusammen vor. Aber in der Analyse müssen sie auseinandergehalten werden. Das Schuldgefühl in seiner Beziehung zur Masturbation stützt sich auf die Kastrations­angst; die Scham hat einen globalen, primären, absoluten Charakter. Es handelt sich nicht um die Angst, kastriert zu werden, sondern darum, je­den Kontakt mit dem kastrierten Wesen zu verhindern, ist es doch der Beweis und das Zeichen einer unauslöschlichen Schande, die man sich bei der Berührung mit ihm zuziehen kann. Eigentlich müßte man sagen, daß allein durch die Entmischung von Narzißmus und Objektbindung die Scham mit einer solchen Bedeutung versehen werden kann. Da jede Entmischung dem Todestrieb Vorschub leistet, wird Selbstmord aus Scham besser verständlich.

Doch kehren wir zum Ich zurück. Ein bislang aufgeschobener Aspekt verdient, daß wir auf ihn zurückkommen: die Sublimierung. Wir haben von Pseudosublimierung gesprochen; manche würden sie eine Abwehr­sublimierung nennen. Unserer Ansicht nach entspricht diese Auffassung nicht den Tatsachen, konstruiert sie doch einen Gegensatz zwischen ei­ner wahren Sublimierung als Ausdruck dessen, was der Mensch an Edel­stem in sich trägt, und einer Abwehrsublimierung, die im Verhältnis da­zu nur ein mißglücktes Produkt bildete. Es gibt unleugbar Sublimierun­gen, die aus pathologischen Prozessen hervorgegangen sind, Wege, ei­nen Konflikt zu lösen, die nicht zwangsläufig Reaktionsbildungen dar­stellen. Jede Sublimierung ist — da durch die Kastrationsdrohung gefor­dert, die der Notwendigkeit gehorcht, dem Ödipuskomplex ein Ende zu setzen, soll die Libidoökonomie nicht in größte Gefahren geraten —, ein Triebschicksal, also eine Abwehr. Diese stützt sich auf zielgehemmte Triebe, denen wir einen größeren Stellenwert beimessen als gemeinhin in der Theorie. Wie es in diesem Zusammenhang um den moralischen Nar­zißmus steht, ist höchst lehrreich. Zu beobachten sind nicht nur jene auf Sublimation beruhenden Ausweichmanöver, die später dem Betreffen­den teuer zu stehen kommen werden, sondern auch ein Prozeß der Hemmung, ja ein Unterbrechen der Sublimierung aus sekundärem Schuldgefühl (vergessen wir nicht, daß die Scham primär ist) der Partial-triebe, insbesondere der Skoptophilie. Setzt der Weg zur Pseudosubli­mierung sich durch, stellt sie anders als gewöhnlich nur selten Lust dar. Ist sie in den Augen des Es von »geringerem Wert« als die sexuelle Lust, steht sie beim Über-Ich dagegen in hohem Kurs. Wesentlich an diesem Schicksal des Ichs ist die Bildung eines falschen Selbst, das sich die ideali­sierenden privativen Verhaltensweisen zu eigen gemacht hat, während der Prozeß völlig unbewußt bleibt.

Die ökonomische Funktion dieses falschen Selbst darf nicht verkannt werden. Wir haben bereits darauf verwiesen, was innerhalb des morali­schen Narzißmus sowohl an die Stelle des Abwehrprozesses tritt als auch als Ersatzbefriedigung dient: der Stolz. Aber man darf diese zen­trale ökonomische Überlegung, die aus dem moralischen Narzißmus und dem ihm zugrundeliegenden falschen Selbst das Rückgrat des Ichs dieser Subjekte macht, nicht außer lassen. Es zu attackieren ist mithin riskant, bringt die Gefahr mit sich, daß das gesamte Bauwerk einstürzt —was das Leben mit seinem Potential an Enttäuschungen häufig auch übernimmt: mit Depression, ja Selbstmord als Folge.

Bisexualität und Todestrieb

Das oberste Ziel des Narzißmus ist die Auslöschung der Spur des Ande­ren im Begehren des Einen (vgl. Green, 1966/67). Ist folglich die Aufhe­bung des primären Unterschieds: desjenigen zwischen dem Einen und dem Anderen. Was aber bedeutet diese Aufhebung bei der Rückkehr in den Mutterschoß? Worauf der primäre Narzißmus durch die Span­nungsminderung auf das Null-Niveau zielt, ist entweder der Tod oder die Unsterblichkeit — was auf dasselbe hinausläuft. Weshalb wir ange­sichts dieser Kranken auch das Gefühl haben, daß ihr Leben einem Selbstmord auf Sparflamme gleichkommt, auch wenn sie anscheinend darauf verzichtet haben, ihrem Leben gewaltsam ein Ende zu setzen. Diese suizidale Form offenbart allerdings, daß die objektale Entkräf­tung, die Erschöpfung der Liebe eines schrecklichen Gottes geopfert sind. Mit der Unterdrückung des primären Unterschieds bewirkt man zugleich die Aufhebung aller anderen Unterschiede, natürlich auch des Geschlechtsunterschieds. Zu sagen, daß man das Begehren auf sein Null-Niveau reduzieren und daß man auf das Objekt verzichten muß, das ein Objekt des Mangels ist — Objekt als Zeichen dafür, daß man zugleich endlich, unvollkommen und unvollendet ist —, heißt ein und dasselbe. Nicht umsonst beruft sich Freud — in Jenseits des Lustprinzips (1920) —auf den platonischen Mythos vom Androgyn. Für den moralischen Nar­zißten ist das bedeutungslos, weil die Nachteile der Geschlechtsdiffe­renzierung durch die Selbstgenügsamkeit unterdrückt werden müssen. Die narzißtische Vollkommenheit ist nicht Zeichen von Gesundheit, son­dern Trugbild des Todes. Keiner ist ohne Objekt. Keiner ist der, der ohne Objekt ist.

Der moralische Narzißmus ist zugleich positiv und negativ. Positiv durch die Sammlung der Energien in einem fragilen und bedrohten Ich. Negativ, weil er Geltendmachen nicht der Befriedigung und nicht der Frustration (was Sache des Masochismus wäre), sondern des Verlustes ist. Der Selbstverlust wird zum besten Bollwerk gegen die Kastration. Hier zeichnet sich das Bedürfnis nach einer differentiellen Analyse ent­sprechend der Natur des Mangels, das heißt dem Geschlecht, ab. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Kastrationsangst wie Penisneid be­treffen beide Geschlechter, lediglich die Ausgangsbedingungen sind je­weils verschieden. Der Mann hat Angst, an dem kastriert zu werden, was er hat, die Frau, an dem, was sie haben könnte; das läßt sie verkennen, was sie ist. Die Frau ist auf den Penis neidisch, insofern er ihr zugedacht ist, beim Koitus, bei der Zeugung usw. Der Mann ist auf den Penis nei­disch, insofern der seine, ähnlich der weiblichen Klitoris, gemessen am phantasierten elterlichen Geschlecht nie wertvoll genug ist. Erinnern wir uns an die Unzerstörbarkeit dieser Wünsche.

Der moralische Narzißmus schafft in dieser Hinsicht Klarheit. Beim Mann führt er durch das privative Verhalten zu folgender Abwehr: »Man kann mich nicht kastrieren, weil ich nichts mehr habe; ich habe mich al­ler Dinge entledigt und meine Güter dem zur Verfügung gestellt, der sie haben will.« Bei der Frau lautet die Begründung: »Ich habe nichts —aber ich wünsche auch nicht mehr als dieses Nichts, das ich habe.« Diese mönchische Berufung führt entweder wie beim Mann dazu, den Mangel zu verleugnen, oder, wie bei der Frau, ihn zu lieben. »Mir fehlt nichts —ich habe also nichts zu verlieren, und wenn mir doch etwas fehlen sollte, werde ich meinen Mangel lieben wie mich selbst.« Die Kastration bleibt Herrin des Spiels, weil dieser Mangel auf die moralische Perfektion ver­schoben wird, nach der der Narzißt strebt, die ihn aber ständig diesseits der Ansprüche stehen läßt, die er sich auferlegt hat. Und da wird die Scham ihr Gesicht enthüllen, das mit einem Leichentuch wieder verhüllt werden muß.

Man löscht die Spur des Anderen nicht aus, auch nicht im Begehren nach dem Einen. Denn der Andere hat das Gesicht des Einen angenommen, im Doppelgänger, der ihm vorausgeht und ihm unablässig wiederholt: »Du sollst nur mich lieben. Nichts außer mir ist wert, geliebt zu wer­den.« Wer aber verbirgt sich hinter der Maske: der Doppelgänger, das Spiegelbild? Die Doppelgänger haben den Raum im Rahmen der negati­ven Halluzination der Mutter eingenommen.

Auf diesen Begriff, den wir bereits entwickelt haben, wollen wir hier nicht zurückkommen, werden aber die Hypothese weiter ausführen und zeigen, daß — wenn die negative Halluzination der Grund ist, auf dem der moralische Narzißmus in seiner Beziehung zum primären Narziß­mus beruht — der Vater daran beteiligt ist. Denn die Negativierung der Präsenz der mütterlichen Rahmengebung trifft auf den Vater als ur­sprüngliche Absenz — als Absenz des Prinzips der Elternschaft, dessen spätere Verbindungen mit dem Gesetz sichtbar werden. Beim morali­schen Narzißmus zielt dieser Umweg unleugbar nur auf den Besitz eines väterlichen Phallus9, als Prinzip universeller Herrschaft. Die Negativie­rung dieses Wunsches in Form der Zelebrierung des Verzichts ändert nichts an seinem obersten Ziel. Nicht zufällig handelt es sich bei beiden Geschlechtern um eine Verleugnung der Kastration. Gott ist ge­schlechtslos, aber er ist Gott-Vater. Für den moralischen Narzißten ist dessen Phallus vergeistigt, seiner Substanz entleert, hohle und abstrakte Form.10

Bevor wir mit den Beziehungen zwischen moralischem Narzißmus und Todestrieb abschließen, müssen wir auf die Idealisierung zurückkom­men. Es ist das große Verdienst Melanie Kleins, der Idealisierung den ihr gebührenden Platz eingeräumt zu haben. Für Melanie Klein ist die Idea­lisierung das Resultat der ursprünglichen Spaltung zwischen gutem und bösem Objekt und folglich zwischen gutem und bösem Ich. Diese Di­chotomie deckt sich mit jener zwischen idealisiertem Objekt (oder Ich) und Verfolgerobjekt (oder -Ich) in der paranoid-schizophrenen Phase. Folglich zeigt sich die exzessive Idealisierung des Objekts oder des Ichs als Resultat der Spaltung, die dazu dient — im Ich ebenso wie im Objekt —,

9 Oder besser auf den elterlichen Phallus. Denn der väterliche Penis ist nur die Figuration und der Abkömmling eines prinzipiellen elterlichen Penis, der ebenso zum Bild der phalli­schen Mutter gehört.

10 Ein Phallus, der sich alles in allem in einer doppelten Einschreibung darbietet: positiv phallisch und negativ vaginal.

deren gesamten verfolgerischen Anteil ausgeschlossen zu halten. Dieser Gesichtspunkt wird durch den klinischen Befund bestätigt. Die Ideali­sierung des Ichs geht immer einher mit einem außerordentlich bedrohli­chen Gefühl für das Objekt wie für das Ich — was sich mit unseren Beob­achtungen hinsichtlich der Bedeutung der destruktiven Aggressivität bei den moralischen Narzißten deckt. Idealisierung und Omnipotenz arbei­ten gemeinsam daran, die Destruktionstriebe, die das Objekt und das Ich nach dem Talionsgesetz bedrohen, zum Scheitern zu bringen, zu neutralisieren, zunichte zu machen.

An dieser Stelle werden die Verbindungen mit dem Masochismus deutli­cher sichtbar, die bei der Deutung des moralischen Narzißmus zur De­batte stehen. Der Masochismus stellt unserer Meinung nach das Schei­tern der Neutralisierung der auf das Ich gerichteten Destruktionstriebe dar — das Scheitern also des moralischen Narzißmus und seiner idealisie­renden Aufladung. Der moralische Narzißmus ist demnach zu verstehen als ein Erfolg der Abwehr und damit als ein Erfolg bei der Suche nach ei­ner (megalomanen) Lust jenseits des Masochismus, wobei die Megaloma­nie aus der Freisetzung der Konfliktspannungen entsteht. Selbstredend ist der moralische Narzißmus nicht der einzige Ausweg aus dem das Ich bedrohenden Masochismus, sondern nur eines der Verfahren, diese Be­drohung fernzuhalten.

Ist daraus zu schließen, daß der moralische Narzißmus eine Deckung gegen den Masochismus darstellt? Das sehen wir nicht so, weil die Di­chotomie zwischen Idealisierung und Verfolgung primär ist. Die Spal­tung ergibt gleichzeitig beide Positionen. Die Idealisierung ist nicht we­niger verstümmelnd als die Verfolgung, entzieht sie doch das Subjekt dem Kreislauf der Objektbeziehungen. Um uns noch verständlicher zu machen, würden wir sagen, daß die Verfolgung dem Verfolgungswahn, die Idealisierung hingegen der Schizophrenie in ihren hebephrenen Aus­prägungen zugrunde liegt. Zwischen beiden erstrecken sich alle Zwi­schenformen des schizophrenen Wahns. Was uns an die extremen Aus­prägungsformen verweist. Bei den weniger schweren Formen ist diese Problematik natürlich weniger offensichtlich. Nach Melanie Klein wäre in diesen Fällen die depressive Phase erreicht, was erklären könnte, war­um der Zusammenbruch des moralischen Narzißten den Ausdruck ei­ner Depression und nicht des Wahns oder der Schizophrenie annimmt. Aber in allen Fällen ist erkennbar, daß Triebentmischung und Destruk­tion — die durch die Spaltung nicht gemeistert wurden — sowie die Ak­zentuierung der Idealisierung für die Regression verantwortlich sind. Wiederholt sei dennoch, daß die beiden Positionen, Idealisierung und Verfolgung, jedenfalls gemeinsam auftreten. Diesseits davon herrscht ein chaotischer Zustand, der die erste symbolisierende Aufteilung nicht kennt: die zwischen gut und böse.

Technische Implikationen für die Behandlung der moralischen Narzißten

Die Behandlung von moralischen Narzißten stellt, wie man begriffen haben dürfte, empfindliche Probleme. Einige der gravierendsten Hin­dernisse für ihre Entwicklung wurden bereits angedeutet. Zu den wich­tigsten zählen der schwierige Zugang zu dem an die Objektbeziehung gebundenen Material, jenseits der Wiederherstellung der narzißtischen Abhängigkeit von der Mutter, also vom Analytiker. Im Licht unserer Er­fahrung wird sichtbar, daß der Schlüssel zu diesen Behandlungen wie immer im Begehren des Analytikers, in der Gegenübertragung, liegt. Beim Analytiker stellt sich nach einer gewissen Zeit, sobald ihm klar wird, daß er eine solche Beziehung zu durchleben hat, das Gefühl ein, Gefangener seines Kranken zu sein. Er wird zum anderen Pol der Ab­hängigkeit, wie in jenem Verhältnis, bei dem nicht mehr ganz durchsich­tig ist, was eigentlich den Gefangenenwärter von dem unterscheidet, den er im Gefängnis bewachen muß. Der Analytiker wird unter diesen Um­ständen versucht sein, die analytische Situation zu verändern, um sie voranzutreiben. Die für ihn am wenigsten mit Schuldgefühlen behaftete Variante ist die der Güte. Der Analytiker bietet also seine Liebe an, ohne sich darüber im klaren zu sein, daß er damit die erste Kelle Wasser ins Danaidenfaß gießt. Aber abgesehen davon, daß diese Liebe immer uner­sättlich ist und man damit rechnen muß, daß sich bei einem die Reserven an Liebe erschöpfen — denn sie sind, was man sich nie genug sagt, be­grenzt —, begeht der Analytiker damit in meinen Augen einen techni­schen Fehler. Antwortet er so doch auf das Begehren des Patienten, was, wie wir wissen, immer gefährlich ist. Er wird dann, es handelt sich schließlich um den moralischen Narzißmus, zum Ersatz des Moralisten, ja des Priesters. Die Analyse verliert damit zwangsläufig ihren spezifi­schen Charakter, das heißt das, worin ihre Wirksamkeit gründet. Das ist genauso, als träfen wir die Entscheidung, uns als Antwort auf eine Wahnsymptomatik auf die Ebene des manifesten Ausdrucks dieser Sym­ptomatologie zu begeben: Wir würden unweigerlich in einer Sackgasse landen, wenn nicht gar einen Fehler begehen.

Die zweite Möglichkeit ist die Deutung der Übertragung. Solange diese
sich über die Äußerungen des Analytikers in Objektbegriffen äußert,
findet sie auf diesem vom narzißtischen Schutzschild bedeckten Material nur geringes Echo. Genausogut könnte man das sexuelle Begehren eines Wesens in Ritterrüstung wecken wollen. Bleibt die Resignation. Angesichts der anderen Möglichkeiten ist diese Haltung sicher die am wenigsten schädliche. Geschehen lassen, vergehen lassen. Der Analyti­ker riskiert dann, sich auf eine unendliche Analyse einzulassen; das Ab­hängigkeitsbedürfnis des Patienten wird weithin befriedigt, und die durch die Behandlung erforderlichen Entbehrungen haben dann keinen anderen Effekt als die Stärkung des moralischen Narzißmus.

Offenbar zeichnet sich keine andere Lösung ab. Und doch gibt es eine; wir würden sie nicht ohne eine gewisse Angst anführen, hätte sie uns in bestimmten Fällen nicht einen beachtlichen Sprung nach vorn gebracht. Es geht um die Analyse des Narzißmus, ein gefährliches Unternehmen und dem Anschein nach in mehrfacher Hinsicht unmöglich. Wir sind dennoch der Ansicht, daß am Ende einer ausreichend langen Frist —mehrere Jahre —, wenn die Übertragung gut ausgebildet, das Wiederho­lungsverhalten analysiert worden ist und der Analytiker die Schlüssel­worte auszusprechen vermag: Scham, Stolz, Ehre, Entehrung, Klein­heits- und Größenwahn, er dann den Betreffenden tatsächlich von ei­nem Teil seiner Bürde befreien kann. Denn, wie Bouvet betonte, ist die schlimmste Frustration, die ein Patient im Laufe einer Analyse erfahren kann, genau diese: nicht verstanden zu werden. So hart die Deutung, so grausam die Wahrheit sein mögen, ist diese doch weniger grausam als der Zwang, in dem das Subjekt sich gefangen fühlt. Oft kann sich ein Analy­tiker nicht zu diesem technischen Verhalten entschließen; er hat das Ge­fühl, damit seinen Kranken zu traumatisieren. So macht er nach außen hin gute Miene zum bösen Spiel, fühlt sich innerlich aber sehr unwohl. Wenn wir vom Unbewußten überzeugt sind, müssen wir auch davon ausgehen, daß diese durch die Höflichkeit in der analytischen Beziehung verdeckten Einstellungen anhand indirekter Hinweise für den Analy­sanden durchaus wahrnehmbar sind.

Der Analytiker muß die Separation vom Kranken bewerkstelligen, unter der Bedingung freilich, daß der Kranke die Trennung nicht so empfin­det, als wolle der Analytiker ihn loswerden. Im übrigen kommt es nicht selten vor, daß Analytiker, die solche Patienten zu behandeln haben, so­bald sie sich deren Unzugänglichkeit bewußt werden, sie sich unter zu­mindest äußerlich freundlichsten Formen vom Hals schaffen. Alles in al­lem verteidigen wir hier nichts anderes als einen Diskurs der Wahrheit und keine Wiedergutmachungstechnik.

Diese Deutungshaltung ermöglicht, zum gegebenen Zeitpunkt zur Pro-  blematik »Idealisierung — Verfolgung« vorzudringen und aufzuzeigen, was sich über die Idealisierung in der impliziten Verfolgung verkriecht, die jene in ihren Falten versteckt: Schutz vor der Verfolgung (von seiten des Objekts und vom Ich erlitten, von seiten des Ichs und erlitten vom Objekt) und gleichzeitig Ausweg aus der Verfolgung in verschleierter Form. Auf diese Weise kann sich das auf die Mutter bezogene objektale Band wiederherstellen. Aufzeigen lassen sich dann die Vorwürfe des Ich gegenüber dem Objekt und die des Objekts gegenüber dem Ich. Denn der Rückzug auf die narzißtische Selbstgenügsamkeit findet seine Erklä­rung, zumindest teilweise, im Fehlen des Objekts, sei dieses Fehlen nun real oder Resultat der Unfähigkeit, die unstillbaren Bedürfnisse des Kin­des zu befriedigen.

Die heroischen Figuren des moralischen Narzißmus

Alles, was wir im Anschluß an den eingangs genannten Aias-Mythos entwickelten, wurde aus der Beobachtung an unseren Patienten gewon­nen. Die narzißtische Regression, die sie zeigen, macht aus ihnen Kari­katuren, wie sie jeder von uns unter seinen Bekannten finden kann. Oh­ne daß sie freilich diese Ausprägungen erreichen, lassen sich doch be­stimmte Heldengestalten, neben Aias, der selbst als Extremfall gelten kann, in einer von ihnen gebildeten Porträtgalerie betrachten.

Man denke z. B. an Brutus, wie Shakespeare ihn in Julius Cäsar zeigt. Brutus ersticht Cäsar nicht aus Lust oder Ehrgeiz, sondern aus Patriotis­mus, weil er Republikaner ist und in seinem Adoptivvater eine Bedro­hung für die Tugend Roms sieht. Wer aus Tugend mordet, ist in der Folge allerdings nie tugendhaft genug, diesen Mord zu rechtfertigen. Deshalb die Weigerung, sich durch einen Eid an die anderen Verschwörer zu bin­den, jeder soll nur vor seinem eigenen Gewissen Rechenschaft ablegen: »Welchen andern Eid, als Redlichkeit mit Redlichkeit (Honour) im Bund, daß dies gescheh, wo nicht, dafür zu sterben?« Immer die Ehre! Brutus hat uns schon versichert: »Wie ich mehr die Ehre lieb, als vor dem Tod mich scheue.« Von daher diese für den geringsten unter den po­litischen Novizen wahnsinnige Tat11, die dem gefürchtesten seiner Riva­len, Marcus Antonius12, erlaubt, das Loblied auf den Getöteten anzu­stimmen. Von daher die lebhaften Vorwürfe, die er vor der Schlacht, die er liefern muß, dem mutigen Cassius macht, seinem Verbündeten, den er

11 Cassius spürt das und flüstert ihm in diesem Augenblick zu: »Ihr wißt nicht, was ihr tut.«

12 Aber auch, wie es scheint, dem von seinem Liebesobjekt, Cäsar, am meisten geliebten, denn offenbar zieht jener in diesem Moment Marcus Antonius Brutus vor.

beschuldigt, ein, wie man heute sagen würde, »Kriegsgewinnler« zu sein. Von daher sein Selbstmord am Ende, als zusätzlicher Beweis für sei­ne unbestechliche Tugend. Aber dieser heroische Zweck ist nicht unbe­dingt der der Republik, der des Staates, der der Macht.

Auch die Liebe hat ihre Helden des moralischen Narzißmus. Der schön­ste unter ihnen ist unser heiliger Patron, Don Quijote, den Freud beson­ders liebte. Denken wir nur an jene Episode, wo Quijote sich in die Sier­ra Morena begibt, um dort als Einsiedler zu leben. Er entledigt sich sei­ner armseligen Güter, beginnt seine Kleider zu zerreißen, sich den Kör­per wund zu schlagen und tausend Kapriolen zu veranstalten, über die der gute Sancho nicht hinwegkommt. Und als er eine Erklärung ver­langt, erklärt der Hidalgo reinen Geblüts diesem gemeinen Mann, daß er hier nichts anderes tue, als sich den Regeln des Liebescodes zu unterwer­fen, wie es die Ritterromane vorschreiben. Quijote ist auf der Suche nach jener Heldentat, mit der sich sein Name verewigen läßt, im Namen seiner Liebe, die nicht nur eine unbefleckte Liebe ohne irgendeinen Zu­satz fleischlicher Begierde sein, sondern ihn auch seines gesamten Hab und Guts berauben muß. Zu dieser Entblößung seiner Selbst und seiner eigenen Individualität muß er durch die Nachahmung Armadis‘ oder Rolands gelangen — bis hin zur Verrücktheit oder zumindest der Imita­tion derselben.

»Muß ich nicht meine Kleider zerreißen, meine Rüstung wegwerfen, den Kopf zuunterst auf den Felsen Purzelbäume schlagen sowie andere solche Dinge tun, die deine Bewunde­rung hervorrufen?«

sagt er zu Sancho Pansa, der sich vergebens bemüht, ihn zur Vernunft zu bringen. »Verrückt bin ich und verrückt muß ich sein«, sagt Quijote, dem die Verrücktheit hier Zeichen der Tugend ist. Denn als er Dulcinea gegenüber Sancho erwähnt, erkennt der in dieser ihrer Schilderung nicht die »hohe und erhabene Dame« gemäß den Vorstellungen des Ritters wieder, sondern ruft aus:

»Großer Gott, ist das ein stattliches Mädchen, gut und vollkommen gebaut und mit was auf dem Kasten, fähig den Bart zu scheren und das Toupet zu richten. Tochter einer Hure! Was für eine Stimme sie hat und wie gewölbt ihre Brust ist und das beste ist, sie stottert kein bißchen.«

So sieht Quijote Dulcinea sicher nicht. Man könnte einwenden, daß es sich hier nicht um Narzißmus, sondern um Objektliebe handelt, weil Quijote sich für das Liebesobjekt Entbehrungen und Mißhandlungen auferlegt. Aber nein, es geht hier nur um die narzißtische Projektion ei­nes idealisierten Bildes, und unter Cervantes genialen Zügen ist nicht der

geringste, daß er sein Buch mit der Verleugnung Don Quijotes be­schließt: »Schweigt«, sagt der Ritter zu seinen beifälligen Zuhörern, »im Namen des Himmels kommt zu Euch selbst zurück und laßt ab von die­sen Hirngespinsten.«

Gewiß existieren Quijote und sein Sancho Pansa nur, wie Marthe Robert sagt, »auf dem Papier«. Aber sie leben in uns, wenn nicht durch sich selbst. Desgleichen Falstaff, der absolute und völlig amoralische Nar­zißt, er, dessen Monolog über die Ehre in uns Mißbilligung über seine Grausamkeit und Bewunderung über seine Wahrheit auslöst.13 So sind wir hin- und hergerissen zwischen einer unabdingbaren Illusion und ei­ner nicht weniger unabdingbaren Wahrheit.

All diese Figuren hat ein Philosoph beschrieben. Haben Sie nicht an der ei­nen und anderen Stelle Hegel und seine schöne Seele wiedererkannt? In Sorge über die Ordnung der Welt, voller Verlangen, sie zu verändern, aber auch bedacht auf die eigene Tugend, möchte sie den Teig, aus dem die Menschen gemacht sind, kneten, dabei aber ihre Hände nicht schmutzig machen. Hüten wir uns, es wie Hegel zu machen, der, nachdem er die schöne Seele unter seiner Zuchtrute unsterblich werden ließ, die Phäno­menologie des Geistes (1807) nur mit einem Triumph beschließen konnte, der durchaus der Triumph der schönen Seele gewesen sein kann.

Spüren wir nicht, wie sehr diese schöne Seele des moralischen Bewußt­seins dem Wahn der Anmaßung nahekommen kann, diesem Gesetz des Herzens, dessen Referenz die Paranoia ist? Jedenfalls ist ihre narzißti­sche Qualität Hegel nicht entgangen: »Die Anschauung seiner ist sein gegenständliches Dasein, und dies gegenständliche Element ist das Aus­sprechen seines Wissens und Wollens als eines Allgemeinen« (ebd., S.481). Wie auch nicht ihr Zusammenhang mit dem allerprimärsten Narzißmus: »Wir sehen hiermit hier das Selbstbewußtsein in sein Inner­stes zurückgegangen, dem alle Äußerlichkeit als solche verschwindet, —in die Anschauung des Ich = Ich, worin dieses Ich alle Wesenheit und

13 »Prinz Heinrich.: Ei, du bist Gott einen Tod schuldig.

Falstaff.: Er ist noch nicht verfallen, ich möchte ihn nicht gern vor seinem Termin bezahlen. Was brauche ich so bei der Hand zu sein, wenn er mich nicht ruft? Gut, es mag sein: Ehre beseelt mich, vorzudringen. Wenn aber Ehre mich beim Vordringen entseelt? Wie dann? Kann Ehre ein Bein ansetzen? Nein. Oder einen Arm? Nein. Oder den Schmerz einer Wunde stillen? Nein. Ehre versteht sich also nicht auf die Chirurgie? Nein. Was ist Ehre? Ein Wort. … Was steckt in dem Wort Ehre? Luft. Eine feine Rechnung! — Wer hat sie? Er, der vergangenen Mittwoch starb. Fühlt er sie? Nein. Hört er sie? Nein. Ist sie also nicht fühlbar? Für die Toten nicht. Aber lebt sie nicht etwa mit den Lebenden? Nein. … Warum nicht? Die Verleumdung gibt es nicht zu. Ich mag sie also nicht. —Ehre ist nichts als ein ge­malter Schild beim Leichenzuge, und so endigt mein Katechismus« (Shakespeare, König Heinrich der Vierte, I, 5. Akt, 1. Szene).

Dasein ist« (ebd., S. 482). Die Folge ist »die absolute Unwahrheit, die in sich zusammenfällt«.

Sehen wir so aus, als wollten wir uns der Denunziation der Tugend und der Apologie des Lasters ausliefern? Doch das hieße einem Modeeffekt nachgeben, der heute in de Sade unseren Retter sieht. Bescheiden wir uns damit, jene Wahrheit in Erinnerung zu rufen, die Freud aufgezeigt hat: die unauflösbare Verbundenheit von Sexualität und Moral. Die Um­wege der einen ziehen automatisch die Umwege der anderen nach sich. Georges Bataille, den unter den Psychoanalytikern einer doch endlich einmal würdigen sollte, hat die Wesensgleichheit von Erotischem und Sakralem begriffen. »Ich muß Ihre Liebe gewinnen«, sagte uns eine Pati­entin. Wir haben geantwortet: »Ja, aber von welcher Liebe sprechen Sie?« Danach mußte sie anerkennen, daß trotz ihrer vergeblichen und verzweifelten Versuche Eros, dieser schwarze Engel, für sie zu einem weißen geworden war.

Nachtrag

Die erneute Lektüre dieser Arbeit einige Monate später veranlaßt uns, einige der offengebliebenen Punkte zu präzisieren. Zunächst einmal sollte unterstrichen werden, daß die Struktur des moralischen Narziß­mus alles andere als erstarrt ist. Sie charakterisiert bestimmte Patienten anhand des Profils, das sie bei ihnen annimmt. Niemand ist völlig frei von ihr. Diese strukturelle Besonderheit läßt sich auch als Phase in der Analyse gewisser Patienten ansehen. Überdies gehen die hier beschrie­benen Fälle, auch wenn sie Merkmale dieser Struktur aufweisen, darin nicht völlig auf. Die Erfahrung lehrt uns, daß sie sich durchaus entwik­keln und andere Positionen erreichen können. Mit Genugtuung haben wir bei Fällen, wo wir kaum noch Hoffnung auf Besserung hatten, schließlich doch noch einen günstigen Verlauf beobachten können. Zurückkommen wollen wir auch auf die Verbindung von moralischem Narzißmus und moralischem Masochismus. Von der Nützlichkeit einer Unterscheidung beider sind wir überzeugt. Verschleiert einer nicht den anderen? Doch statt ihre Beziehungen in Begriffen gegenseitigen Ver­deckens zu fassen, gehen wir davon aus, daß es sich, auch wenn ihr Ver­hältnis ein dialektisches ist, dennoch um unterschiedliche Reihen han­delt. Wenn dennoch ihre Einheitlichkeit anerkannt werden muß, so wür­den wir doch sagen, daß der wahre Masochismus der moralische Nar­zißmus insoweit ist, als in diesem das Bestreben herrscht, die Spannun­gen auf das Null-Niveau zu reduzieren: oberstes Ziel des Masochismus, insofern sein Schicksal an den Todestrieb, an das Nirwana-Prinzip, ge­bunden ist. Wiederholen wir: Das Leidensverhältnis impliziert die Ob­jektbeziehung — der Narzißmus reduziert das Subjekt auf sich, auf die Null, die das Subjekt ist.

Die Desexualisierung richtet sich auf die libidinösen und aggressiven, auf das Objekt, auf das Ich gerichteten Triebe — die für den Todestrieb freigewordene Bahn zielt auf die Vernichtung des Subjekts als des letzten Phantasmas. Tod und Unsterblichkeit vereinigen sich hier.

Tatsächlich trifft man nie auf derartige extreme Lösungen. Was sich kli­nisch beobachten läßt, vor allem im selektiven Rahmen der Psychoana­lyse im Verhältnis zum breiteren klinischen Bereich der Psychiatrie, sind Kurven, die auf ihre asymptotische Grenze zulaufen. In dieser Hinsicht sind die Beziehungen von Scham und Schuldgefühl sehr viel komplexer als hier ausgeführt. Der destruktive Charakter der Scham aber ist wich­tig: Schuldgefühl kann miteinander geteilt werden, Scham niemals. Doch bilden sich zwischen Scham und Schuldgefühl Knoten: Man kann sich seines Schuldgefühl schämen, man kann sich schuldig fühlen wegen seiner Scham. Aber der Analytiker unterscheidet durchaus Spaltungs­ebenen, wenn er spürt, wie sehr bei seinen Patienten das Schuldgefühl an seine unbewußten Quellen gebunden sein und mit seiner Analyse parti­ell überwunden werden kann, während die Scham oft einen irreparablen Charakter annimmt. Die Transformation von Lust in Unlust ist eine Lö­sung für das Schuldgefühl; für die Scham ist einzig und allein der Weg des negativen Narzißmus offen. Eine Neutralisierung des Affekts ist am Werk, ein tödliches Unternehmen, eine Sisyphusarbeit: Ich liebe nie­manden. Ich liebe nur mich. Ich liebe mich. Ich liebe nicht. Ich nicht. Ich. Null. Gleiche Folge für den Haß. Ich hasse niemanden. Ich hasse nur mich. Ich hasse mich. Ich hasse nicht. Ich nicht. Ich. Null. Diese Ab­folge von Propositionen veranschaulicht die Entwicklung zur Affirma­tion des megalomanen Ichs als letzte Etappe vor seinem Verschwinden.

(Anschrift des Verf.: Dr. Andre Green, 9, ave. de 1’Observatoire, F-75006 Paris) (Übersetzung: Erika Kittler, Freiburg)

Summary

Moral Narcissim. — With reference to Sophocles‘ Ajax and Oedipus tragedies, the author first of all establishes the contrasts between cultures of shame and cultures of guilt. Subsequently he elaborates a typological description of moral narcissism, which he allocates to cultures of shame. The author describes moral narcissism as the triumph of drive renunciation over gratifications of illusion or the triumph of the superego over the ego-ideal. Green identifies asceticism and affect retention as important features of moral narcissism and provides a descrip­tion of the conflict level and the major defense forms encountered in moral nar­cissists. He also discusses the psychodynamics of moral narcissism, classifies the phenomenon in metapsychological terms and enlarges an the technical difficul­ties occasioned in the treatment context by shame, pride and honor.

B IBLIOGRAPHIE

Bataille, G. (1957): Der heilige Eros. Neuwied/berlin (Lucherhand) 1963.

Cervantes, M. de (1605). Der scharfsinnige Ritter Don Quijote von der Mancha. Frank­furt/M. (Insel) 1975.

Dodds, E. R. (1963): Die Griechen und das Irrationale. Übersetzt von H. J. Dirksen. Darmstadt (Wiss. Buchgesellsch.) 1970.

Freud, A. (1936): Das Ich und die Abwehrmechanismen. München (Kindler) 1964. Freud, S. (1909): Bemerkungen über einen Fall von Zwangsneurose. G.W. VII, 381-463.

  • (1920): Jenseits des Lustprinzips. G.W. XIII, 1-69.
  • (1923): Das Es und das Ich. G.W. XIII, 237-289.
  • (1924): Das ökonomische Problem des Masochismus. G.W. XIII, 371-383.
  • (1939): Der Mann Moses und die monotheistische Religion. G.W. XVI, 103-246. Green, A. (1963): Une variante de la position phallique narcissique. Revue Frafflise de Psychanalyse, Bd. 27.
  • (1966/67): Le narcissisme primaire: structure ou etat. In: Ders.: Narcissisme de vie, nar­cissisme de mort. Paris (Minuit) 1983,80-132.
  • (1973): Le discours vivant. Paris (PUF).

Hegel, G. W. F. (1807): Phänomenologie des Geistes. Frankfurt/M. (Suhrkamp) 1970.

Mäle, P. (1964): Psychotherapie bei Jugendlichen. Krisen und Probleme in der späten Pu­bertät. München (Kindler) 1976.

Pasche, F. (1969): A partir de Freud. Paris (Payot).

Shakespeare, W.: Julius Cäsar. Stuttgart (Reclam) 1996.

  • : König Heinrich der Vierte. Stuttgart (Reclam) 1994.

Sharpe, E. (1931): Über Sublimierung und Wahnbildung. Int. Zeitschrift f. Psa., 379-391. Sophokles: Die Tragödien. Frankfurt/M. (Fischer) 1963.

Winnicott, D. (1958): Über das falsche Selbst. In: Von der Kinderheilkunde zur Psycho­analyse. Frankfurt/M. (Fischer) 1983.

War Copilot von Germanwings-Flug 4U9525 Andreas Lubitz ein Terrorist?

 

 

lubitz

 

Siehe die Erklärung für das Motiv des Todespiloten Andreas Lubitz auf:

Die Kunst ahmt nicht das Leben nach, sondern das Leben ahmt die Kunst nach.

 

Des deutschen Mobs und seiner willfährigen Presse liebste Diagnosen sind Depression, Angst, Burn-Out und Traumatisierung, denn dafür gibt es am Einfachsten eine Krankschreibung, Kur, Rente oder andere arbeitsfreie Geldvorteile.

Siehe dazu:

Deswegen hier ganz langsam zum Mitschreiben: Das charakteristische einer Depression, ist die Aggressionshemmung! Die Aggressionshemmung, stupid! Depressive können gar nicht gewalttätig werden! Depressive sind Menschen, die liebevoll, sehr anhänglich und beziehungsfähig sind. Depressive kümmern sich um andere Menschen, oft selbstlos. Wenn sich Depressive umbringen, dann im Stillen, um niemand zu stören, hängen sich im Wald auf oder schwimmen auf offenes Meer hinaus, oder so.
Amokläufer sind Borderline-Fälle mit extrem hohem Narzißmus.

Siehe dazu:

Es müssen ja einem andere Menschen scheißegal sein, wenn jemand eine Selbstmordart wählt, mit sich auch andere in den Tod zu ziehen, wie die Geisterfahrer auf der Autobahn, sich im Haus in die Luft zu sprengen, Leuten vom Hochhaus auf den Nacken zu fallen, oder als Co-Pilot eine vollbesetzte Maschine zum Absturz zu bringen.
Freude am Leben hat nur ein Mensch, der ein Einfühlungsvermögen besitzt, der zu möglichst Vielem eine liebevolle Beziehung hat, denn nur dann freut man sich, wenn man etwas oder jemand liebt, was nicht mit Gier und Geilheit zu verwechseln ist.
Aber ein Narzißt liebt nur seinen angeblichen Erfolg, ein Narzißt ist eine Diva, die gar nichts liebt, nicht Mal sich selbst. Also hat ein Narzißt keine Lebensfreude, denn man kann nicht permanent Erfolg haben. Und daher weiß ein Narzißt nicht, wozu er lebt, nichts macht ihm Freude, höchstens hat er Spaß, wenn er etwas geil findet. Leider will er auch im Selbsttod der Größte sein, sein Untergang soll spektakulär und total geil sein. Ein extremer Narzißt ist ein potentieller Terrorist.

Siehe dazu:

Falls Andreas Lubitz tatsächlich willentlich das Flugzeug zum Absturz brachte, war er ein Terrorist. Jeder Terrorist ist ein extremer Narzisst.
Aha, sagen Sie, dann könnte man die Narzißten als Vehikeltreiber herausfischen und so die Gefahr eines solchen Selbstmordanschlags vermindern. Zu früh gefreut, lieber Leser! Denn Flugkapitäne sind mehr oder weniger Divas, also ziemlich narzißtisch! Da ist der Unterschied zum extremen Narzißmus nicht mehr groß!
Aber die Bundespsychotherapeutenkammer wird bestimmt umgehend Kurse, Seminare, Experten und narzißtisch zertifizierte Psychologinnen anbieten und vom Staat dafür entsprechende Gelder anfordern, denn nichts ist zu teuer, um die Welt zu retten, das weiß die Betreuungsindustrie am besten.

Hätte Lubitz bloß eine Nachricht hinterlassen, daß er durch seinen Selbstmordanschlag gegen die Siedlungspolitik von Netanjahu, gegen Putin oder die Benachteiligung von Frauen ein Zeichen des Protests setzen wollte, dann wären alle beruhigt, denn so ein guter Zweck, wie man weiß, heiligt alle Mittel.

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Forbes, 3/29/2015
Germanwings Crash Raises Questions For Pilots Taking Depression Drugs

The crash of Germanwings Flight 4U9525 in the French Alps, killing 150 people, has raised critical questions about the mental and physical fitness of commercial pilots, disease treatments, and the rules for medically disqualifying a pilot from active service. This broad, perennial issue is now focused on whether a pilot with a diagnosis of depression should be permitted to fly, even if taking antidepressant drugs.

For reasons not fully known, co-pilot of the Lufthansa budget carrier’s Airbus 320, Andreas Lubitz, is believed to have intentionally crashed the aircraft while enroute from Barcelona to Düsseldorf on Tuesday, March 24. What began as an inexplicable international tragedy has now transformed into a mass murder-suicide investigation.

At present, French and German authorities have revealed that the junior Lubitz locked out the pilot who was returning to the cockpit after a bathroom break. During that time, Lubitz had programmed the plane for a steep descent from its cruising altitude to its crash over a span of eight to 10 minutes.

The seemingly deliberate act, with the amount of time available for him to reconsider such a decision or allow the pilot back into the cockpit, has called into question Lubitz’s mental state. Currently, authorities have evidence that the 27-year-old Lubitz had been treated for depression and had developed vision problems that, if known to medical evaluators, might have disqualified him for working as a commercial pilot.

Could antidepressants have caused the Germanwings tragedy?

The New York Times reported yesterday that German authorities recovered “antidepressants” from Lubitz’s apartment on Thursday. This fact has renewed concerns that some drugs used to treat depression may increase suicidal ideations, aggression, and violence in some patients. Several SSRIs carry black box warnings about the potential for increased suicide risk when starting the drugs, particularly in adolescents and young adults.

During any one year, 6.9 percent of Americans will experience depression, a multi-faceted disorder characterized by some combination of prolonged or recurrent episodes of intense sadness and emptiness, lack of self-worth, and inability to enjoy previously rewarding activities, among others. That’s about 22 million people among the current U.S. population. While depression occurs more frequently in women, the disease strikes across socioeconomic boundaries, due likely to a combination of genetic and environmental causes.

The challenge is that the disorder is often accompanied by suicidal ideations and suicide attempts, accounting for why several years passed after SSRI drug approvals before an increased risk of suicide could be shown statistically.

Major aviation concern is sedative and cognitive side effects

The aviation industry is not immune to pilots experiencing depression. But each country’s central aviation authority has been operating under policies and procedures for all manner of medical issues to ensure that aircraft, especially commercial aircraft, are operated by the most competent and uncompromised professionals.

Before the SSRIs, airline pilots were disqualified from operating aircraft if being treated for depression. The first drugs to treat depression, the tricyclic antidepressants, had strongly sedating side effects and could also cause problems with balance, concentration, and blood pressure. The liability of pilots taking tricyclics, such as imipramine or amitriptyline, was these side effects that could interfere with operating an airplane.

The SSRIs, first introduced in 1987 by Eli Lilly as Prozac (fluoxetine), were a major advance because of their reduced side effect profile relative to tricyclics or another drug class, the monoamine oxidase inhibitors. As early as 1989, the Australian aviation authority, CASA, allowed pilots with depression to fly who were well-managed on an antidepressant drug.

U.S. pilots successfully treated for depression can fly under certification procedure

But the U.S. Federal Aviation Administration was concerned that these drugs still had sedating and cognitive effects that might interfere with the safe operation of commercial aircraft. In 2006, the Aircraft Owners and Pilots Association (AOPA) petitioned the FAA to recognize that pilots equally suffer from depression and can be treated successfully by proposing a detailed medical and psychological strategy to qualify such pilots with a medical certificate.

It took until 2010 for the FAA to formally enact such guidelines. In short, pilots with major depressive disorder and some related conditions could apply for such medical certification if they wre evaluated to have stable disease while taking one of four antidepressants: fluoxetine (Prozac), sertraline (Zoloft), citalopram (Celexa), and escitalopram (Lexapro). When these rules were established, the FAA gave a six-month amnesty period for pilots to come forward who were already being treated for depression.

Pilots are evaluated by independent aviation medical examiners (AMEs), often pairs of psychiatrists and psychologists around the country who have passed FAA medical practice certification. This medical system dates back to 1974 when the FAA began addressing the issue of pilots impaired by alcohol and their recovery. Together with the NIH National Institute on Alcohol Abuse and Alcoholism instituted the Human Intervention Motivation Study (HIMS) to establish a system to rehabilitate pilots with alcoholism. By 2004, the system could boast a 85 to 90 percent two-year sobriety rate among pilots in recovery; estimates for Alcoholic Anonymous among the general population is five to 10 percent.

The FAA's Decision Path II illustrates the process to FAA medical certification for a pilot with depression who is taking an SSRI antidepressant. Source: Federal Aviation Administration

The FAA decision path for pilots on an acceptable SSRI is detailed in the figure above. The pilots must have a clear diagnosis of major depression or related mood disorders from a HIMS-certified AME and agree to take one of the four listed drugs. But – and it’s a big “but” – the diagnosis must be uncomplicated in that a pilot would be ineligible if they also had psychosis, suicidal ideations, previous electroconvulsive therapy, or treatment with multiple SSRIs and psychotropic drugs. While not explicitly delineated, most cases of bipolar disorder would also preclude a pilot from seeking the “special issuance” of a medical certificate.

The major criterion for applying for the medical certificate is that the pilot has been on a stable SSRI dose and devoid of symptoms for at least six months. Pilots who have also discontinued SSRIs and have a documented lack of depressive symptoms are also eligible. The pilots must also pass a series of cognitive (memory) and computerized performance tests for manual dexterity called the CogScreen – Aeromedical Edition. Developed by former Georgetown University neuropsychologist, Gary Kay, PhD, the CogScreen is described as, “a computer-administered and scored cognitive-screening instrument designed to rapidly assess deficits or changes in attention, immediate- and short-term memory, visual perceptual functions, sequencing functions, logical problem solving, calculation skills, reaction time, simultaneous information processing abilities, and executive functions.”

A SSRI Special Issuance granted to a commercial pilot is active for a year and is renewable. The airman is required to send their AME their psychiatric consultation status report every six months, a letter from airline management every three months, and retake the CogScreen-AE each year. While much of the documentation focuses on cognition, problem solving, and information management, the pilot is interviewed deeply on the nature of their depressive disorder and required to submit their own written history of their disease.

One could still worry that a pilot with homicidal or suicidal tendencies could evade this screening process to maintain their commercial certification, but the process in place in the U.S. appears to be more stringent than that of Australia or European countries.

Andreas Lubitz and SSRIs

A variety of conspiracy theorists often found online have suggested a role of psychotropic drugs used to treat mental illness and the behavior of mass murderers, dating back to the 1998 Columbine High School killings in Littleton, Colorado. Even CBS News presented a case that considered whether Zoloft (sertraline) was responsible for a 12-year-old South Carolina boy shooting his grandparents to death and setting their home on fire.

The problem with conclusively identifying a drug as a cause of homicidal behavior is that the diseases being treated are so varied in their causes and that the underlying disease might, itself alone, be a major driver of committing murder. Investigators, and family and friends of the victims, undoubtedly want answers for how this particular tragedy could have occurred and been prevented.

Assuming that Lubitz was taking an SSRI drug, we still have no way to conclude that the drug contributed to what appears to be his intentional act of mass murder and suicide. For one, we don’t yet know if what investigators are calling “depression” was complicated by any symptoms of psychosis that might have compromised or confused Lubitz’s reasoning and perspective on reality. Unless DNA testing could identify human tissue belonging to Lubitz at the crash site, we don’t even know if he was taking the drug or drugs at the time of the crash.

Readers should remember that I’m a PhD pharmacologist, not a board-certified psychiatrist, although I taught pharmacy students for a decade about antidepressant drugs and other agents that act on the central nervous system. As a scientist who is looking afar at much of the same evidence as you, the reader, I can’t help but be compelled by the long amount of time that Lubitz apparently had to reverse his decision to direct the plane downward and repeatedly refuse the pilot readmission to the cockpit. His actions appear to have been measured, calculated.

There are no objective, real-time clinical measures for depression, suicidal ideation, or homicidal tendencies – nothing like a LDL-cholesterol number or blood pressure reading.

I would love to answer, “Why?” If Lubitz was suicidal, why did he not take some other action to end his own life without taking 149 innocent people with him.

I’m afraid that the answer, if ever found, will be more complex than, “the drug made him do it.”

 

  • Dr. Kroll, not ‘conspiracy theoriests” but rather bipolar psychiatry experts (e.g. S Nassir Ghaemi, MD, Mood Disorders, particularly well summed up in Chap 4) tell us that 20 to 50% of the time when Bipolar II depression is the true diagnosis rather than major depression, antidepressants ‘switch’ energy depleted depressed moods into potentially dangerous agitated mixed or rapidly cycling moods. This co-pilot apparently has evidenced grandiosity in the past and very possibly if not likely antidepressants were contraindicated for him. Please help educate the public – Rather than ‘villify’ antidepressants which often help save lives among unipolar depressed patients, prescribers and consumers need to learn to better detect subtle bipolar II history and/or screen better for bipolar genetic risk, family history, history of responding abnormally to antidepressants in the past, and so forth.

  • “Unless DNA testing could identify human tissue belonging to Lubitz at the crash site, we don’t even know if he was taking the drug or drugs at the time of the crash.”

    We also don’t know if, in an attempt to continue flying, he abruptly stopped his drugs in the days before the flight. Depending on what meds are involved, such as those in the benzodiazopine family, abrupt discontinuing of meds can have some very horrific side effects pretty quickly and sometimes only intermittently.

     

SSRI Drugs Linked to Germanwings Kamikaze Crash?
Co-pilot spent 18 months under psychiatric treatment
SSRI Drugs Linked to Germanwings Kamikaze Crash?

by Paul Joseph Watson, Infowars.com,  March 27, 2015


Germanwings co-pilot Andreas Lubitz, who deliberately crashed a plane with 150 people onboard, had undergone psychiatric treatment, a fact that should prompt questions about whether the 28-year-old had been taking SSRI drugs which have been linked to numerous cases of mass murder and suicides.

“Lubitz had spent 18 months overall under psychiatric treatment, Bild reported on Friday, citing anonymous sources within Lufthansa, Germanwings’ parent company. The pilot was diagnosed with a “severe depressive episode” in 2009, the German daily says. It claims it got access to Lubitz’s profile, indicating the pilot had “psychological problems” and required a “special, exemplary regular medical examination,”reports RT.

Lubitz was also going through a personal crisis after breaking up with his girlfriend having previously taken a six month break from flight training due to “burnout-syndrome” or “depression”.

During a search of Lubitz’ apartment, German police also announced that they had discovered a “significant clue” that might help to determine why Lubitz deliberately crashed the Airbus A320. Authorities said that the item was not a suicide note.

“We have found something which will now be taken for tests,” Markus Niesczery from Dusseldorf Police told the Daily Mail. “We cannot say what it is at the moment, but it may be a very significant clue to what has happened.”

In addition, it has subsequently emerged that Lubitz had made an effort to conceal and unspecified medical condition from his employers.

“Documents with medical contents were confiscated that point towards an existing illness and corresponding treatment by doctors,” said the prosecutors’ office in Dusseldorf, where the pilot lived and where the flight from Barcelona was heading, reports Reuters.

“The fact there are sick notes saying he was unable to work, among other things, that were found torn up, which were recent and even from the day of the crime, support the assumption based on the preliminary examination that the deceased hid his illness from his employer and his professional colleagues,” they said.

Ascertaining whether Lubitz was on or had come off anti-depression drugs should be a crucial part of the investigation given the clear connection between SSRI pharmaceuticals and incidents of suicide and mass murder.

As CCHR documents, psychiatric drugs have been involved in at least 31 different school shootings and other massacres over the last 25 years.

Despite it being reported that prescription drugs were found in the apartment of ‘Batman’ shooter James Holmes days after the Aurora massacre, it took nine months to find out exactly what those drugs were. Like Columbine killer Eric Harris, Holmes had been taking Zoloft, an SSRI drug linked with episodes of mania.

The connection between Zoloft and violent outbursts is well documented. Countless studies identify Zoloft as being responsible for more than 1,000 suicides and hundreds of episodes of mania and aggression.

There was also an apparent attempt to shield information concerning whether or not Sandy Hook gunman Adam Lanza was taking psychiatric drugs. In September 2013, we reported on the State of Connecticut refusing to release Lanza’s medical records over fears that divulging the identity of the antidepressants he was taking would, “cause a lot of people to stop taking their medications,” according to Assistant Attorney General Patrick B. Kwanashie.

Fort Hood gunman Ivan Lopez, who shot dead three colleagues and injured 16 others before turning the gun on himself in April last year, was also taking psychiatric medication before the shooting. Staff Sgt. Robert Bales was also taking anti-depressant drugs when he massacred 16 Afghan civilians in 2012.

As the website SSRI Stories profusely documents, there are literally hundreds of examples of mass shootings, murders and other violent episodes that have been committed by individuals on psychiatric drugs over the past three decades. The number of cases is staggering, but the media has completely failed to generate a national conversation about the issue due to its obsession with exploiting mass shootings to demonize the second amendment.

In the aftermath of revelations that Germanwings co-pilot Andreas Lubitz deliberately crashed the airliner, there has also been complete silence amongst the establishment press as to whether psychiatric drugs played a role, despite Lubitz’ known history of depression.

Pharmaceutical giants who produce drugs like Zoloft, Prozac and Paxil spend around $2.4 billion dollars a year on direct-to-consumer television advertising every year. By running negative stories about prescription drugs, networks risk losing tens of millions of dollars in ad revenue, which is undoubtedly one of the primary reasons why the connection is habitually downplayed or ignored entirely.

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Paul Joseph Watson is the editor at large of Infowars.com and Prison Planet.com.

http://www.infowars.com/ssri-drugs-linked-to-germanwings-kamikaze-crash/

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Mörderische Fantasien | Die Weltwoche, Ausgabe 14/2015

Piloten, die mit ihrem Flugzeug absichtlich in den Tod stürzen, gibt es mehr, als man denkt. Dass sie dabei wahllos Menschen töten, ist zwar selten, es kommt aber immer wieder vor. Einiges weist darauf hin, dass Germanwings-Co-Pilot Lubitz den Crash von langer Hand geplant hat.

Von Alex Baur

Skepsis war angezeigt, als der Marseiller Staatsanwalt Brice Robin bloss zwei Tage nach dem Absturz des Flugs 9525 von Germanwings das Unfassbare verkündete: Co-Pilot Andreas ­Lubitz habe den vollbesetzen Airbus A320 vorsätzlich in die Felswand gesteuert. Untersuchungen von Flugkatastrophen sind extrem komplex und dauern jeweils Jahre. ­Warum, so fragte man sich, schliesst Robin technisches Versagen so schnell aus? Kam er ­damit der Flugzeugindustrie und den Airlines entgegen, denen es vor einem Grounding des weitverbreiteten Airbus A320 graute?

Allen Verschwörungstheorien zum Trotz: Selten lag die Ursache einer Flugzeugkatastrophe so klar auf der Hand. Dass der Flug 9525 kontrolliert, also auf geradem Kurs, mit konstanter Geschwindigkeit und Sinkrate in den Berg raste, kann selbst ein Laie aus der Radaraufzeichnung herauslesen. Die vom sogenannten ADS-Transponder an die Flugkontrolle übermittelten ­Daten beweisen, dass der Autopilot an jenem fatalen Morgen um 10:30:54 Uhr vom ­Piloten auf den Todeskurs geschickt wurde.

Kein alternatives Szenario in Sicht

Ein Abgleich mit den Tonaufzeichnungen aus dem Cockpit zeigt: Kaum hatte der Captain seinen Platz verlassen und dem Co-Piloten Lubitz die Kontrolle übergeben, leitete dieser den Sinkflug ein. Hätte es sich um einen Notabstieg gehandelt, hätte er dies der Flugkontrolle ­sofort melden oder zumindest den Kurs ändern müssen. Aufgrund der aufgezeichneten regelmässigen Atemgeräusche erscheint es unwahrscheinlich, dass Lubitz aus einem unerfindlichen Grund das Bewusstsein verloren hat.

Überhaupt: Wäre Lubitz ohnmächtig ge­wesen, hätte er den Captain schwerlich mit der Notverriegelung aus dem Cockpit ausschlies­sen können. Wäre es im Cockpit zu einem Druckabfall gekommen, hätte das sogenannte blowout panel die Tür automatisch freigegeben. Das verzweifelte Poltern des Captains an die ­Kabinentür, die Schreie der Passagiere, die Aufrufe des Towers, die Warnsignale der Kon­trollsysteme – Lubitz ignorierte einfach alles.

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Ein alternatives Szenario ist nicht in Sicht. Damit rückt eine andere Black Box in den Mittelpunkt des Interesses, deren Inhalt kein Ingenieur rekonstruieren kann: Was ist im Kopf des Co-Piloten Lubitz vorgegangen, als er 149 Menschen, die ihm nichts zuleide getan hatten, vorsätzlich mit sich in den Tod riss? Lässt sich ein solcher Massenmord wirklich erklären durch Gebrechen – die Rede ist von Depressionen, Burnout, Überforderung, ja, von einem ominösen Augenleiden.

Die Ermittler informieren in diesem Fall relativ offen über den Stand der Untersuchung. Abgesehen davon, dass sich ein derartiges Verbrechen bei Hunderten von Ermittlern nicht unter dem Deckel halten lässt – alles andere ­wäre eine Zumutung gegenüber den Hinterbliebenen, aber auch gegenüber der Öffentlichkeit. Ein Strafprozess, der Klärung bringen könnte, ist nicht zu erwarten: Der mutmassliche Täter ist tot, und Strafverfahren gegen Tote sind in unserem Recht nicht vorgesehen. Eine Klärung ist aber zwingend und dringend, zumal sich die Frage stellt, ob und wie sich eine derartige ­Katastrophe allenfalls verhindern lässt.

Piloten, die, von Todessehnsucht getrieben, ihr Flugzeug zum Absturz bringen, gibt es mehr, als man denkt. Gemäss einer Unter­suchung der amerikanischen Federal Aviation Administration (FAA) haben sich allein in den USA in den letzten drei Jahrzehnten 36 Selbstmörder auf diese Weise aus dem Leben verabschiedet. Das ergibt rund einen Fall pro Jahr, Tendenz leicht sinkend.

Allerdings werden nur eindeutige Fälle von der Statistik erfasst. Viele der über 200 Flugunfälle, die sich in den USA jährlich ereignen, können nie geklärt werden. Und die Suizide lassen sich gemäss FAA auch kaum verhindern. Fliegen ist statistisch gesehen trotzdem viel sicherer als ­Autofahren. Laut dem jüngsten FAA-Bericht* waren bei mehr als der Hälfte der Suizide Alkohol oder Psychopharmaka mit im Spiel. Die meisten Crashpiloten litten an Beziehungsproblemen oder sonstigen psychischen Störungen.

Gemäss den laufenden Ermittlungen dürfte Letzteres auch auf Lubitz zutreffen. Damit hat es sich aber auch schon mit den Parallelen: ­Ausser bei einem Kamikazepiloten, der mit seiner Cessna ins Haus seiner Schwiegermutter stürzte, richteten die von der FAA erfassten Selbstmörder ihre Aggression nur gegen sich selber. In den seltenen Fällen, in denen Dritte zu Schaden kamen, hatten diese einen persönlichen Bezug zum Täter. Wenn der passionierte Segelflieger Lubitz nur sich selber hätte töten wollen, hätte er dazu genug Gelegenheiten ­gehabt. Er gehört in eine andere Kategorie.

Parallelen zu Psychopathen

In der Geschichte der Aviatik finden sich, wenngleich viel seltener, auch dazu Analo­gien. Ein vieldiskutiertes Beispiel war der Flug 990 von Egypt Air, der 1999 vor der amerikanischen Küste in den Atlantik stürzte (217 Tote). Auch hier wiesen Aufzeichnungen des Voice-Recorder darauf hin, dass der Co-Pilot den Captain aus dem Cockpit aussperrte, bevor er die Maschine zum Absturz brachte. Als Aus­löser werden Anschuldigungen wegen angeblicher sexueller Vergehen gegen den Co-Piloten vermutet. Die ägyptischen Behörden akzeptierten den Befund der US-Ermittler allerdings nie, vor allem in der arabischen Welt zirkulieren wilde Verschwörungstheorien.

Ebenso beim Absturz des Flugs 630 von Royal Air Maroc (1994) und demjenigen des Flugs 185 von Silkair (1997) förderten die Ermittler deutliche Hinweise auf vorsätzliche grobe Pilotenfehler zutage. Der provozierte Absturz des Flugs 470 von Mozambique Airlines im Jahr 2013 weist wiederum eine frappante Ähnlichkeit mit den Fällen Egypt Air und Germanwings auf: Auch hier sperrte der Co-Pilot den Captain aus dem Cockpit aus, bevor er den Crash einleitete. Und beim ominösen Flug 370 der Malaysia Airlines, der vor einem Jahr mit 239 Insassen spurlos im Indischen Ozean verschwand, lastet zumindest ein schwerer ­Verdacht auf den Piloten.

Gemeinsam ist all diesen Fällen, dass die Motive der Sturzpiloten im Dunkeln liegen. Es gibt weder Bekennerschreiben noch Abschieds­briefe, höchstens Schulden, Streit mit Vorgesetzten oder Partnern. Andreas Lubitz litt ­offenbar seit vielen Jahren an psychischen ­Problemen, die er verharmloste. Offenbar ­hatte er Angst davor, seine Fliegerlizenz zu verlieren. Doch damit lässt sich kein Massenmord erklären.

Sofort wurden Forderungen nach strengeren Eignungstests und einer Lockerung des Arzt­geheimnisses laut. Bei vielen Airlines darf ein Pilot neuerdings nicht mehr unbegleitet im Cockpit sitzen. Die Massnahmen sind zweischneidig. Mehr Kontrolle bedeutet nicht ­automatisch mehr Sicherheit, wie gerade der aktuelle Fall zeigt: Der nach 9/11 eingeführte Sicherheitsmechanismus an der Tür machte es dem Co-Piloten Lubitz erst möglich, sich im Cockpit einzubunkern.

Airlines sind keine Irrenhäuser, ein Generalverdacht gegen die Piloten kann schnell das Arbeitsklima vergiften und mehr schaden als nützen. Es erscheint zudem fraglich, ob sich ein gefährdeter Pilot dem Arzt noch anvertraut, wenn er weiss, dass die Informationen direkt und ungefiltert an seinen Arbeitgeber weitergeleitet werden. Es darf auch bezweifelt werden, ob eine Hostess einen zu allem entschlossenen Crashpiloten wirklich von seinem mörderischen Plan abhalten kann. Wenn Piloten nicht mehr zur Toilette gehen, obwohl sie dringend müssten, führt das womöglich eher zu weniger als zu mehr Sicherheit.

Das Bedürfnis nach Klärung ist gross. Doch je schlimmer ein Verbrechen, so scheint es, desto grösser die Bereitschaft, den Täter zu entlasten. Schon wird über alle möglichen Krankheiten und über die angeblich unmenschlich harten Arbeitsbedingungen von Piloten diskutiert. Konnte der von tiefer Not gepeinigte 27-Jährige einfach nicht anders, als ein Massaker anzurichten? Die Vorstellung ist so absurd wie sie klingt.

Hält man sich den äusserlichen Ablauf und das Resultat vor Augen, gemahnt Lubitz eher an einen Täter vom Schlage eines Friedrich Leibacher, der eines Morgens ohne ­jede Vorwarnung das Parlament von Zug stürmte, um mit einem Sturmgewehr wahllos Menschen zu erschiessen. Leibacher inszenierte sich als Opfer von angeblicher Behördenwillkür. Wie Recherchen zeigten («Abgrundtief ­böse», Weltwoche Nr. 3/03), trug Leibacher die Mordfantasien in Wirklichkeit längst mit sich herum, bevor er den grotesken Streit mit den Zuger Behörden mutwillig vom Zaun brach. Leib­acher hatte das Massaker sogar lange zuvor angekündigt; nur verstanden die Adres­saten den Sinn seiner mehrdeutigen Prophezeiungen erst, nachdem er das zuvor Unvorstellbare vollbracht hatte.

Meister der Anpassung und der Täuschung

Gewiss, für eine abschliessende Analyse ist es noch zu früh. Doch bei allem Mitgefühl für die Angehörigen von Lubitz: Man muss die ­Variante des Psychopathen, der eine über Jahre klammheimlich in seiner kümmerlichen Seele herangediehene mörderische Fantasie in die Tat umsetzt, in Betracht ziehen. Viele Indizien weisen in diese Richtung. Dazu gehört auch das Geschick, mit dem Lubitz seine angeblich psychosomatischen Probleme versteckte. Diese Leiden müssen nicht unbedingt die Ursache von zwanghaften Mordfantasien sein – sie können auch eine Folge davon sein. Die Kaltblütigkeit, mit der er die Maschine in den Berg hineinsteuerte, und sein ruhiger Atem zeugen von einer gewaltigen kriminellen Energie.

Dass Freunde und Bekannte Lubitz als freundlichen und umgänglichen Menschen beschreiben, widerspricht dem Profil eines Psycho­pathen keineswegs. Solche sind vielmehr Meister der Anpassung und der Täuschung. ­Sofern man der Bild-Zeitung glauben darf, soll Lubitz gegenüber einer Ex-Partnerin angekündigt haben, dass er «eines Tages etwas tun werde», was «das ganze System verändern wird, und alle werden dann meinen Namen kennen und in Erinnerung behalten». Nach ihren Worten hatte er ein doppeltes Gesicht: Auf der einen Seite sei er «sehr weich» gewesen, habe aber auch plötzlich ausrasten können.

Das Gemeine an der Sache ist, dass gefährliche Psychopathen ihre zwanghaften und mörderischen Fantasien nicht nur vor anderen verstecken, sie verdrängen diese bisweilen auch aus der eigenen Wahrnehmung. Deshalb offenbaren sie kaum je ihre abgründigen Motive. Kommt dazu, dass die Merk­male, die sie auszeichnen, auch bei ganz harmlosen und normalen Menschen zu finden sind. Es ist deshalb ungemein schwierig, solche Massenmörder frühzeitig zu erkennen. Immerhin sind sie selten. Die Erkenntnis aus dem Flug 9525 könnte demnach auch sein: Wir müssen damit leben, dass sich gewisse Katastrophen schlicht nicht vermeiden lassen.

http://www.weltwoche.ch/index.php?id=553700

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Für 149 Menschen des Flugs 9525 von Germanwings war es ein Albtraum mit tödlichem Ausgang. Was aber ging im Kopf des mutmasslich mörderischen Co-Piloten vor? Aus forensisch-psychiatrischer Sicht gibt es fünf ­theoretische Erklärungsansätze.

Von Frank Urbaniok, Die Weltwoche, Ausgabe 15/2015

Der Absturz der Maschine von Germanwings in den französischen Alpen ist eine fürchterliche Katastrophe. Neben dem Mit­gefühl für die Angehörigen der Opfer steht ­sofort auch die Frage nach dem Warum im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. In den nächsten Wochen wird sicher noch mehr zur Person und zum Leben des mutmasslichen ­Täters und zum Vorlauf der Tat ans Licht kommen.

Aus forensisch-psychiatrischer Sicht ist eine der zentralen Fragen, wie lange im Voraus die Tat geplant war. Längere Planung spricht gegen situative Zufälligkeiten und für eine Tatmotivation, die stark und nachhaltig in der Persönlichkeit des Täters verankert war. Der Vorlauf hätte zudem Chancen geboten, die Tat zu verhindern. Die entscheidende Frage in diesem Zusammenhang: Wer wusste was zu welchem Zeitpunkt?

Derzeit sind angesichts noch vieler offener Fragen voreilige Schlussfolgerungen oder vermeintlich abschliessende Erklärungen fehl am Platz. Möglich ist aber, das Spektrum der denkbaren Ursachen aufzuzeigen. Als gesichert können Depression und Selbstmordgefährdung des Co-Piloten im Vorfeld der Tat gelten. Unklar ist, ob erst der Entschluss zur Selbsttötung feststand und sich anschliessend die Motiva­tion für den Massenmord entwickelte – oder ob es umgekehrt war. Dann wäre der Mordplan handlungsleitend gewesen. Der eigene Tod wäre als Preis dafür in Kauf genommen worden. Sicher ist aber, dass Depression und Suizidalität alleine keine annähernd ausreichende Erklärung für die grausame Tat sind. Andere Phänomene waren entscheidend dafür, 149 Menschen in den Tod zu reissen. Sie traten kombiniert mit Depression und Suizidalität auf und führten zu einer gefährlichen Mixtur psychischer Problematiken. Dabei drängen sich fünf theoretisch denkbare Erklärungslinien auf:

— Zwangsgedanken: Solche Gedanken drängen sich unwillkürlich auf. Viele Menschen kennen das. Man steht auf einem hohen Turm, schaut hinunter. Plötzlich kommt einem die Idee, hinunterzuspringen. Wie von einem Magnet fühlt man sich für einen Moment vom Abgrund angezogen. Ein anderes Beispiel: Man sitzt im Spital neben dem kranken Vater, und für eine Sekunde schiesst einem der Gedanke, die Instrumente abzustellen, durch den Kopf. Solche Gedanken verschwinden oft genauso rasch, wie sie gekommen sind. Sie sind deshalb für die meisten Menschen überhaupt keine Gefahr. Es gibt aber Personen, die sich schlecht von solchen Zwangsgedanken abgrenzen können. Dann können diese zum Problem werden. Auch Depressionen oder Müdigkeit können die Abwehr von solchen Gedanken schwächen. Hier steht also nicht die Selbsttötung im Vordergrund, sondern die Sogwirkung, die eine ­ex­treme Tat auf manche Personen ausübt. Wie der Sog in den Abgrund, der einen magisch anzuziehen scheint, kann so ein Zwangsgedanke übermächtig werden. Kommentierte der Täter die Tat im Vorfeld tatsächlich positiv, dann spricht das gegen diese Va­riante. Denn Zwangsgedanken werden von Betroffenen eher belastend und negativ erlebt.

— Fanatischer Egotrip: Hier spielen die Macht und das Gefühl, Herr über Leben und Tod zu sein, etwas Monströses, Aussergewöhnliches zu vollbringen, in die Geschichte einzugehen, sich selber in einer subjektiv grossartigen, allmächtigen und extremen Pose zu inszenieren, eine entscheidende Rolle. Man findet dieses Muster sowohl bei religiösen Fanatikern als auch bei Schul-Amoktätern.

— Narzisstische Problematik: Sie ist verwandt mit dem fanatischen Egotrip. Hier wird ein geringes Selbstwertgefühl mit der ständigen Inszenierung der eigenen Grossartigkeit ausgeglichen. Solche Personen brauchen das Gefühl des Besonders-Seins und sind auf die ständige Zufuhr von Aufmerksamkeit und Bewunderung angewiesen. Bleibt das aus und droht das Selbstbild zusammenzustürzen, kann eine explosive Mischung aus Wut und Verzweiflung entstehen. Sie ist manchmal die Grundlage ­eines «grossen» letzten Auftritts. _ Psychose: Möglich ist auch eine psychiatrische Erkrankung im engeren Sinne wie beispielsweise eine Schizophrenie oder eine wahnhafte Depression. Hier gibt es oft bizarre grössenwahnsinnige, paranoide oder Welt­untergangsszenarien, die einer total verschobenen Wahrnehmung entsprechen und mit der Realität gar nichts mehr zu tun haben.

— Drogen-/Medikamentenwirkung: Es gibt diverse (Neben-)Wirkungen von psychoaktiven Substanzen, die ursächlich oder begünstigend auch für schwere Gewalttaten und/oder Suizid sein können.

Erwähnenswert ist schliesslich, dass eine solche Tragödie in der Realität zwar absolut aussergewöhnlich ist. Das Sujet kommt aber im Traum oder insbesondere in Action­filmen sehr häufig vor. Da droht eine Bombe, die von einem Schurken geschickt platziert wurde, in wenigen Minuten zu explodieren. Alles dreht sich nun darum, ob der Held es noch schafft, sie vorzeitig zu entschärfen. Die Spannung dieser Szenerie besteht einerseits darin, dass man hofft, es ­möge gelingen. Aber die Vorstellung der sich abzeichnenden Kata­strophe, die Uhr, die unbarmherzig weitertickt, hat auf den Betrachter ebenfalls eine faszinierende Wirkung. Auch dieses Moment findet sich in der jüngsten Flugzeugtragödie. Fast ­alle Menschen können völlig problemlos zwischen Film, Fantasie und Realität unterscheiden. Bei Menschen, bei denen diese Grenze brüchig ist, kann es gefährlich werden.

Frank Urbaniok ist Professor für forensische ­Psychiatrie und seit 1997 Chefarzt des Psychiatrisch-Psychologischen Dienstes des Kantons Zürich.

http://www.weltwoche.ch/ausgaben/2015-15/essay-gefaehrliche-fantasien-die-weltwoche-ausgabe-152015.html

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Charakteristika von Suizidhandlungen mit Einbeziehung anderer
Doppelsuizid

  • freiwillige Selbsttötung bei beiden
  • möglichst gleichzeitig
  • möglichst gleicher Ort
  • jeder für sich; seltener mit handlungsführender Person
  • gemeinsame Psychodynamik
Erweiterter Suizid

  • gemeinsame Tötung beziehungsweise Selbsttötung nach Tötung eines anderen
  • Mitnahme eines anderen (meist Intimpartner oder eigenes Kind) in die eigene Suizidhandlung
  • altruistische Motivation
  • Einbeziehung des anderen ohne dessen Einverständnis
  • Einbeziehung des anderen in die eigene Psychodynamik
  • Beziehungspsychodynamik nachweisbar
Homozid-Suizid

  • eigene Selbsttötung nach Tötung eines anderen
  • Mitnahme eines anderen, der unfreiwilliges Opfer wird
  • Opfer kann willkürlich gewählt und ohne Bezug zum Suizidenten sein
  • Psychodynamik kann Rache oder psychotisch-paranoid bedingt sein
Massensuizid

  • eigene Selbsttötung nach Tötung anderer
  • Mischung aus Freiwilligkeit der Selbsttötung und Zwang sowie Homizid, getötet werden
  • Kombination von Homizid und Suizid
Amok

  • primäres Ziel Tötung anderer
  • unter Einbeziehung des Getötetwerdens oder der eigenen Selbsttötung
  • Psychodynamik fremd-aggressiv und oft Paranoianahe

Literatur

beim Verfasser

Zeitschrift: NeuroTransmitter  2010/3

Quelle: NeuroTransmitter 2010; 21 (3): 26-29 

http://www.springermedizin.de/charakteristika-erweiterter-suizidaler-handlungen/596874.html

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>>„Er stürzt aus dem Himmel, und die ganze Welt schaut zu“

Der Flugzeugabsturz erinnert den Psychiater an den Tod des FDP-Politikers Jürgen Möllemann: „Er stürzt aus dem Himmel, und die ganze Welt schaut zu.“

L. hat sich offenbar als „Flying Andi“ bezeichnet. „Das spricht für gewisse Größenideen.“ Möglicherweise fühlte er sich aber in seinen Kompetenzen und seinem Können nicht anerkannt.

Nach Medienberichten trug er den Spitznamen „Tomaten-Andi“, als er eine Zeit lang als Flugbegleiter arbeitete.

Vielleicht ließ die Diskrepanz zwischen den narzisstischen Vorstellungen und den erlebten Kränkungen seine Suizid-Idee aufblühen.

Dann könnte ein Tropfen genügt haben, eine banale Bemerkung, eine weitere Kränkung, um das Fass zum Überlaufen zu bringen, vermutet Wolfersdorf.

Entscheidung kann kurzfristig fallen

Auch wenn die Suizid-Idee mitunter jahrelang in jemandem gärt, die endgültige Entscheidung kann dann sehr kurzfristig fallen.

„Sie wird bei etwa der Hälfte der Suizide erst in der Stunde vor dem Tod getroffen.“

Geht man davon aus, dass L. tatsächlich die Germanwings-Maschine zum Absturz bringen wollte, sind auch noch andere Motivlagen denkbar.

So könnte der Co-Pilot den Tod der anderen Menschen auch einfach nur in Kauf genommen haben.

„Vielleicht hat ihm in dieser Situation das Mitgefühl gefehlt und er wollte seinen Todeswunsch ohne Rücksicht auf das Leben der Passagiere umsetzen“, sagte Dr. Wolfram Dorrmann, Psychotherapeut aus Fürth und Autor des Standardwerks „Suizid“ im Gespräch mit der „Ärzte Zeitung“.

Eine spontane Kurzschlussreaktion hält er dagegen für unwahrscheinlich: „Acht Minuten im Sinkflug sind eine lange Zeit, hier muss schon eine bewusste Entscheidung dahinter stehen.“

Den Wunsch, sich selbst zu töten, können auch Medikamente verstärken oder gar auslösen, so der Psychotherapeut.

Im Verdacht stünden hier etwa Gyrasehemmer, das Akne-Mittel Isotretinoin oder eine beginnende SSRI-Therapie. Veränderungen des Hirnstoffwechsels scheinen auch bei Personen Suizid-Ideen zu begünstigen, die noch nie zuvor Selbsttötungsabsichten hatten.

„Solche Menschen erleben diesen Wunsch aber dann häufig als ichfremd.“

Kritisch seien die Zustände, wenn sie auf eine Situation treffen, in der ein Suizidwunsch nachvollziehbar erscheint, wenn sich die Personen als zuvor schon hoffnungslos oder von der Gemeinschaft ausgeschlossen fühlten.

Vor dem Suizid noch zum Arzt

Dorrmann verweist auf ein weiteres interessantes Detail: Die meisten Selbsttötungen finden nicht lange nach einem Arztbesuch statt – auch L. war in ärztlicher Behandlung und am Flugtag krankgeschrieben.

„Oft klagen Männer vor dem Suizid über Gereiztheit und Schlaflosigkeit.“ Mitunter bekommen sie dann Anxiolytika verordnet, und diese lösen vielleicht auch die Angst vor dem eigenen Sterben.

War das vielleicht ein Grund, weshalb L. acht Minuten völlig ruhig dem Ende entgegensah?

Auch der Psychiater Wolfersdorf hält psychoaktive Substanzen für eine alternative Erklärung: „Nimmt jemand Crystal Meth, dann kann das eine akute psychotische Episode mit Verfolgungsideen auslösen. So jemand kann durchaus die Tür zusperren, auf niemanden mehr reagieren und auf das Ende warten.“<<

Quelle: Ärzte Zeitung online 

http://www.springermedizin.de/was-ging-in-andreas-l-vor/5656626.html

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After a shooting, once the dust has settled, and the initial shock and panic has abated somewhat, fearful minds begin to cast about for explanations. Given the frequency with which gun deaths occur in the United States, “Why did this happen?” and “Who could do something like this?” are questions the country faces with grim regularity.

Unfortunately, a consistent and dangerous narrative has emerged—an explanation all-too-readily at hand when a mass shooting or other violent tragedy occurs: The perpetrator must have been mentally ill.

“We have a strong responsibility as researchers who study mental illness to try to debunk that myth,” says Jeffrey Swanson, a professor of psychiatry at Duke University. “I say as loudly and as strongly and as frequently as I can, that mental illness is not a very big part of the problem of gun violence in the United States.”

The overwhelming majority of people with mental illnesses are not violent, just like the overwhelming majority of all people are not violent. Only 4 percent of the violence—not just gun violence, but any kind—in the United States is attributable to schizophrenia, bipolar disorder, or depression (the three most-cited mental illnesses in conjunction with violence). In other words, 96 percent of the violence in America has nothing to do with mental illness.

A study from 1998 that followed patients released from psychiatric hospitals found that they were no more prone to violence than other people in their communities—unless they also had a substance abuse problem. So mental illness alone was not a risk factor for violence in this study.

Those are the facts. But cultural narratives are often more powerful than facts, and that 4 percent gets overblown in people’s minds.

A new study published in Health Affairs shows how the news perpetuates this narrative, with a look at how several prominent newspapers and broadcast networks covered mental illness from 1995 to 2014. More than half of the stories they looked at during that period—55 percent—mentioned violence in conjunction with mental illness. That proportion was pretty much consistent across the 19 years. But stories connecting mental illness with mass shootings specifically increased from 9 percent between 1994 and 2004 to 22 percent between 2005 and 2014.

Perhaps this can be partially attributed to high-profile shootings like the Tucson shooting in 2011, in which the killer did have schizophrenia. “That’s an event that is newsworthy, but the fact that it was linked to mental illness is not representative of most people who have schizophrenia, or most violence,” says Emma McGinty, the lead author on the study and a professor of health policy at Johns Hopkins University. “[And yet] that link pervades the public psyche.”

It pervades so much so that people speculate about killers’ mental states, even in the absence of any evidence that they were living with any disorder. For example, in an article about the gunman who recently killed a professor at the University of California, Los Angeles, New York magazine writes: “Police do not know for sure yet if Sarkar had a history of mental illness.” Why does this particular absence of information bear mentioning? It seems mental illness is so linked to gun violence in people’s minds that we have to address it even when it’s not there.

And when there is evidence that a killer also happened to have a mental illness—like the pilot who crashed a Germanwings plane in 2015, who had a history of depression—the media seize upon it like a bear trap. “We’ve got it now! This is what was wrong with him,” is the message portrayed.

This is a really tricky needle to thread, because something was clearly wrong with him. Of course someone who is perfectly healthy and well-adjusted in every way would not go out and kill a bunch of people.

“This is one of the hardest distinctions to make,” McGinty says. “Anyone who kills someone else in a mass shooting scenario or otherwise is not what we would consider mentally healthy. But that does not mean they have a clinical diagnosis and therefore a treatable mental illness. There could be emotional regulation issues related to anger, for example, which are a separate phenomenon. There could be underlying substance use issues. There could be a whole host of other risk factors for violence going on.”

“I think we have a long way to go in terms of brain science to really understand [those] distinctions,” adds Ron Honberg, a senior policy advisor at the National Alliance on Mental Illness

But when the news reinforces these easy narratives, as McGinty’s study shows it often does, that can have serious consequences. Other research shows that reading stories about mass shootings by people with mental illnesses makes people feel more negatively toward the mentally ill. This only heightens stigma, which could lead to more people going untreated.

“Do we not risk creating further barriers?” Honberg asks. “People [may] feel like, ‘Oh my gosh, if I get identified as having a psychiatric diagnosis, people are going to draw certain conclusions.’ It’s hard enough to get people to seek help when they need it.”

Shootings seem to inevitably lead to people calling for better mental health screenings for guns, or for better mental health care generally. Which would be great, lord knows we need it. But again, better mental health care is not going to have much of an impact on interpersonal violence.

This is a misframing of the issue. There is a compelling reason to adjust policy to better keep some seriously mentally ill people from accessing guns. It’s not because they might hurt others, but because they might hurt themselves.

Though big, scary mass shootings get the most attention when it comes to gun violence, 60 percent of deaths caused by firearms are suicides. And another new study in this same issue of Health Affairs emphasizes that suicide, not homicide, is the major public health problem for mentally ill people with guns. In it, Swanson and his colleagues looked at 81,704 people getting public health services for schizophrenia, bipolar disorder, or major depressive disorder in two large Florida counties. They tracked these people’s death records, as well as whether they were barred from owning guns.

In that group, the rate of people who died by suicide was four times higher than that of the general population. The violent crime rate was just under two times higher. But consider that this is a group of people receiving government care, who “might have other risk factors for violence, including poverty and social disadvantage, unemployment, residential instability, substance use problems, history of violent victimization, exposure to neighborhood violence, or involvement with the criminal justice system,” the study reads. So you can’t reasonably attribute the higher violent crime rate in this group to mental illness alone.

Maybe also because many people in the group likely lived in poverty, they were less likely to commit suicide by gun than the general population (perhaps they could not afford one). But 72 percent of the people who did kill themselves with a gun were “legally eligible to purchase a gun on the day they used a gun to end their life,” Swanson says. “That suggests a problem with the criteria we have for identifying people at risk.” And the 28 percent who were not allowed to purchase guns managed to find one anyway, so the laws we do have are not perfectly enforced.

“It’s a big public health opportunity to limit access to guns,” Swanson says.  And it could make a big difference for suicide attempt survival rates. Among people who’ve survived a suicide attempt, more than 90 percent do not go on to kill themselves later. But guns are the most common method of suicide, and people who try to kill themselves with a gun usually succeed—85 percent of the time. “They don’t get that second chance,” Swanson says.

Overall, the study concluded, “[the results] would seem to suggest that suicide, not homicide, should be the crux of gun violence prevention efforts focused on people with serious mental illnesses in public systems of care.”

That is not typically the case, though. Both Honberg and Swanson say that in their experience, people talk about increasing gun background checks for people with mental illness in the context of preventing homicide, not suicide. This is a conversation that plays out in the media and among politicians time and time again after a prominent shooting tragedy, perhaps because talking about mental illness is easier than talking about the guns.

“We’re a pretty violent society here in America and the conversation really ought to focus on what can be done to make America a less violent society,” Honberg says. “But because that discussion is so fraught with emotion and divisiveness and political disagreements, it almost seems like the conversation has devolved to a relatively small subset of people who engage in violence, namely people with mental illness. We can at least agree about what to do with guns and mentally ill people rather than what to do about guns generally. But that’s really passing the buck.”

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The story of Tuesday’s Germanwings plane crash, which killed all 150 people onboard, has only gotten more tragic as more details emerge. On Thursday, audio from the plane’s black box showed that co-pilot Andreas Lubitz apparently locked the commanding pilot out of the cockpit, and seems to have intentionally crashed the plane. On Friday, news coverage turned to speculating about Lubitz’s mental state, in an attempt to answer the haunting question that floats above the wreckage of every man-made tragedy: “How could someone have done this?”

„Everything is pointing towards an act that we can’t describe: criminal, crazy, suicidal,” said French Prime Minister Manuel Valls, according to Agence France-Presse.

Criminal. Crazy. Suicidal. That Valls would group those three words together says a lot. It hints at a dangerous equivalence. Suicidal doesn’t equal homicidal. Criminal doesn’t equal crazy. And crazy is an unkind thing to call someone who’s suffering.

What evidence we have of Lubitz’s mental health or lack thereof is still scant. The New York Times reports that he “had a medical condition that he hid from his employer.” Investigators found a doctor’s note at his home that would have excused him from work on the day of the crash, as well as another, ripped-up, note. The BBC says German media are reporting that Lubitz’s training was interrupted in 2009 so he could receive treatment for depression. While his employers at Lufthansa airlines have confirmed he took time off, they have not said why.

Yet Friday morning’s headlines were frantic about the possibility that Lubitz could have been depressed. The Daily Mail, ever over-the-top, went with: “Mass-killer co-pilot who deliberately crashed Germanwings plane had to STOP training because he was suffering depression and ‚burn-out.‘” CNN’s homepage blared “Unfit to Work” in all-caps.

“It’s kind of natural to say ‘This just has to be deeply crazy,’” says Jeffrey Swanson, a professor of psychiatry and behavioral sciences at Duke University who studies violence and mental illness. But people who commit mass murder “are really atypical of people with mental illness,” he says. “The vast majority of people with schizophrenia, bipolar disorder, or major depression are not likely to do anything violent and never will.”

By one measure, only 5 percent of violent crime is actually attributable to mental illness. For depression specifically, a study of more than 47,000 people in Sweden found that 3.7 percent of men and 0.5 percent of women diagnosed with depression committed a violent crime, The Guardian reported. In the general population, those numbers were 1.2 percent for men, and 0.2 percent for women. Depression is a risk factor, then, but a very small one.

“There’s this disconnect, but that becomes a prism through which we see these problems,” Swanson says.

People are understandably upset by this portrayal of Lubitz, which makes the leap to equating mental illness and violence, using only the very limited evidence of this one situation. Masuma Rahim, in an op-ed for The Guardian, worries that news reports blaming depression could “further [demonize] those with mental illness.”

To conclude that his role in the crash was the automatic consequence of any history of mental illness would be irresponsible and damaging. There has been no suggestion that males should be prohibited from becoming pilots, that Germans are unfit to fly, or that 27-year-olds should not be let loose in the cockpit. Only one factor has been picked over: Lubitz’s mental health.

This is an all-too-familiar progression. Within the past few years alone, the Newtown shooting, the Aurora shooting, and the Navy Yard shooting all come to mind, for how quickly the conversation turned from the killers’ actions to their minds. The impulse is understandable. Mental illness can be treated, and in the face of horror, people want action. What can we do to prevent this from ever happening again?

“A horrifying act like this, on the face of it, is deeply irrational, it’s terrifying and it seems unpredictable,” Swanson says. “It’s everything that we don’t want our everyday life to be. We want everyday life to make sense. We want to be able to predict what’s going to happen when we get on a plane, get in a car, or go to a shopping mall.”

Now, in the wake of the Germanwings crash, people are calling for better mental health screenings for pilots. Better screenings, earlier intervention, improvement of the mental health system all-around—these are noble goals. But unfortunately, the impact they could have on preventing future violence is probably small.

“If we were to take schizophrenia, bipolar disorder, and major depression…if I could wave a wand and magically cure those three illnesses, the overall amount of violence in society—any minor or serious violent act, pushing and shoving or using a weapon—would go down by about 4 percent,” Swanson says. “Ninety-six percent of it would still be there.”

Though the link between violence and mental illness is slight at best, the public tends to believe otherwise. One report found that “between 1950 and 1996, the proportion of Americans who describe mental illness in terms consistent with violent or dangerous behavior nearly doubled.” This attitude persists today. A 2013 Gallup poll conducted shortly after the Navy Yard shooting found that 48 percent of people blamed the mental health system “a great deal” for mass shootings. Thirty-two percent blamed it “a fair amount.”

And it paints an incomplete picture to look at mental illness alone, without all the other factors at play. For example, studies by Seena Fazel at the University of Oxford have found that people with substance abuse problems in combination with mental illness are more likely to be convicted of violent crime than people with mental illness alone. And Swanson says he’s done research on three big risk factors, one of which is substance abuse. The others are being a victim of violence while young, and witnessing violence in your surroundings.

“It’s important not to use this direct causal language,” he says. “When there is a terrible incident and it turns out the perpetrator has a mental illness, what you find is that the general public and media seize upon this as the master explanation—‘That’s what it was! Now we know. Of course.’ Maybe that’s a contributing factor, but violent behavior is a very complicated human behavior that is almost always caused by a whole lot of factors interacting in complex ways.”

And “violent behavior” is a vague term, that can encompass anything from punching someone in the face, to purposefully crashing a plane full of people. The two things are more different than they are alike. The world is now faced with the latter. Wanting an explanation, something to blame, is a human reaction to atrocity. “Something was wrong with this man” is an answer to hold onto. It can soothe the pain of not-understanding, if not the pain of loss.

“But if you generalize that kind of view toward all the people diagnosed with and struggling to recover from serious mental illness, we end up treating people with scorn and seeking distance from them,“ Swanson says. Something people do too much already.