ANDRE GREEN, PARIS
Der moralische Narzißmus*
*Unter dem Titel »Le narcissisme moral« zuerst erschienen in der Revue franvaise de psychanalyse, 1969, Jg. XXXIII, Heft 3. 416 Andre Green“
Übersicht: Im Vergleich zweier Tragödien von Sophokles, Aias und Ödipus, arbeitet Green einleitend die Unterschiede zwischen den Kulturen der Scham und den Kulturen der Schuld heraus. Anschließend entfaltet er seine Typusbeschreibung des moralischen Narzißmus, den er der Kultur der Scham zurechnet. Unter moralischem Narzißmus versteht der Autor den Sieg des Triebverzichts über die Befriedigungen der Illusion bzw. den Sieg des Über-Ich im Kräftespiel mit dem Ich-Ideal. Green, der in der Askese und der Affektverhaltung wichtige Merkmale des moralischen Narzißmus sieht, beschreibt die zugehörige Konfliktebene sowie die entscheidenden Abwehrformen des moralischen Narzißten. Er stellt des weiteren deren Psychodynamik dar, nimmt eine metapsychologische Einordnung vor und schließt mit einer Darstellung der durch Scham, Stolz und Ehre bedingten technischen Schwierigkeiten in der Behandlung.
»Die Tugend gleicht nicht nur jenem Streiter, dem es im Kampfe allein darum zu tun ist, sein Schwert blank zu erhalten, sondern sie hat auch den Streit darum begonnen, die Waffen zu bewahren; und nicht nur kann sie die ihrigen nicht gebrauchen, sondern muß auch die des Feindes unverletzt erhalten und sie gegen sich selbst schützen, denn alle sind edle Teile des Guten, für welches sie in den Kampf ging.« (G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes)
»Ja, unbewußtes Leben ist am süßesten, bis ei-
ner kennenlernt, was Freude ist und Schmerz.«
(Sophokles, Aias)
Der Narzißmus, dem in Frankreich in den letzten Jahren so viele theoretische Beiträge galten, hat das Interesse nur weniger klinischer Studien auf sich gezogen. Eine frühere Arbeit (Green, 1963) über die phallisch-narzißtische Position war uns Anlaß, einen aus klinischer Beobachtung stammenden Zustand, den Wilhelm Reich als erster beschrieben hat, genauer zu untersuchen. Jetzt möchten wir eine andere aus der analytischen Arbeit hervorgegangene Konfiguration näher umreißen, möchten deren Gültigkeit für die Erfahrung eines jeden verifizieren und ihr, wenn möglich, eine Struktur zuordnen. Im Folgenden wird der moralische Narzißmus zur Diskussion gestellt.
Ödipus und Aias
Für den Analytiker sind die legendären Helden der Antike ein unverzichtbarer Fundus, auf dessen Reichtum er nur zu gern zurückgreift. In der Regel beruft er sich auf diese erhabenen mythologischen Figuren dann, wenn er eine Behauptung mit einem verführerischen Zierrat versehen will. Was uns angeht, werden wir von einer Gegenüberstellung ausgehen, die, indem sie an das Gedächtnis eines jeden appelliert, als ein allgemeines Beispiel fungieren soll, das dann sekundär den einen oder anderen Patienten in Erinnerung zu rufen vermag. Dodds stellt in seinem Buch Die Griechen und das Irrationale (1963) die Kulturen der Scham den Kulturen der Schuld gegenüber. Nicht umsonst soll hier daran erinnert werden, daß nach Dodds die Idee der Schuld an eine Verinnerlichung, wir würden sagen, eine Internalisierung des Begriffs der Verfehlung oder Sünde gebunden ist; diese ist das Resultat einer Übertretung göttlichen Gesetzes. Die Scham hingegen ist ein zwangsläufiges Schicksal, verhängt als Zeichen des Götterzorns, eine Ate oder Verblendung, eine unbarmherzige Züchtigung, die kaum an eine objektive Verfehlung gebunden ist, es sei denn an die der Anmaßung. Die Scham ereilt ihr Opfer unerbittlich; zweifellos muß man sie weniger einem Gott als einem Daimon — einer Höllenmacht — zuschreiben. Dodds bringt die Kultur der Scham in Zusammenhang mit einer sozialen Stammes-form, bei der der Vater allmächtig ist und keine Autorität jenseits der seinen anerkennt, während die Kultur der Schuld auf dem Weg zum Monotheismus steht und ein über dem Vater stehendes Gesetz impliziert. Ganz zu schweigen von der Wiedergutmachung der Verfehlung, die in beiden Fällen unterschiedlich ist. Der Übergang von Scham zu Schuld bzw. Schuldgefühl hat seine Entsprechung in dem Weg, der von der Vorstellung von Schmutz und Schande zum Bewußtsein eines moralischen Übels führt. Zusammengefaßt ist die Scham ein Affekt, bei dem die menschliche Verantwortung kaum eine Rolle spielt, sie ist ein von den Götter verhängtes Geschick und trifft den Menschen, der der Hybris (Anmaßung) verfallen ist, während das Schuldgefühl sich als Folge einer Verfehlung einstellt, an der der menschliche Wille im Sinne einer Übertretung beteiligt ist. Erstere entspricht einer Ethik des Talionsgesetzes, letztere einer Ethik von mehr auf Einsicht fußender Gerechtigkeit.
Mir schien eine Gegenüberstellung dieser beiden Problembereiche — der Scham und der Schuld — möglich zu sein, wenn man Aias mit Ödipus vergleicht. Aias, der nach Achill tapferste unter den Griechen, hofft beim Tod des Thetissohnes dessen Waffen zugesprochen zu bekommen. Das aber geschieht nicht. Die Waffen werden auf je nach mythologischer Version unterschiedlichen Wegen Odysseus zugesprochen. In der ältesten Version wird dies durch die von den Griechen besiegten Trojaner vollzogen, die erklären sollen, welchen Feind sie am meisten fürchten. Sie nennen Odysseus, der vielleicht nicht der Tapferste, wohl aber der Gefährlichste, weil Listenreichste sei. Nach anderen Versionen, an die sich auch Sophokles hält, sind es die Griechen selbst, die sich für Odysseus entscheiden.
Aias empfindet diese Wahl als Ungerechtigkeit und Beleidigung. Er beschließt gewaltsame Rache und überredet die Achäer, Agamemnon und Menelaos, die Argiver gefangenzunehmen, Odysseus zu ergreifen und zu Tode zu peitschen. Athene aber, die Aias mit seiner Zurückweisung ihrer Hilfe im Kampf gegen die Trojaner beleidigt hatte, schlägt ihn mit Wahnsinn. Anstatt eine Heldentat im Kampf gegen jene, die er strafen will, zu vollbringen, richtet er ein Blutbad an und vernichtet in seiner Verblendung die Herden der Griechen. Der Urheber des Gemetzels kommt erst wieder zu sich, als das Schreckliche schon geschehen ist. Wieder zur Vernunft gekommen, begreift er seine Verblendung. Gleichsam doppelt wahnsinnig geworden, aus Schmerz und Scham darüber, daß weder das Recht noch die Gewalt ihm zum Triumph haben verhelfen können, und in seinem Stolz verletzt, bringt er sich um. Er stürzt sich in Hektors Schwert, das er als Siegestrophäe erhalten hatte — er durchbohrt sich, wie Jean Lacarriere ziemlich wahrscheinlich macht.
Beim Lesen des Sophokles-Textes erkennt man, daß »Scham« das Schlüsselwort dieser Tragödie ist. »Ah! Schauderhaftes Gerücht, Mutter meiner Scham!« sagt der Chor, als die Nachricht von Aias‘ Massaker eintrifft. Der Wahnsinn an sich entschuldigt gar nichts: Er ist vielmehr die schlimmste aller Beschämungen, Zeichen dafür, daß Gott den davon Geschlagenen verworfen hat. Ein Wahnsinn zudem, der Ehrverlust bedeutet, denn er führt zu einem ruhmlosen, mörderischen Tun. Er gibt den Helden der Lächerlichkeit preis, weil er ihn, der sich um die Auszeichnung höchster Tapferkeit bewirbt, dazu bringt, harmlose, der Nahrung dienende Tiere wie wildgeworden umzubringen. Dieser Wahnsinn befrachtet ihn mit der »schweren Illusion eines verabscheuenswürdigen Triumphes«. Wieder bei Besinnung, erscheint der Tod ihm als einzig mögliche Lösung. Aias kann, nachdem er seine Ehre verloren hat, nicht mehr unter der Sonne leben. Kein Band ist stark genug, um ihn gegen diese Versuchung des Nichts zu halten. Eltern, Frau, Kinder, die sein Tod praktisch zur Sklaverei verdammt, vermögen nicht, ihn zurückzuhalten. Sein Verlangen gilt der Unterwelt; seine Wünsche berufen die Nacht des Todes: »0 Nacht — du mein Licht«. Seine leibliche Hülle läßt er hinter sich, wie ein Schandmal; mögen seine Spötter über ihr Schicksal entscheiden: ob sie den Geiern zum Fraß ausgeliefert oder — als Sühneleistung — bestattet wird. Die Ethik des Maßes wird uns durch den Boten übermittelt: »denn überheblich unbesonnen Volk, es stürzt in schweres Leid durch Gottes Hand, falls, sprach der Seher, jemand, menschlicher Natur entsprossen, Menschenmaß nicht wahrt.« Das Beispiel des Aias schien mir den Vergleich mit Ödipus herauszufordern. Ödipus‘ Verbrechen ist nicht weniger groß. Ihn entschuldigt die Verkennung, die Täuschung des Gottes. Die Strafe, die er an sich vollzieht, hilft ihm jedoch, den Verlust seiner Augen, die zu viel haben sehen wollen, hinzunehmen und mit Unterstützung seiner Tochter Antigone in die Verbannung zu gehen und dort unter den Menschen in seiner Schande zu leben und diese bis zur Neige auszukosten. Schließlich nimmt er auch hin, noch vor seinem Tod Anlaß von Streit und Auflehnung zu werden, die zwischen seinen Söhnen (die er dann verflucht) und Kreon — seinem Schwager bzw. Onkel — und Theseus, unter dessen Schutz er sich gestellt hatte, entstehen. Im Wald von Kolonos, im Gebiet Athens, wartet er darauf, daß die Götter ihm ein Zeichen geben. Nachdem sein Vergehen einmal aufgedeckt ist, kann sein Leben kein Vergnügen mehr sein. Aber es ist das Leben; das haben die Götter gegeben, und sie werden es nach ihrem Ermessen wieder nehmen. Vor allem aber hält Ödipus an seinen Objekten fest. Sie sind sein Leben, so wie sie ihn am Leben halten. Er kann sie nicht im Stich lassen, selbst wenn er zum Einsatz im unseligen Ränkespiel seiner Kinder wird. Die einen — natürlich seine Söhne — wird er hassen. Seine Töchter dagegen, auch sie Früchte seines Inzests, liebt er väterlich.
Wie man sieht, trifft unsere Gegenüberstellung die Problematik zweier Themenkreise, die den zwei Arten der Objektwahl und der Objektbesetzung entsprechen: objektale Besetzung des Ursprungsobjekts bei Ödipus; durch Übertretung: Schuldgefühl — narzißtische Besetzung des Ursprungsobjekts bei Aias; durch Enttäuschung: Scham.
Klinische Aspekte des Narzißmus: Der moralische Narzißmus
Das Exempel des Aias, das uns als Einleitung gedient hat, führt sofort zu einer Frage für den Psychonalytiker. Sieht es nicht so aus, als ob eine bestimmte Beziehung zum Masochismus für diese Form des Narzißmus unabdingbar ist? Und geht es dabei nicht zuallererst um Selbstbestrafung?
Bevor wir unsere Entscheidung darüber vorantreiben, ob nicht der Masochismus als eigentliche Triebfeder am besten die Aiassche Thematik kennzeichnet — Aias, der nicht die Strafe sucht, sondern sie, um seine Ehre (ein anderes Schlüsselwort des Narzißmus) zu retten, an sich vollzieht —, wollen wir einen Augenblick bei den Beziehungen von Masochismus und Narzißmus verweilen.
In seiner Arbeit über »Das ökonomische Problem des Masochismus« (1924) gelangte Freud gleichzeitig mit seiner Aufteilung der Paare Spannung/Unlust und Entspannung/Lust zur Unterteilung des Masochismus als Ausdruck des Todestriebes in drei Substrukturen: erotischen Masochismus, weiblichen Masochismus, moralischen Masochismus. Diese Aufgliederung folgt demselben Prinzip, das wir hier zur Anwendung bringen, nur daß wir als Basis nicht die Wirkungen des Todestriebs, sondern die des Narzißmus nehmen. Unter klinischen Gesichtspunkten lassen sich unserer Auffassung nach mehrere Varianten, mehrere Substrukturen des Narzißmus unterscheiden:
- ein körperlicher Narzißmus, der die Empfindung (den Affekt) des Körpers sowie die Repräsentationen des Körpers umfaßt; des Körpers als Objekt für den Blick des Anderen, insofern er ein dem Körper äußerlicher ist, vergleichbar etwa wie der Narzißmus des Körpergefühls — des gelebten Körpers — ein Narzißmus des Abtastens des Anderen ist, insofern er ein dem Körper innerlicher ist. Bewußtsein des Körpers oder Wahrnehmung des Körpers sind dabei die basalen Elemente (vgl. Green, 1966/67);
- ein intellektueller Narzißmus, der uns hier nicht weiter beschäftigen muß, weil die analytische Literatur voll von derartigen Beispielen ist. Der intellektuelle Narzißmus manifestiert sich in der Besetzung, die die Herrschaft durch den Intellekt erfährt, verbunden mit einem übermäßigen Vertrauen in diese, was oft von den Tatsachen widerlegt wird. Der Nachdruck, mit dem er fortbesteht, vergegenwärtigt, daß »das nicht daran hindert, trotzdem zu existieren«. Diese Form des Narzißmus, die uns hier nicht weiter aufhalten soll, führt uns die Illusion einer intellektuellen Herrschaft vor Augen. Sie ist eine Sekundärform zur Allmacht der Gedanken. Sie ist Allmacht des Denkens, insofern sie den Sekundärprozeß dieser Aufgabe unterstellt;
- ein moralischer Narzißmus schließlich, den wir jetzt und hier beschreiben wollen und den wir im Moment nur beiseite lassen, um ihn an anderer Stelle auszuführen.1
1 Wir müssen wohl nicht betonen, daß wir keine Entsprechung zwischen den drei Formen des Masochismus und den drei Formen des Narzißmus im Blick haben.
Seit Das Ich und das Es (1923) weist Freud den unterschiedlichen Instanzen ein je spezifisches Arbeitsmaterial zu. Was der Trieb für das Es, ist die Wahrnehmung für das Ich und die Funktion des Ideals — Funktion des Verzichts auf Triebbefriedigung und die Öffnung auf den ins Unendliche zurückgedrängten Horizont der Illusion — für das Über-Ich. Demnach scheint der moralische Narzißmus, insoweit als die Beziehungen von Moral und Über-Ich deutlich etabliert sind, in einer engen Relation von Ich und Über-Ich verstanden werden zu müssen oder, genauer, da es dabei um die Funktion des Ideals geht, von Ich-Ideal und Über-Ich. Daß das Es an dieser Situation keineswegs unbeteiligt ist, wird der weitere Verlauf unserer Arbeit zeigen. Wenn wir uns vorstellen, daß das Es vom Antagonismus zwischen Lebenstrieben und Todestrieben bestimmt wird, daß das Ich einen unaufhörlichen Besetzungsaustausch zwischen Ich und Objekt erfährt und daß das Über-Ich aufgeteilt ist zwischen dem Verzicht auf Befriedigung und den Trugbildern der Illusion, verstehen wir, daß das Ich in seinem Zustand doppelter Abhängigkeit — vom Es und vom Über-Ich — nicht zwei Herren, sondern vieren dienen muß, weil ein jeder sich verdoppelt. Das passiert normalerweise jeden von uns, und keiner ist frei von moralischem Narzißmus. So rührt die Annehmlichkeit unserer Beziehungen aus der allgemeinen Ökonomie dieser Verbindungen, vorausgesetzt, daß die Lebenstriebe über den Todestrieb und die Tröstungen der Illusion über den Stolz des Triebverzichts obsiegen. Das ist aber nicht in jedem Fall so. Die pathologische Struktur des Narzißmus, die wir beschreiben wollen, wird vielmehr durch eine Ökonomie charakterisiert, die das Ich infolge eines Sieges des Todestriebs in doppelter Hinsicht schwer belastet; ein Sieg, der dem Nirwana-Prinzip (dem einer Spannungsermäßigung bis auf die Null-Linie) eine relative Vorherrschaft über das Lustprinzip einräumt und der ein Sieg des Triebverzichts über die Befriedigungen der Illusion ist.
So etwa der Haupteffekt aus Todestrieb und Triebverzicht. Verweist uns das nicht abermals auf die Strenge des masochistischen Über-Ichs? Annäherungsweise, ja. Genaugenommen, nein.
Masochistische Phantasien und narzißtische Phantasien
»… der richtige Masochist hält immer seine Wange hin, wo er Aussicht hat, einen Schlag zu bekommen«, schreibt Freud (1924, S. 378). Auf den moralischen Narzißten trifft das nicht zu. Freud paraphrasierend, könnte man sagen: »Sobald es auf irgendeine Befriedigung zu verzichten gilt, meldet sich der moralische Narzißt freiwillig.« Vergleichen wir denn diese so aufschlußreichen masochistischen Phantasien mit den narzißtischen. Im Masochismus geht es darum, geschlagen, gedemütigt, beschmutzt zu werden, reduziert auf einen Zustand der Passivität, einer Passivität allerdings, die immer die Präsenz des Anderen erfordert. Über diese für den Masochisten geltende Notwendigkeit der Beteiligung eines Anderen sagt Lacan, daß sie beim Anderen die Angst errege, inwieweit er, der Sadist, sein Begehren aufrechterhalten kann, will er nicht das Objekt seiner Lust zerstören.
Nichts dergleichen beim Narzißten. Es geht nur darum, rein zu sein, also allein zu sein, auf die Welt zu verzichten, auf ihre Freuden genauso wie auf ihre Leiden, weil man, wie wir wissen, aus Unlust noch Lust gewinnen kann. Die Subversion des Subjekts durch die Inversion ist für einen jeden erreichbar. Schwieriger und verlockender ist es, sich jenseits von Lust/Unlust anzusiedeln und ein Gelübde der Enthaltsamkeit abzulegen, ohne Schmerz zu suchen, ein Gelübde der Armut und Besitzlosigkeit, der Einsamkeit, ja der Einsiedelei; alles Bedingungen, die an Gott heranführen. Hat Gott Hunger oder Durst? Ist Gott abhängig von der Liebe, vom Haß der Menschen? Es kommt schon vor, daß solches geglaubt wird; die aber so denken, wissen nicht, was der wahre Gott ist: das Unnennbare. Diese tiefreichende Askese, die Anna Freud (1936) als einen der Adoleszenz eigenen Abwehrmechanismus innerhalb der normalen Entwicklung des Individuums beschreibt und auf die sich Pierre Mäle in seinen Studien über den Adoleszenten mehrfach bezieht, kann pathologische Formen annehmen. Selbst wenn das Leiden nicht gesucht wird, kann es doch nicht vermieden werden, wieviel Energie das Subjekt auch daran setzen mag, es sich zu ersparen. Freud sagt vom Masochisten, er wolle tatsächlich wie ein kleines Kind behandelt werden. Der moralische Narzißt verfolgt ein anderes Ziel: Er will als das Kind, das er ist, den Eltern gleichen, die er sich — zumindest ein Teil von ihm — als jemanden vorstellt, der keinerlei Probleme mit der Triebbeherrschung hat: Er will groß sein. Beides führt zu unterschiedlichen Konsequenzen. Der Masochist maskiert mit seinem Masochismus eine nicht bestrafte Verfehlung, Resultat einer Übertretung, hinsichtlich deren er sich schuldig fühlt — der moralische Narzißt hat keine andere Verfehlung begangen als die, in seiner infantilen Megalomanie verhaftet zu bleiben, und er ist, gemessen an seinem Ich-Ideal, immer im Rückstand. Die Folge ist, daß er sich nicht schuldig fühlt, sondern sich schämt, nur das zu sein, was er ist, oder aber sich schämt, weil er vorgibt, mehr zu sein, als er ist. Vielleicht könnte man sagen, daß der Masochist einer Beziehungsebene angehört, bei der es um das Haben in Form einer ungebührlichen Aneignung geht, während der Narzißt einer Beziehungsebene, der es um das Sein geht (man ist, wie man ist), angehört.2 Im moralischen Masochismus, erinnert uns Freud, wird das Subjekt nicht zu sehr für seine Verfehlung bestraft als vielmehr für seinen Masochismus. Die libidinale Erregungsausbreitung benutzt die Schiene der Unlust nur, um auf diesem geheimen Weg zu einem dem Subjekt nicht bewußten Lusterleben zu kommen; etwa so, wie der Rattenmann eine »ihm selbst unbekannte Lust« erlebt, wenn er Freud die Strafe ausmalt, die sein Entsetzen und seine Mißbilligung hervorgerufen hatten (vgl. Freud, 1909, S. 392). Im moralischen Narzißmus, dessen Ziel genauso wie das des Masochismus zum Scheitern verurteilt ist, erfüllt sich die Strafe — hier die Scham — mittels der unerträglichen Verdoppelung des Stolzes. Die Ehre ist niemals sicher. Alles ist verloren, weil nichts die Schande einer befleckten Ehre beseitigen kann, es sei denn ein neuer Verzicht, der auf Kosten der weiter verarmenden Objektbeziehungen einzig und allein zu Ehren des Narzißmus geleistet wird.
Hier enthüllt sich der markante Hauptunterschied des Gegensatzpaares: Der Masochist bewahrt in der Negativierung der Lust und in seiner Suche nach Unlust eine vielfältige Bindung an das Objekt, die der Narzißt gerade aufzugeben sucht. Man wird vielleicht diesen Begriff »vielfältig« kritisieren, da er gewöhnlich mit normativen Qualitäten ausgestattet ist. Wir sollten vielleicht eher von einem substantiellen Bezug zu den Objekten sprechen, insofern diese ihrerseits die phantasmatischen Objekte nähren, von denen das Subjekt letztendlich zehrt.
Der Narzißt wird den Konflikt dadurch zu lösen versuchen, daß er seine objektalen Beziehungen mehr und mehr zurückbildet, bis das Ich auf seinem vitalen Minimum an Objektbeziehung angelangt ist und so seinen befreienden Triumph erfährt. Dieser Versuch wird allerdings durch die Triebe ständig zum Scheitern gebracht, die verlangen, daß die Befriedigung über ein Objekt, das nicht das Subjekt ist, verläuft. Als Lösung,
2 Sollte das Beispiel, das wir dem Aias-Mythos entlehnt haben, im Widerspruch stehen zu dem eben Entwickelten? Aias tötet sich, weil die Waffen des Archill an einen anderen gehen. In seinem Fall würde es sich also wohl um eine Beziehung zu einem Haben handeln, dessen er beraubt ist. Täuschen wir uns nicht. Das, woran Aias leidet, ist eine Wunde des Seins. Es geht darum, daß er nicht als der furchterregendste der Krieger anerkannt wurde, wofür die von Hephaistos geschmiedeten Waffen des Achill zeugen. Es geht um ein phallisches Attribut, das ihm fehlt, insofern, als dieses ihm die Bewunderung von Freunden und Feinden einbringen würde. Deshalb ist seine Reaktion die der Scham, als ob ihre Zuweisung an einen anderen seine Erniedrigung und seinen Unwert verkörpern würde. Der Unterschied zwischen dem Tapfersten (der er ist) und dem Furchterregendsten (der Odysseus wegen seiner List ist) sind tote Buchstaben für ihn. Der Entehrung kann er nur entgegentreten durch die Aufgabe seines Lebens und aller Objekte, die ihn an dieses binden
ja als einzige Lösung bietet sich die narzißtische Besetzung des Objekts an, der allerdings, wie wir wissen, die Depression auf dem Fuß folgt, wenn das Objekt sich entfernt, verlorengeht oder enttäuscht.3
Diese Überlegung läßt uns die Besonderheiten in der Behandlung solcher Patienten besser verstehen. Während masochistische Patienten jene von Freud ins Auge gefaßten Probleme der negativen therapeutischen Reaktion aufwerfen, der das stete Bedürfnis nach Selbstbestrafung zugrunde liegt, konfrontieren uns die moralischen Narzißten, treue und tadellose Patienten, mittels einer progressiven Verdünnung ihrer Besetzungen mit einem Abhängigkeitsverhalten, bei dem das Bedürfnis nach Liebe oder, genauer, nach Achtung von seiten des Analytikers der Sauerstoff ist, ohne den sie sich nicht unter die Sonne wagen können. Zudem gilt das Bedürfnis einer besonderen Art der Liebe, der es darum geht, die Opferung der Lust anerkannt zu bekommen.
Wie Freud sagt, kann »die Selbstzerstörung der Person […] nicht ohne libidinöse Befriedigung erfolgen« (1924, S. 383). Welche Befriedigung findet nun der moralische Narzißt in seiner Verarmung? Das Gefühl, aufgrund des Verzichts besser zu sein als andere — die Grundlage des menschlichen Stolzes. Das vergegenwärtigt zwangsläufig die Beziehung zwischen dieser klinischen Form des Narzißmus und dem Primärnarzißmus der Kindheit in seiner Verbindung mit dem Autoerotismus. Wenn Freud hat sagen können, daß der Masochismus die Moral resexualisiere, sind wir versucht zu sagen: Der Narzißt macht aus der Moral eine autoerotische Lust, wobei auch noch die Lust abgeschafft wird.
Teilaspekte und Abkömmlinge des moralischen Narzißmus
Der Gegensatz zwischen masochistischen und narzißtischen Phantasien hat uns den Hauptaspekt dieser Struktur vor Augen geführt. Wir möchten jetzt kurz einige dieser abgeleiteten oder partiellen Gesichtspunkte ins Auge fassen, bevor wir die dazugehörige Metapsychologie entwerfen.
Wir haben weiter oben die Askese erwähnt, insofern sie über die Adoleszenz hinausgeht und zu einem Lebensstil wird. Diese Askese unterscheidet sich entschieden von jener, der eine religiöse Überzeugung oder eine Regel — immer in der religiösen Bedeutung des Worts — zugrunde liegt. Sie ist wirklich unbewußt. Sie nimmt Beschränkungen materieller
3 Pasche hat in ihrer Arbeit über die Depression der Minderwertigkeit Fälle beschrieben, die in diesen hier beschriebenen Rahmen gehören (1969, S. 181 ff.).
Art zum Anlaß, um das Ich zu einer fortschreitenden Einengung seiner Besetzungen zu bringen, dergestalt daß die Verbindung von Wunsch und Bedürfnis von der Ebene des ersten auf die des zweiten verschoben und so der Wunsch auf das Bedürfnis reduziert wird. Man trinkt, man ißt, nur um zu überleben, nicht aus Lust. Man eliminiert die Abhängigkeit gegenüber dem Objekt wie dem Wunsch mit Hilfe eines verarmten Autoerotismus, der von allen Phantasien abgekoppelt wird und dessen Ziel die Entladung im Sinne einer hygienischen Entleerung darstellt; oder aber man vollzieht eine massive Verschiebung auf die Arbeit und setzt eine rastlose Pseudosublimation in Gang, die eher die Bedeutung einer Reaktionsbildung als die eines Triebschicksals mit Hemmung, Zielverschiebung und sekundärer Desexualisierung hat. Diese Pseudosublimierung bekommt einen wahnhaften Charakter — wir schließen uns Ella Sharpe mit dieser Akzentuierung an. Wir werden an anderer Stelle sehen, warum.
Die letzten Bemerkungen bringen uns geradewegs zu einem zweiten Aspekt des moralischen Narzißmus. Er findet sich unter den Merkmalen eines selten erwähnten Syndroms, das dennoch häufig vorkommt: dem der Affektiven Hemmung. Eine Störung, die sich unserem Blick erst nach und nach erschlossen hat und die nicht einfach eine benigne Form der Konfliktbearbeitung darstellt, ganz im Gegenteil. Ihre Bezeichnung »Hemmung« trägt sie einerseits zu Recht, denn ihre Folgen hinsichtlich der affektiven Besetzungen sind für das Subjekt genauso gravierend wie die der intellektuellen Hemmung hinsichtlich der kognitiven Besetzungen. Andererseits bildet ihr Substrat die Verleugnung des Wunsches und seiner triebhaften Basis, was die Tatsache rechtfertigt, daß frühere Autoren wie Laforgue sie unter dem Namen Schizonoia dem psychotischen Formenkreis zugeordnet haben. Man ist oft überrascht über die quasi paranoische Form des Verhaltens. Die affektive Hemmung ist nicht das Alleinrecht junger Mädchen — weit gefehlt — und läßt sich genauso — mit einer schlechten, wenn nicht noch schlechteren Prognose — bei jungen Männern finden. Wir kennen ihre banalen Aspekte: die Empfindsamkeit — nicht die Sensibilität; das Zurückschrecken vor den menschlichen Gelüsten oraler oder sexueller Natur — nicht deren Sublimierung, was ja hieße, sie anzuerkennen; die Angst vor allem Geschlechtlichen, insbesondere vor dem Penis, der Neid auslöst, und zwar einen bei beiden Geschlechtern vorhandenen absoluten, maßlos dimensionierten Neid; die Gebundenheit an Träumereien, die einem puerilen, pathetischen und leicht messianischen Genre angehören. Im Leben lassen sich diese Wesen oft daran erkennen, daß sie in die Position von Prügelknaben geraten, was sie allerdings kaum aus der Fassung zu bringen vermag, überzeugt, wie sie sind, weit über das gemeine Volk erhaben zu sein.
Diese kursorischen Bemerkungen lassen vielleicht keine sichere Unterscheidung zwischen Hysterie und affektiver Hemmung zu. Der wesentliche Unterschied scheint uns darin zu bestehen, daß bei der affektiven Hemmung dem Ich-Ideal eine übermäßig hohe Bedeutung beigemessen wird. An dieser Stelle sollte man an Melanie Kleins Überlegungen zur Idealisierung denken. Melanie Klein sieht in der Idealisierung einen der ursprünglichsten und grundlegendsten Abwehrmechanismen. Wobei die Idealisierung das Objekt wie das Ich betreffen kann. Mit dieser Unterscheidung auf ökonomischer Ebene läßt sich am ehesten die Aufteilung in Hysterie und affektive Hemmung begründen, dergestalt daß letztere das Ergebnis eines auf die Spitze getriebenen Narzißmus bei gleichzeitig zunehmendem objektalen Besetzungsabzug ist.
Man könnte nur zu leicht in eine Falle geraten, wenn man hinter diesem ganzen Verhalten lediglich eine Abwehrposition gegen die Triebbesetzungen herauslesen wollte; was diese Wahlentscheidungen nämlich kennzeichnet, ist ein hinter den täuschenden Formen der Ergebenheit verborgener immenser Stolz, der in keinem Verhältnis zu den gewöhnlichen Leistungen des Narzißmus steht.4 Es lohnt, sich einige Gedanken über den zweifelhaften Wert dieser Besetzungsverarmung als Abwehrmaßnahme zu machen. Bei dieser Abschirmung gegenüber den Schicksalen des Triebs und seiner Objekte ist sicher eine Abwehrbedeutung im Spiel. Man kann sich vorstellen, daß dieses Verfahren dem Subjekt Schutz gewährt, und bekommt manchmal die heftige Angst vermittelt, die der Analysand empfindet, weil die Besetzung ein beträchtliches Desorganisationsrisiko für das Ich zu beinhalten scheint. Auf dieselbe Weise wie der Reizschutz, der gegenüber den äußeren Reizen, deren Intensität die fragile Ichorganisation in Gefahr bringen könnten, aufgerichtet ist und der das Ich jenseits einer gewissen Quantität an Reizen mittels Verweigerung schützt, soll die Verweigerung gegenüber dem Trieb als vergleichbare Schutzmaßnahme wirksam werden. Diese Patienten erleben sich wirklich als extrem fragil und haben das Gefühl, daß, wenn der Trieb tatsächlich zum Bewußtsein zugelassen würde, die Gefahr eines perversen oder psychotischen Verhaltens bestünde. Wenn sie sich nicht ununterbrochen beobachten, sie sich vielmehr tatsächlich ungebremst
4 Natürlich ist diese narzißtische Überbesetzung die Konsequenz einer irreparablen narzißtischen Wunde.
gehenlassen würde — sagte uns eine Patientin —, wäre sie über kurz oder lang verwahrlost. Aber jeder von uns verwahrlost (am Sonntag oder in den Ferien) ein ganz klein wenig und akzeptiert diesen Zustand mehr oder weniger. Der moralische Narzißt kann sich das nicht erlauben. Deshalb muß er so notwendig an der narzißtischen Besetzung des Stolzes festhalten.
Wir haben von Messianismus gesprochen, und tatsächlich geht es nur zu oft genau darum. Bei den Frauen ist dies von der Identifikation mit der Jungfrau Maria begleitet, »die ohne Sünde empfing«, eine gängige Vorstellung. Welch folgenschwerer Satz für die weibliche Sexualität, sehr viel gefährlicher als der vom »Sündigen ohne zu empfangen«, gleichfalls ein Ziel der Frauen. Dem entspricht beim Mann die Identifikation mit dem Osterlamm. Es geht dann nicht nur darum, sich ans Kreuz schlagen oder sonstwie abmurksen zu lassen, es geht vielmehr darum, im Moment des Holocaust unschuldig zu sein wie das Lamm. Aber wie man weiß, werden die Unschuldigen oft durch die Geschichte mit Verbrechen beladen, die sie, um rein zu bleiben, veranlaßt haben.
Diese Verhaltensweisen einer durch den Widerstreit mit dem Realen immer wieder zum Scheitern verurteilten Idealisierung haben, wie gesagt, die Scham und nicht das Schuldgefühl im Gefolge und die Abhängigkeit viel eher als Unabhängigkeit. In der analytischen Behandlung zeigen sich mehrere Besonderheiten:
- der schwierige Zugang zum objektalen analytischen Material, verborgen unter dem Deckmantel dessen, was Winnicott hier das falsche Selbst nennen würde;
- die narzißtische Wunde, die als Gewaltakt oder Einbruch, als unvermeidliche Bedingung beim Bergen des objektalen Materials erfahren Die Arbeit der Demystifikation richtet sich hier nicht nur auf den Wunsch, sondern auch auf den Narzißmus des Subjekts, den Hüter seiner narzißtischen Einheit, wesentliche Bedingung des Wunsches zu leben;
- die Verankerung außerhalb der Kur in einem aktiv passiven Widerstand, der die Abhängigkeitswünsche des Subjekts befriedigen soll, eine Abhängigkeit, die es erzwingen könnte, mit dem Analytiker auf ewig verbunden zu bleiben und ihn, wie einen Schmetterling, den man im Netz der analytischen Situation gefangen hat, in seinem Sessel festzuspießen;
- den Wunsch nach einer bedingungslosen Liebe, einziges Verlangen der Dies zeigt sich im Verlangen nach absoluter Achtung in Form eines unerschöpflichen Bedürfnisses nach narzißtischer Würdigung, deren ausdrückliche Bedingung darin besteht, daß der sexuelle Konflikt und der Weg zu der an die erogenen Zonen gebundenen Lust unzugänglich gemacht, wenn nicht ausgeklammert wird;
— die Projektion als Korrelat dieses Wunsches, der mit taktischem Ziel eingesetzt wird, um nämlich die beruhigende Verleugnung des Analytikers zu provozieren. »Versichern Sie mir, daß Sie in mir keinen gefallenen, verdorbenen, verbannten Engel sehen, der jedes Recht auf Achtung verloren hätte.«
Metapsychologie des moralischen Narzißmus
Was wir gerade in deskriptiven Begriffen beschrieben haben, soll nun seinen metapsychologischen Status erhalten. Dazu ist es nötig, die Beziehung des moralischen Narzißmus zu den verschiedenen Formen der Gegenbesetzung, den anderen Arten des Narzißmus, der Libidoentwicklung (erogene Zonen und Objektbeziehung) und schließlich zu Bisexualität und Todestrieb zu untersuchen.5
Die unterschiedlichen Arten der Gegenbesetzung
Das Konzept des Abwehrmechanismus hat sich seit Freud deutlich erweitert. Die Vielfalt der Abwehrformen, wie sie Anna Freuds Arbeit Das Ich und die Abwehrmechanismen (1936) auflistet, berücksichtigt jedoch nicht die strukturellen Besonderheiten der nosographischen Hauptformen, die man immer wieder umsonst zu umgehen versucht. Nur eine Reflexion über die Gegenbesetzung verspricht Abhilfe: die Verdrängung, insofern sie eine Abwehr darstellt, nicht die erste, dafür aber die wichtigste für die psychische Zukunft des Individuums.6 Kurz rekapitulieren sollte man jene Formenreihe, die Freud beschreibt und deren Funktion es ist, alle übrigen Abwehrformen in eine bestimmte Ordnung stellen zu können — ihnen quasi einen Rahmen zu geben. Somit haben wir:
- die Verwerfung — le rejet, von einigen mit Lacan auch als forclusion
übersetzt —: Man kann vielleicht über das Wort diskutieren, kaum über
die Sache, die eine radikale Verweigerung, etwas anzuerkennen oder zur
5 Wir betrachten also nicht die Metapsychologie gemäß den drei Gesichtspunkten, dynamisch, topisch, ökonomisch — jeweils für sich genommen. Aber in jeder Rubrik sollte jeder bekommen, was ihm gebührt.
6 Man findet hier die Opposition zwischen dem Ersten und dem Wichtigsten, Prima und Summa, so verteidigt von G. Dumezil.
Kenntnis zu nehmen, impliziert und die auf die eine oder andere Weise in direkter oder verdeckter Form den Trieb und seine Repräsentanzen ausklammert, deren Wiederkehr sich dann im Realen vollzieht;
- die Verleugnung — le dd.ni oder dAavceu, Verdrängung der Wahrnehmung (vgl. z. B. Fetischismus);
- die Verdrängung im eigentlichen Sinn — le refoulement —, die sich auf den spezifischen Affekt und auf die Triebrepräsentanz bezieht;?
- die Verneinung schließlich — la neation oder dbleation, die sich auf das Urteil bezieht. Sie ist (wir vereinfachen) Zulassung zum Bewußtsein unter einer Negativform. »Dies ist nicht …« in der Bedeutung von »Dies ist«.
Der moralische Narzißmus scheint uns in seiner reinsten und charakteristischsten Ausprägung die Antwort auf eine Situation zu sein, die zwischen Verwerfung und Verleugnung, zwischen rejet und dAavceu, steht: Was dann allerdings bedeutet, daß er strukturell, aufgrund seiner Schwere, in die Nähe der Psychosen gehört.
Mehrere Argumente stützen diese Vorstellung. Zunächst der Gedanke, daß es sich um eine Abart der »narzißtischen Neurose« handelt, etwas also, das wir aufgrund unserer klinischen Erfahrung gewöhnlich mit besorgtem Blick betrachten. Dann die Dynamik der Konflikte selbst, die eine Verweigerung gegenüber den objektalen Trieben implizieren, verbunden mit einer Zurückweisung des Realen. Weigerung, die Welt so zu sehen, wie sie ist, d. h. als ein geschlossenes Feld, auf dem die menschlichen Begierden sich eine Schlacht liefern, die kein Ende hat. Und endlich liegt dem moralischen Narzißmus die Megalomanie zugrunde, in der eine vom Ich ausgehende Verweigerung der Objektbesetzungen impliziert ist. Immerhin handelt es sich nicht wie in der Psychose um eine Verdrängung der Realität, sondern eher um eine Verleugnung, um eine Nichtanerkennung der Ordnung der Welt und des persönlichen Anteils, den der Wunsch des Subjekts daran hat. Freud beschreibt die mit der Ablehnung der Kastration verbundene Verleugnung, die sich im Fetisch manifestiert. Der moralische Narzißt weiht sich einer ähnlichen Funktion der Auffüllung des Fehlenden, wenn er sich als Objekt einer Opferung anbietet, als ein Objekt, das die Löcher, die die Schutzlosikeit der Welt offenbar werden lassen, mit einem allmächtigen göttlichen Bild zu verschließen sucht, um diesem unerträglichen Mangel abzuhelfen. »Wenn Gott nicht existiert, ist alles erlaubt«, sagt Dostojewskis Held. »Wenn
7 Wir für unseren Teil nehmen entgegen der gängigen Meinung der letzten Jahre an, daß der Affekt verdrängt wird und nicht nur zurückgewiesen (vgl. Green, 1973).
Gott nicht existiert, ist es mir erlaubt, ihn zu ersetzen und das Beispiel zu sein, das den Glauben an Gott wiederherstellt. Ich werde also Gott in Stellvertretung sein.« Man kann sich vollstellen, daß das Scheitern dieses Unternehmens — wie Pasche (1969) betont —, in der Depression mündet, entsprechend dem Motto »Alles oder Nichts« ohne die Möglichkeit irgendeiner Vermittlung.
Die anderen Aspekte des Narzißmus
Die drei Aspekte des Narzißmus, die wir im einzelnen herausgearbeitet haben — moralischer Narzißmus, intellektueller Narzißmus, körperlicher Narzißmus —, lassen sich als Varianten der Besetzung darstellen, die aus Gründen der Abwehr oder der Identifikation — je nach individueller Konfliktlage — erwählt werden. Genauso aber, wie die narzißtische nicht von der objektalen Beziehung abgelöst werden kann, stehen auch die unterschiedlichen Aspekte des Narzißmus in wechselseitigem Zusammenhang.
Der moralische Narzißmus ist besonders eng mit dem intellektuellen Narzißmus verbunden. Darunter verstehen wir, wie gesagt, jene Form der Selbstgenügsamkeit und der einsamen Valorisierung, die durch intellektuelle Beherrschung oder Verführung Ersatz bieten will für das Essentielle menschlichen Begehrens. Nicht selten verbündet sich der moralische mit dem intellektuellen Narzißmus und findet über diese Art der Verschiebung einen Weg zur Pseudosublimierung. Grundlage des moralischen Narzißmus bildet eine Hypertrophie desexualisierter Besetzungen, die für gewöhnlich eine Verschiebung prägenitaler Partial-triebe Skoptophobie/Exhibitionismus und Sadismus/Masochismus veranlassen. Wir kennen die Affinität, die bestimmte religiöse Orden zu intellektueller Gelehrsamkeit aufweisen. Ein solcherart moralisch-philosophisch getöntes intellektuelles Forschen hat zum Ziel, Begründungen für eine gegen ein Triebleben gerichtete Ethik, wie man sie schon bei Gott gesucht hatte, bei den Philosophen zu finden, und zwar ein Triebleben, das nicht etwa aufgegeben oder unterdrückt, sondern um jeden Preis ausgelöscht werden soll. Die Scham darüber, wie jedes menschliche Wesen mit einem Triebleben versehen zu sein, verleiht, bezogen auf das uneingestandene Ziel der Arbeit, ein Gefühl der Scheinheiligkeit. Diese Scham wird auf die intellektuelle Aktivität verschoben, die dann zu einer höchst schuldbeladenen wird. Man müßte eigentlich sagen — der Begriff dazu fehlt —, zu einer schambeladenen, als ob das aufmerksame Über-Ich zum überhellsichtigen Verfolger würde, der die Erinnerung wachhält und hinter der intellektuellen Beweisführung das Verlangen nach Absolution für die verbliebenen Reste des Trieblebens errät, die nicht aufhören, das Ich umzutreiben. Zugleich wird die in einer solchen Suche enthaltene Größenphantasie bestraft, die auf rationaler und intellektueller Ebene die moralische Überlegenheit des Subjekts begründen soll.
In anderen Fällen entwickelt sich die intellektuelle Aktivität — Synonym des väterlichen Phallus —, die mit ihren in der Schulzeit unternommenen Anstrengungen für die Kindheit befriedigend verlaufen war, in der Adoleszenz zu einem Anlaß von Blockierung.
Man müßte an dieser Stelle die Analyse der Sublimierung und der Regression vom Handeln zum Denken weiter verfolgen. Das allerdings würde die Grenzen unseres Vorhabens überschreiten. Dennoch einige Anmerkungen:
- Die intellektuelle Aktivität, ob nun von einer phantasmatischen Aktivität begleitet oder nicht, wird sehr stark erotisiert, ist schuldhaft besetzt und wird vor allem als schmachvoll Mit ihr gehen Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten beim Lesen und die Unfähigkeit einher, das Angeeignete angemessen zu nutzen usw. Beschämend daran ist, daß gerade, wenn das Subjekt dieser Aktivität nachgeht, es diese in Beziehung bringt mit einer oft masturbatorischen Sexualität: »Ich lese Werke von großer Humanität oder hohem moralischen Wert, aber nur, um mich als etwas darzustellen, was ich gar nicht bin, und so meine Mitwelt darüber wegzutäuschen, daß ich kein reiner Geist und voller sexuelle Wünsche bin.« Nicht selten hat in solchen Fällen das Kind den Vorwurf ungesunder Anmaßung oder ungesunder Neugier von seiten seiner Mutter erfahren.
- Die intellektuelle Aktivität stellt eine Möglichkeit aggressiver Triebabfuhr dar: Lesen heißt dann, sich eine destruktiv geartete Macht einzuverleiben; heißt, sich vom Kadaver der Eltern zu ernähren, die man lesend durch die Inbesitznahme des Wissens tötet. Ella Sharpe (1931) verbindet nicht umsonst Sublimierung mit Inkorporation innerhalb der phantasmatischen Repräsentation.
- Intellektuelle Aktivität und Ausübung des Denkens werden im Fall des moralischen Narzißmus von einer Rekonstruktion der Welt begleitet; diese ist die Errichtung einer moralischen Regel mit Hilfe einer geradezu paranoischen Aktivität, die ununterbrochen das Reale neu erschafft, neu modelliert, gemäß einem Muster, bei dem alles Triebhafte übergangen oder konfliktlos aufgelöst wird. Ella Sharpe hat sehr gut die Verbindungen zwischen Sublimierung und Wahn herausgearbeitet. Alles in allem befindet sich das System Wahrnehmung-Bewußtsein, insofern es narzißtisch besetzt ist, im Zustand der »Überwachung«, kontrolliert und schikaniert vom Über-Ich, und befindet sich ähnlich wie beim Überwachungswahn in einem ökonomischen, wenn auch anders-gearteten Gleichgewicht.
Vor allem aber mit dem körperlichen Narzißmus unterhält der moralische Narzißmus die engsten Beziehungen. Der Körper als Erscheinung, Quelle der Lust, der Verführung, der Eroberung des anderen, wird mit dem Bann belegt. Die Hölle sind für den moralischen Narzißten nicht die anderen — die hat der Narzißmus längst abgeschafft —, die Hölle, das ist der Körper. Der Körper ist der Andere, der trotz aller Versuche, seine Spur zu tilgen, immer wieder aufersteht. Der Körper ist Begrenzung, Knechtschaft, Endlichkeit. Das Unbehagen ist so zuallererst und zunächst ein körperliches Unbehagen, das sich bei den Betreffenden im Gefühl, in seiner Haut nicht wohl zu sein, ausdrückt. Die analytische Sitzung, die den Körper zum Sprechen bringt (intestinale Geräusche, vasomotorische Reaktionen, Schweiß-Kälte-Wärmeempfindungen), wird dann zur Folter, denn wenn es noch gelingt, die Phantasien unter Kontrolle zu halten oder zum Schweigen zu bringen, so bleibt doch die Machtlosigkeit gegenüber dem Körper. Der Körper ist der absolute Herr — die Scham.8 Deshalb sind die Betreffenden auf der Couch versteinert, unbeweglich. Auf stereotype Weise legen sie sich hin, erlauben sich keine Änderung der Stellung, geschweige denn irgendeine Bewegung. Nur zu verständlich ist, daß angesichts dieser motorischen Stille des Beziehungslebens die viszerale Motorik losbricht. Dabei handelt es sich allerdings nur um Verschiebungen des sexuellen Körpers, um Verschiebungen dessen, der seinen Namen nicht zu sagen wagt: Während einer Sitzung wird ein vasomotorischer Anfall ein Erröten hervorrufen, die emotionale Bewegung wird Tränen entlocken, was alles nur von der De-
8 Diese körperliche Intoleranz könnte an das denken lassen, was Balint in seiner Arbeit über die drei Ebenen des psychischen Geschehens beschreibt, insbesondere an das, was er die Grundstörung nennt. Das Ich als Körper-Ich, als »Oberflächenprojektion« ist wie das System Wahrnehmung-Bewußtsein Objekt einer besonderen Überwachung — aufgrund der Rückkehr des Verdrängten von einer diffusen Erogenität — von Kopf bis Fuß, als sei den erogenen Zonen die Besetzung entzogen um den Preis einer erogenen Ausbreitung, einer Diffusion auf das ganze Ich, einer Ausbreitung dessen, was das Subjekt auszulöschen versucht. Am Ende von fünf Jahren Analyse sagt eine Patientin nach einer Deutung, die auf die narzißtische Besetzung ihrer Rede abzielte: »Zum ersten Mal hat das, was Sie mir gesagt haben, nicht in meinem ganzen Körper nachgeklungen, sondern nur in meinem Kopf.« Die Stimme muß auch erwähnt werden: Die Vortragsart ist gesangsartig, psalmodisch, die Sitzung ist ein langer Klagegesang, von dem man sagen würde, daß das Subjekt sich selbst zuhört. Irrtum, es wiegt sich und den Analytiker mit ihm. In der Beute seiner psalmodierenden Rede ist es dem Narzißten noch einmal gelungen, die Falle der Verzauberung des Analytikers, den er in seiner Narzißmuswelt immobilisiert, zufallen zu lassen.
mütigung durch das Begehren spricht. Folglich wird für den Analytiker, anders als es der Körper signalisiert, das Erscheinungsbild abschrekkend, abweisend, entmutigend gestaltet, gerade für ihn, der die geringsten Ansprüche stellt an die Kriterien körperlicher Anziehung.
Wir zeigen hier Aspekte auf, die allem Anschein nach Abwehrcharakter haben. Aber auch hier sollten wir nicht außer acht lassen, daß hinter dieser Demutshaltung eine verborgene stolze Lust steckt. »Ich bin weder Mann noch Frau, ich gehöre zum Geschlecht der Neutren«, sagte mir eine solche Patientin. Wichtig ist jedoch, daß dieses Unbehagen, so peinigend es auch ist, gerade ein Zeichen von Leben darstellt. Das Leiden ist nachgerade ein Existenzbeweis für eine irgendwie geartete Lebendigkeit. Wenn es nämlich — was gar nicht so unmöglich ist, wie man glaubt —, tatsächlich gelingt, die Angst in all ihren Erscheinungsformen, einschließlich der viszeralen, unter Kontrolle zu bekommen, und sich die Stille ausbreitet, überkommt den Analysanden das Gefühl einer entsetzlichen Niedergeschlagenheit. Die Bleikappe des psychischen Leidens weicht nur, um den Deckel des Sarges zum Vorschein zu bringen. Denn hier geht es um ein Gefühl der Nichtexistenz, des Nichtseins, der inneren Leere, das um vieles unerträglicher ist als jenes, vor dem man sich schützen zu müssen glaubte. Vorher passierte wenigstens noch etwas, während nun die gelungene Beherrschung des Körpers zur Präfiguration des definitiven Schlafes wird — zum Vorzeichen des Todes.
Die psychische Entwicklung: die erogenen Zonen und die Objektbeziehung
Diese Abhängigkeit vom Körper, die wir beim Narzißten, besonders beim moralischen Narzißten, antreffen, hat ihre Wurzeln in der Beziehung zur Mutter. Wie wir wissen, ist die Liebe der Schlüssel zur menschlichen Entwicklung, oder wie Lacan sagt, das Begehren als Wesen des Menschen. Freud wurde nicht müde, gerade in seinen letzten Arbeiten, den unverjährbaren Anspruch des Triebes und den nicht minder unverjährbaren Anspruch der Kultur, die den Triebverzicht fordert, miteinander in Einklang zu bringen. Die ganze Entwicklung ist durch diese Antinomie gezeichnet. In Der Mann Moses und die monotheistische Religion (1939, S. 224 f.) macht Freud dazu genauere Ausführungen:
»Wenn das Ich dem Über-Ich das Opfer eines Triebverzichts gebracht hat, erwartet es als Belohnung dafür, von ihm mehr geliebt zu werden. Das Bewußtsein, diese Liebe zu verdienen, empfindet es als Stolz. Zur Zeit, da die Autorität noch nicht als Über-Ich verinnerlicht war, konnte die Beziehung zwischen drohendem Liebesverlust und Triebanspruch die nämliche sein. Es gab ein Gefühl von Sicherheit und Befriedigung, wenn man aus Liebe zu den Eltern einen Triebverzicht zustande gebracht hatte. Den eigentümlich narzißtischen Charakter des Stolzes konnte dies gute Gefühl erst annehmen, nachdem die Autorität selbst ein Teil des Ichs geworden war.«
Diese Passage zeigt, daß man sich den Begriff der Entwicklung unter mindestens zwei Gesichtspunkten vorzustellen hat. Einerseits die nicht aufzuhaltende Entwicklung der Objektlibido hin zum phallischen, dann genitalen Stadium; andererseits die der narzißtischen Libido von der absoluten Abhängigkeit hin zu einer wechselseitigen genitalen Abhängigkeit. Demnach kann die notwendige Sicherheit — wenn man nicht den Verlust der Liebe der Eltern hinnehmen möchte — nur durch den Triebverzicht, der das Selbstwertgefühl zu garantieren vermag, gewonnen werden. Die Vorherrschaft des Lustprinzips, ganz wie überhaupt das Überleben, sind nur möglich, wenn zu Anfang die Mutter die Bedürfnisbefriedigung sicherstellt, damit sich das Feld des Begehrens als Ordnung des Signifikanten öffnen kann. Dasselbe gilt für den Bereich des Narzißmus, der sich nur insofern zu etablieren vermag, wie die Sicherheit des Ichs durch die Mutter gewährleistet ist. Wenn aber diese Sicherheit und diese Bedürfnisebene einer vorzeitigen Konfliktaktualisierung unterliegen (im Inneren des Subjekts oder ausgelöst von der Mutter), kommt es — parallel zum Erlöschen des Begehrens und seiner Reduktion auf den Status des Bedürfnisses — aufgrund der narzißtischen Verletzung, die ein Erleben der Omnipotenz und damit auch ihr Überschreiten nicht erlaubt — zu einer exzessiven Abhängigkeit vom mütterlichen, Sicherheit garantierenden Objekt. Die Mutter wird so zur Stütze einer Omnipotenz, die mit Idealisierung einhergeht, deren psychotisierender Charakter ebenso bekannt ist wie die Tatsache, daß sie von einem Erlöschen des libidinösen Begehrens begleitet wird. Diese Omnipotenz läßt sich um so leichter übernehmen, als sie auf den Wunsch der Mutter antwortet, Kinder ohne Beitrag eines väterlichen Penis zu bekommen; gerade als sei das Kind, da mit Hilfe dieses Penis gezeugt, ein mißglücktes, wertloses Produkt.
Ein Autor hat sich dieser Problematik der Abhängigkeit gewidmet: Winnicott (1958). Er hat gezeigt, wie, nachdem ein Teil der Psyche den Rückzug angetreten hat, die Abspaltung des verbleibenden Teils zu einer Konstruktion führt, die er das falsche Selbst nennt und die das Kind gezwungenermaßen für sich übernimmt.
Daß diese narzißtische Problematik mit der Zeit der Oralität zusammenfällt, in der die Abhängigkeit von der Brust eine reale ist, verstärkt diese Abhängigkeit noch zusätzlich. In der analen Phase, in der bekanntlich die kulturellen Zwänge wichtig sind — man spricht von Dressur (»Sphinkterdressur«) wie bei den Tieren —, in der gebieterisch Verzicht gefordert wird und die Reaktionsbildungen vorherrschen, bildet sich bestenfalls ein rigider Zwangscharakter, schlimmstenfalls eine versteckte paranoische Charakterform aus; letztere trägt darüber hinaus Inkorporationsphantasien eines gefährlichen und restriktiven Objektes in sich, das von einer antilibidinösen Allmacht beseelt ist. Alle diese prägenitalen Reste prägen die phallische Phase nachdrücklich und verleihen der Kastrationsangst beim Jungen einen grundlegend entwertenden Charakter und dem Penisneid beim Mädchen eine Gier, über die es erröten und die es sich, so gut es kann, verbergen wird.
Die Instanzen
Untersuchen wir den Narzißmus in seinem Verhältnis zum Es. Dabei kann es sich nur um den primären Narzißmus handeln. An anderer Stelle (Green, 1966/67) haben wir auf die Notwendigkeit verwiesen, das vom Es Abhängige —gewöhnlich unter dem Begriff des narzißtischen Hochgefühls oder der Selbsterweiterung beschrieben — ebenso zu berücksichtigen wie das, was unserer Auffassung nach den primären Narzißmus in besonderer Weise kennzeichnet: eine Spannungsminderung auf das Nullniveau. Wir wir sehen konnten, ist es das Vorhaben des moralischen Narzißten, sich auf die Moral zu stützen, um sich damit von den Wechselfällen der Bindung an das Objekt zu befreien und über diesen Umweg die Befreiung von der an die Objektbeziehung gebundenen Knechtschaft zu erreichen und so dem Es und dem Ich die Möglichkeit zu geben, sich von einem fordernden Über-Ich und einem tyrannischen Ich-Ideal lieben zu lassen. Aber dieser mystifikatorische Versuch mißlingt: zum einen, weil man das Über-Ich so billig nicht täuscht, zum anderen, weil die Forderungen des Es sich trotz der asketischen Manöver des Ichs weiterhin Gehör verschaffen.
Wenn unsere Überlegungen stimmen, daß nämlich der moralische Narzißmus aus der Moral eine autoerotische Lust macht, wird auch verständlicher, inwieweit das Ich an diesen Operationen Interesse haben kann und es mit allen dem sekundären Narzißmus — diesem Dieb, der die für die Objekte bestimmten Besetzungen stiehlt — zur Verfügung stehenden Mitteln jener Verkleidung Vorschub leistet, die es ihm erlaubt, in Freuds Worten zum Es zu sagen: »Sieh‘, du kannst auch mich lieben, ich bin dem Objekt so ähnlich« (Freud, 1923, S. 258). Man müßte hinzufügen: »Und ich zumindest bin rein, erhaben über jeden Verdacht, frei von jeder Beschmutzung.«
Am engsten aber sind die Beziehungen zum Über-Ich und Ich-Ideal. Wir haben hervorgehoben, was Freud 1923 beschrieb und worauf er in der Folge immer wieder zurückkam. Präzise gibt er die Ordnung der dem Über-Ich eigenen Phänomene an: die Funktion des Ideals, das dem Über-Ich das ist, was der Trieb dem Es und die Wahrnehmung dem Ich. Um den Sachverhalt kurz zu rekapitulieren: Wenn am Anfang alles Es, alles Trieb, genauer Antagonismus der Triebe (Eros und Destruktionstrieb) ist, so kommt es im Gefolge der Differenzierung gegenüber der Außenwelt zu einer »Kortikalisierung« des Ichs, die die Wahrnehmung zur Geltung bringt und in Verbindung damit die Repräsentation der Triebe. Die Teilung in Ich und Über-Ich, wobei letztere Instanz ihre Wurzeln im Es hat, zieht die Verdrängung der Es-Befriedigungen nach sich und parallel dazu die Notwendigkeit, sich die Welt nicht nur so vorzustellen, wie man sie sich wünscht, sondern so, wie sie ist: das heißt dergestalt, daß man sich ihrer durch ein System von Konnotationen bemächtigen kann. Daraus folgt — als Kompensation oder sekundäre Bildung: beides ist plausibel — die Errichtung des Ich-Ideals, mit dem sich der Wunsch eine Genugtuung gegenüber dem Realen verschafft. Weil die Funktion des Ideals — Funktion der Illusion — am Werk ist, gibt es die Reiche der Phantasie, der Kunst, der Religion.
Für den moralischen Narzißten wahrt das Ideal, das sich durchaus entwickeln kann, ohne im geringsten auf seinen anfänglichen Anspruch zu verzichten, seine ursprüngliche Macht. Da es seine erste Anwendung in der Erhöhung der Eltern findet, d. h. in der Idealisierung ihres Imagos, gewinnt es seine charakteristischen Züge aus der Beziehung zu den Eltern, vor allem natürlich zur Mutter. Bei diesen Menschen ist die Liebe von seiten des Ich-Ideals ebenso unentbehrlich wie die Liebe, die sie von ihrer Mutter erwarteten — so unentbehrlich auch wie die Nahrung, die sie von ihrer Mutter empfingen, deren Liebe bereits die erste Illusion war. »Ich werde genährt, also werde ich geliebt«, sagt der moralische Narzißt. »Wer sich nicht zur Verfügung stellt, um mich zu nähren, liebt mich nicht.« In der Analyse wird der moralische Narzißt dieselbe unabdingbare Nahrung verlangen — und sich bemühen, unablässig davon zu bekommen, indem er seine Besetzungen abzieht oder reduziert, ein Ziel, das dem der Kur diametral entgegensteht. Während also sein Verlangen ihn entsetzlich abhängig macht, sichert er seine Herrschaft über den Anderen und dessen Knechtschaft. Wir stoßen hier auf das weiter oben bereits erwähnte Band zwischen Liebe und Sicherheit. Geschützt zu sein — geschützt vor der Welt, der Auslöserin der Reize (wie Freud sagt) —, versehen mit der Liebe des Analytikers als Garantie des Überlebens, der Sicherheit, der Liebe: das ist der Wunsch des moralischen Narzißten.
Und das Über-Ich? Damit ist eines der charakteristischsten Merkmale des moralischen Narzißmus angesprochen. Denn der moralische Narzißt lebt in einer ständigen Spannung zwischen Ich-Ideal und Über-Ich. Alles verläuft, als decke das Über-Ich aufgrund der idealisierenden Funktion des Ich-Ideals — Funktion der Täuschung und der umgeleiteten Befriedigung, Verdunkelung einer zweifelhaften Unschuld — die Falle dieser Maskerade auf und lasse sich sozusagen nichts vormachen. So sucht das Ich-Ideal das Über-Ich durch seine Opferungen und Selbstaufopferungen in die Irre zu führen, während das Über-Ich die »Sünde des Stolzes« der Megalomanie durchschaut und das Ich wegen seiner Täuschungsmanöver aufs strengste bestraft.
Das Ideal des Ichs des moralischen Narzißten wird auf den Relikten des Ich-Ideals errichtet; das heißt auf einer Macht zu omnipotenter idealisierender Befriedigung, die nichts von den Beschränkungen der Kastration weiß und damit weniger mit dem Ödipuskomplex der ödipalen Phase zu tun hat als mit dem, der jene verleugnet.
In jedem Über-Ich steckt ein Keim von Religion, wird es doch durch die Identifikation nicht mit den Eltern, wohl aber mit dem Über-Ich der Eltern geschaffen, d. h. mit dem toten Vater, dem Vorfahren. Aber nicht jedes Über-Ich verdient die Qualifikation »religiös«. Die Besonderheit jeder Religion beruht darin, daß die Grundlage dieses Über-Ichs als ein System entworfen ist: das Dogma, notwendiger Vermittler des elterlichen Verbotes. Das meint Freud, wenn er in den Religionen die Zwangsneurosen der Menschheit sieht. Umgekehrt hat er auch, da ja Reziprozität besteht, die These vertreten, daß die Zwangsneurose die halbtragische, halbkomische Verkleidung einer Privatreligion sei. Vieles verbindet die moralischen Narzißten mit den Zwanghaften, nicht zuletzt die intensive Desexualisierung, die sie ihrer Objektbeziehung aufzuprägen versuchen, und die tiefe Aggressivität, die sie verschleiern. Auf der anderen Seite haben wir auf die Beziehung zur Paranoia verwiesen. Diese Beobachtungen zusammenzufassend, kann man sagen: Je mehr Bindungen zum Objekt bewahrt wurden, desto stärker wird die Beziehung eine zwanghafte sein — und je mehr Bindungen vom Objekt abgelöst sind, desto paranoischer wird sie sein. Jeder Mißerfolg im einen wie im anderen Fall, jede Enttäuschung, die das Objekt dem Ich-Ideal bereitet, zieht Depression nach sich — in der Form, die Pasche (1969) beschrieben hat und auf die hier nicht weiter eingegangen wird.
An dieser Stelle noch ein Wort zum Verhältnis von Scham und Schuldgefühl; Dodds‘ Überlegungen zu Griechenland (1963) finden ihr Echo in den individuellen pathologischen Strukturen. Die Scham gehört, wie erwähnt, zur narzißtischen Ordnung, das Schuldgefühl dagegen zur objektalen Ordnung. Das ist nicht alles. Man kann auch davon ausgehen, daß diese Empfindungen — für Freud Träger der ersten Reaktionsbildungen, lange vor dem Ödipus — für die Vorläufer des Über-Ichs vor der Verinnerlichung als charakteristischem Erbe des Ödipuskomplexes grundlegend sind. Scham derart mit den prägenitalen Entwicklungsphasen zu verknüpfen erklärt nicht nur ihre vorwiegend narzißtische Geltung, sondern auch ihren unversöhnlichen, grausamen und nicht wieder gutzumachenden Charakter.
Selbstredend handelt es sich hier um schematische Gegenüberstellungen. Scham und Schuldgefühl kommen immer zusammen vor. Aber in der Analyse müssen sie auseinandergehalten werden. Das Schuldgefühl in seiner Beziehung zur Masturbation stützt sich auf die Kastrationsangst; die Scham hat einen globalen, primären, absoluten Charakter. Es handelt sich nicht um die Angst, kastriert zu werden, sondern darum, jeden Kontakt mit dem kastrierten Wesen zu verhindern, ist es doch der Beweis und das Zeichen einer unauslöschlichen Schande, die man sich bei der Berührung mit ihm zuziehen kann. Eigentlich müßte man sagen, daß allein durch die Entmischung von Narzißmus und Objektbindung die Scham mit einer solchen Bedeutung versehen werden kann. Da jede Entmischung dem Todestrieb Vorschub leistet, wird Selbstmord aus Scham besser verständlich.
Doch kehren wir zum Ich zurück. Ein bislang aufgeschobener Aspekt verdient, daß wir auf ihn zurückkommen: die Sublimierung. Wir haben von Pseudosublimierung gesprochen; manche würden sie eine Abwehrsublimierung nennen. Unserer Ansicht nach entspricht diese Auffassung nicht den Tatsachen, konstruiert sie doch einen Gegensatz zwischen einer wahren Sublimierung als Ausdruck dessen, was der Mensch an Edelstem in sich trägt, und einer Abwehrsublimierung, die im Verhältnis dazu nur ein mißglücktes Produkt bildete. Es gibt unleugbar Sublimierungen, die aus pathologischen Prozessen hervorgegangen sind, Wege, einen Konflikt zu lösen, die nicht zwangsläufig Reaktionsbildungen darstellen. Jede Sublimierung ist — da durch die Kastrationsdrohung gefordert, die der Notwendigkeit gehorcht, dem Ödipuskomplex ein Ende zu setzen, soll die Libidoökonomie nicht in größte Gefahren geraten —, ein Triebschicksal, also eine Abwehr. Diese stützt sich auf zielgehemmte Triebe, denen wir einen größeren Stellenwert beimessen als gemeinhin in der Theorie. Wie es in diesem Zusammenhang um den moralischen Narzißmus steht, ist höchst lehrreich. Zu beobachten sind nicht nur jene auf Sublimation beruhenden Ausweichmanöver, die später dem Betreffenden teuer zu stehen kommen werden, sondern auch ein Prozeß der Hemmung, ja ein Unterbrechen der Sublimierung aus sekundärem Schuldgefühl (vergessen wir nicht, daß die Scham primär ist) der Partial-triebe, insbesondere der Skoptophilie. Setzt der Weg zur Pseudosublimierung sich durch, stellt sie anders als gewöhnlich nur selten Lust dar. Ist sie in den Augen des Es von »geringerem Wert« als die sexuelle Lust, steht sie beim Über-Ich dagegen in hohem Kurs. Wesentlich an diesem Schicksal des Ichs ist die Bildung eines falschen Selbst, das sich die idealisierenden privativen Verhaltensweisen zu eigen gemacht hat, während der Prozeß völlig unbewußt bleibt.
Die ökonomische Funktion dieses falschen Selbst darf nicht verkannt werden. Wir haben bereits darauf verwiesen, was innerhalb des moralischen Narzißmus sowohl an die Stelle des Abwehrprozesses tritt als auch als Ersatzbefriedigung dient: der Stolz. Aber man darf diese zentrale ökonomische Überlegung, die aus dem moralischen Narzißmus und dem ihm zugrundeliegenden falschen Selbst das Rückgrat des Ichs dieser Subjekte macht, nicht außer lassen. Es zu attackieren ist mithin riskant, bringt die Gefahr mit sich, daß das gesamte Bauwerk einstürzt —was das Leben mit seinem Potential an Enttäuschungen häufig auch übernimmt: mit Depression, ja Selbstmord als Folge.
Bisexualität und Todestrieb
Das oberste Ziel des Narzißmus ist die Auslöschung der Spur des Anderen im Begehren des Einen (vgl. Green, 1966/67). Ist folglich die Aufhebung des primären Unterschieds: desjenigen zwischen dem Einen und dem Anderen. Was aber bedeutet diese Aufhebung bei der Rückkehr in den Mutterschoß? Worauf der primäre Narzißmus durch die Spannungsminderung auf das Null-Niveau zielt, ist entweder der Tod oder die Unsterblichkeit — was auf dasselbe hinausläuft. Weshalb wir angesichts dieser Kranken auch das Gefühl haben, daß ihr Leben einem Selbstmord auf Sparflamme gleichkommt, auch wenn sie anscheinend darauf verzichtet haben, ihrem Leben gewaltsam ein Ende zu setzen. Diese suizidale Form offenbart allerdings, daß die objektale Entkräftung, die Erschöpfung der Liebe eines schrecklichen Gottes geopfert sind. Mit der Unterdrückung des primären Unterschieds bewirkt man zugleich die Aufhebung aller anderen Unterschiede, natürlich auch des Geschlechtsunterschieds. Zu sagen, daß man das Begehren auf sein Null-Niveau reduzieren und daß man auf das Objekt verzichten muß, das ein Objekt des Mangels ist — Objekt als Zeichen dafür, daß man zugleich endlich, unvollkommen und unvollendet ist —, heißt ein und dasselbe. Nicht umsonst beruft sich Freud — in Jenseits des Lustprinzips (1920) —auf den platonischen Mythos vom Androgyn. Für den moralischen Narzißten ist das bedeutungslos, weil die Nachteile der Geschlechtsdifferenzierung durch die Selbstgenügsamkeit unterdrückt werden müssen. Die narzißtische Vollkommenheit ist nicht Zeichen von Gesundheit, sondern Trugbild des Todes. Keiner ist ohne Objekt. Keiner ist der, der ohne Objekt ist.
Der moralische Narzißmus ist zugleich positiv und negativ. Positiv durch die Sammlung der Energien in einem fragilen und bedrohten Ich. Negativ, weil er Geltendmachen nicht der Befriedigung und nicht der Frustration (was Sache des Masochismus wäre), sondern des Verlustes ist. Der Selbstverlust wird zum besten Bollwerk gegen die Kastration. Hier zeichnet sich das Bedürfnis nach einer differentiellen Analyse entsprechend der Natur des Mangels, das heißt dem Geschlecht, ab. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Kastrationsangst wie Penisneid betreffen beide Geschlechter, lediglich die Ausgangsbedingungen sind jeweils verschieden. Der Mann hat Angst, an dem kastriert zu werden, was er hat, die Frau, an dem, was sie haben könnte; das läßt sie verkennen, was sie ist. Die Frau ist auf den Penis neidisch, insofern er ihr zugedacht ist, beim Koitus, bei der Zeugung usw. Der Mann ist auf den Penis neidisch, insofern der seine, ähnlich der weiblichen Klitoris, gemessen am phantasierten elterlichen Geschlecht nie wertvoll genug ist. Erinnern wir uns an die Unzerstörbarkeit dieser Wünsche.
Der moralische Narzißmus schafft in dieser Hinsicht Klarheit. Beim Mann führt er durch das privative Verhalten zu folgender Abwehr: »Man kann mich nicht kastrieren, weil ich nichts mehr habe; ich habe mich aller Dinge entledigt und meine Güter dem zur Verfügung gestellt, der sie haben will.« Bei der Frau lautet die Begründung: »Ich habe nichts —aber ich wünsche auch nicht mehr als dieses Nichts, das ich habe.« Diese mönchische Berufung führt entweder wie beim Mann dazu, den Mangel zu verleugnen, oder, wie bei der Frau, ihn zu lieben. »Mir fehlt nichts —ich habe also nichts zu verlieren, und wenn mir doch etwas fehlen sollte, werde ich meinen Mangel lieben wie mich selbst.« Die Kastration bleibt Herrin des Spiels, weil dieser Mangel auf die moralische Perfektion verschoben wird, nach der der Narzißt strebt, die ihn aber ständig diesseits der Ansprüche stehen läßt, die er sich auferlegt hat. Und da wird die Scham ihr Gesicht enthüllen, das mit einem Leichentuch wieder verhüllt werden muß.
Man löscht die Spur des Anderen nicht aus, auch nicht im Begehren nach dem Einen. Denn der Andere hat das Gesicht des Einen angenommen, im Doppelgänger, der ihm vorausgeht und ihm unablässig wiederholt: »Du sollst nur mich lieben. Nichts außer mir ist wert, geliebt zu werden.« Wer aber verbirgt sich hinter der Maske: der Doppelgänger, das Spiegelbild? Die Doppelgänger haben den Raum im Rahmen der negativen Halluzination der Mutter eingenommen.
Auf diesen Begriff, den wir bereits entwickelt haben, wollen wir hier nicht zurückkommen, werden aber die Hypothese weiter ausführen und zeigen, daß — wenn die negative Halluzination der Grund ist, auf dem der moralische Narzißmus in seiner Beziehung zum primären Narzißmus beruht — der Vater daran beteiligt ist. Denn die Negativierung der Präsenz der mütterlichen Rahmengebung trifft auf den Vater als ursprüngliche Absenz — als Absenz des Prinzips der Elternschaft, dessen spätere Verbindungen mit dem Gesetz sichtbar werden. Beim moralischen Narzißmus zielt dieser Umweg unleugbar nur auf den Besitz eines väterlichen Phallus9, als Prinzip universeller Herrschaft. Die Negativierung dieses Wunsches in Form der Zelebrierung des Verzichts ändert nichts an seinem obersten Ziel. Nicht zufällig handelt es sich bei beiden Geschlechtern um eine Verleugnung der Kastration. Gott ist geschlechtslos, aber er ist Gott-Vater. Für den moralischen Narzißten ist dessen Phallus vergeistigt, seiner Substanz entleert, hohle und abstrakte Form.10
Bevor wir mit den Beziehungen zwischen moralischem Narzißmus und Todestrieb abschließen, müssen wir auf die Idealisierung zurückkommen. Es ist das große Verdienst Melanie Kleins, der Idealisierung den ihr gebührenden Platz eingeräumt zu haben. Für Melanie Klein ist die Idealisierung das Resultat der ursprünglichen Spaltung zwischen gutem und bösem Objekt und folglich zwischen gutem und bösem Ich. Diese Dichotomie deckt sich mit jener zwischen idealisiertem Objekt (oder Ich) und Verfolgerobjekt (oder -Ich) in der paranoid-schizophrenen Phase. Folglich zeigt sich die exzessive Idealisierung des Objekts oder des Ichs als Resultat der Spaltung, die dazu dient — im Ich ebenso wie im Objekt —,
9 Oder besser auf den elterlichen Phallus. Denn der väterliche Penis ist nur die Figuration und der Abkömmling eines prinzipiellen elterlichen Penis, der ebenso zum Bild der phallischen Mutter gehört.
10 Ein Phallus, der sich alles in allem in einer doppelten Einschreibung darbietet: positiv phallisch und negativ vaginal.
deren gesamten verfolgerischen Anteil ausgeschlossen zu halten. Dieser Gesichtspunkt wird durch den klinischen Befund bestätigt. Die Idealisierung des Ichs geht immer einher mit einem außerordentlich bedrohlichen Gefühl für das Objekt wie für das Ich — was sich mit unseren Beobachtungen hinsichtlich der Bedeutung der destruktiven Aggressivität bei den moralischen Narzißten deckt. Idealisierung und Omnipotenz arbeiten gemeinsam daran, die Destruktionstriebe, die das Objekt und das Ich nach dem Talionsgesetz bedrohen, zum Scheitern zu bringen, zu neutralisieren, zunichte zu machen.
An dieser Stelle werden die Verbindungen mit dem Masochismus deutlicher sichtbar, die bei der Deutung des moralischen Narzißmus zur Debatte stehen. Der Masochismus stellt unserer Meinung nach das Scheitern der Neutralisierung der auf das Ich gerichteten Destruktionstriebe dar — das Scheitern also des moralischen Narzißmus und seiner idealisierenden Aufladung. Der moralische Narzißmus ist demnach zu verstehen als ein Erfolg der Abwehr und damit als ein Erfolg bei der Suche nach einer (megalomanen) Lust jenseits des Masochismus, wobei die Megalomanie aus der Freisetzung der Konfliktspannungen entsteht. Selbstredend ist der moralische Narzißmus nicht der einzige Ausweg aus dem das Ich bedrohenden Masochismus, sondern nur eines der Verfahren, diese Bedrohung fernzuhalten.
Ist daraus zu schließen, daß der moralische Narzißmus eine Deckung gegen den Masochismus darstellt? Das sehen wir nicht so, weil die Dichotomie zwischen Idealisierung und Verfolgung primär ist. Die Spaltung ergibt gleichzeitig beide Positionen. Die Idealisierung ist nicht weniger verstümmelnd als die Verfolgung, entzieht sie doch das Subjekt dem Kreislauf der Objektbeziehungen. Um uns noch verständlicher zu machen, würden wir sagen, daß die Verfolgung dem Verfolgungswahn, die Idealisierung hingegen der Schizophrenie in ihren hebephrenen Ausprägungen zugrunde liegt. Zwischen beiden erstrecken sich alle Zwischenformen des schizophrenen Wahns. Was uns an die extremen Ausprägungsformen verweist. Bei den weniger schweren Formen ist diese Problematik natürlich weniger offensichtlich. Nach Melanie Klein wäre in diesen Fällen die depressive Phase erreicht, was erklären könnte, warum der Zusammenbruch des moralischen Narzißten den Ausdruck einer Depression und nicht des Wahns oder der Schizophrenie annimmt. Aber in allen Fällen ist erkennbar, daß Triebentmischung und Destruktion — die durch die Spaltung nicht gemeistert wurden — sowie die Akzentuierung der Idealisierung für die Regression verantwortlich sind. Wiederholt sei dennoch, daß die beiden Positionen, Idealisierung und Verfolgung, jedenfalls gemeinsam auftreten. Diesseits davon herrscht ein chaotischer Zustand, der die erste symbolisierende Aufteilung nicht kennt: die zwischen gut und böse.
Technische Implikationen für die Behandlung der moralischen Narzißten
Die Behandlung von moralischen Narzißten stellt, wie man begriffen haben dürfte, empfindliche Probleme. Einige der gravierendsten Hindernisse für ihre Entwicklung wurden bereits angedeutet. Zu den wichtigsten zählen der schwierige Zugang zu dem an die Objektbeziehung gebundenen Material, jenseits der Wiederherstellung der narzißtischen Abhängigkeit von der Mutter, also vom Analytiker. Im Licht unserer Erfahrung wird sichtbar, daß der Schlüssel zu diesen Behandlungen wie immer im Begehren des Analytikers, in der Gegenübertragung, liegt. Beim Analytiker stellt sich nach einer gewissen Zeit, sobald ihm klar wird, daß er eine solche Beziehung zu durchleben hat, das Gefühl ein, Gefangener seines Kranken zu sein. Er wird zum anderen Pol der Abhängigkeit, wie in jenem Verhältnis, bei dem nicht mehr ganz durchsichtig ist, was eigentlich den Gefangenenwärter von dem unterscheidet, den er im Gefängnis bewachen muß. Der Analytiker wird unter diesen Umständen versucht sein, die analytische Situation zu verändern, um sie voranzutreiben. Die für ihn am wenigsten mit Schuldgefühlen behaftete Variante ist die der Güte. Der Analytiker bietet also seine Liebe an, ohne sich darüber im klaren zu sein, daß er damit die erste Kelle Wasser ins Danaidenfaß gießt. Aber abgesehen davon, daß diese Liebe immer unersättlich ist und man damit rechnen muß, daß sich bei einem die Reserven an Liebe erschöpfen — denn sie sind, was man sich nie genug sagt, begrenzt —, begeht der Analytiker damit in meinen Augen einen technischen Fehler. Antwortet er so doch auf das Begehren des Patienten, was, wie wir wissen, immer gefährlich ist. Er wird dann, es handelt sich schließlich um den moralischen Narzißmus, zum Ersatz des Moralisten, ja des Priesters. Die Analyse verliert damit zwangsläufig ihren spezifischen Charakter, das heißt das, worin ihre Wirksamkeit gründet. Das ist genauso, als träfen wir die Entscheidung, uns als Antwort auf eine Wahnsymptomatik auf die Ebene des manifesten Ausdrucks dieser Symptomatologie zu begeben: Wir würden unweigerlich in einer Sackgasse landen, wenn nicht gar einen Fehler begehen.
Die zweite Möglichkeit ist die Deutung der Übertragung. Solange diese
sich über die Äußerungen des Analytikers in Objektbegriffen äußert,
findet sie auf diesem vom narzißtischen Schutzschild bedeckten Material nur geringes Echo. Genausogut könnte man das sexuelle Begehren eines Wesens in Ritterrüstung wecken wollen. Bleibt die Resignation. Angesichts der anderen Möglichkeiten ist diese Haltung sicher die am wenigsten schädliche. Geschehen lassen, vergehen lassen. Der Analytiker riskiert dann, sich auf eine unendliche Analyse einzulassen; das Abhängigkeitsbedürfnis des Patienten wird weithin befriedigt, und die durch die Behandlung erforderlichen Entbehrungen haben dann keinen anderen Effekt als die Stärkung des moralischen Narzißmus.
Offenbar zeichnet sich keine andere Lösung ab. Und doch gibt es eine; wir würden sie nicht ohne eine gewisse Angst anführen, hätte sie uns in bestimmten Fällen nicht einen beachtlichen Sprung nach vorn gebracht. Es geht um die Analyse des Narzißmus, ein gefährliches Unternehmen und dem Anschein nach in mehrfacher Hinsicht unmöglich. Wir sind dennoch der Ansicht, daß am Ende einer ausreichend langen Frist —mehrere Jahre —, wenn die Übertragung gut ausgebildet, das Wiederholungsverhalten analysiert worden ist und der Analytiker die Schlüsselworte auszusprechen vermag: Scham, Stolz, Ehre, Entehrung, Kleinheits- und Größenwahn, er dann den Betreffenden tatsächlich von einem Teil seiner Bürde befreien kann. Denn, wie Bouvet betonte, ist die schlimmste Frustration, die ein Patient im Laufe einer Analyse erfahren kann, genau diese: nicht verstanden zu werden. So hart die Deutung, so grausam die Wahrheit sein mögen, ist diese doch weniger grausam als der Zwang, in dem das Subjekt sich gefangen fühlt. Oft kann sich ein Analytiker nicht zu diesem technischen Verhalten entschließen; er hat das Gefühl, damit seinen Kranken zu traumatisieren. So macht er nach außen hin gute Miene zum bösen Spiel, fühlt sich innerlich aber sehr unwohl. Wenn wir vom Unbewußten überzeugt sind, müssen wir auch davon ausgehen, daß diese durch die Höflichkeit in der analytischen Beziehung verdeckten Einstellungen anhand indirekter Hinweise für den Analysanden durchaus wahrnehmbar sind.
Der Analytiker muß die Separation vom Kranken bewerkstelligen, unter der Bedingung freilich, daß der Kranke die Trennung nicht so empfindet, als wolle der Analytiker ihn loswerden. Im übrigen kommt es nicht selten vor, daß Analytiker, die solche Patienten zu behandeln haben, sobald sie sich deren Unzugänglichkeit bewußt werden, sie sich unter zumindest äußerlich freundlichsten Formen vom Hals schaffen. Alles in allem verteidigen wir hier nichts anderes als einen Diskurs der Wahrheit und keine Wiedergutmachungstechnik.
Diese Deutungshaltung ermöglicht, zum gegebenen Zeitpunkt zur Pro- blematik »Idealisierung — Verfolgung« vorzudringen und aufzuzeigen, was sich über die Idealisierung in der impliziten Verfolgung verkriecht, die jene in ihren Falten versteckt: Schutz vor der Verfolgung (von seiten des Objekts und vom Ich erlitten, von seiten des Ichs und erlitten vom Objekt) und gleichzeitig Ausweg aus der Verfolgung in verschleierter Form. Auf diese Weise kann sich das auf die Mutter bezogene objektale Band wiederherstellen. Aufzeigen lassen sich dann die Vorwürfe des Ich gegenüber dem Objekt und die des Objekts gegenüber dem Ich. Denn der Rückzug auf die narzißtische Selbstgenügsamkeit findet seine Erklärung, zumindest teilweise, im Fehlen des Objekts, sei dieses Fehlen nun real oder Resultat der Unfähigkeit, die unstillbaren Bedürfnisse des Kindes zu befriedigen.
Die heroischen Figuren des moralischen Narzißmus
Alles, was wir im Anschluß an den eingangs genannten Aias-Mythos entwickelten, wurde aus der Beobachtung an unseren Patienten gewonnen. Die narzißtische Regression, die sie zeigen, macht aus ihnen Karikaturen, wie sie jeder von uns unter seinen Bekannten finden kann. Ohne daß sie freilich diese Ausprägungen erreichen, lassen sich doch bestimmte Heldengestalten, neben Aias, der selbst als Extremfall gelten kann, in einer von ihnen gebildeten Porträtgalerie betrachten.
Man denke z. B. an Brutus, wie Shakespeare ihn in Julius Cäsar zeigt. Brutus ersticht Cäsar nicht aus Lust oder Ehrgeiz, sondern aus Patriotismus, weil er Republikaner ist und in seinem Adoptivvater eine Bedrohung für die Tugend Roms sieht. Wer aus Tugend mordet, ist in der Folge allerdings nie tugendhaft genug, diesen Mord zu rechtfertigen. Deshalb die Weigerung, sich durch einen Eid an die anderen Verschwörer zu binden, jeder soll nur vor seinem eigenen Gewissen Rechenschaft ablegen: »Welchen andern Eid, als Redlichkeit mit Redlichkeit (Honour) im Bund, daß dies gescheh, wo nicht, dafür zu sterben?« Immer die Ehre! Brutus hat uns schon versichert: »Wie ich mehr die Ehre lieb, als vor dem Tod mich scheue.« Von daher diese für den geringsten unter den politischen Novizen wahnsinnige Tat11, die dem gefürchtesten seiner Rivalen, Marcus Antonius12, erlaubt, das Loblied auf den Getöteten anzustimmen. Von daher die lebhaften Vorwürfe, die er vor der Schlacht, die er liefern muß, dem mutigen Cassius macht, seinem Verbündeten, den er
11 Cassius spürt das und flüstert ihm in diesem Augenblick zu: »Ihr wißt nicht, was ihr tut.«
12 Aber auch, wie es scheint, dem von seinem Liebesobjekt, Cäsar, am meisten geliebten, denn offenbar zieht jener in diesem Moment Marcus Antonius Brutus vor.
beschuldigt, ein, wie man heute sagen würde, »Kriegsgewinnler« zu sein. Von daher sein Selbstmord am Ende, als zusätzlicher Beweis für seine unbestechliche Tugend. Aber dieser heroische Zweck ist nicht unbedingt der der Republik, der des Staates, der der Macht.
Auch die Liebe hat ihre Helden des moralischen Narzißmus. Der schönste unter ihnen ist unser heiliger Patron, Don Quijote, den Freud besonders liebte. Denken wir nur an jene Episode, wo Quijote sich in die Sierra Morena begibt, um dort als Einsiedler zu leben. Er entledigt sich seiner armseligen Güter, beginnt seine Kleider zu zerreißen, sich den Körper wund zu schlagen und tausend Kapriolen zu veranstalten, über die der gute Sancho nicht hinwegkommt. Und als er eine Erklärung verlangt, erklärt der Hidalgo reinen Geblüts diesem gemeinen Mann, daß er hier nichts anderes tue, als sich den Regeln des Liebescodes zu unterwerfen, wie es die Ritterromane vorschreiben. Quijote ist auf der Suche nach jener Heldentat, mit der sich sein Name verewigen läßt, im Namen seiner Liebe, die nicht nur eine unbefleckte Liebe ohne irgendeinen Zusatz fleischlicher Begierde sein, sondern ihn auch seines gesamten Hab und Guts berauben muß. Zu dieser Entblößung seiner Selbst und seiner eigenen Individualität muß er durch die Nachahmung Armadis‘ oder Rolands gelangen — bis hin zur Verrücktheit oder zumindest der Imitation derselben.
»Muß ich nicht meine Kleider zerreißen, meine Rüstung wegwerfen, den Kopf zuunterst auf den Felsen Purzelbäume schlagen sowie andere solche Dinge tun, die deine Bewunderung hervorrufen?«
sagt er zu Sancho Pansa, der sich vergebens bemüht, ihn zur Vernunft zu bringen. »Verrückt bin ich und verrückt muß ich sein«, sagt Quijote, dem die Verrücktheit hier Zeichen der Tugend ist. Denn als er Dulcinea gegenüber Sancho erwähnt, erkennt der in dieser ihrer Schilderung nicht die »hohe und erhabene Dame« gemäß den Vorstellungen des Ritters wieder, sondern ruft aus:
»Großer Gott, ist das ein stattliches Mädchen, gut und vollkommen gebaut und mit was auf dem Kasten, fähig den Bart zu scheren und das Toupet zu richten. Tochter einer Hure! Was für eine Stimme sie hat und wie gewölbt ihre Brust ist und das beste ist, sie stottert kein bißchen.«
So sieht Quijote Dulcinea sicher nicht. Man könnte einwenden, daß es sich hier nicht um Narzißmus, sondern um Objektliebe handelt, weil Quijote sich für das Liebesobjekt Entbehrungen und Mißhandlungen auferlegt. Aber nein, es geht hier nur um die narzißtische Projektion eines idealisierten Bildes, und unter Cervantes genialen Zügen ist nicht der
geringste, daß er sein Buch mit der Verleugnung Don Quijotes beschließt: »Schweigt«, sagt der Ritter zu seinen beifälligen Zuhörern, »im Namen des Himmels kommt zu Euch selbst zurück und laßt ab von diesen Hirngespinsten.«
Gewiß existieren Quijote und sein Sancho Pansa nur, wie Marthe Robert sagt, »auf dem Papier«. Aber sie leben in uns, wenn nicht durch sich selbst. Desgleichen Falstaff, der absolute und völlig amoralische Narzißt, er, dessen Monolog über die Ehre in uns Mißbilligung über seine Grausamkeit und Bewunderung über seine Wahrheit auslöst.13 So sind wir hin- und hergerissen zwischen einer unabdingbaren Illusion und einer nicht weniger unabdingbaren Wahrheit.
All diese Figuren hat ein Philosoph beschrieben. Haben Sie nicht an der einen und anderen Stelle Hegel und seine schöne Seele wiedererkannt? In Sorge über die Ordnung der Welt, voller Verlangen, sie zu verändern, aber auch bedacht auf die eigene Tugend, möchte sie den Teig, aus dem die Menschen gemacht sind, kneten, dabei aber ihre Hände nicht schmutzig machen. Hüten wir uns, es wie Hegel zu machen, der, nachdem er die schöne Seele unter seiner Zuchtrute unsterblich werden ließ, die Phänomenologie des Geistes (1807) nur mit einem Triumph beschließen konnte, der durchaus der Triumph der schönen Seele gewesen sein kann.
Spüren wir nicht, wie sehr diese schöne Seele des moralischen Bewußtseins dem Wahn der Anmaßung nahekommen kann, diesem Gesetz des Herzens, dessen Referenz die Paranoia ist? Jedenfalls ist ihre narzißtische Qualität Hegel nicht entgangen: »Die Anschauung seiner ist sein gegenständliches Dasein, und dies gegenständliche Element ist das Aussprechen seines Wissens und Wollens als eines Allgemeinen« (ebd., S.481). Wie auch nicht ihr Zusammenhang mit dem allerprimärsten Narzißmus: »Wir sehen hiermit hier das Selbstbewußtsein in sein Innerstes zurückgegangen, dem alle Äußerlichkeit als solche verschwindet, —in die Anschauung des Ich = Ich, worin dieses Ich alle Wesenheit und
13 »Prinz Heinrich.: Ei, du bist Gott einen Tod schuldig.
Falstaff.: Er ist noch nicht verfallen, ich möchte ihn nicht gern vor seinem Termin bezahlen. Was brauche ich so bei der Hand zu sein, wenn er mich nicht ruft? Gut, es mag sein: Ehre beseelt mich, vorzudringen. Wenn aber Ehre mich beim Vordringen entseelt? Wie dann? Kann Ehre ein Bein ansetzen? Nein. Oder einen Arm? Nein. Oder den Schmerz einer Wunde stillen? Nein. Ehre versteht sich also nicht auf die Chirurgie? Nein. Was ist Ehre? Ein Wort. … Was steckt in dem Wort Ehre? Luft. Eine feine Rechnung! — Wer hat sie? Er, der vergangenen Mittwoch starb. Fühlt er sie? Nein. Hört er sie? Nein. Ist sie also nicht fühlbar? Für die Toten nicht. Aber lebt sie nicht etwa mit den Lebenden? Nein. … Warum nicht? Die Verleumdung gibt es nicht zu. Ich mag sie also nicht. —Ehre ist nichts als ein gemalter Schild beim Leichenzuge, und so endigt mein Katechismus« (Shakespeare, König Heinrich der Vierte, I, 5. Akt, 1. Szene).
Dasein ist« (ebd., S. 482). Die Folge ist »die absolute Unwahrheit, die in sich zusammenfällt«.
Sehen wir so aus, als wollten wir uns der Denunziation der Tugend und der Apologie des Lasters ausliefern? Doch das hieße einem Modeeffekt nachgeben, der heute in de Sade unseren Retter sieht. Bescheiden wir uns damit, jene Wahrheit in Erinnerung zu rufen, die Freud aufgezeigt hat: die unauflösbare Verbundenheit von Sexualität und Moral. Die Umwege der einen ziehen automatisch die Umwege der anderen nach sich. Georges Bataille, den unter den Psychoanalytikern einer doch endlich einmal würdigen sollte, hat die Wesensgleichheit von Erotischem und Sakralem begriffen. »Ich muß Ihre Liebe gewinnen«, sagte uns eine Patientin. Wir haben geantwortet: »Ja, aber von welcher Liebe sprechen Sie?« Danach mußte sie anerkennen, daß trotz ihrer vergeblichen und verzweifelten Versuche Eros, dieser schwarze Engel, für sie zu einem weißen geworden war.
Nachtrag
Die erneute Lektüre dieser Arbeit einige Monate später veranlaßt uns, einige der offengebliebenen Punkte zu präzisieren. Zunächst einmal sollte unterstrichen werden, daß die Struktur des moralischen Narzißmus alles andere als erstarrt ist. Sie charakterisiert bestimmte Patienten anhand des Profils, das sie bei ihnen annimmt. Niemand ist völlig frei von ihr. Diese strukturelle Besonderheit läßt sich auch als Phase in der Analyse gewisser Patienten ansehen. Überdies gehen die hier beschriebenen Fälle, auch wenn sie Merkmale dieser Struktur aufweisen, darin nicht völlig auf. Die Erfahrung lehrt uns, daß sie sich durchaus entwikkeln und andere Positionen erreichen können. Mit Genugtuung haben wir bei Fällen, wo wir kaum noch Hoffnung auf Besserung hatten, schließlich doch noch einen günstigen Verlauf beobachten können. Zurückkommen wollen wir auch auf die Verbindung von moralischem Narzißmus und moralischem Masochismus. Von der Nützlichkeit einer Unterscheidung beider sind wir überzeugt. Verschleiert einer nicht den anderen? Doch statt ihre Beziehungen in Begriffen gegenseitigen Verdeckens zu fassen, gehen wir davon aus, daß es sich, auch wenn ihr Verhältnis ein dialektisches ist, dennoch um unterschiedliche Reihen handelt. Wenn dennoch ihre Einheitlichkeit anerkannt werden muß, so würden wir doch sagen, daß der wahre Masochismus der moralische Narzißmus insoweit ist, als in diesem das Bestreben herrscht, die Spannungen auf das Null-Niveau zu reduzieren: oberstes Ziel des Masochismus, insofern sein Schicksal an den Todestrieb, an das Nirwana-Prinzip, gebunden ist. Wiederholen wir: Das Leidensverhältnis impliziert die Objektbeziehung — der Narzißmus reduziert das Subjekt auf sich, auf die Null, die das Subjekt ist.
Die Desexualisierung richtet sich auf die libidinösen und aggressiven, auf das Objekt, auf das Ich gerichteten Triebe — die für den Todestrieb freigewordene Bahn zielt auf die Vernichtung des Subjekts als des letzten Phantasmas. Tod und Unsterblichkeit vereinigen sich hier.
Tatsächlich trifft man nie auf derartige extreme Lösungen. Was sich klinisch beobachten läßt, vor allem im selektiven Rahmen der Psychoanalyse im Verhältnis zum breiteren klinischen Bereich der Psychiatrie, sind Kurven, die auf ihre asymptotische Grenze zulaufen. In dieser Hinsicht sind die Beziehungen von Scham und Schuldgefühl sehr viel komplexer als hier ausgeführt. Der destruktive Charakter der Scham aber ist wichtig: Schuldgefühl kann miteinander geteilt werden, Scham niemals. Doch bilden sich zwischen Scham und Schuldgefühl Knoten: Man kann sich seines Schuldgefühl schämen, man kann sich schuldig fühlen wegen seiner Scham. Aber der Analytiker unterscheidet durchaus Spaltungsebenen, wenn er spürt, wie sehr bei seinen Patienten das Schuldgefühl an seine unbewußten Quellen gebunden sein und mit seiner Analyse partiell überwunden werden kann, während die Scham oft einen irreparablen Charakter annimmt. Die Transformation von Lust in Unlust ist eine Lösung für das Schuldgefühl; für die Scham ist einzig und allein der Weg des negativen Narzißmus offen. Eine Neutralisierung des Affekts ist am Werk, ein tödliches Unternehmen, eine Sisyphusarbeit: Ich liebe niemanden. Ich liebe nur mich. Ich liebe mich. Ich liebe nicht. Ich nicht. Ich. Null. Gleiche Folge für den Haß. Ich hasse niemanden. Ich hasse nur mich. Ich hasse mich. Ich hasse nicht. Ich nicht. Ich. Null. Diese Abfolge von Propositionen veranschaulicht die Entwicklung zur Affirmation des megalomanen Ichs als letzte Etappe vor seinem Verschwinden.
(Anschrift des Verf.: Dr. Andre Green, 9, ave. de 1’Observatoire, F-75006 Paris) (Übersetzung: Erika Kittler, Freiburg)
Summary
Moral Narcissim. — With reference to Sophocles‘ Ajax and Oedipus tragedies, the author first of all establishes the contrasts between cultures of shame and cultures of guilt. Subsequently he elaborates a typological description of moral narcissism, which he allocates to cultures of shame. The author describes moral narcissism as the triumph of drive renunciation over gratifications of illusion or the triumph of the superego over the ego-ideal. Green identifies asceticism and affect retention as important features of moral narcissism and provides a description of the conflict level and the major defense forms encountered in moral narcissists. He also discusses the psychodynamics of moral narcissism, classifies the phenomenon in metapsychological terms and enlarges an the technical difficulties occasioned in the treatment context by shame, pride and honor.
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Dr. Kroll, not ‘conspiracy theoriests” but rather bipolar psychiatry experts (e.g. S Nassir Ghaemi, MD, Mood Disorders, particularly well summed up in Chap 4) tell us that 20 to 50% of the time when Bipolar II depression is the true diagnosis rather than major depression, antidepressants ‘switch’ energy depleted depressed moods into potentially dangerous agitated mixed or rapidly cycling moods. This co-pilot apparently has evidenced grandiosity in the past and very possibly if not likely antidepressants were contraindicated for him. Please help educate the public – Rather than ‘villify’ antidepressants which often help save lives among unipolar depressed patients, prescribers and consumers need to learn to better detect subtle bipolar II history and/or screen better for bipolar genetic risk, family history, history of responding abnormally to antidepressants in the past, and so forth.