Die öffentlich-rechtlichen Sender präsentieren sich gern als Hort der Aufklärung. Sie behaupten, dass sie sich dem Kampf gegen das Ressentiment verpflichtet fühlen. Das ist auch lobenswert – und in der Tat haben die Sender viel zur Information, zur Aufklärung über Antisemitismus und Rassismus beigetragen.
Daher will es einem einfach nicht in den Kopf, dass ausgerechnet beim NDR ein ganz übles antisemitisches Klischee publiziert wird. Und es will einem noch viel weniger in den Kopf, dass der NDR, der sonst bei jedem Verdacht von „Rechtspopulismus“ auf die Barrikaden geht, bei einem Skandal im eigenen Haus nicht in der Lage ist, richtig zu reagieren – nämlich den Mist in dem Moment vom Netz zu nehmen, in dem man ihn entdeckt.
Eleonore Büning schildert in einem lesenswerten Text in der FAZ die Ausgangslage:
„Als gäbe es beim Radio gar keine Redakteure mehr, die offen antisemitische Entgleisungen bemerken und verhindern könnten, spekuliert eine NDR-Kommentatorin über das etwaige Konkurrenzverhältnis zwischen Petrenko und seinem Dirigentenkollegen Christian Thielemann und vergleicht, da die beiden ja demnächst wieder in Bayreuth auftreten werden, den einen, Thielemann, als ,Experten deutschen Klanges‘ mit Wagners nobler Wotan-Figur, den anderen, Petrenko, mit der Figur des Alberich, dem ,winzigen Gnom, der jüdischen Karikatur‘.
Die Leser reagieren zu Recht empört auf dieses stumpfsinnige antisemitische Klischee. Ein Leser entlarvt den Kommentar als sachlich falsch:
Der Kommentar ist nicht nur antisemitisch sondern auch von strahlender Dummheit, denn nicht der Nachtalbe Alberich, immerhin Herrscher über das Nibelungenheer, ist die Karikatur eines Juden im Ring, sondern Mime. Aber egal jetzt wie, der ganze Kommentar und auch einer in der ‚Welt‘ strotzt vor antisemitischer Gehässigkeit. Das ist jetzt anscheinend in Deutschland wieder möglich.
Doch statt die einzig richtige Konsequenz zu ziehen, nämlich sich Asche aufs Haupt zu streuen, einzugestehen, dass es sich hier um eine Entgleisung handelt, sich bei Petrenko zu entschuldigen und das Machwerk zu löschen, reagiert der NDR zunächst trotzig und selbstgerecht mit folgender „Anmerkung der Autorin“:
„Eine Gleichsetzung des Dirigenten Kirill Petrenko und der Wagnerschen Ringfigur Alberich habe ich in meinem Kommentar keinesfalls beabsichtigt. Sollte dieser Eindruck entstanden sein, bedaure ich dieses. Es ging vielmehr um eine Szenenbeschreibung aus dem ,Ring‘, die die Gedankenwelt Richard Wagners, die in Bayreuth eine zentrale Rolle spielt, widerspiegelt.“
Die Leser erkennen die billige Finte. Einer schreibt:
„Ich bin fassungslos. Diese Stellungnahme beleidigt unsere Intelligenz. Dass Ihnen das nicht bewusst sein kann, ist kaum zu glauben. Phänomenal schlecht beraten ist Ihre Redaktion. Ihre Journalistin möchte zu ihren Wörtern bitte selber Stellung nehmen.“
Ein anderer kommentiert:
„Man kann es drehen wie man will: Dieser Text, der einen Zwist zwischen Thielemann und Petrenko konstruieren möchte, ist widerlich und stochert in einer ziemlich braunen Soße. Da nützt es wenig, sich als Journalist auf die Gattung ,Kommentar‘ zu berufen oder noch so viele Fragezeichen zu verwenden…“
Danach scheint man bei NDR zu erkennen, dass hier vielleicht doch die Kritiker recht haben könnten. Der „Missverständnis-Text“ wird durch folgende Mitteilung von Barbara Mirow, Programmchefin NDR Kultur, ersetzt:
„Die Redaktion von NDR Kultur bedauert die Veröffentlichung des Kommentars ,Petrenko vs. Thielemann?‘. Die darin verwendete Analogie zu Figuren des Wagnerschen Rings hätte nicht gewählt und der Kommentar aus diesem Grunde nicht veröffentlicht werden dürfen. Beim Abnahmeverfahren der Redaktion hat es diesbezüglich Versäumnisse gegeben. Die Redaktion wird sicherstellen, dass sich solche Fehler nicht wiederholen.“
Warum aber lässt man das Machwerk dann online? Zur Dokumentation des eigenen Versagens? Um weitere Klicks zu generieren? Warum muss dieser braune Müll tagelang öffentlich bleiben? Wir absurd ist die Aussage der Programmchefin, mal werde „sicherstellen, dass sich solche Fehler nicht wiederholen“ – wenn zur selben Zeit der Fehler mit jedem Aufruf der Seite wiederholt wird? Kann sich die Programmchefin nicht einmal eine Sekunde in die Person vor Petrenko ode seiner Familie, seiner Freude, in die Philharmoniker versetzen, die alle diese Schmähung immer noch lesen müssen? Sind die NDR-Leute von ihrer eigenen Überheblichkeit so geblendet, dass sie glauben: Wenn ich Unsinn lösche, räume ich ein, dass ich Unsinn geschrieben habe – und das könnte mir als Schwäche ausgelegt werden?
Erst am Freitag um etwa 19.30 Uhr geht die Passage online: Ganze drei Tage brauchten die Tugendwächter aus Hamburg, um zu schreiben:
[Ursprüngliche Passage wurde von der Redaktion entfernt.]
Die Sache läuft ziemlich unehrlich ab: Am Freitagabend steht über dem Text immer noch: Stand: 25.06.2015 10:21 Uhr – Lesezeit: ca.2 Min. Da war der Text aber schon mindestens zweimal geändert worden.
Warum entfernt man nicht den ganzen Müll? Warum kämpft der NDR ein solch verbissenes Rückzugsgefecht? Diesen nun erst recht verstümmelten Artikel braucht kein Mensch. Er sollte ersetzt werden durch eine schlichte Mitteilung:
Wir, die Redakteure vom NDR, haben Mist gebaut. Wir entschuldigen uns bei dem Dirigenten Kirill Petrenko für eine unverzeihliche Entgleisung. Wir geloben, künftiger weniger Energie darauf zu verwenden, uns über andere zu erheben, sondern bei all unseren Texten künftig vor dem Schreiben intensiv nachzudenken.
Tatsächlich zeigt die Entgleisung, dass antisemitische Klischees auch durch Jahrzehnte der Reflexion der Verbrechen des Nationalsozialismus nicht ausgerottet werden können. Das Schlimme an dem NDR-Ausritt ist, dass er ein Milieu behelligt, in dem der Antisemitismus tatsächlich überwunden ist: dem der klassischen Musik. Top-Musiker aus allen Religionen, Nationen und Kulturen spielen heute in allen Spitzenorchestern der Welt. Ihre Herkunft ist unter Musikern unerheblich. Niemand fragt sie danach, sie brauchen sie vor niemandem zu rechtfertigen. Es zählt nur die Leistung, um ganz an die Spitze zu kommen. Die Berliner Philharmoniker sind in dieser Hinsicht genauso selbstverständlich multikulturell wie die Wiener Philharmoniker oder das NDR-Symphonieorchester.
Dies macht den Kommentar so übel: Er stammt nicht von einem blindwütigen Antisemiten, der seine Lektion bei den Hass-Predigern der arabischen Welt gelernt hat. Der Kommentar kommt aus dem angeblich so aufgeklärten, bürgerlichen Milieu Norddeutschlands. Er stammt aus dem Haus NDR Kultur, das eigentlich ein Refugium sein soll, in dem Toleranz und Respekt nicht bloß gepredigt, sondern verstanden worden sind. In der klassischen Musik gibt es keinen Platz für Antisemitismus. Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk scheint man es dagegen nicht ganz so genau zu nehmen. Die braune Soße bleibt online, und die Gebührenzahler sind die Geisel dieses Ungeists.
Ressentiments werden nicht durch moralische Appelle an die Welt eliminiert, sondern durch harte intellektuelle Disziplin. Die deutschen Medien haben in dieser Hinsicht in den vergangenen Jahrzehnten viel Gutes geleistet. Doch offenbar stehen wir immer wieder am Anfang und müssen den den jungen Kollegen genauso wie den alten Verantwortlichen das kleine Einmaleins auch in Sachen Klischees und Antisemitismus weiter beibringen.
Viele Fehlentwicklungen sind allerdings die Folge von überzogener Selbstgerechtigkeit. Dieser Ungeist ist bei den öffentlich-rechtlichen Sendern immer wieder zu finden. „Wir sind die Guten“, denkt man dort. Antisemitismus bekämpft man aber nicht, indem man in jeder Sendung fünfmal „Rechtpopulismus!“ schreit. Die Ausrottung des Antisemitismus ist keine Frage des Pathos, sondern eine des nüchternen Handwerks.
Die Sender bekommen 8 Milliarden Euro jährlich vom Gebührenzahler. Davon muss doch wenigstens ein gebildeter Redakteur zu finden sein, der das wuchernde Unkraut erkennt und es vor der Veröffentlichung ausreißt. Und ein weiterer müsste zu finden sein, der das Unkraut ausreißt, wenn die Leser den Sender kritisieren. Und ein dritter könnte der Programmchefin sagen, dass es besser ist, braune Soße zu löschen als sie kommentiert weiter online zu lassen.
Die völlig unzureichende Reaktion des NDR zeigt, dass die Verantwortlichen Teil des Problems sind. Mit hohlem Pathos und weinerlicher Selbstkritik kann man sich zwar der Illusion hingeben, „Größe“ gezeigt zu haben. Doch die Wiederholungsgefahr wird nur ausgeschalten, wenn der NDR vor der Veröffentlichung von Texten und dem Senden von Sendungen eine Sicherung einbaut. Diese Instanz muss eine Rückbindung in die Realität sein. Sie muss sich darauf berufen dürfen, dass Dummheit, Rechtspopulismus und Ressentiments nicht das Monopol „der anderen“ sind, sondern im Elfenbeinturm der Sender genauso wuchern wie im Rest der Welt.
Eine solche neue Bescheidenheit wird der Berichterstattung sehr guttun. Die öffentlich-rechtlichen Sender haben mit ihrer Überheblichkeit und Arroganz genug Schaden angerichtet. Die Sender lechzen nach ihrer „Götterdämmerung“, ganz profan, dafür aber flächendeckend.
Petrenko vs. Thielemann?

Designierter Chef der Berliner Philharmoniker: Kirill Petrenko.
Jetzt einmal Mäuschen sein am Grünen Hügel von Bayreuth. Christian Thielemann probt für die Festspieleröffnung im Juli Katharina Wagners Neuinszenierung von Richard Wagners „Tristan und Isolde“. Ein Werk, das für seinen exzessiven Wahnsinn berühmt und berüchtigt ist. Für seinen emotionalen Ausnahmezustand.
„Tristan“ in Bayreuth – für den deutschen Dirigenten mit explizit deutschem Repertoire ein Höhepunkt seiner Karriere – und gleichzeitig muss Christian Thielemann in diesen Tagen die tiefste Demütigung seines Lebens ertragen. Jeden Tag und noch wochenlang muss Thielemann auf dem Grünen Hügel jetzt dem begegnen, der sich als sein schärfster Konkurrent erwiesen hat, dem, der ihm das Kostbarste vor der Nase weggeschnappt hat: Ring-Dirigent Kirill Petrenko – designierter Chef der Berliner Philharmoniker. Ein Posten, auf den Thielemann nicht nur spekuliert hatte, er hatte fest mit ihm gerechnet.
Ist der gedemütigte Gott seiner Herrlichkeit beraubt?

Christian Thielemann hat nicht nur auf den Chefposten der Berliner Philharmoniker spekuliert, er hatte fest mit ihm gerechnet.
Thielemann, in Berlin geboren, ausgebildet vom legendären Herbert von Karajan, der über 30 Jahre die Berliner Philharmoniker prägte, Thielemann, ein weltweit gefeierter Experte des deutschen Klanges, ein Klangzauberer, der einst auch im Ruf stand, seine Musiker wie kaum ein anderer in den Bann ziehen zu können, ausgerechnet er wird verschmäht von seinen Leuten? Er, nach dem Tod des Patriarchen Wolfgang Wagner der neue Hausgott von Bayreuth?
[Ursprüngliche Passage wurde von der Redaktion entfernt.]
Hexenkessel aus Tradition und Zorn

Das Festspielhaus in Bayreuth Ort: für Dramen und große Oper.
Und wie wird sich Kirill Petrenko jetzt in seinen Ring-Proben am Grünen Hügel fühlen, der als ebenso genial wie hochsensibel gilt? Noch vor kurzem teilte Petrenko öffentlich mit, er würde angesichts des unsäglichen Führungsstils am liebsten in Bayreuth vorzeitig hinschmeißen – eine Festspielleiterin verbietet der anderen das Haus, Thielemann droht, nicht zu dirigieren, wenn Eva Wagner-Pasquier anwesend sei etc. etc..
Wird Petrenko diesen Hexenkessel des traditionell schon berüchtigten Wagner-Clans heil überstehen, in dem jetzt noch als zusätzliche Zutat der Zorn des öffentlich gedemütigten Konkurrenten brodelt?
»Nach den Luftangriffen warf man mir vor, ich hätte in Berlin energischer auftreten müssen und einfach bei einer weiteren Verweigerung von Luftschutzbauten die Verantwortung ablehnen sollen. Da hätte ich jedoch dem Führer meinen Posten als Gauleiter zur Verfügung stellen müssen, und das tut man doch wegen so etwas nicht.«
Memoria rerum gestarum
Hätten sich nicht allerlei Mythen und Legenden um die Wirklichkeit des Luftkrieges über
Dresden gesponnen, wäre darüber gar nichts mehr zu sagen oder gar zu beklagen. Es war Krieg –
genauso schlecht und gut – wie in anderen Städten auch und die Menschenverluste waren solcher
»Menschenliebe« wie des eben zitierten Gauleiters zu verdanken, die sich um Sachen und den
Endsieg mehr sorgen machen als um Menschen.
Die Mythen betreffen mehrere Gesichtspunkte, einmal die Zahl der Toten, die bis über 300.000
übertrieben wurden. Dann die Kriegswichtigkeit und der Erfolg der Angriffe, der schon gezeigt
wurde und dann die Erfindung oder auch nur Einbildung von Tiefflieger-Angriffen. Der Mythos,
der Produkt des Kalten Krieges war, die Behauptung der Sowjetkommunisten, die Zerstörung
Dresdens sei ein Kalkül der Westalliierten gewesen, den Vormarsch der Roten Armee zu behindern
und eine prospektive sowjetische Besatzung zu hintertreiben, ist schon bei der Behandlung der
Tatsachen widerlegt worden.
Wenn historische Vorgänge derart verzerrt dargestellt werden, ist es angebracht die Frage nach
den konstitutiven Bedingungen des Gegenstandes zu stellen, nach Gedächtnis und Erinnerung, nach
der Geschichtskultur, dem »Inbegriff der Deutungen von Zeit durch historische Erinnerung, die für eine Gesellschaft notwendig ist, um ihre Lebensformen und -vollzüge im aktuellen Prozeß des zeitlichen Wandels sinnhaft zu organisieren« .
Der Fortschritt von einem Geschichts- und Zeitbegriff, der von Erinnerung abstrahiert zu einem
durch Erinnerung konstituierten Begriff von Geschichte wird in Walter Benjamins Passagenwerk
als kopernikanische Wende der geschichtlichen Anschauung aufgefaßt:
»Die kopernikanische Wendung in der geschichtlichen Anschauung ist dies: man hielt für den fixen Punkt das ,Gewesene` und sah die Gegenwart bemüht an dieses Feste die Erkenntnis tastend heranzuführen. Nun soll sich dieses Verhältnis umkehren und das Gewesene seine dialektische Fixierung von der Synthesis erhalten, die das Erwachen mit den gegensätzlichen Traumbildern vollzieht. Politik erhält den Primat über die Geschichte. Und zwar werden die historischen »Fakten« zu einem uns soeben Zugestoßenen: sie festzustellen ist die Sache der Erinnerung. Und Erwachen ist der exemplarische Fall des Erinnerns. Jener Fall, in dem es uns gelingt, des Nächsten, Naheliegendsten (des Ich) uns zu erinnern. Was Proust mit dem experimentierenden Umstellen der
Möbel meint, Bloch als das Dunkel des gelebten Augenblicks erkennt, ist nichts anderes als was hier in der Ebene des Geschichtlichen und kollektiv gesichert wird. Es gibt ,noch nicht bewußtes Wissen´ vom Gewesenen, dessen Förderung die Struktur des Erwachens hat.«
»In der Erinnerung erkennt sich die Gegenwart nicht nur als durch die Vergangenheit bedingt,
sondern die Gegenwart wird in den Mittelpunkt gerückt. Es gibt zwei Varianten dieses Textes,
die verschieden nuancieren, in der späteren – hier nicht zitierten – Fassung überwiegt das
unwillkürliche Moment in den historischen Fakten, das dem politischen Willen und der Aktion
zugrunde liegt, während in der früheren das Moment der Synthesis mehr betont wird, auf das es mir
vorrangig ankommt. Das Erwachen aus einem Traum, das den Bildspender abgibt, bedeutet das
Wahrnehmen von Geschichte als eigener. Im Traum gibt es keine Erinnerung an das Ich, diese
entsteht im Erwachen, in Blochs »Schlafkammer des gelebten Augenblicks«.
Der Dresden-Mythos ist gekennzeichnet durch ein Ausfall von Synthesis-Leistungen, die ähnlich
15 ebenda
16 Jörn Rüsen, Geschichtskultur als Forschungsproblem, in: Jahrbuch für Geschichtsdidaktik Bd. 3, Pfaffenweiler
1991/92, S. 39-50, hier S. 40
17 Walter Benjamin, Das Passagen-Werk, Gesammelte Schriften Bd. 5, S. 1057f
18 Die andere Variante findet sich auf den Seiten 490f.
19 Ernst Bloch, Prinzip Hoffnung, S. 353
wie der manifeste Trauminhalt der Deutung bedarf: Walter Benjamin analogisiert:
»Die Verwertung der Trauminhalte beim Aufwachen ist der Kanon der Dialektik. Sie ist vorbildlich für den Denker und verbindlich für den Historiker.«
Freuds Traumdeutung analysiert die psychischen Mechanismen, die den manifesten Trauminhalt
selegieren, die Mechanismen, die eine Zensur bewirken.
In analoger Weise ist auch die Erinnerung an Dresden zensiert, was Schuldgefühle weckt wird
ausgeblendet. Die unmittelbaren – wie auch immer traumatisch verzerrt – erlebten Ereignisse in der
Nacht vom 13. zum 14. Februar werden immer wieder herbeizitiert, aber nicht auf ihren
historischen Kontext bezogen. Der Konkretismus dabei könnte mit Adorno Konkretinismus genannt
werden. Es ist so wie mit dem armen, verlassenen Waisen, der seine Eltern ermordet hat und das
ausblendend um Mitleid fleht, er sei doch ein armer Waiser und man möge ihn nicht auch noch mit
Schuldvorwürfen quälen. Ist sein elendes Dasein als Waise nicht Strafe genug? Die
traumatisierenden Ereignisse werden aus ihrem historischen Kontext gerissen, sie verlieren ihre
historische Sinnhaftigkeit und die Bombenangriffe werden nur noch als sinnloser Terror gewertet,
das Bewußtsein verharrt in einer mythischen Bewußtseinslage, die nur durch historische Erfahrung
zu sprengen wäre, an der gar kein Interesse besteht, außer dasjenige, nichts an sich heranzulassen,
das Schuldgefühle wecken könnte. Die reale Möglichkeit des Erinnerungsverlust ergibt sich aus der
spezifischen Konstitution kapitalistischer Produktionsweise, als einer, in der die Tradition in den
Mitteln stattfinde, während die Geschichtserinnerung polemisch mit der bürgerlichen Überwindung
traditionaler Herrschaft ausgelöscht wurde.
Benjamin verwendet ein Bild aus dem trojanischen Krieg:
»Das kommende Erwachen steht wie das Holzpferd der Griechen im Troja des Traums.«
Mit dem Kapitalismus – so Benjamin – sei ein »neuer Traumschlaf über Europa« gekommen und
damit »eine Reaktivierung der mythischen Kräfte« . Mit der Konstitution bürgerlichen
Gesellschaft etablierte sich also eine prinzipielle Verdrängung von Geschichte, wie sie bereits von
dem französischen Revolutionär Sieyes ganz bewußt propagiert wurde:
»Dürfte man die Dinge beim Namen nennen, könnte man fragen, was der Unterschied zwischen einem Bürger (Bourgeois) und einem richtigen Privilegierten ist. Nun, dieser blickt unablässig zurück in die edle Vergangenheit; dort sieht er seine Stärke, er lebt seinen Vorfahren. Der Bürger dagegen blickt unverwandt auf die allgemeine Gegenwart und die gleichgültige Zukunft, mit seinem Fleiß ernährt er jene und bereitet die andre vor. Er ist, statt gewesen zu sein; ihn trifft die Strafe … und die Schande, all seinen Verstand, all seine Kraft für unseren jetzigen Dienst einzusetzen und von seiner Arbeit zu leben, auf die alle angewiesen sind. Ach, warum geht der Privilegierte nicht in die Vergangenheit, genießt das seine Titel und Würden und überläßt der dummen
Nation die Gegenwart und die Unfeinheit!«
Tradition wird in der Gesellschaft negiert, wo sie irreflexiv in den Produktivkräften bzw.
Produktionsmitteln bewahrt wird. Kontinuität ist somit nicht gegeben, sondern kann nur konstruiert
werden. Erinnerung ist anders als in traditionaler Vergesellschaftung nicht konstitutiv für die
Aufrechterhaltung der Herrschaft und wird somit fungibel und somit zum Objekt von
Geschichtspolitik. Sie kann durch nationalistische Indoktrination, die in Deutschland stets den
Juden als Antagonisten hatte, ersetzt werden. Und dabei stört Erinnerung nur, insbesondere, sofern
sie Schuldgefühle weckt.
Diesen Sachverhalt berührt Walter Benjamin:
»Das träumende Kollektiv kennt keine Geschichte. Ihm fließt der Verlauf des Geschehens als immer nämlicher und immer neuester dahin. Die Sensation des Neusten, Modernsten ist nämlich ebenso Traumform des
20 Walter Benjamin, Das Passagen-Werk, Gesammelte Schriften Bd. 5, S. 580
21 A.a.O. S. 495
22 A.a.O S. 494
23 Emmanuel Joseph Sieyes, Politische Schriften 1788-1790, übersetzt und herausgegeben von Eberhard Schmitt und Rolf Reichardt, Darmstadt und Neuwied 1975 S. 102
Geschehens wie die ewige Wiederkehr alles gleichen. Die Raumwahrnehmung, die dieser Zeitwahrnehmung entspricht, ist die Superposition. Wie sich nun diese Formen auflösen im erhellten Bewußtsein, treten an ihrer statt politisch-theologische Kategorien zu tage. Und erst unter diesen Kategorien, die den Fluß des Geschehens erstarren lassen, bildet sich in dessen Innern als kristallinische Konstellation Geschichte. – Die ökonomischen Bedingungen, unter denen eine Gesellschaft existiert, bestimmen sei nicht nur im materiellen Dasein und im ideologischen Überbau: sie kommen auch zum Ausdruck. Genauso wie ein Schläfer ein übervoller Magen im Trauminhalt nicht seinen ideologischen Überbau findet, genau so mit den ökonomischen Lebensbedingungen das Kollektiv. Es deutet sie, es legt sie aus, sie finden im Traum ihren Ausdruck und im Erwachen ihre
Deutung.«
Welcher latente Inhalt sich im manifesten ausdrückt, gilt es zu fragen. Was ist bei der
Konstitution des Dresden-Mythos der latente Inhalt, der die Verzerrung von Geschichte bewirkt? Es
ist dasselbe Motiv, das heute auch bei der Beurteilung der Politik Israels eine Rolle spielt und
dasselbe, das auch in Japan dazu führte, daß die Täter nicht zu mehr in der Lage waren als zu einer
erzwungenen Reue, erzwungen durch die internationale Öffentlichkeit. Die Verdrängung der
Kriegsschuld erfolgt in Japan ähnlich wie im Falle Dresden mit Hiroshima und Nagasaki.
Die heimliche Logik, die sich in den Mythen verbirgt, ist simpel. Es denkt in den Deutschen:
Wenn ich schon die Schuld des deutschen Kollektivs, mit dem ich identifiziert sein und bleiben
will, nicht leugnen kann, dann sollen doch wenigstens die anderen auch nicht besser sein. Und so
tendieren Darstellungen des Bombenkriegs nicht zufällig dahin, in Formulierung und Gestus
gängiger Darstellungen der Taten der Deutschen sich anzuähneln. Projektion als »typisch
bürgerliche Pathologie«(H.J. Krahl) ersetzt die historisch-kritische Konstitution, die synthetischen
Leistungen des Verstandes und die Rekognition im Begriffe werden – sei´s pathologisch affiziert,
sei´s propagandamäßig genudelt – korrumpiert. Die Medien dominieren der Einsicht Günther
Anders zufolge die Wirklichkeit.
»Wenn das Phantom wirklich wird, wird das Wirkliche phantomhaft.«
Ich zitiere aus einer Webseite, die Dresden gedenkt, die offenkundig das ausspricht, worum es
geht, nämlich, die Bombardierung Dresdens so herzurichten, daß sie zur Entlastung des Gewissens
hinsichtlich der Verbrechen der Deutschen in der NS-Zeit instrumentalisierbar wird. Dieser Bezug
ist nicht von außen an die Sache geführt, sondern wird von den Legendenbildnern selber hergestellt,
was ich daher an einem Beispiel ausführlich dokumentiere,das aus dem letzten Jahr stammt:
»Dürfen wir um Dresden trauern?
Trauer und Gedenken stehen in Deutschland 56 Jahre nach dem Ende des Krieges hoch im Kurs. Religiöse und ethnische Minderheiten haben schreckliche Verfolgungen erlitten, dies ist gewiß ein Grund zum Gedenken. Gewiß. Aber es wurden auch Millionen von deutschen Menschen getötet, Menschen, die genauso unschuldig waren wie die heute herausgehobenen Opfer. Auch sie hatten nichts anderes getan, als zu einem unterlegenen Volk zu gehören.
Genauso unschuldig…
Das deutsche Volk war ahnungslos. Es war durch die Massenmedien der Zeit im Sinne des Zeitgeistes
indoktriniert, im Unwissen gehalten, betrogen und getäuscht über das, was im Hintergrund ablief. Daß sich so viele Menschen täuschen lassen konnten, ist den Nachgeborenen heute kaum noch vorstellbar. Es sollte uns gerade heute eine Warnung sein. Auch heute ist das Wissen durch ein System von Schlagworten ersetzt, die die allgemeine Ahnungslosigkeit mit Phrasen verhüllt. Besonders gering ist das Wissen um die historische Situation und die vielen Gründe, die in einen Krieg führten, in dem Millionen von Deutschen bis zum äußersten gekämpft haben.
…für Deutschland gekämpft
Sie haben für Deutschland gekämpft, nicht weil sie für Hitler waren, sondern weil sie ihr Vaterland retten wollten, das in eine schier ausweglose Situation geraten war. Unsere Großväter und Väter waren keine Verbrecher – bis auf wenige Ausnahmen wie in anderen Völkern auch -, sondern sie haben gekämpft, ,weil sie ihr Land liebten´, – so hat es Francois Mitterand noch am 8. Mai 1995 unseren Politikern ins Stammbuch geschrieben.
24 A.a.O. S. 1023
25 Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen Bd. 1, 1987 , S. 105
Und jeder, der von Verbrechen redet, möge zuerst in seiner eigenen Familie nach Tätern und Opfern suchen, bevor er sich mit Pauschalurteilen gegen die Generation seiner Väter stellt.
Eine kollektive Schuld der Deutschen hat es nie gegeben, alle Kinder und Greise, alle Frauen und Mädchen, die Opfer des Bombenterrors, der Vertreibung und der Hungerjahre wurden, hatten keine Schuld. Sie waren Opfer, auch Opfer einer kollektiven Verleumdung.
In der Sowjetzone wurde diese Schuld-Propaganda besonders gerne von jenen aufgenommen, die unter dem Mantel der Freundschaft mit einer fremden Macht den Kampf gegen Deutschland von innen weiterführten.
Wer das eigene Volk beschuldigte, der war sich der Gunst der Siegermächte sicher, und so ist es nicht erstaunlich, wie groß mit den Jahren das Heer derjenigen wurde, die sich vor Selbstbezichtigung geradezu überschlugen.
Die von der östlichen Siegermacht installierten Zeitungen und Rundfunkanstalten machten sich an die Bearbeitung der Volksseele; anstelle der natürlichen Zuneigung zum eigenen Land konnte sich ein nationaler Selbsthaß zum Mittelpunkt eines neuen Nationalbewußtseins entwickeln, der bis heute seine Blüten treibt.
Den Massenmedien mit ihren feinen Methoden des selektiven Erinnerns und des selektiven Vergessens ist eine Bearbeitung des Bewußtseins der Nation gelungen, die heute ein Gedenken daran, daß auch Millionen Deutsche Opfer waren, zu einem öffentlichen ungeliebten Unterfangen machen.
Dies ist ein unnatürlicher Zustand, der in kaum einem anderen Lande möglich wäre. Welche deutsche Familie hat keine Toten in diesem Krieg zu beklagen?
Es ist unnatürlich, wenn die Menschen nicht um ihre nächsten Angehörigen trauern, nicht derer gedenken, mit denen sie durch die Gemeinschaft der Liebe und des Schicksals unzertrennbar verbunden sind.
Es ist menschenverachtend, würdelos, ja niederträchtig, wenn ein Volk nicht seiner eigenen Toten gedenkt. So wie die Toten verschwiegen, geleugnet, als ,selber schuld gewesen´ verhöhnt werden, so werden auch die Zahlen heruntergerechnet. Meist sind offizielle Zahlen unter Verschluß.
Dies gilt für Dresden, wo ARD und ZDF sich auf ,über 15.000´ geeinigt haben, genauso wie für die Gesamtzahl der getöteten Deutschen, die bei mindestens 9 Millionen – nach anderen Untersuchungen sogar bei über 13 Millionen Toten – liegt.
Nur weil sie Deutsche waren
Für diese Toten, die auch Opfer eines kollektiven Schicksals wurden, die allein deshalb starben, weil sie Deutsche waren, gibt es in diesem Land keine angemessene Ehrung.
Für diese nationale Katastrophe gibt es kein zentrales Museum, keine Gedenkstätte, keinen Gedenktag, kaum feierliche Reden der ,Großen dieses Staates´. Wo sollte man ihrer gedenken?
Sie liegen verstreut in den zerbombten Städten zwischen Köln und Königsberg, sie liegen verscharrt an den Wegrändern in Ostpreußen und Schlesien, in den Rheinwiesen und in Sibirien, und sie liegen auf allen Friedhöfen der Hungerjahre, an die sich heute keiner mehr erinnern will.
Nur an einem Ort ist der massenhafte Tod unschuldiger deutscher Menschen und die Zerstörung deutscher Kultur wie keinem an anderen versammelt: In Dresden
Hier sollten wir des Schicksals jener Millionen von Deutschen gedenken, für die das Kriegsende keine Befreiung war.«
Die Deutschen waren demgemäß so unschuldig wie ihre Opfer, vor allem Juden, gehörten ebenso
einem unterlegenen Volk an, ahnungslos und indoktriniert hätten sie gekämpft für das Vaterland,
Pauschalurteile – wer wollte dem schon widersprechen – seien nicht angebracht und dann läuft es
darauf hinaus, eine Kollektivschuld-Vorwürfe abzuwehren, die niemand erhebt, ein famoses
Verfahren, das Günther Anders schon als eines erkannt hatte, das darauf abzielt die
Kollektivunschuld unter dem Strich herauskommen zu lassen. Behauptungen wie die, die offiziellen
Zahlen – ich hatte einige davon zitiert – seien unter Verschluß, sind leicht zu widerlegen, indem man
sie zitiert. Daß die ach so unschuldigen Deutschen gestorben sind, weil sie Deutsche sind, so wie
die Juden, weil sie Juden sind, ist dann wohl die dreisteste der Projektionen. Ähnlich wie Täter und
Opfer in Bitburg geehrt werden sollten, so werden die Opfer der Deutschen mit den Toten der
Luftangriffe gleichgesetzt. Da das nicht so ohne Weiteres geht, wenn man sich an die Wirklichkeit
26 Die Homepage ist zu finden unter der Adresse http://home.broadpark.no/~aduus/Dresden1/dresden1.html
hält, müssen an der Realität einige quantitative und qualitative Veränderungen vollzogen werden.
Wirklichkeit und Bild sind im Folgenden an zwei Punkten zu konfrontieren.
Überhöhte Zahlen
Von den zahlreichen Autoren, die über die Zerstörung Dresdens schrieben, war es ausgerechnet
Geschichtsfälscher David Irving, der in einem Prozeß unterlag, den er gegen Deborah Lipstadt
anstrengte, derjenige, der die meiste Aufmerksamkeit auf sich zog. Genauer als in diesem Fall ist
wohl noch nie jemand das Geschichtsfälschen nachgewiesen worden. Das Problem ist, daß das
Buch schon längst seine Wirkung gehabt und dessen Inhalt wie ein Gerücht sich fortpflanzt und in
den Köpfen festgesetzt hat. Hier finden wir alle Legenden bereits vorgearbeitet, so daß darauf
genauer einzugehen lohnt. Mittlerweile hat sich Irving als Anhänger Hitlers demaskiert, der ein
Interesse hat die Taten klein zu reden, wie die Maßnahmen der Alliierten zu übertreiben. Und so
kommt er dem, was in den Deutschen denkt, entgegen und wurde so durch seine Arbeiten äußerst
wirksam. Daß er Engländer ist, wäre ja nur durch einen Juden zu toppen.
Die der Wirklichkeit am nächsten kommende Opferzahl von höchsten 35.000 hat Irving eine eins
vorgesetzt und log dreist:
»Die Deutschen haben einfach die erste Ziffer weggelassen, um die Zahl für die Russen annehmbarer zu machen, die behauptet hatten, das Bomberkommando sei keine besonders wirksame Waffe.«
Richard J. Evans erwiderte richtig, daß im Gegenteil die Russen eher ein Grund gehabt hätten, die
Zahl im kalten Krieg aufzubauschen und daß es keine Beweise gäbe, daß die erste Stelle
weggestrichen wurde. Aber das reichte ja Irving noch nicht. Gegenüber dem »Stern« äußerte er, es
sei
»interessant zu sehen, wie die Zahl der Luftkriegstoten stetig wuchs, wie man es erwarten konnte.« »Ist das nicht imponierend?«
Da waren bei ihm nun die Zahlen schon auf 200.000 angewachsen. Besondere Bedeutung hatte
ein Dokument, von dem Irving eine Kopie besaß mit dem Titel »Der höhere SS und Polizeiführer
Dresden: Tagesbefehl Nr. 47«, das einem Oberst Grosse zugeschrieben wurde, das sich als Auszug
aus der Schlußmeldung des Dresdener Polizeipräsidenten ausgab. Allerdings hatte schon 1955 Max
Seydewitz, früherer Bürgermeister von Dresden das Dokument als Fälschung abqualifiziert und
Irving hatte selber die Einschätzung 1963 akzeptiert und als raffinierte Propaganda bezeichnet.
Da Irving wegen des Prozesses gezwungen war, den Anwälten des Prozeßgegners die
Privatkorrespondenz und die Notizen für seine Forschung zugänglich zu machen, hatte der
Gutachter Evans einen guten Einblick in dessen Arbeitsweise. Seine indirekte Quelle war ein Dr.
Max Funfack, der Irving allerdings einen entrüsteten Brief schrieb, in dem er betonte, er hätte
Zahlen nur von dritter Hand erfahren und diese differierten erheblich, er sei auch gar keine
Standortsarzt gewesen, sondern nur Urologe im Lazarett und er betont:
»Ich kann also keinerlei verbindliche Aussagen über die Zahl der Toten machen, sondern nur das wiedergeben, was mir berichtet wurde.«
Irving hatte das Dokument von Walter Hahn bekommen, der mit Funfack befreundet war und
ohne dessen Wissen eine Abschrift angefertigte hatte. Irving log gegenüber dem RAF-Historiker
Noble Frankland, er habe das Dokument von Funfack erhalten, der während des Krieges
Standortarzt gewesen sei. Das wirkliche »Original« war selber eine Fälschung und enthielt ganz
einfach Zahlen, mit den Goebbels die Korrespondenten der Auslandspresse in Berlin fütterte und
die in Auslandssendungen der Nazis auftauchten. Irving war also einer Abschrift eines Dokuments
27 Dok. 142: Zeitungsausschnitt aus dem Daily Sketch, 29. April 1963 cit. bei: Richard J. Evans, Der
Geschichtsfälscher. Holocaust und historische Wahrheit im David-Irving-Prozeß, Frankfurt a.M. 2001, S. 196
28 a.a.O. S. 200
29 DJ 35. Max Funfack an Irving 19. Januar 1965 cit. bei Evans a.a.O. S. 201
aufgesessen, das Aktivitäten des Goebbelschen Propagandaministerium entsprang. Die Zahlen sind
absurd. Die Bergung von 200.000 bis 250.000 Leichen in einem Monat hätte mehr Personal und
Transporter gekostet als vorhanden waren. Und Irving wurde von Theo Miller, der dem
Räumungsstab angehörte, mitgeteilt, daß
»alle aufgefundenen Leichen entweder bestattet oder auf dem Altmark verbrannt wurden«
Und er zeigte auf, daß so große Mengen in der Zeit zu bergen, wie Irving behauptete, technisch
nicht möglich wäre.
Irving mußte, nachdem der – von mir schon zitierte – Schlußbericht auftauchte einen
demütigenden Rückzieher machen, der entsprechende Leserbrief erschien in der »Times«. Aber der
Mythos hatte sich schon genügend verbreitet. Evans zitiert L.A. Jackson, Chefhistoriker des
britischen Luftministeriums nach dem Erscheinen des Leserbriefes von Irving:
»Es ist praktisch unmöglich, einen Mythos dieser Art zu zerstören, wenn er sich erst einmal ausgebreitet hat und vielleicht in anderen Büchern auf der ganzen Welt gedruckt worden ist.«
Aber Irvings Widerrufung war so vorbehaltlos nicht. Er bestritt weiterhin, daß die Polizei eine so
große Anzahl wie 18 375 Leichen gezählt haben könne, allerdings daß sie 202 040 Tote zählen
könne, daran hatte er seltsamerweise keinen Zweifel gehabt. In der deutschen Neuauflage 1967
spielte der »Tagesbefehl 47« immer noch eine herausragende Rolle wie in der englischen Ausgabe
1966 und die überhöhte Zahl von 135.000 war auch nicht revidiert. In der englischen Ausgabe von
1971 wurden die erbetenen Änderungen nicht gemacht, die Zahl wurde lediglich auf 100.000
reduziert und der gefälschte »Tagesbefehl 47« war immer noch im Anhang enthalten. Nun fiel Götz
Bergander eine Abschrift des wirklichen Dokuments in die Hände, die Werner Ehlich hatte. Dort
betrug die Zahl der Todesopfer 20204, die Zahl der erwarteten Opfer 25000 und die der kremierten
Leichen 6865. Offenbar hatte jemand, vermutlich aus Goebbels Propagandaministerium hinter jede
der Zahlen eine Null angehängt. Erst 1977 rang sich Irving durch, die Fälschung als Fälschung
zuzugestehen. Nur hielt er weiterhin an höheren Zahlen fest. Er vergrößerte sogar die eigenen
Zahlen. Aus einer ständigen Bevölkerung Dresdens von 650.000 Einwohnern und hundertausenden
von Flüchtlingen wurden dann eine bis zwei Millionen Flüchtlinge. Den Zuwachs bezeichnet Evans
zurecht als Produkt der Phantasie. Bergander ermittelte eine Zahl von rund 200.000 Flüchtlingen.
Friedrich Reichert, ein Dresdner Historiker, wies nach, daß die Einwohnerzahl wegen der
abwesenden Frontsoldaten nicht 650.000, sondern 567.000 betragen hatte und addierte 100.000
Flüchtlinge dazu, was ja schon eine beträchtliche Zahl ist, aber weit von 2 Millionen entfernt.
So viel zu den Totenzahlen. Überhöhte Zahlen kursieren eh und je, teilweise finden sich in ein
und derselben Tageszeitung gleich drei abweichende Zahlen.
Die Legende von den Tieffliegern
Waren die Zahlen, mit der man hantierte, übertrieben, so kommen wir jetzt zu den reinen
Phantasieprodukten, die Erzählungen und Augenzeugenberichte von Tieffliegerangriffen auf
Dresden und Umgebung.
Einen ersten schriftlichen Beleg solcher Legenden zitiert Helmut Schnatz, dessen gründliche
Arbeit ich zur Grundlage meiner Argumentation genommen habe. Es handelt sich um einen Brief,
den der Leiter der Quäker-Hilfe Carl J. Welty in Koblenz am 10. 2. 1947 an seine Frau schrieb.
«Es gab drei schwere Luftangriffe in einer Nacht (sic)… Diejenigen, die in die wenigen Parks flohen, um den Flammen zu entkommen, wurden von Tieffliegern mit Maschinengewehren beschossen (machineguned by low-flying airplanes). Harry sagt, er wolle versuchen, zutreffende Zahlen und Fakten über Dresden zu erhalten, weil
30 Cit bei Evans a.a.O. S. 214
31 Cit. bei Evans a.a.O.
dies das schrecklichste Beispiel eines Massenmords aus der Luft ist neben Hiroshima und dieser anderen japanischen Stadt, was im Krieg vorkam.«
Dies bezeugt, daß Gerüchte über ungewöhnliche Umstände bei den Angriffen schon kurz danach
kursierten.
Im Merian-Heft Dresden vom Juni 1949 findet sich schon gedruckt gelogen eine frühe Erzählung.
»… Auf den Strom der Flüchtlinge, der sich in den Großen Garten ergoß, wohin sich auch die Tiere aus dem benachbarten Zoologischen Garten flüchteten, machten englische und amerikanische Flieger ebenso wie auf den Elbwiesen in Tiefangriffen mit Maschinengewehren Jagd.«
Hier sind schon die Elemente der Legende versammelt, die alsbald immer wieder auftauchen, die
Lokalisierung, die Vorstellung von Menschenjagden mit Flugzeugen und Bordwaffen und die
Verwerflichkeit solcher Kriegshandlungen wird schon angedeutet. Übertroffen wird diese
Darstellung in dem zuerst im »Grünen Blatt« erschienen vermeintlichen Tatsachenbericht »Der Tod
von Dresden« von Axel Rodenberger, der dann als Buch herauskam. Der Ullsteinverlag war sich
nicht zu blöd, das von massenhaften sachlichen Unrichtigkeiten nur so strotzende Buch doch
tatsächlich 1995 wieder aufzulegen, immerhin aber mit einer distanzierenden Bemerkung im
Nachwort, was die historische Richtigkeit der Tieffliegerangriffe angeht. Die Anschaulichkeit der
Darstellung steigert sich in der Legendenbildung immer mehr, die Fülle von Details suggerieren
Authentizität:
»Eine Steigerung des Entsetzlichen war kaum noch denkbar. Und doch stieg noch das Grauen. Im Tiefflug brausten Jagdbomber das Elbtal entlang, über die Elbwiesen hinweg. Ihre Bordkanonen und Maschinengewehre sprühten feurige Garben in diese dunklen Flächen hinein. Wie Perlenschnüre glitzerten die langen Reihen der Leuchtspurmunition, bis sie im Dunkel verschwanden… Die noch Lebenden bewegten sich nicht … Und die Bordkanonen bellten. Die Maschinengewehre ratterten. Wieder – wieder – wieder! In steiler Kurve wendeten die huschenden Schatten. Erneut sprühte das Feuerwerk der Vernichtung. Durch die feuerspeienden Schatten fielen die Bomben neuer Verbände. Kein Zufallstreffer wischte einen der huschenden Schatten hinweg. Sie flogenunbeirrt und kehrten zurück. Wieder – wieder – wieder!«
Noch dreister ist die Darstellung von Karl Bartz:
»Drei Stunden später (nach dem ersten Nachtangriff, d. Vf.) schlug das Verhängnis wieder zu. Wieder erschienen 1000 Bomber, diesmal im Tiefflug (Hervorhebung des Verfassers) und warfen in die Menschenmenge Spreng- und Splitterbomben, und dann schlossen sie mit Bordwaffen in die sich windende Menschheit!«
Die Bomber flogen nämlich in Höhen zwischen 6930 und 2310 Metern. Und wären sie tiefer
geflogen, dann hätten die Bombenschützen nicht gleichzeitig in den MG-Türmen sich befunden
haben können, um schnell mal ein paar Leute abzuknallen.
In der DDR war die Literatur auch nicht besser, Max Seydewitz umfangreiches Werk
kommentierte den zweiten Angriff:
»Dieselben Herren, die dem Rundfunksprecher in London den Auftrag gegeben hatten, den Menschen in dem brennenden Dresden zu empfehlen in den Großen Garten zu gehen, dieselben Menschen beauftragten ihre Bombengeschwader, über den Großen Garten zu fliegen und dort auf die hilf- und schutzlosen Männer und Frauen, Kinder und Greise ihre Bomben abzuwerfen, über sie glühenden Phosphor auszugießen und schließlich die trotz Bomben und Phosphorbränden noch nicht Umgekommenen mit Bordwaffen abzuschießen.«
Und in Bezug auf den dritten Angriff:
32 cit..bei Helmut Schnatz, Tiefflieger über Dresden? Legenden und Wirklichkeit, Köln, Weimar, Wien 2000, S. 7, der
erwähnte Harry ist sein Mitarbeiter Harry Pfund.
33 Fritz Löffler, Das heutige Stadtbild. In: Heinrich Leippe (Hrsg.), Merian Dresden, Hamburg 1949 S. 59 cit. bei
Schnatz a.a.O. S. 7
34 Axel Rodenberger, Der Tod von Dresden, berlin 1952, S. 128 cit. bei Schnatz a.a.O.S. 8
35 Hans Rumpf, Der hochrote Hahn, Darmstadt 1952, S 349 cit. bei Schnatz S. 9
»Und wieder gab es Tote und Verwundete, brennende und zusammenstürzende Häuser, Entsetzen und Verzweiflung. Dann folgen die Flieger über die Elbwiesen, die schwarz von Menschen waren, die sich aus der brennenden Stadt gerettet hatten, und schossen dort im Tiefflug am hellichten Tag in die Menschen hinein«
So aufbereitet drang die Legende 1959 auch in die wissenschaftliche Literatur ein, in Maximilian
Czsesanys Dissertation »Der Luftkrieg 1939-1945«. Die Formulierungen deckten sich im Wortlaut
und Darstellung mit den schon zitierten. Und Anfang der 60er Jahre übernahm David Irving, den
wir schon als Geschichtsfälscher kennengelernt haben, die Sache publizistisch. In der »Neuen
Illustrierten« erschien ein Bericht von 35 Folgen, der so erfolgreich war, daß er 1964 als Buch
herauskam. So war die Tieffliegerlegende so sehr in den Köpfen, daß man mit Tatsachen und
Beweisen sie nur noch schwer erreicht. Irving wiederholte allerdings nicht die Legenden über
nächtliche Tieffliegerangriffe, wohl weil er gewissen Kenntnisse in die technischen Möglichkeiten
der geflogenen Flugzeuge hatte, sondern bezog sich auf die angeblichen amerikanischen
Tiefangriffe:
»Aber es sind nicht die Bomber, die diesen Angriff so schrecklich machten, … Es sind die Begleitjäger vom Typ Mustang. Sie haben den Befehl (Hervorhebung des Verfassers), die Verwirrung auf den Ausfallsstraßen bis zur Panik zu steigern. …«
»In den Krankenwagen, die mit großen, weithin sichtbaren roten Kreuzen versehen sind, liegen zahlreiche Schwerverwundete. Als die Tiefflieger angreifen, halten sie es in dem Wagen nicht mehr aus …. Vor uns steht ein offener Lastwagen. Auf seine Ladefläche liegen schwerverwundete Soldaten. Die Fliegen schießen aus allen Rohren mit Bordwaffen. …. Und immer wieder kehren die Maschinen zurück, nehmen alle Wagen auf den Elbwiesen unter Feuer … Wie auf den Elbwiesen, so ist es auch im Großen Garten, so ist es vor allem auch in den Außenbezirken der brennenden Stadt an der Elbe, wo sich die endlosen Kolonnen der Treckfahrzeuge vorwärtschieben. Das sind die , Truppenverbände´ und , Marschkolonnen´, die nach den Berichten der Piloten angegriffen werden sollen.«
Irvings Darstellung suggerierte Wissenschaftlichkeit, indem er auf angebliche Befehle, beteiligte
Einheiten, genaue Uhrzeiten, technische, fliegerische und organisatorische Details abhob. Und
selbst nachdem bereits 1977 Götz Berganders seriöse Arbeit über den Luftkrieg über Dresden
Zweifel an der Existenz von Tiefangriffen erhoben hatte, wurde die Erstauflage 1990 und 1995
unverändert nachgedruckt. Die Legenden wurden immer wieder zitiert, gingen in
Nachschlagewerke ein, wurden zu den Jahrestagen in den Tageszeitungen und in Fernsehserien
wiederholt. Es könnten unzählige Belege gebracht werden, ich verweise auf die detaillierte
Darstellung von Helmut Schnatz.
Eines haben dies Darstellungen gemeinsam, sie zeigen, daß die »Zeugen« gar keine klaren
Vorstellungen hatten, was Tiefflieger und Tiefangriffe sind. Die Bilder, die über die Wirklichkeit
dominieren, stammen aus Propagadafilmen wie »Kampfgeschwader Ätzow«. Dort werden die
deutschen Bordschützen glorifiziert, sie würden Polen mit Bordwaffenbeschuß verjagen und so
genau treffen, daß keine Volksdeutschen in Gefahr geraten. Das ist allerdings schier unmöglich, wie
soll man mit einem mit 200-300 km/h fliegenden Flugzeug einzelne Personen ausmachen. Die
deutschen Wochenschauen zeigen Bilder, wie aus Bugkanzeln von Bombern (He 111 oder Ju 88)
aus niedriger Höhe auf gegnerische Fahrzeugkolonnen mit Maschinengewehren gefeuert wurde
Solche Tiefangriffe waren selten, zumal die niedrig fliegenden Flugzeuge ein schönes Ziel für die
Flak-Verteidigung boten. Schnatz beschreibt die am häufigsten und erfolgreichsten Tiefangriffe
folgendermaßen, es greifen
»ein- oder zweimotorige Jäger oder Jagdbomber, also kleine, sehr schnelle und wendige Flugzeuge« mit »Bordwaffen, also schweren Maschinengewehren oder Maschinenkanonen« an. Unter Jagdbomber sind zu verstehen: »Jagdflugzeuge, die speziell dafür ausgerüstet sind, auch Raketen oder ein oder zwei Bomben kleinen Kalibers (insgesamt 100 lb. = 453 Kg) mitführen zu können und die in Frontnähe gegen Ziele am Boden eingesetzt werden. Haben sie Bomben abgeworfen, können sie mit Flugeigenschaften wie Jagdflugzeuge gegnerische Flugzeuge angreifen oder sich gegen sie verteidigen. Solche Flugzeuge waren nicht an den
36 Max Seydewitz, Zerstörung und Wiederaufbau von Dresden, Berlin (Ost), 1955, S. 79
37 David Irving, und Deutschlands Städte sterben nicht, Zürich 1964
Luftangriffen auf Dresden am 13. und 14. Februar beteiligt, obwohl das in den zahlreichen Aussagen immer wieder gesagt wird.«
Die Maschinengewehre oder leichten Kanonen von Jägern und Jagdbombern waren starr im
Rumpf oder den Tragflächen eingebaut, so daß das Ziel mit dem gesamten Flugzeug anvisiert
werden mußte, so daß sie in gerader Linie genau auf das Ziel zuflogen und das hatte in einer
Mindesthöhe von 200 bis 300 Metern zu erfolgen, wenn man sich nicht in einen Kamikazeflieger
verwandeln wollte. Und aus so einer Höhe muß ein Ziel überhaupt erst einmal erkannt werden.
Tiefangriffe, die dicht über den Dächern oder in Häuserhöhe erfolgen, sind technisch mit
Bordwaffen gar nicht möglich. Ein Ziel von 2×2 m wirkt im Visierkreis des Zielgeräts wie eine
Briefmarke. Überhaupt etwas zu treffen ist selbst für geübte Piloten schwer. Man hat etwa 1,5
Sekunden Zeit zum Zielen und treffen, so daß allerhöchstens ein Ziel getroffen werden kann. Die
Schilderungen von rauschhaften, frischfröhlichen, übermutigen, waghalsigen Aktionen, »Germans
in Rudeln zu jagen« sind nicht einmal denkbar, da es sich um gefährliche Flugmanöver handelt, die
Beherrschung des Flugzeugs, Selbstkontrolle, höchste Konzentration erfordern. Das Stereotyp: »Sie
schossen auf alles was sich bewegte« entsprach überhaupt nicht der Wirklichkeit von Tiefangriffen.
Wenn Tiefflieger auftauchten, erstarrte alles oder man, sah zu Züge oder Fahrzeuge zu verlassen.
Geschossen wurde höchstens auf alles, was man überraschen konnte. Aber nun mal nicht in
Dresden.
Helmut Schnatz weist detailliert nach, welche Rahmenbedingungen notwendig gewesen wären,
damit Tiefangriffe hätten möglich gewesen sein können. Jede einzelne fehlende Bedingung macht
für sich genommen solche Angriffe technisch unmöglich. Zu den angebliche Tiefangriffen bei
Nacht ist zu sagen: Die Lancaster Bomber scheiden für die Annahme von Tiefangriffen von
vornherein aus. Der Mosquito dagegen war ein kleines und wendiges Flugzeug, käme also
grundsätzlich in Betracht. Der Typus, der als Markierungsflugzeug eingesetzt wurde besaß keine
Bordwaffen und kam dafür insofern nicht in Frage. Andere Typen wären für die Fernnachtjagd im
Prinzip möglich. Diese erschienen ab Winter 1943/44, um die Einflüge der Bomber abzuschirmen.
Man wußte, daß durch die Benzinknappheit, Treibstoff bei den Deutschen sparsam eingesetzt
werden mußte, so daß es keine zwei größere Nachtjagdeinsätze der Deutschen hätte geben können.
Der Schwerpunkt des Einsatzes lag also in der ersten Operation. Allerdings waren die meisten
Einsätze dieser Flugzeuge nicht im Ostbereich, sondern in der Westhälfte des Reiches. Schnatz geht
einige Möglichkeiten durch, eine Gruppe von Squardronen ließ sich leicht ausschließen:
»Scheidet man … alle die Mosquitos aus, die aus Gründen des Einsatzraumes für Tiefangriffe in Dresden nicht in Betracht zu ziehen sind, so zeigt sich, daß sie gleichzeitig auch aus Gründen der Flugzeitangaben hierfür nicht in Betracht kommen. Aus dem Flugzeitendiagramm für die Nacht des 13. /14. Februar 1945 (…) geht klar hervor, daß fast alle Mosquioto- Nachtjäger so frühzeitig in England landeten, daß für sie die Zeitspanne zwischen dem zweiten Angriff auf Dresden (nach dem ja dann die Tiefangriffe stattgefunden haben sollen) und der Landezeit in England für den Rückflug viel zu kurz gewesen wäre – mit anderen Worten, diese Flugzeuge scheiden in jedem Fall für Tief aus.«
Für andere Typen stellt Schnatz komplizierte Berechnungen der Flugzeiten an, am Maßstab der
Flugzeiten der Markierungsflieger und gemäß der erzielbaren Geschwindigkeiten. Die Mosquitos
waren allesamt auf dem Rückflug, als der erste Angriff schon lief. Fazit:
»Aus den britischen Einsatzaufträgen, Flugdaten und -strecken wie aus den deutschen Luftlagemeldungen ergibt sich damit, daß es keine britischen Tiefangriffe mit Bordwaffen gegeben hat. Auch die Markierer kommen nicht in Frage, da die von ihnen geflogenen Bomberversionen, wie schon erwähnt, keine Maschinengewehre und – kanonen besaßen.«
Schnatz geht aber noch weiter und nimmt hypothetisch Tiefangriffe an, die durch Piloten
erfolgten, die von ihrem eigentlichen Auftrag abwichen, wie das ein Leserbrief in der FAZ meinte
behaupten zu dürfen. Die 6 Flieger, die nichts zu tun gehabt haben sollen, hätten dann dieser
38 Schnatz, a.a. O. S. 39
39 Schnatz a.a.O. S. 54
40 a.a.O. S. 61
Argumentation zufolge im »Rausche des Mordens« ihre eigenen Ziele gesucht. Dann aber bleiben
immer noch die atmosphärischen Bedingungen und ihre Auswirkungen auf die Flugzeuge. Vor
allem die Feuerstürme und Flächenbrände machten Tiefangriffe dort generell unmöglich:
»Selbst wenn also einzelne Nachtjäger unmittelbar über Dresden geflogen wären, so wären sie schlichtweg lebensmüde gewesen, sich mit ihren leichten Maschinen hinunter in die Hölle zu stürzen,die am Boden und natürlich auch in Bodennähe in den Höhelagen der Tiefflieger raste.«
Es sei also die Zusammenfassung der Argumentation zitiert:
»Wie sich aus der Untersuchung ergibt, sind die behaupteten Tiefangriffe in der Nacht Phantasmagorien, geboren aus dem Schrecken einer urplötzlich hereingebrochenen unerwarteten Katastrophe gigantischen Ausmaßes. Von den Hunderten von Flugzeugen, die die britische Luftwaffe in der Nacht des 13. /14. Februar 1945 gegen Deutschland fliegen ließ, war nur ein sehr kleiner Teil, nämlich Maschinen des Typus Mosquito, in der Lage, Tiefangriffe der Art, wie Literaten und Augenzeugen sie behaupten, zu fliegen.
Von den Mosquitos wiederum war
= der weitaus überwiegende Teil nicht gegen Dresden selbst, sondern räumlich weit davon entfernt eingesetzt und
= ist auch nicht dorthin geflogen;
= von denjenigen, deren Auftrag der Schutz der Bomberverbände auf ihrem Weg nach und von Dresden war,
scheitet ein weiterer Teil
= aus Zeitgründen aus;
= diejenigen, die danach noch verbleiben könnten, kommen nicht in Frage, weil ihre Flugstrecke in dieser Nacht
nicht weit genug oder
= ihre Flughöhe zu hoch und
= ihre Tätigkeit, wie einwandfrei dokumentiert, eine andere war als Tiefangriffe.
= Selbst wenn die wenigen – insgesamt drei – Piloten, die in Frage kämen, es gewollt hätten, die Auswirkungen des
Feuerorkans, der in und um Dresden tobte, hätten ihnen eine Ausschau nach Zielen in Gestalt von Personen am
Boden und ein Fliegen, wie es die Taktik des Tiefangriffs erfordert, schlichtweg unmöglich gemacht.«
Amerikanische Tiefangriffe erscheinen prima facie plausibler, allerdings richteten diese – wo sie
tatsächlich stattfanden – gegen andere Ziele. Auf Züge, die wegen Treibstoffmangel das wichtigste
Transportmittel der Wehrmacht waren. Daher wurden zusätzlich Wagen mit Flak-Geschützen
angehängt und die ersten Wagen blieben als Schutzwagen leer. Weitere Ziele waren
Schiffstransporte und seltener der militärische und zivile Straßenverkehr. Dies betraf allerdings
mehr das offene Land, wo mit leichter Flak gerechnet wurde, große Städte wurden gemieden,
wegen der Flak-Konzentration. Des weiteren hätten auch die Auswirkungen der britischen und
amerikanischen Luftangriffe und die Wetterbedingungen ein Tiefangriff entgegengestanden. Die
Sicht war nicht nur in großer Höhe, sondern auch am Boden so schlecht, daß Tiefangriffe
Kamikaze-Flüge gewesen wären. Tiefangriffe über Dresden wären unverantwortlich, leichtsinnig
gegenüber den eigenen Leuten gewesen. Schnatz vergleicht das, was die Piloten hätten leisten
sollen mit den Kunstflügen 1988 über der US-Air Base in Ramstein, bei der neun Flugzeuge im
Tiefflug kollidierten. Und das aber waren Piloten, die ihr Programm immer wieder eingeübt hatten.
Zusammenfassend zu den angeblichen Tiefangriffen bei Tage schreibt Schnatz:
= »Entgegen Seydewitz, Irving und anderen ist festzuhalten, daß es keine Befehle gegeben hat, mit Tiefangriffen die Dresdner Bevölkerung zu terrorisieren, sondern daß nur auf dem weiteren Rückweg und nur unter der Bedingung Tiefangriffe erlaubt waren, daß keine Jäger erschienen waren oder erwartet wurden,
= daß diese Bedingung im Fall Dresden nicht gegeben war, sondern daß dort und in der weiteren Umgebung vor,
während und nach dem Angriff Luftkämpfe im Gang waren,
= daß demnach der Operationsrahmen, aber auch Operationsverlauf für Tiefangriffe am Ziel keinen zeitlichen
Spielraum ließen,
41 a.a.O. S. 67
42 a.a.O. S. 69
= daß die schnelle Entwarnung ohne Vorentwarnung in Dresden nach den letzten Bombenwürfen beweist, daß der Luftraum Dresden nach der Bombardierung tatsächlich zügig geräumt wurde,
= daß dieser Umstand auch von der Luftlagereportage des deutschen Flugmeldedienstes bestätigt wird,
= daß die Treibstoffsituation wegen der Wetterlage und der Operation in der Nähe der Reichweitengrenze Tiefangriffe auf Dresden riskant machte,
= daß Tiefangriffe zwar tatsächlich, aber erst dann geflogen wurden, als die Abwehrlage für die US-Jäger geklärt und die amerikanische Streitmacht mitsamt ihren Begleitjägern schon weit von Dresden entfernt war,
= daß es wegen der Koinzidenzen der deutschen und amerikanischen Überlieferungen keinen Grund zur Behauptung gibt, die amerikanischen Piloten hätten ihre Tiefangriffe auf Dresden in ihren Berichten verschwiegen
und
= daß es die behaupteten Menschenjagden in den Straßen und auf den Grünflächen Dresdens am 14. Februar nicht gegeben hat.«
Nun darf man sich den Vorwurf der Projektion nicht so einfach machen, zur Projektion bedarf
es immer eines epistemischen Korrelats, das Projektion ermöglicht und Bedingungen, die die
Neigung zur Projektion bedingen. Die SD-Berichte der SS sprechen des öfteren von Gerüchten,
die auf mangelnder Information und bewußter Desinformation beruhen. Ein Beispiel:
Karl-Heinz Mistele zeigte in einem Aufsatz anhand von ähnlichen Kriegsgerüchten, die in
verschiedenen Städten Deutschlands auftauchten, daß sie allesamt strukturell der Geschichte
von »Hildebrand und Hadubrand« nachgebildet sind, der Sage vom Sohn der Stadt, der auf
feindlicher Seite kämpft. In einem Fall soll es ein jüdischer Emigrant namens Walter gewesen
sein, der nachts über Bamberg fliegend der Versuchung widersteht Bomben auf die Stadt
abzuwerfen; die selbe Geschichte soll dann in Heilbronn ähnlich sich zugetragen haben, mit
dem emigierten Juden Oppenheimer, der sich durch Mosquito-Störangriffe an den Heilbronnern
rächte und die gleiche Geschichte findet sich dann in Oberlahnstein, anders variiert in Fulda und
sicher an vielen anderen Orten. Alles nach dem literarischen Vorbild, das in der deutschen
Literatur im 9. Jahrhundert beginnt und tradiert wurde. Es ist – auch antisemtischen – Wahn,
aber hat System.
Wehrmachtsberichte im Winter 1944/45 suggerieren, daß Tiefangriffe sich hauptsächlich gegen
die Zivilbevölkerung richteten. Entsprechend waren die Erwartungen, das Moment der
Projektion steckt ja bereits in einem nicht-pathologischen Sinne in jeder Wahrnehmung. Unter
extremen Bedingungen vermengen sich die Wahrnehmungen, die zeitlich verschoben
stattfinden. Schnatz weist darauf hin, daß die Tiefflieger-Legende auch mit der Intensität und
Modulierung der Motorengeräusche zusammenhängen könnte., die Motorengeräusche hörten
sich ungewöhnlich an, so daß wirklich der Schein von Tiefangriffen entsteht. Dazu kommt, daß
die Dresdner mit Luftkriegshandlungen gar keine eigene Erfahrung hatten und schwer psychisch
traumatisiert waren. So war so schon die Wahrscheinlichkeit groß, daß äußere Vorgänge anders
aufgefaßt und erlebt wurden als sie objektiv beschaffen waren. Eine Vielzahl von Geräuschen
affizierte die Menschen. Die Feuerstürme gehen mit einem Prasseln und Knattern einher, aus
den überreizte Nerven leicht das von der Propaganda suggerierte und somit erwartete
Bordwaffenfeuer machen, Explosionen, wie die eines Munitionszuges im Bahnhof Neustadt
könnten auch ähnliche Eindrücke erzeugen. Die Luftkämpfe am Tage im Elbtal taten ein
Übriges. Und die Kommandobehörden der Wehrmacht richteten ja an ihre Flugzeugführer das
Verbot
»durch zu starkes Drücken der Maschinen den Eindruck eines Sturzangriffes entstehen zu lassen. Sie müssen bei Flügen unter 500m alles vermeiden, was zur Verwechslung mit einem Tiefangriff führen könnte.«
43 a.a.O. S. 123
44 Karl-Heinz Mistle, Kriegsgerüchte. In: Lebendige Volkskultur, Festgabe für Elisabeth Roth zum Geburtstag,
Bamberg 1980, S. 151
45 Stellvertretendes Generalkommando XII. A.K. (Wehrkreiskommando XII), Schutz deutscher Flugzeuge gegen Beschuß durch eigene Truppen über deutschen Hoheisgebiet, 1. 9. 1941, Barch-MArch RW 17/63 cit. Schnatz S.
Dies sollte dem Schutz gegen Beschuß durch eigene Truppen dienen, etwa daß Flak-Kanoniere
die eigenen Flugzeuge abschießen und wenn schon Fachleute keine Tiefflieger erkennen können,
wie Otto Normalvergaser.
Ein Stück weit erklären solche Phänomene die häufigen gleichlautenden Zeugenaussagen. Nur
gibt es wiederum auch gegenteilige realitätstüchtige Zeugenaussagen, die ich nicht
verschweigen möchte:
Werner Ehlich berichtet folgendes:
»Dem Abschießen von Menschen durch Bordwaffen steh ich mit Skepsis gegenüber. Ich habe den
Mittagsangriff im Gr. Garten mit selbst erlebt, an der Hauptallee unter einem Baum liegend; da zuckelten freilich Bündel von Stabbrandbomben auf uns nieder, aber keine eigentlichen Geschosse. Wie ein Wunder wurde ich nicht getroffen von einer Stabbrandbombe, die für mich greifbar wie ein Zauberbuquet niederging und sich ausbreitete. … Auch von Tieffliegerangriffen die Menschen – angeblich bergeweise – hinwegrafft (sic) ist mir polizeilich nichts bekannt geworden. Jedenfalls gehörte ich dem II. Polizeirevier (nebst Präsidialwache) an, das sich erstreckte zwischen Elbe – Güntzstr,. Pirnaische Str. und Schiessgasse. Meine Kameraden hätten sonst etwas davon erzählt.«
Christian Just wirkt als ein sehr genauer Beobachter:
»Den 2. Nachangriff erlebte ich im Freien, an der Südostecke der Kreuzung Albrechtstraße / Hans-Schemm-Allee (heue Blüherstraße) und Johann-Georgen-Allee (heute: Lingnerallee). Es war Ödland, auf dem man 1939 mit dem Bau eines ,Gauforums´ begonnen hatte. An jener Stelle hatte man mehrere Reihen von Sandsteinblöcken gelagert, zwischen denen meine Mutter und ich uns zunächst gesetzt, nach Ertönen der Alarmsirenen (weit weg, im Süden) hingelegt haben. Bei diesem Angriff registrierte ich einen Zusammenhang zwischen dem Geräusch der fallenden Bomben und deren Detonation: wenn der Ton hoch ansetzte, kam das Explosionsgeräusch aus ,weiter Ferne´; hörte man nur – ganz kurz – einen tiefen Ton, erfolgte die Explosion unmittelbar darauf und in nächster Nähe. Einmal prasselte dann danach die ausgeworfene Erde auf meinen Rücken; der dazugehörige Bombenkrater befand sich, wie ich am nächsten Morgen sah, in etwa 50-60 m Entfernung. Nach dem Bericht von Kreuzkantor Mauersberger sollen auf eben dieser Johann-Georgen-Allee bei diesem Angriff Tiefflieger auf die Menschen dort geschossen haben (Mauersberger war allerdings nicht selbst dabei und berichtete nur, was er von anderen gehört hat) (Einf. i. Orginal). Ich habe nichts dergleichen wahrgenommen. Viele Tote und Verwundete lagen am nächsten Morgen in diesem Gelände, aber es waren Bombenopfer (auch Bekannte von uns). Wann ich auf die Elbwiesen kam, kann ich nicht sagen, wir hatten keine Uhr dabei. … (Wir) waren … nach Überquerung der Albertbrücke auf der Neustädter Seite zu den Elbwiesen hinuntergegangen, Richtung Waldschlößchen. Dort waren auch einige Gruppen Soldaten mit Schaufeln u. ä. Angetreten. Auf einmal spritzten diese auseinander und warfen sich zu Boden (einer begann sogar, sich einzugraben). Wir taten es ihnen nach. Gesehen habe ich nichts, gehört nur die Bomber, das
Geräusch der fallenden Bomben und die Detonationen. Es schien mir aber alles weiter entfernt zu sein. Meine Mutter sagte mir allerdings, sie haben einen Bomben-Reihenwurf – etwa 120 m seitlich von uns – in die Elbe gehen sehen. Als die Soldaten aufstanden, taten wir es ihnen gleich. Eine Veränderung der Umgebung habe ich nicht festgestellt. Als wir dann vor dem Waldschlösschen den Hang hinaufgingen, fiel mir eine Reihe nicht zu tiefer Bombenkrater auf. Ich meinte damals, sie wären ganz frisch – also ein Ergebnis dieses Tagesangriffs-, ich war mir aber nicht sicher.«
Solche vorsichtigen Berichte sind überzeugender als diejenigen, die schon vorgeformt nur so
heraussprudeln und von Mal zu Mal gesteigert werden, wie manche es aus Lanzergeschichten
ihrer Eltern oder Großeltern kennen. Wenn nun Autoren wie Irving Mythen weiterhin
aufrechterhalten, die sie selber als »gefährliche Legende« der überhöhten Zahl der Opfer
bezeichnete, dann wissen sie was sie tun und das tun sie mit Stolz:
»Mir wurde klar, dass es in dem, was ich [über Dresden] erfuhr, um etwas ging, das wir heute wahrscheinlich als einen Holocaust bezeichnen würden, von dem wir Engländer damals, 1961, absolut nichts wussten. Natürlich spricht heute jedermann über Dresden im gleichen Atemzug wie über Auschwitz und Hiroshima. Das ist mein Verdienst, meine Damen und Herren. Ich bin ein wenig stolz, wenn ich jedes Jahr am 13. oder 14. Februar, am Jahrestag [der Luftangriffe], die Zeitungen lese, und dort steht etwas über Dresden, denn bevor mein Buch zu diesem Thema erschien, hatte die Außenwelt noch nie etwas über Dresden gehört, wo gegen Kriegsende bei
46 Brief von Werner Ehlich, Dresden, an Bergander vom 2.3. 1985 cit. Schnatz S. 33f
47 Brief von Christian Just, Freiburg i. Br. an Ver., 20.3. 1995 cit. Bei Schnatz a.a.O. S. 34
einem Luftangriff durch amerikansiche und RAF-Bomber auf eine unverteidigte Stadt in einer einzigen Nacht 100000 Menschen getötet wurden.«
Diejenigen Deutschen, die ein Interesse an der Unwahrheit haben, werden solche Botschaften in
sich aufsaugen. Und sie werden auch gern die Botschaft entgegennehmen, daß zwischen der
Bombardierung Dresdens und Auschwitz kein Unterschied bestünde, wie er explizit in einem
Interview sagte.
»INTERVIEWER: Juden an Gruben aufzustellen und mit Maschinengewehren niederzuschießen war also ebensoschlecht wie die Bombardierung Dresdens?
IRVING: Ich sehe da kaum ein Unterschiede«
Damit kann man Leuten helfen, ihre Lebenslügen aufrechtzuerhalten. Nun haben aber die
Deutschen das Morden nicht selber beendet und ohne den Krieg der Alliierten würden wir heute
noch in einem geistig umnebelten Zustand, mit gebeugten Rückrat arische Urlaute brüllen oder
schon längst in der Gaskammer gelandet sein. Das das nicht – nicht mehr, nie mehr oder noch nicht
– der Fall ist, dafür danke ich den Alliierten. Die Ressentiments, die heute nicht nur den ehemaligen
Kriegsgegner, sondern auch den Opfern oder deren Nachkommen entgegenschlagen, sprechen nicht
dafür, daß die Erinnerung an die NS-Vergangenheit bei den Nachkommen der Täter und denen der
Opfer konvergieren könnte. Und in diesem Sinne zitiere Jean Améry zum Schluß:
»Hält unser Ressentiment im Schweigen der Welt den Finger aufgerichtet, dann würde Deutschland
vollumfänglich und auch in seinen künftigen Geschlechtern das Wissen bewahren, daß es nicht Deutsche waren, die die Herrschaft der Niedertracht beseitigten. Es würde dann, so hoffe ich manchmal, sein vergangenes Einverständnis mit dem Dritten Reich als die totale Verneinung nicht nur der mit Krieg und Tod bedrängten Welt, sondern auch das eigene Herkommen begreifen lernen, würde die zwölf Jahre, die für uns andere wirklich tausend waren, nicht mehr verdrängen, vertuschen, sondern als seine verwirklichte Welt- und Selbstverneinung, als sein negatives Eigentum in Anspruch nehmen. Auf geschichtlichem Felde würde sich das ereignen, was ich vorhin hypothetisch für den engen individuellen Kreis beschrieb: Zwei Menschengruppen, Überwältiger und Überwältigte, würden einander begegnen am Treffpunkt des Wunsches nach Zeitumkehrung und damit nach Moralisierung der Geschichte. Die Forderung, erhoben vom deutschen, dem eigentlich siegreichen und von der Zeit schon wieder rehabilitierten Volke, hätte ein ungeheueres Gewicht, schwer genug, daß sie damit auch schon erfüllt wäre. Die deutsche Revolution wäre nachgeholt, Hitler zurückgekommen. Und am Ende wäre wirklich für Deutschland das erreicht, wozu das Volk einst nicht die Kraft oder nicht den Willen hatte und was später im politischen Mächtespiel als nicht mehr bestandsnötig hat erscheinen müssen: die Auslöschung der Schande.«
48 Videokassette 175: Irving im Elangani Hotel, Durban, Südafrika, 5. März 1986 cit. bei Evans, a.a.O. S.234
49 Videokassette 226: unredigiertes Material der Sendung »This Week«, 29. November 1991, cit. bei Evans a.a.O. S. 235
50 Jean Améry, Jenseits von Schuld und Sühne. Bewältigungsversuche eines Überwältigten. Stuttgart 1980 S. 124f
Warum Geschichtswissenschaft die denkbar ungeeignetste Methode ist, Auschwitz zu verstehen
Joachim Bruhn
„Die Diskussion ist absurderweise jetzt so: Waren die deutschen Judenmörder der Nazizeit a) untertänige autoritäre Opportunisten oder b) sadistische brutale antisemitische Mörder (oder beides?)? Es fällt mir auf, daß niemand darauf gekommen ist, daß sie wahrscheinlich untertänige autoritätshörige opportunistische sadistische brutale antisemitische Mörder waren. Die Fakten sprechen dafür. Und insofern Goldhagen einem noch die Wahl zwischen den beiden Möglichkeiten bietet, ist sein Buch inkomplett.“
Peter Zadek, Leserbrief, in: Die Zeit vom 23. 8. 1996
Vier Beweise und ein Schluß
„Keine Deutschen, kein Holocaust“: So klar und einleuchtend, so überaus evident
und plausibel ist Daniel Jonah Goldhagens These wie die zwar allemal beweisbare,
aber nicht sehr abseitige oder beweispflichtige Behauptung, ohne Henne kein Ei
und ohne Wolke keinen Regen, so sehr, daß, sollte überhaupt Diskussionsbedarf
bestehen, eher die hollywoodreife Titulierung der Massenvernichtung als
„Holocaust“, d.h. als sinnträchtiges Brandopfer, statt als „Shoah“ (Claude
Lanzmann) oder „Churban“ (Manès Sperber), zur Debatte stünde. Wer nicht von
den Deutschen sprechen mag, der soll von Auschwitz schweigen – das ist so wahr
wie der unter Historikern längst in Karteikästen begrabene Satz Max Horkheimers,
wonach, wer sich weigere, vom Kapitalismus zu reden, über den Faschismus sich
auszuschweigen habe. Das Problem mit den Deutschen besteht eben darin, daß sie
das Selbstverständliche leugnen, es zum Geheimnis und zum Gegenstand der
Wissenschaft machen. Eine pluralistische Gesellschaft verlangt nach vielen guten
Gründen für ihren Faschismus; einer allein wäre zu armselig, geradezu beleidigend
eindimensional, monokausal, deterministisch. Weil in Deutschland jedes Gefühl für
Logik und für die Einsicht in den Zusammenhang von Ursache und Wirkung
verloren ging, weil schon die Behauptung, ein derartiger Zusammenhang bestehe
nicht nur beim freien Fall des Apfels, sondern auch beim tendenziellen der
Profitrate, irgendwie exotisch erscheint und als höhere Philosophie, weil schon der
Versuch, wenn nicht strafbar, so doch verdächtig ist, sich einen strikten Begriff
vom Faschismus zu bilden, der den „Schein der Tatsachen“ durchdringt und nicht
nur eine so bienenfleißige wie krude Meinung über allerhand Daten und Fakten,
deren Konstitution Geheimnis bleibt, weil die deutsche Geschichtswissenschaft
daher vorgeben kann, sie betreibe Aufklärung über Geschichte statt Verklärung der
Nation, weil schließlich deutsche Historiker wie Götz Aly, denen noch niemand
vorgeworfen hat, sie seien hervorragende Dialektiker, gegen Goldhagen
einwenden, er vertrete einen „bewußt eindimensionalen, extrem deterministischen
Ansatz“ , weil sie das, was der Anfang aller Erkenntnis ist: die Suche nach dem
einen und identischen Grund, nach dem Wesen der Sache, als Determinismus
denunzieren – kurz und gut: weil die Deutschen, ihre Historiker in vorderster
Reihe, die elementaren Gebote der Logik verleugnen, um deutsch sein und bleiben
zu können, gerät die Aufklärung in eben die schiefe Lage und unglückliche
Konstellation, das Einmaleins noch einmal zu beweisen, d.h. Goldhagens
Argumentation zu legitimieren. Daß das Ganze mehr ist als die Summe seiner
Teile, obwohl es aus nichts anderem als eben diesen Teilen besteht, war ein
Lehrsatz der Philosophie, bevor sie durch den Positivismus guillotiniert wurde.
Daß „die Deutschen“ mehr und schlimmeres sind, als die Summe aller einzelnen
Deutschen, obwohl Deutschland aus nichts anderem als aus lauter Deutschen
besteht, ist die unbezweifelbare Konsequenz. Wo soll da ein Problem sein? Hans-
Ulrich Wehler etwa bezichtigt Goldhagen des „monokausalen Erklärungsversuchs
auf der Grundlage des dezisionistischen Aktes, einen Teil der Menschheit aufgrund
der ethnischen, rassistischen, naturalistischen, essentialistischen Zuschreibung des
permanent Bösen zu stigmatisieren“ . Schlimmeres als Stigmatisierung war, was
die Deutschen an den Juden verübten. Und darüber sollten sie nicht wirklich selbst
Die Seitenangaben in Klammern beziehen sich auf Daniel Jonah Goldhagen, Hitlers willige
Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust, Berlin 1996
1 Karl Marx, Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Bd. 3, Berlin 1973 (MEW 25), S. 95
2 Götz Aly, D. J. Goldhagen. Hitlers willige Vollstrecker. Rezension, in: Mittelweg 36. Zeitschrift
des Hamburger Instituts für Sozialforschung 6/1996, S. 48
zum Volk geworden sein, d h. sich nicht selbst aus der Menschheit ausgeschlossen haben?
Goldhagen sagt, der Antisemitismus sei erstens „die Normalwährung der deutschen
Gesellschaft“ (522) gewesen, er leitet daraus zweitens „das nationale Projekt der
Verfolgung und Ausrottung der Juden“ (513) ab, folgert drittens, „daß sich jeder
Deutsche zum Massenmörder eigne“ (543), und schließt viertens, die
Massenvernichtung sei in nichts anderem begründet als in dem „Willen zu töten“.
Alles in allem: „Die Deutschen konnten zum Massenmord nein sagen. Sie haben
sich dazu entschieden, ja zu sagen“ (446). Vier beweisbare Behauptungen und ein
logischer Schluß, an dem nichts zu deuteln ist. Wo ist das Problem?
Die erste beweisbare Behauptung, Deutschland sei eine durch und durch
antisemitische Gesellschaft (gewesen), ist evident. Man muß nur das Interview zur
Goldhagendebatte lesen, das der Erfinder der „Männerphantasien“, Klaus
Theweleit, der Badischen Zeitung (15.10.96) gab. Theweleit reißt die unter
Antisemiten aller Fraktionen so beliebten Namenswitze, nennt Goldhagen erst
einen „Goldjungen“, dann einen „guten Hagen, eben ein Goldhagen“, der nicht von
hinten, sondern „von vorne kommt, offen, sympathisch“. Außerdem hält Theweleit
die studentenbewegte Mischung aus Marxismus, Psychoanalyse und Kritischer
Theorie für ein ausgemacht „jüdisch-intellektuelles Rotwelsch“ . Wenn aber schon
jemand, der, wie unbegründet auch immer, so doch zur Fraktion der
Irgendwielinken gerechnet wird, derart ressentimentgeladen ist, wie muß es dann
erst um den Rest der Gesellschaft bestellt sein? – So und nicht anders argumentiert
Goldhagen, nämlich im korrekten Umkehrschluß von dem, was sich in Deutschland
für die Aufklärung und den Fortschritt hält, auf den Rest. So geht ihm gerade an
den Liberalen des 19. Jahrhunderts, an den Philosemiten auf, wie total der
Antisemitismus war; es waren „antisemitische Wölfe im Schafspelz“ (505). Die
Juden, die solche Freunde hatten, brauchten keine Feinde mehr.
Die zweite Behauptung, der Massenmord sei ein „nationales Projekt“ gewesen,
kann ebenfalls nicht strittig sein. Denn der Massenmord als Option von Herrschaft
3 Hans-Ulrich Wehler, Wie ein Stachel im Fleisch, in: Schoeps, a.a.O., S. 203 f. (zuerst in: Die
Zeit v. 14. 5. 96)
4 Klaus Theweleit, Das Land, das Ausland heißt. Essays, Reden Interviews zu Politik und Kunst,
München 1995, S. 150
ist ja nichts als der praktische Ausdruck dessen, daß der Staat als politischer
Souverän in letzter Instanz über das absolute Recht auf Leben und Tod verfügt.
Der Antisemitismus ist eine Ideologie, die diesen Tatbestand reflektiert und die die
Ausübung dieses Rechts durch den Souverän antizipiert. Und was soll der
Faschismus anderes gewesen sein als das amtliche Endergebnis der aus ihrer
eigenen Logik wie Konstitution entspringenden Transformation der bürgerlichen
Gesellschaft in ein „Volksgemeinschaft“ genanntes und arbeitsteilig am gleichen
Vernichtungsprojekt arbeitendes Mordkollektiv? „Es gibt zwei Dinge“, so wußte
Hitler schon 1923, „die die Menschen vereinigen können: gemeinsame Ideale und
gemeinsame Kriminalität“ . Das kollektive Ideal war die im Antisemitismus
reflektierte negative Utopie einer bürgerlichen Gesellschaft ohne kapitalistische
Krise, einer Gesellschaft bürgerlicher Subjekte ohne Markt, ohne Konkurrenz. Das
bürgerliche Subjekt – aber das „bürgerliche“ dieses Subjekts ist schon Tautologie,
denn die Rede ist vom juristischen Subjekt, vulgo: Charaktermaske – spaltet das
Bedrohliche an der Konkurrenz und an der Akkumulation, die sein Leben ist, ab,
spaltet die Krise ab und rechnet sie der Willkür eines Anti-Subjekts, eines „Gegen-
Volks“ zu. Gegen dies Anti-Subjekt mobilisiert es das Selbstbewußtsein und den
Aktionsausschuß der bürgerlichen Gesellschaft, den Souverän, der, alles andere
denn ephemerer, gar: ohnmächtiger „Überbau“ oder haltloses Luftschloß, vielmehr
das Kapitalverhältnis selbst als selbstbewußte Subjektivität ist, nämlich: die
notwendig falsche und daher jenseits allen Zufalls so praktisch richtige wie
handlungsmächtige Denkform der negativen Vergesellschaftung. – Der
Massenmord also war Ausdruck eines „nationalen Projekts“, nämlich der resoluten
Entschlossenheit der Deutschen, inmitten und trotz der Zusammenbruchskrise des
Kapitals um jeden Preis Subjekte zu bleiben. Unklar an Goldhagens Darstellung ist
nur, daß er das kollektive Verbrechen nicht in voller Konsequenz würdigt: Nach
der gewaltsamen Beendigung des Mordens durch die Alliierten waren die
Deutschen (und sind es bis heute geblieben) noch deutscher als zuvor.
Spätestens durch den Nazismus wurden die Deutschen zu den Deutschen, wurde
also das Ganze zu etwas, das mehr und anderes darstellt als die Summe seiner
Teile. Die Bedingung der Möglichkeit dieser Transformation liegt in Begriff und
5 Zitiert nach David Bankier, Die öffentliche Meinung im Hitler-Staat. Die ‘Endlösung’ und die
Deutschen: Eine Berichtigung, Berlin 1995, S. 224
Sache des Subjekts beschlossen. Daher ist auch Goldhagens dritte Behauptung,
jeder Deutsche eigne sich zum Massenmörder, über jede empirische Widerlegung
erhaben, denn das in die Subjektform gepreßte Individuum kann die Gewalt, die es
sich selbst zufügen muß, um seiner Funktion als Charaktermaske gerecht zu
werden, nur aushalten, wenn es sie gegen den ob nun zufällig realen oder
notwendig imaginierten Feind und Antagonisten der Kapitalvergesellschaftung
wendet , den es nicht als rechtsfähigen Gegner anerkennt. Das Gegenteil von
Goldhagens These kann nicht durch irgendwelches Wechselreiten zwischen einer
nominalistischen und einer realistischen Definition der und des Deutschen bewiesen
werden, sondern nur durch die praktische Emanzipation der Deutschen zu
Menschen, d.h. durch die revolutionäre Entnationalisierung. Johann Georg Elser
war kein Deutscher, sondern dessen Gegenteil: ein Mensch, der durch das Attentat
auf die Inkarnation des Deutschtums schlechthin sein eigenes durchstrich.
Die vierte Behauptung Goldhagens schließlich, Antisemitismus sei in letzter Instanz
„der Wille zu töten“ ist ebenso banal wie evident. Ist es nicht eben die
Willensfreiheit, die das Subjekt ausmacht, d. h. sind es nicht der praktizierende
Idealismus und die wirklichkeitsmächtige Realabstraktion des sich selbst
verwertenden Werts, als dessen Agent das unter der Form des Subjekts verfaßte
Individuum agiert, auf dessen Rechnung es handelt, in dessen historischer Mission
es unterwegs ist? Der freie Wille ist die Form, in der nur der Systemzwang
erscheinen kann, die subjektive Willkür die Darstellungsweise der objektiven
Gesetzlichkeit, in der sie sich wie in ihrem wirklichen Widerspruch, aber tatsächlich
bloß formellen Gegensatz verhüllt. Als mit dem Recht des freien Willens
begnadetes ist das Subjekt die Miniaturausgabe des kapitalen Souveräns, dessen
Urbild und Stellvertreter. Es verfügt über eine Welt, die ihm nichts als Material
darstellt, d.h. in der Warenform gegebener Gebrauchswert und daher in der
Preisform verfügbare Ware, deren Aneignung kein qualitatives Problem, sondern
eine quantitative Schwierigkeit bedeutet. Das Subjekt ist Gott, das inaugurierende
Zentrum der Vergesellschaftung, ist der Zirkelschluß, der selber sich im Akt seiner
logischen Begründung als gesellschaftlichen Grund setzt. Freiheit ist diesem
Subjekt widerspruchslos ihr gerades Gegenteil: Einsicht in die Notwendigkeit. Wie
6 Vgl. Detlev Claussen, Grenzen der Aufklärung. Zur gesellschaftlichen Geschichte des
modernen Antisemitismus, Frankfurt 1987, insbesondere S. 113 ff.
der Schöpfergott, so verfügt auch der politische Souverän über das unbedingte
Recht auf Leben und Tod, ein Recht, das in der fundamentalen Krise von
Akkumulation und Integration an die Subjekte zurückfällt. Antisemitismus ist die
Form, unter der diese Aneignung sich vollzieht. Der „Wille zu töten“, von dem
Goldhagen als der Quintessenz spricht, ist nichts anderes als die Spitze des
praktizierenden Idealismus; Riefenstahls Propagandafilm heißt eben „Triumph des
Willens“, und das System der Vernichtung war der Ausdruck dieses Willens, war
der Idealismus in Aktion. Im Antisemitismus behandelt die Gattung sich selbst als
Material der Akkumulation, aber die Sortierung und Selektion der Gattung
geschieht nach Maßgabe der Integration, die die Akkumulation in anderer, in
politischer Potenz darstellt.
Vier Beweise also, die nur einen Schluß zulassen: „Die Deutschen“ hatten sich
entschieden, ja zum Massenmord zu sagen, ein Ja, dessen Implikationen zwar
vielfältig waren und von der widerstandslosen Hinnahme über die sympathisierende
Unterstützung bis zum tatkräftigen Vollzug reichten, aber ein Ja, dessen mehr oder
weniger geheime, dessen mehr oder minder erklärte Absicht die Austilgung selbst
war, vollzogen von allen, die das System in den Genuß brachte, jeden Auftrag und
welche Arbeit auch immer im gesellschaftsübergreifenden Plan der Vernichtung
auszuüben. „Der Staat sind wir“: Dies Credo der Sozialdemokratie Ferdinand
Lassalles war die Wahrheit der Volksgemeinschaft, und der Nazismus war die
vermittlungslose Basisdemokratie der Deutschen, d.h. die Unmittelbarkeit des
Souveräns als Subjekt in den Subjekten. „Die Deutschen“ hatten sich entschieden,
sowohl in ihrer Summe wie auch als Ganzes, d. h. als zum Staat legal inkarniertes
und vom Führer legitim repräsentiertes Subjekt dieser Summe, die eben dies,
Summe zu sein, nur sein konnte, indem sie mehr und anderes wurde als die Summe
ihrer Teile, indem sie sich qua innerer Logik überschritt und ein integrales Ganzes,
ein völkischer Organismus wurde. Wer dem sich verweigerte, gar widersetzte,
konnte kein Deutscher mehr sein, sondern wurde, wie widerwillig auch immer,
Mensch, war nicht mehr Subjekt, sondern Individuum, der trug keine
Charaktermaske mehr, sondern hatte einen. Der Nazismus war eine
Gesellschaftsformation, die nicht nur bewies – was jeder Logiker weiß –, daß das
Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile, sondern überdies demonstrierte – was
jeder Dialektiker befürchtet –, daß die Teile sich alle Mühe geben, das Bewußtsein
ihrer selbst als einer Summe zu erreichen und ganzheitlich zu überbieten.
Dieser traurige Sachverhalt rechtfertigt es, über „die Deutschen“ als kollektiven
Singular zu sprechen, und er erzwingt es um so mehr, weil diese Deutschen von
sich selbst immer als „wir Deutsche“ reden und darunter offensichtlich einen
pluralis majestis verstanden wissen wollen. Aber es ist eben Goldhagens
begriffliche Verallgemeinerung der Deutschen zu den Deutschen (die nicht begreift,
warum sie an sich schon verallgemeinertes unter sich begreift), die den Historikern
und den Feuilletonisten sauer aufstieß. Sie wollen die Verallgemeinerung auf
Popper & Feyerabend komm’ ‘raus als Subsumtion mißverstehen, d.h. nicht als
Reflektion des Einzelnen in seinem konstitutiven Begriff, sondern als seine
Denunziation im Zuge äußerlicher Wertung, nicht als Vermittlung des Einzelnen
mit sich selbst zum Ganzen, sondern als Ableitung aus einem ganz Anderen und
gänzlich Fremden, nicht als Rekonstruktion der gesellschaftlichen Synthesis,
sondern als absurde Deduktion aus der Willkür fast schon totalitär gesetzter
Totalität. Zu verallgemeinern – das soll plötzlich in einem Deutschland verboten
sein, das „den Juden“ trotz aller Juden zum Inbegriff des Generalfeindes erhob und
das dem Mechanismus dieser mörderischen Verallgemeinerung bislang so wenig
auf die Spur kommen wollte, daß es ernsthaft glaubt, dem Antisemitismus durch
interkulturelle Beschnupperungsrituale an Juden abzuhelfen. Verallgemeinern – das
heißt vom Verhalten auch noch so vieler Deutscher, daß es mutmaßlich hundert
Prozent der Deutschen sind, auf das Wesen der Deutschen zu folgern –, das, sagen
die Historiker unisono, darf man nicht, denn das bedeutet, in den Worten des
Linksliberalen Hans Mommsen, „Kollektivschuld“, „Quasi-Rassismus“ und
„umgedrehten Antisemitismus“. Derlei Verallgemeinerung macht den Historiker,
der sonst kein Problem hat, die aktenstaubtrockene Sprache der
Verwaltungswissenschaft mit dem Slang der soap opera zu quirlen und etwa von
der „Implementierung des Holocaust“ zu sprechen, ganz fuchsig, denn so
„erscheint das deutsche Volk als das antisemitische Urvolk schlechthin“ . Nur
Hans Mommsen, Die dünne Patina der Zivilisation. Der Antisemitismus war eine notwendige,
aber keineswegs hinreichende Bedingung für den Holocaust, in: Die Zeit vom 30.8.96. Von
Ideologie hat der Strukturalist so wenig Ahnung, daß er damit eines der fundamentalen
antisemitischen Stereotypen bedient. Weiteres Material in Julius. H. Schoeps (Hrsg.), Ein Volk
von Mördern? Die Dokumentation zur Goldhagen-Kontroverse um die Rolle der Deutschen im
Holocaust, Hamburg 1996
einen Schritt weiter, und die Deutschen sind die Juden der Welt, die Parias, die für
ihren Platz an der Sonne kämpfen müssen.
Ideologie als Methode
Max Horkheimer hatte der heiligen Entrüstung über den Vorwurf der
„Kollektivschuld“, den leider nie jemand ernsthaft erhoben hat, das camouflierte
Interesse abgemerkt, das nationale Wir zu wahren, zu hegen und zu pflegen, d.h.
die Volksgemeinschaft über die Nazipleite zu retten. Im nahezu einhelligen Affekt
der deutschen Historiker gegen Goldhagen entlarvt sich die deutsche
Geschichtswissenschaft als Verlängerung der klassischen
Nationalgeschichtsschreibung mit anderen, nämlich sei’s strukturalistischen, sei’s
intentionalistischen Mitteln. Es ist dies eine Art und Weise, die Historie zu
schreiben, die ihrer eigenen Methodik und Vorgehensweise trotz aller Akribie und
vielmehr wegen allen Fleißes derart unbewußt ist, daß sie Ideologie absondert wie
die Raupe den Faden. Die Geschichtswissenschaft überhaupt, die deutsche vor
allem, ist der denkbar ungeeignetste Ort, um Aufschluß und Aufklärung über die
Geschichte im allgemeinen, und insbesondere über den Nazismus, zu gewinnen.
Denn die wissenschaftlich organisierte Vergangenheitsbetrachtung ist, die
Goldhagen-Diskussion zeigt es exemplarisch, Ideologie im starken und
eigentlichen, im materialistischen Sinne, das notwendig falsche Bewußtsein des
nationalen Kollektivs von sich selbst, ist nichts als systematisierter gesunder
Deutschenverstand, nur in Façon gebrachte und mit einer ans Aberwitzige
grenzenden Unmasse sogenannter Fakten und Quellen garnierte Selbstreflexion
und also Selbstlegitimation einer Akkumulationsgesellschaft, die sich in der Form
der Nation und unter der fürsorglichen Aufsicht ihres Souveräns so außerordentlich
wohl fühlt, daß sie vor keinem Geschichtsverbrechen zurückschreckt. Die
Geschichtswissenschaft begreift buchstäblich nichts; weil sich die kapitale
Gesellschaft in ihr begreift, kann sie nicht einmal sich selbst begreifen.
Begriffsstutzig, wie diese Wissenschaft ihrer Natur nach ist, denunziert sie im
Namen des Besonderen alle Verallgemeinerungen. Außer ihren eigenen.
8 Vgl. Ulrich Enderwitz, Kritik der Geschichtswissenschaft. Der historische Relativismus, die
Kategorie der Quelle und das Problem der Zukunft in der Geschichte, Berlin 1988
Indem die Geschichtswissenschaft derart vehement gegen Verallgemeinerungen
überhaupt plädiert, indem sie insbesondere gegen die Verallgemeinerung der
Deutschen zu den Deutschen polemisiert, offenbart sie nicht etwa, daß ihr
jedweder Maßstab historischen Urteilens abginge, sondern vielmehr, wie sehr ihr
notorischer Relativismus ein ausgewachsener Dogmatismus ist, und weiter, wie
durchgängig sich ihr chronischer Antifaschismus einem überaus staatstragenden
Pluralismus verdankt. Den Nazismus zum Gegenstand einer
geschichtswissenschaftlichen Betrachtung zu machen, das bedeutet in Deutschland,
Hitler dafür kritisieren, daß er nicht Bismarck redivivus war. Das Kriterium, nach
dem der Nazismus sortiert wird, entspringt ebenso umstandslos wie rückhaltlos
dem demokratischen Ich-Ideal, in dem die kapitalisierte Gesellschaft ihren
ausbeuterischen Triebgrund so projektiv wie sublimativ aufhebt und verklärt. Der
Pluralismus, vulgo: die postmoderne Zivilgesellschaft, ist die Gesellschaftstheorie
dessen, was der Geschichtswissenschaft als rabiater Nominalismus, als Kult des
Besonderen und Einzelnen, als Fetischismus der „Quellen“ und der „Tatsachen“ zur
allerdings dogmatisch gehandhabten Methode taugt.
„Heute gegen den Faschismus auf die liberalistische Denkart sich berufen“, hatte
Horkheimer 1939 festgestellt, das „heißt, an die Instanz zu appellieren, durch die er
gesiegt hat.“ Die Nazi-Diktatur im Auftrag des Pluralismus und mit den Mitteln
des Nominalismus geschichtswissenschaftlich zu untersuchen, kann nur – ganz
unabhängig von der je eingeschlagenen, sei’s „funktionalistischen“, sei’s
„intentionalistischen“ Strategie und wie contre coœur auch immer, bedeuten, die
methodologische wie soziale Notwendigkeit des Dezisionismus nachzuweisen. Das
Elend des Nominalismus liegt in seinem immanenten Umschlag in sein gerades
Gegenteil, den Realismus als unvermittelte Allgemeinheit, beschlossen, ein
Gegenteil, der doch seine so unabweisbare wie unbewußte Ergänzung darstellt.
Gegen den Nazismus, wie es die Bielefelder Historikerin Ingrid Gilcher-Holthey
will, auf „das Gegenmodell einer Bürgergesellschaft auf der Basis der
Menschenrechte“ sich zu berufen, impliziert schon die Rechtfertigung genau des
politischen Souveräns, der den praktischen Inbegriff der Geltung dieser Rechte
9 Max Horkheimer, Die Juden und Europa (1939), in: Ders, Autoritärer Staat. Aufsätze 1939-
141, Amsterdam 1967, S. 34
10 Ingrid Gilcher-Holthey, Die Mentalität der Täter, in: Schoeps, a.a.O., S. 213 (zuerst in: Die
Zeit vom 7.6.1996)
darstellt. Die Menschenrechte sind keinesfalls das Antidot, sie sind die objektive
Ideologie der Staatsgewalt ; sie gleichwohl zum „Gegenmodell“ zu erklären, ist
irrational, ist bloß Dezision wie ihre Begründung Rationalisierung, d.h.: Ideologie.
Die Demokratie der Bürger ist die interessierte Demutsadresse an den autoritären
Staat; die philosophische Position, in der sich die Demokratie zu anthropologischen
Würden aufschwingt, ist so irrational wie die ihres vermeintlichen Gegners und gar
vorgeblichen Todfeindes. Sir Karl Popper, dessen Bürgerbibel „Die offene
Gesellschaft und ihre Feinde“ die demokratische Ideologie zur Philosophie des
„kritischen Rationalismus“ systematisiert hat, muß denn auch einbekennen, „daß
die rationalistische Einstellung auf einem irrationalen Entschluß oder auf dem
Glauben an die Vernunft beruht“ . Der Glaube an die Vernunft jedoch ist an sich
selbst so nichtig wie jeder Glaube, d.h. sein eigenes Gegenteil und damit seine
Vernichtung. Darin bekennt die bürgerliche Philosophie, daß ihr die Alternative
von Faschismus und Demokratie den gleichen Rang besitzt wie die Wahl zwischen
Rhabarberjoghurt und Lakritze: Über Geschmacksfragen läßt sich nicht streiten.
Der diskrete Dogmatismus der Geschichtswissenschaft, d.h. das relativistische
Auftragsdenken, dessen Geherda die Aversion gegen Verallgemeinerungen ist,
offenbart sich nicht zuletzt daran, wie fein säuberlich zwischen Nation und
Nationalismus unterschieden wird. Man dürfe, wendet Hans Mommsen gegen
Goldhagen ein, den deutschen Nationalismus „nicht pauschal“ verdammen, man
müsse doch differenzieren. Die Unfähigkeit zum Begriff der Nation, d.h. zum
Urteil über die deutsche, geriert sich als freundliche Einladung zur undogmatischen
Einzelfallbetrachtung. Geschichtswissenschaft, die derart der juristischen Methode
sich anbequemt, maßt sich an, das je Besondere zu würdigen und leistet doch nur
die Affirmation des Ganzen. Die Form Nation liegt so im Jenseits des Begriffs wie
nur die Form Staat, die Nation inauguriert; aus diesem Jenseits der fraglos je schon
existenten Verallgemeinerung von Menschen zu Deutschen agiert sie als
transzendentale Form, die das Material organisiert, als das unbedingte Apriori jeder
historischen Erfahrung, das darüber entscheidet, was als Empirie soll gelten
11 Vgl. Joachim Bruhn, Das Menschenrecht des Bürgers, in: Ders., Was deutsch ist. Zur
kritischen Theorie der Nation, Freiburg 1994, S. 121 ff.
12 Karl R. Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. Band 2: Falsche Propheten: Hegel,
Marx und die Folgen (engl. 1944), 6. Auflage, München 1980, S. 285
13 Mommsen, a.a.O.
können. Die deutsche Nation ist das Apriori dieser seltsamen Wissenschaft, die
vorgibt, nichts zu kennen als Quellen, Quellen und nochmals Quellen, nichts als das
lautere Plätschern der Tatsachen und das ungetrübte Sprudeln der Empirie. Die
Quelle aber ist der Historie, was der Jurisprudenz das Indiz: Spielmaterial, bloße
Illustration des Systemzwangs zum Rechtsfrieden, d.h. empirische Legitimation der
vorab existenten letzten Instanz, an der jede Berufung aufhört und jede Revision
endet. Egal, wer Recht hat, solange nur Recht ist; was immer die Quellen sagen,
ein Beweis gegen die Nation wird sich daraus nie und nimmer folgern lassen.
Hans Mommsen sagt: „Der Versuch Goldhagens, von der Zahl der aktiven
Vollstrecker auf die Gesamtnation zu schließen (…), ist methodisch wenig hilfreich
und empirisch nicht abgesichert.“ Historische Wahrheit wird nach dem Modell
von Meinungsumfragen vorgestellt; kein Sample jedoch wird je repräsentativ
genug sein, um der deutschen Nation als solcher die Taten der Nazis zuzurechnen.
Die juristische Methode dieser seltsamen Wissenschaft, die sich die Behandlung der
Geschichte anmaßt, weiß so überaus sorgfältig zwischen Intention und Resultat zu
scheiden, daß der einzig noch mögliche Weg historischer Wahrheitsgewinnung, der
allerdings leider ausgeschlossen ist, Psychoanalyse wäre.
Da die Psychoanalye heute auch nur noch ein korruptes Racket der machtkummulierenden Psychokratie
ist, würde sie nicht helfen.
Erst dann wäre zu wissen, ob die „aktiven Vollstrecker“ tatsächlich aktiv vollstrecken wollten,
erst dann wäre klar, was der Führer wirklich wollte. Der Historiker verschanzt sich im
Besonderen, macht das je Einzelne zur Barrikade gegen dessen Begriff und plädiert
im Namen des Konkreten gegen die Abstraktion. Aus dem Verbot jedoch, von
Deutschen auf die Deutschen zu schließen und von Einzelnen aufs Mordkollektiv,
spricht die Entscheidung, das Geschichtsverbrechen nicht sich zurechnen zu lassen,
es entschlossen abzuspalten. Nicht anders ist zu deuten, daß die
Massenvernichtung den Historikern längst zum Sinn, d.h. zum demokratischen
Auftrag der Deutschen gerann, daß selbst der freiburger Historiker Ulrich Herbert,
der Goldhagen noch am verständnisvollsten kritisierte, von „uns, den Deutschen“
als von einem mit sich identischen Subjekt spricht: Nichts anderes sagt Goldhagen.
Was ein Faktum ist, darüber entscheidet, wenn es mit rechten Dingen, d.h.
materialistisch zugeht, die Theorie; was eine historische Quelle ist, darüber befindet
14 Mommsen, ebd.,
15 Ulrich Herbert, Die richtige Frage, in: Schoeps, a.a.O., S. 224 (zuerst in: Die Zeit vom
14.6.1996)
die deutsche Ideologie, als deren Schreibautomat der Historiker die Vergangenheit
seiner Nation zu Protokoll nimmt. Niemand glaubt weniger als der Historiker, daß
sich aus den Akten jemals Aufschluß über den wirklichen Verlauf und irgendwann
Aufklärung über die tatsächliche Logik der Geschichte ergeben könne, aber
niemand unterwirft sich anstrengenderen Exerzitien und gibt sich mehr Mühe, den
Anschein des geraden Gegenteils zu erwecken. Seine Fakten dienen der
Illustration, sie sind fact fiction. Die Forschungsfrage, die vor dem Gang in die
Archive pro forma gestellt wird, ist schon die Antwort selbst; kein Fund wird
jemals die Frage kritisieren können. Hans Mommsen etwa fragt, „warum in einem
fortgeschrittenen und hochzivilisierten Land wie Deutschland der Rückfall in die
Barbarei möglich geworden ist.“ Daß Deutschland vor 1933 „zivilisiert“ war und
nicht vielmehr kapitalistisch, ist schon die Antwort in der Frage; und es bleibt nur,
darüber zu spekulieren, mittels welcher „empirisch abgestützter“, anhand welcher
„methodisch hilfreicher“ Verfahren Mommsen aus dem empirischen Material hat
schließen können, daß der Nazismus der „Rückfall“ war, nicht die Konsequenz,
daß die „Barbarei“ nicht das Anti der Zivilisation war, sondern das historische
Telos des Kapitals. So wird die demokratische Historie zum da capo des Nazismus.
Georg Friedrich Wilhelm Hegel, dessen Geschichtsphilosophie unter Historikern
aus gutem Grund einen schlechten Leumund genießt, hat dazu bemerkt: „Das
besondere Interesse der Leidenschaft ist also unzertrennlich von der Betätigung des
Allgemeinen … Es ist das Besondere, das sich aneinander abkämpft und wovon ein
Teil zugrunde gerichtet wird. Nicht die allgemeine Idee ist es, welche sich in
Gegensatz und Kampf, welche sich in Gefahr begibt; sie hält sich unangegriffen
und unbeschädigt im Hintergrund.“ Keine Empirie vermag das Allgemeine je zu
widerlegen; bei Hegel allerdings bezeichnete dies die „List der Vernunft“, d.h. den
Progreß der bürgerlichen Revolution gegen alle feudale Reaktion, während das
Allgemeine des postfaschistischen Historikers nur die Penetranz der deutschen
Revolution von 1933 gegen alle Evidenz der materialistischen Vernunft verkörpert.
Der Nationalhistoriker polemisiert gegen das Verallgemeinern, denn er selbst
besitzt nicht den Schimmer eines Bewußtseins davon, wie die bürgerliche, wie die
kapitalisierte Gesellschaft das Besondere und das Allgemeine synthetisiert, wie der
16 Mommsen, ebd.,
transzendentale Schematismus a priori sich konstituiert, der das Besondere zum
Ganzen sich fügen läßt, wie es daher, materialistisch gesprochen, um den Nexus
von Warenform und Denkform bestellt ist. Er schmiert seinen Faktenbrei auf das
dürre Gerüst der Ideologie, die darüber zur bunten Kulisse werden soll, vor der
nichts als immer nur Menschen endlose Reprisen des Allzumenschlichen aufführen:
die Nation als Lindenstraße, wo viel geschieht und nichts passiert. Die
Erkenntnisfalle, in die er sich so verstrickt, ist, weit entfernt, ihm irgend
Kopfschmerzen zu bereiten, vielmehr sein Lebenselixier: indem er notorisch
zwischen haltlosem Empirismus, also der sprichwörtlichen Fliegenbeinzählerei,
einerseits und ebenso leerer Metaphysik, d.h. den unverständigen, nämlich
ideologischen Abstraktionen seiner Kategorien, andrerseits schwankt, erfüllt er
genau seinen gesellschaftlichen Auftrag. Darin besteht diese Mission, als Vermittler
zwischen den traurigen Tatsachen und ihrem höheren Sinn aufzutreten, darin, die
Vermittlung der Gesellschaft durch das Kapital zum humanen Sinn der Geschichte
zu verdoppeln.
Die Geschichte ist die Beute des Historikers. Die Methode, sie unter den Nagel
sich zu reißen, hat, abermals, Hegel denunziert: „Die Grundtäuschung im
wissenschaftlichen Empirismus ist immer diese, daß er die metaphysischen
Kategorien von … Einem, Vielen, Allgemeinheit … gebraucht, ferner am Faden
solcher Kategorien weiter fortschließt, dabei die Formen des Schließens
voraussetzt und anwendet und bei allem nicht weiß, daß er so selbst Metaphysik
enthält und treibt und jene Kategorien und deren Verbindungen auf eine völlig
unkritische und bewußtlose Weise gebraucht“. In den „Formen des Schließens“
ist die komplette Gesellschaft, ist die Quintessenz ihrer Totalität enthalten. Wer im
Gegensatz von Besonderem und Allgemeinem vermitteln will, statt auf die
Konstitution dieses Gegensatzes und also des Vermittlungsproblems selbst zu
reflektieren, der hat in dieser Denkform nichts anderes gedacht als das Kapital
selbst, d.h. das Kapital mit anderen, mit intellektuellen Mitteln fortgesetzt; eben das
meinen Begriff und Sache der Ideologie. Der Empirismus ist, Hegel zufolge, „eine
17 G.W.F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte (Werke Bd. 12), Frankfurt
1970, S. 49
18 G.W.F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. Erster Teil:
Die Wissenschaft der Logik (Werke Bd. 8), Frankfurt 1970, S. 109
Lehre der Unfreiheit“ , die Geschichtswissenschaft als die vergangenheitsselige
Version dieses Empirismus daher eine Doktrin der bedingungslosen Persistenz der
Nation und ihres Staates, die sich durch kein Auschwitz je wird beirren lassen.
All dies reflektiert sich, vielmehr, da von Reflektion allseits keine Rede sein kann:
dies alles spiegelt sich wider in der Weise, in der deutsche Historiker Goldhagen
entweder unkontrollierte Induktion oder hemmungslose Deduktion vorhalten,
drückt sich aus in der wildwuchernden Rede von vielfältigen „Bedingungen“,
komplexen „Faktoren“ und hochdiffizilen „Umständen“, die ein wohltemperiertes
historisches Urteil im Interesse seiner Konsensfähigkeit zu berücksichtigen habe,
und schlägt sich schließlich nieder im Vorwurf, aus Goldhagen spräche in Wahrheit
gar „kein Historiker, sondern ein Informatiker, der historische Prozesse und
Dokumente wie Bestandteile einer gewaltigen Software liest“, der einem
monokausalen, eindimensionalen und also monomanen Determinismus huldige:
Und dies sei, befindet die Frankfurter Allgemeine und sagt Frank Schirrmacher,
nichts anders als: „Geschichtsmetaphysik“ , die, sekundiert Die Welt und schreibt
Jost Nolte, einzig auf einer „Technik der Vereinfachung und Verallgemeinerung“
gründen könne.
Die Kritik an Goldhagen manifestiert, wie gewaltig der Abgrund zwischen der
deutschen Geschichtswissenschaft und der historischen Wahrheit klafft. Der
Historiker scheut den synthetischen Begriff der Geschichte, weil dieser nicht anders
sich aussprechen kann denn als kategorisches Urteil über die Zukunft, d.h. als
kommunistisches Programm der Abschaffungen. „Geschichtsmetaphysik“: Der
schlimmste Vorwurf, den Historiker überhaupt erheben können, enthüllt zugleich
den ideologischen Charakter dieser obskuren Wissenschaft, deren Anhänger das im
Kapitalverhältnis gesellschaftsmächtig gewordene Phänomen der Realabstraktion,
d.h. der praktischen Metaphysik und ihrer „gesellschaftlich gültigen, also
objektiven Gedankenformen“ , in einen historischen Prozeß auflösen, der auf der
Flucht vor seinem Begriff beständig um die Pole von Interaktion und Struktur, von
Geschichte als Handlung und Kommunikation einerseits, als Funktion und System
19 Hegel, a.a.O., S. 111
20 Frank Schirrmacher, Hitlers Code, in: Schoeps, a.a.O., S. 104 (zuerst in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung v. 15.4.1996)
21 Jost Nolte, Sisyphos ist Deutscher, in: Schoeps, a.a.O., S. 111 (zuerst in: Die Welt v.
16.4.1996)
andrerseits oszilliert. Diese Bewegung allerdings vermöchte der Informatiker
adäquater zu fassen als der Historiker, weil er, wenn er auch sonst nichts weiß,
doch immerhin das eine weiß, daß der Prozeß durch die Form determiniert wird.
Die Festplatte der Weltgeschichte ist auf das Betriebssystem Kapital formatiert,
und die deutsche Geschichte insbesondere gehorcht einer antisemitischen Software.
Das Verhältnis von Induktion und Deduktion, dessen mangelhafte methodische
Beherrschung die deutschen Historiker Goldhagen ankreiden, impliziert das
Problem der gesellschaftlichen Synthesis, die Frage, wie es möglich sein soll, daß
das sinnlich so Verschiedene und schlechthin Inkommensurrable doch in einem
Begriff sich fassen soll, in einem synthetischen Begriff, der, weit davon entfernt,
von außen oktroyiert, abgehoben oder „abstrakt“ zu sein, vielmehr von innen
emergiert, wie also Äpfel und Birnen sich zu Obst addieren lassen, wie die
differenten Gebrauchsdinge, nur als Waren produziert, in einem quantifizierten
Tauschwert sich summieren. Kann in diesem Verhältnis vom Einzelnen aufs Ganze
gefolgert werden? Und aus wieviel Einzelnem besteht das Ganze? Oder hat man
vom Ganzen auf das Einzelne zu schließen? Und was ist sodann das Ganze?
Schließt man, induktiv, von der subjektiven Erfahrung etwa Viktor Klemperers auf
das Ganze, d.h. auf ganz Deutschland, dann kann an der Wahrheit der Thesen D. J.
Goldhagens so wenig Zweifel aufkommen wie im umgekehrten, deduktiven Schluß
von der nazistischen Regierungsprogrammatik auf die Gesellschaft. Klemperers
„Forschungsprozeß“ führte ihn vom ungläubigen Staunen darüber, „daß Hitler
wirklich die deutsche Volksseele verkörpert, daß er wirklich ‘Deutschland’
bedeutet“, über die fortschreitende Gewißheit, „daß Hitler wahrhaftig der Sprecher
so ziemlich aller Deutschen ist“ auf die furchtbare Wahrheit, daß „die Seuche in
allen wütet, vielleicht ist es nicht Seuche, sondern deutsche Grundnatur“. Am Ende
schließlich die Erkenntnis: „So bedeutet die Judenfrage für den Nationalsozialismus
das Zentrum der ‘Wesensmitte’ und seine Quintessenz“. Viktor Klemperer
verallgemeinert ‘from the bottom up’, während Hitler, wie nicht nur seine Rede
zum Jahrestag der NSDAP-Gründung 1942 belegt, mit allen Kräften und in aller
Öffentlichkeit entschlossen war, ‘from the top down’ zu besondern: „Dieser Kampf
22 Karl Marx, Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Bd. 1 (MEW 23), Berlin 1973, S. 90
23 Viktor Klemperer, Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933 – 1945, Berlin
1995, Eintragungen vom 17. 8. 1937, 20. 9. 1937, 25. 10. 1941 und 5. 9. 1944
wird nicht mit der Vernichtung der arischen Menschheit, sondern mit der
Ausrottung des Judentums in Europa sein Ende finden“ .
Josef Joffe und die Logik
Der einzige unter Goldhagens Kritikern, der die Frage nach dem
erkenntnistheoretischen Status der geschichtswissenschaftlichen Begriffe überhaupt
aufgerollt hat, war bezeichnenderweise kein Fachhistoriker, sondern Josef Joffe,
Leitartikler der Süddeutschen Zeitung. Er schreibt: „Schon der Talmud sagt ganz
knapp: ‘Zum Beispiel ist kein Beweis’. Die Fallstudie, die Zitate (und seien sie
auch noch so massenhaft aufgetürmt) summieren sich nicht per se zum
Richtspruch. (…) Noch problematischer wird es bei der Logik. Der Satz A, ‘Die
Killer waren normale Deutsche’. enthält nicht den Beweis, den Goldhagen zu
liefern wünscht, also den Umkehrschluß B, ‘Die normalen Deutschen waren Killer’
(…). Zwischen Satz und Umkehrschluß tut sich die älteste logische Falle überhaupt
auf; A ergibt nicht B, es sei denn, daß die A-Menge identisch mit der B-Menge
wäre, was sie aber per definitionem nicht ist. Anders ausgedrückt: (Soziologische)
Korrelation ist keine Kausation. (…) Mithin kommt Goldhagen das klassische
Problem von der Vermischung verschiedener Analyse-Ebenen in die Quere,
zwischen denen kein zwingender Konnex herrscht, in diesem Fall zwischen
Individuum, Gruppe und Nation. Formal ausgedrückt: Die Eigenschaften einer
Gruppe sind nicht identisch mit den Eigenschaften ihrer Mitglieder, und beide
unterscheiden sich wiederum von denen des gesamten Volkes. (…) Oder: ‘Das
Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile’. (…) (Auf Goldhagens) Weise von
‘unten nach oben’, von der Stichprobe zur Gesamtkultur räsonieren, geht nicht.
Aber man kann auch nicht von ‘oben nach unten’, von der präsumtiven Kultur auf
das mörderische Verhalten schließen, wie Goldhagen es ebenfalls tut.“ Joffe
folgert, es bedürfe einer „intervenierenden Variable“, also eines Dritten der
Vermittlung, das er „das ‘System“ nennt , etwas, das die Einheit von Induktion
und Deduktion stiftet. Wer oder was jedoch ist „das System“? Offenkundig kann es
24 Zitiert nach Max Domarus, Hitler. Reden und Proklamationen 1932-1945, Wiesbaden 1973, S.
1992
25 Josef Joffe, „Die Killer waren normale Deutsche, also waren die normalen Deutschen Killer“,
in: Schoeps, a.a.O., S. 164 f. (zuerst in: Süddeutsche Zeitung v. 13./14. 4. 1996 und Time v. 29.
4. 1996)
nur gedacht werden als Identität von Identität und Nicht-Identität, d.h. als
Übergreifendes über sich selbst und sein eigenes Gegenteil, d. h. als Einheit der
Logik mit der Bedingung der Möglichkeit ihrer eigenen Geltung. Die Logik gilt, da
hat Joffe gegen Goldhagen ganz recht, aber sie vermag ihre eigene Geltung nicht
logisch zu begründen, und deshalb hat Joffe gegen Goldhagen ganz und gar
unrecht. Die Geltung der Logik selbst beruht nicht auf Logik, sondern auf einem
dialektischen Paradox dergestalt, wie das klassische vom Kreter es demonstriert.
Satz A: Alle Kreter lügen; dann Satz B: Der dies sagt, ist selbst ein Kreter. Was
nun? Wahrheit oder Lüge? Die Bedingungen der Geltung von Satz A sind die
Kriterien der Unwahrheit von Satz B; und umgekehrt. In diesem Beispiel ist der
Kreter die Teilmenge seiner selbst, das Übergreifende über sich und sein Gegenteil.
Daraus wiederum folgt: Der Satz C „Alle Kreter sind Lügner“ läßt sich in den Satz
D „Alle Lügner sind Kreter“ umkehren, oder anders: Der von Joffe inkriminierte
Schluß Goldhagens kann nie und nimmer von einem Deutschen bestritten werden.
Das Paradox allerdings, aus dem die Logik praktisch Geltung gewinnt, ist an sich
selbst alles andere als ein Denkproblem, sondern das im Kapitalverhältnis durch die
Selbstkonstitution des Werts zum „automatischen Subjekt“ negativ gelöste
Problem der Vergesellschaftung, d.h. die Identität des Werts als Identität seiner
prozessierenden Identität im Geld mit seiner Nichtidentität als Produktion von
Gebrauchswert, d.h. die praktische Identität von Mommsen und Nolte im
Historiker als ihrem immanenten Allgemeinbegriff. Der kapitale Wert, der im
Prozeß seiner Verwertung seine eigenen Voraussetzungen produziert und
reproduziert, ist so die Bedingung der Geltung von Logik schlechthin. „Das
System“ daher, von dem Joffe, wie er freundlicherweise selbst sagt, im
„Soziologen-Jargon“ spricht und das er eine „intervenierende Variable“ nennt, ist
weder eine Variable noch interveniert es; es ist die Form der kapitalen
Vergesellschaftung selbst, die sich als ihren eigenen Inhalt setzt und reproduziert.
Goldhagens Folgerung, daß, weil die Killer normale Deutsche waren, alle normalen
Deutschen potentielle Killer waren, ist daher mit den Mitteln der Logik ebenso
angreifbar (nur nicht von Deutschen, die von sich selbst als „wir Deutsche“
sprechen) wie sie, dialektisch betrachtet, über jeden Zweifel erhaben ist. Auch nur
Historiker, fühlt Goldhagen sich, im eklatanten Unterschied zu seinen deutschen
26 Marx, a.a.O., S. 169
Kritikern, nicht genötigt, den fraglosen Positivismus der historischen Methode
nationalistisch zu verbiegen, ein fröhlicher Positivist, der sich Induktion und
Deduktion nicht gegeneinander ausspielen läßt, der sich vielmehr gewiß ist, seinen
Gegenstand im Gleichklang der Verallgemeinerung der Quellen wie der
Konkretisierung der Allgemeindiagnose gewaltlos in den Begriff zu zwingen. Was
„deutsch“ ist, wird so mentalitäts- wie ideengeschichtlich zugleich bestimmt, von
unten erschlossen wie von oben gefolgert. Seine Ergebnisse sind um so
zwingender, als er den Gesellschaftsbegriff seiner deutschen Kritiker teilt,
demonstrieren sie doch, wozu selbst Positivisten fähig sein können, wenn ihnen der
Poppersche „Glaube an die Vernunft“ mehr ist als Lippenbekenntnis.
Goldhagens Wissenschaft
Denn Goldhagen ist ein Positivist, den es mit Macht zum Begriff drängt, ein
Positivist, der weiß, daß die Theorie darüber entscheidet, was ein Faktum ist, ein
Positivist, der sich vom Kraut und den Rüben der Empirie nicht den Blick
verstellen läßt, der überdies, allem Manko eines ideologiekritischen
Wahrheitsbegriffs zum Trotz, ganz genau weiß, daß, wenn es schon so sein soll,
wie es der Positivismus will, die innere Stimmigkeit einer Theorie das Indiz ihrer
objektiven Richtigkeit abzugeben hat, daß diese Theorie dann ökonomisch zu sein
hat und elegant, daß sie mit einem Mindestmaß an Argumenten auszukommen hat,
daß sie Ockhams Messer ansetzen muß, um rational zu sein. „Der Ruf nach
Komplexität ist häufig die letzte Rettung jener, die bestimmte Folgerungen
unerträglich finden“, doziert er gegen seine Kritiker, und weiter: „Die Vorstellung,
daß eine einfache Erklärung eine vereinfachende Untersuchung zur
Voraussetzung“ haben muß, ist irrig, „viele schreckliche und komplexe Resultate
haben einfache Ursachen“.
27 D. J. Goldhagen, Das Versagen der Kritiker, in: Die Zeit v. 2. 8. 1996. – Hier liegt der Grund,
warum Christopher R. Brownings Studie Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizeibataillon
und die „Endlösung“ in Polen (Reinbek 1993) so überaus gut ankommt: Es wimmelt hierin von
„psychologischen und situativen (sozialen, kulturellen und institutionellen) Faktoren“ (S. 217),
die alle „eine Rolle spielen – allerdings in unterschiedlichem Maße und keineswegs
uneingeschränkt“ (S. 208). Die Faktoren schwirren umher wie ein Bienenschwarm, nichts, was
sie zusammenhält; der ins Äußerste getriebene Empirismus kapituliert: „Das Verhalten eines
jeden menschlichen Wesens ist natürlich eine sehr komplexe Angelegenheit, und wer es als
Historiker zu ‘erklären’ versucht, befleißigt sich automatisch einer gewissen Arroganz. Wenn es
nun um fast 500 Männer geht, ist es noch gewagter, den Versuch einer allgemeingültigen Erklärung ihres kollektiven Verhaltens zu unternehmen“ (246). Aber er kapituliert nur pro
forma: „Die Verantwortung für das eigene Tun liegt letztlich bei jedem einzelnen“ (ebd.). Diesem
ultraliberalen Credo, daß Erklären Verstehen heißt und letztlich jeder Nazi sein eigener
Nürnberger Gerichtshof zu sein habe, folgt der Umschlag in den krudesten Objektivismus.
Plötzlich, auf der letzten Seite, tritt sie auf, „die Gesellschaft“, „die ihre Mitglieder dazu erzieht,
sich der Autorität respektvoll zu fügen“, die Gesellschaft, „die ohne diese Form der
Konditionierung wohl auch kaum funktionieren“ würde, und sie erweist sich in vollendeter
Begriffslosigkeit als quasi-anthropologisches Existential, nämlich als Auswuchs der
„Komplexität des Lebens“ (ebd.).
Der vermeintliche Gegensatz von Erklären und Verstehen (ein Derivat nur der Max Weberschen
Scheidung von Tatsachenfeststellung und Werturteil), mit dem sich die Historiker, ob nun als
Strukturalisten oder als Intentionalisten, bis heute plagen, hebt sich zur Apologie. Dächte er
wirklich radikal subjektivistisch, hätte der Historiker als Psychoanalytiker zu arbeiten, aber dort,
im Innersten des Verstehens, käme ihm in Gestalt der Libido doch nur und wiederum das Kapital
entgegen, vor dem er aus guten Gründen schon in den Empirismus geflohen ist. Die Historie ist
eine unmögliche Wissenschaft, die, gleichwohl betrieben, nur zur Ideologieproduktion taugt, d.h.
zur Abwehr jedes kategorischen Urteils über die Nation: Mommsen (Die dünne Patina …) sagt in
diesem Sinne, „daß Goldhagens vorurteilsgeprägtes Herangehen eine differenzierte Analyse, die
die unterschiedlichen handlungsleitenden Faktoren gegeneinander abwägt, weitgehend
ausschließt, zumal er weniger auf eine Erklärung des Handelns der Individuen als vielmehr den
Nachweis ihres schuldhaften Verhaltens abhebt.“ – Die „Komplexität dieser Vorgänge“ (ebd.) ist eben eine so hochkomplexe, daß man nicht Universitäten, sondern Rechenzentren mit dem Nazismus befassen müßte.
Seine Entschiedenheit nimmt um so mehr wunder, als Goldhagen den liberalen
Gesellschaftsbegriff mit allen Konsequenzen vertritt und verteidigt. So überaus
resolut outet er sich als Parteigänger der „offenen Gesellschaft“, daß sich das
vernünftige Resultat geradezu im vollendeten Widerspruch zu seinen theoretischen
Grundannahmen ergibt. Daß der deutsche Antisemitismus im Kern „der Wille zu
töten“ ist, daß er in letzter Instanz auf Vernichtung geht, daß alle seine noch so
differenzierten Spielarten und wie immer komplexen Ausdrucksformen vom linken
Antizionismus über den liberalen Philosemitismus bis hin zum altgermanischen
Neuheidentum in einem übergreifenden Horizont, in einem logischen Kontinuum
stehen, dessen inneres Telos die Liquidation ist – dieser Nachweis ist so stupend,
daß man sich fragt, wie er überhaupt mit den Mitteln des Positivismus zu
begründen sein sollte, ist so frappant, daß man den Positivismus nachgerade vor
lauter Hochachtung vor Goldhagen für die in Deutschland allein noch mögliche
Form der Aufklärung selbst halten möchte. Es ist aber nur die Logik der Sache
selbst, die sich hierin ausspricht, die als „kognitives Modell“, „Mentalität“ und
„politische Kultur“ definiert, was tatsächlich Begriff und Sache der Ideologie
zukommen würde. Unter dem anthropologisch anmutenden Titel der „Mentalität“
reflektiert Goldhagen jedenfalls den Tatbestand, daß die deutsche Ideologie den
Deutschen so rigoros zur zweiten Natur geworden ist, daß sie darin wohler sich
fühlen als in ihrer ersten Haut, was schon ihre massenhafte Bereitschaft bewies, sie
ist für Führer, Volk und Vaterland zu Markte zu tragen. Goldhagen geht „im
Gegensatz zu Marx’ bekanntem Diktum davon aus, daß das Bewußtsein das Sein
bestimmt“ (533), eine zwar billige, aber jedenfalls legitime Polemik gegen den
unter Marxisten gängigen Ideologiebegriff, denn vom Zusammenhang von
Warenform und Denkform wissen die Marxisten ebenfalls weniger als nichts. Wie
ist es nun in Goldhagens Perspektive um den Zusammenhang von Sein und
Bewußtsein, von deutschem Sein und antisemitischem Bewußtsein bestellt?
Goldhagen ist, was seine Erkenntnistheorie angeht, radikaler Kostruktivist. Man
müsse sich, sagt er, „das kognitive, kulturelle und teils sogar das politische Leben
einer Gesellschaft wie ein ‘Gespräch’ vorstellen. Alles, was wir über die
gesellschaftliche Wirklichkeit wissen, ist dem Strom dieser ununterbrochenen
‘Gespräche’ entnommen, die diese Realität konstituieren“ (51 f.). Das
gesellschaftliche Sein ist eine an sich selbst deutungsfreie Tatsache, die pure
Faktizität; was das Sein bedeuten soll, bestimmt das Bewußtsein, indem es die
Realität mittels „axiomatischer Themen“ (52) als sinnhaft konstruiert und daraus
„kognitive Modelle“ ableitet, die wohl in etwa dem entsprechen, was Immanuel
Kant als transzendentalen, d. h. erfahrungs- und empirieunabhängigen
Schematismus der Verstandesbegriffe definierte. Der Antisemitismus sei solch ein
Schematismus und kognitives Modell. Über seinen Ursprung schweigt Goldhagen
sich aus, seine Fortzeugung und Reproduktion „von Generation zu Generation“
soll dem „Gespräch“ zuzuschreiben sein, durch das Gesellschaft sich synthetisiert.
Kognitive Modelle jedenfalls sind überall, „sie bestimmen die Sichtweise, die
Menschen von allen Aspekten des Lebens und der Welt entwickeln, ebenso wie
ihre Handlungsweisen“ (52); und ein solches Modell ist der Warentausch: „Das
kulturelle Modell des Kaufs eines Gegenstandes“, so zitiert Goldhagen einen
amerikanischen Konstruktivisten, „umfaßt den Verkäufer, den Käufer, die Ware,
den Preis, den Verkauf und das Geld. Zwischen diesen Teilen bestehen
verschiedene Beziehungen; da ist einmal die Interaktion zwischen dem Abnehmer
und dem Verkäufer, die die Mitteilung des Preises an den Käufer umfaßt,
möglicherweise kommt es dabei zu Preisverhandlungen, zu dem Angebot, zu
einem bestimmten Preis zu kaufen, zur Einigung über das Geschäft, zum Transfer
des Eigentums an der Ware und dem Geld et cetera. Dieses Modell muß man
verstehen (und praktizieren), nicht nur um kaufen, sondern auch um sich an
solchen kulturellen Aktivitäten wie Leihen, Mieten, Leasen, Beschwindeln,
Verkaufen, Profitmachen, Läden, Werbung et cetera beteiligen zu können“ (564 f.)
Das Geld soll das eine sein, seine Wahrnehmung aber das ganz andere:
Unvorstellbar, daß, wie die marxsche Wertformanalyse nachweist – d.h. die
berüchtigten ersten hundert Seiten des „Kapital“, die schon August Bebel sich
rühmte, nicht gelesen zu haben –, das Geld an sich selbst so beschaffen ist, daß es,
als sinnliche Inkarnation und handgreiflich empirische Darstellung des kompletten
gesellschaftlichen Verhältnisses, seine eigene Interpretation und Sinngebung immer
schon enthält, daß es nichts anderes darstellt als die Identität von Sein und Sinn.
Denn indem der Wert doppelt sich darstellt, indem er als Preis der Ware neben der
Ware erscheint, verdoppelt er sich zugleich in materiellen und ideellen Wert, in
wirkliches Geld und nur gedachtes Geld. Derart enthält die Ware ihre eigene
Sinngebung, sie interpretiert sich selbst und ist ihr autonomer Philosoph. Ihr
Wahrheitsbegriff meint die praktisch gelingende Identifikation des sinnlich
Verschiedenen. Im Austausch werden Sein und Sinn der Ware zur Deckung
gebracht; die Ware denkt sich soi disant zu ihrem logischen Ende, indem sie ihren
Wert praktisch in Geld übersetzt, sich aus dem Gedanken in die Wirklichkeit
begibt, d.h. indem sie sich, wie es die liberale Gesellschaftstheorie und ihr
ökonomischer Troß, die nominalistische Geldtheorie, sagen, im Geld als einem
„Medium“ reflektiert. Als Identität von Sein und Sinn, d.h. unter der Warenform,
die nur sein kann, indem sie unmittelbar zugleich als Denkform erscheint, stiftet der
Wert in Gestalt des Geldes und als „bare Münze des Apriori“ eben die
Verstandesbegriffe, aus denen sich das Vermittlungsproblem der Historiker erst
ergibt. Die unendlichen Streitereien zwischen sog. „Intentionalisten“ und sog.
Zuletzt hat Jochen Hörisch, Kopf oder Zahl. Die Poesie des Geldes (Frankfurt 1996) diesen
Gedanken ausgeführt. Vgl. jedoch vor allem: Alfred Sohn-Rethel, Geistige und körperliche
Arbeit. Zur Epistemologie der abandländischen Geschichte. Revidierte und ergänzte Neuauflage,
Weinheim 1989. – Geldtheorie ist der Kern von Gesellschaftstheorie nur überhaupt. Nicht nur
hängen nominalistische Geldtheorie und pluralistische Gesellschaftstheorie untrennbar
zusammen (Hans-Georg Backhaus, Zur Dialektik der Wertform, in: Alfred Schmidt, Beiträge zur
materialistischen Erkenntnistheorie, Frankfurt 1969), sondern die Rekonstruktion dieses Nexus
ist es, was einen materialistischen Begriff von Wahrheit erst stiftet. Andernfalls „gibt es soviel
prinzipiell verschiedene Wahrheiten, wie es prinzipiell verschiedene … Lebensanforderungen
gibt“ (Georg Simmel, Philosophie des Geldes, 7. Auflage Berlin 1977, S. 70), also kein einziges
Argument mehr gegen den Antisemitismus.
„Funktionalisten“ unter den Historikern verweisen in letzter Instanz auf ihr
Unvermögen, das Geld zu denken. Goldhagen wählt die nominalistische Strategie,
um nachzuweisen, daß Antisemitismus Projektion ist und in nichts gründet, was
irgend den Juden – die in genau diesem Sinne deutungsfreies Sein darstellen –
zuzuschreiben wäre, aber indem er diesen Satz der beweisfreien Vernunft nur
nominalistisch zu begründen weiß, torpediert er sein eigenes Interesse: „Unser
Konzept der persönlichen Autonomie“ (52), das Goldhagen dem Antisemitismus
entgegenstellen möchte, der das konkrete Individuum unter abstrakte, völkische
Kategorien subsumiert, ist ebensowenig in fundamentum humanun verankert wie
sein genaues Gegenteil. Wenn „das Wissen eine soziale Konstruktion“ (87) ist,
wenn nichts existiert, was in sich, wie tatsächlich negativ auch immer, die Einheit
von Sein und Sinn stiftet und reproduziert, wenn daher keine Wahrheit denkbar ist,
die so unabhängig von Konsens und so wenig irgendeiner Zustimmung bedürftig
wäre wie der Satz, daß Juden Menschen sind, mögen auch drei Milliarden das
Gegenteil behaupten, dann ist über den Antisemitismus kein kategorisches Urteil
möglich, dann ist der Kampf gegen den Antisemitismus nur Ausdruck eines
anderen „kognitiven Modells“, d.h. einer anderen Meinung.
Die Kritik der deutschen Historiker an Goldhagen hat folgerichtig alles mögliche
benörgelt, aber nirgends hat sie die erkenntnistheoretische Konstruktion des
Antisemitismusbegriffs ihm angekreidet: Es ist ihr eigener, Ausdruck eines liberalen
Antifaschismus, der in Deutschland das verkappte Bündnisangebot an den
Faschismus enthält. Insbesondere hat die Kritik jenen Punkt bemängelt, an dem
nichts anderes aus Goldhagen spricht als das Bedürfnis der Vernunft, das
Bewußtsein nicht von „Faktoren“ und „Bedingungen“ sich zerstäuben zu lassen,
sondern nach einem Grund zu suchen, nach einer intelligiblen Ursache. „Denn
beweisen“, sagt Hegel, „heißt in der Philosophie soviel als aufzeigen, wie der
29
Gegenstand durch und aus sich selbst sich zu dem macht, was er ist.“ Daß
Goldhagen etwas beweisen wollte, d.h. er eine Interpretation vorlegen wollte, die
genau einen Schluß zuläßt, diese Impertinenz hat die geschichtswirtschaftenden
Faktorenverwalter vielleicht noch mehr erschüttert als der Schluß selbst. Im vollen
Elan ihrer Empörung haben sie übersehen, daß Goldhagen ihren eigenen
Positivismus gegen sie wendet, daß er mit der haargenau gleichen Methode –
positivistische Logik, d.h.: „Wenn es eine einzige Tatsache gäbe, und zwar eine,
die das gemeinsame Motiv erkennen und sich auf die meisten der zu
untersuchenden Phänomene anwenden ließe, dann wäre diese jedem mühsam
zusammengebauten Erklärungsmosaik vorzuziehen“ (668) – , und mit dem selben
historischen Material ihre Trial-and-error-Methode im Umgang mit dem Nazismus
als typisch deutsch entlarvt, d.h. als Geschichtsschreibung, die nicht der Wahrheit,
sondern deren Gegenteil, der Nation, verpflichtet ist.
Weil Goldhagen das Geld für eine deutungsfreie soziale Tatsache hält und also das
„Profitmachen“ für eine von vielen „kulturellen Aktivitäten“, verfehlt er den Begriff
des Antisemitismus. Im Unterschied allerdings zu den Historikern zielte er
wenigstens auf einen Begriff, und seine Methode, die vorfindlichen
Antisemitismusbegriffe daraufhin zu untersuchen, unter welcher Voraussetzung
eigentlich und überhaupt einander widersprechende Definitionen ein und
desselben Gegenstandes möglich sein können, führt ihn so nahe wie nur irgend
möglich an die Antwort heran, daß es einen Gegenstand geben muß, der, ganz und
gar nicht deutungsfrei, an sich selbst die objektive Eigenschaft haben muß, nur
unter sich einander wechselseitig ausschließenden Denkbestimmungen und
Definitionen gedacht werden zu können. Die Bedingung der Möglichkeit der
einander widerlegenden Vorstellungen vom Antisemitismus ist, so folgert
Goldhagen ganz logisch, der „Wille zu töten“: Nur unter dieser Prämisse ordnet
sich der Faktorenstaub, nur mit dieser Annahme hebt sich der Komplexitätsnebel,
nur am Leitfaden dieser These wird das „Feld sehr unterschiedlicher Formen des
Antisemitismus“ und werden die „Vielzahl von Motiven“, von denen pars pro toto
Ulrich Herbert schwatzt, intelligibel und taugt das Bewußtsein zu mehr als zur
Büroklammer. Und zwar verständlich als Camouflage eines Willens, der sich selbst
sucht, d.h. einer Intention, die objektiv und an sich immer schon das ist, was sie
durch alle Irrungen und Wirrungen der Geschichte hindurch, heißen sie nun
christlicher Antijudaismus oder liberaler Philosemitismus, auch für sich sein zu
streben sucht. Nur das kann verstanden werden, sagt Goldhagen, was über die
Phänomene hinaus und durch die Erscheinungen hindurch seiner eigenen Logik
folgt. Eine solche Konstruktion nennt man gemeinhin eine idealistische; und wie
wenig Goldhagen zu ihr als Positivist eigentlich befugt ist, zeigt sich daran, daß er
29 Hegel, a.a.O., § 83
kein Kriterium anzugeben vermag, nach dem, was als Gebot des Denkens und was
als Schluß aller Logik sein muß, auch tatsächlich existiert. Es muß etwas geben,
das die Identität von Sollen und Sein real darstellt, und dieses Etwas muß die
Einheit von Genesis und Geltung sein; d .h. es muß seiner Konstitution gemäß in
der Lage sein, sich selbst zu konstituieren, sein eigener Ursprung zu sein und sich
selbst in allgemeine Geltung zu setzen. Goldhagen nennt dies Etwas das „kognitive
Modell“, aber dessen Reproduktion durch das intergenerative „Gespräch“ bleibt
kaum weniger mysteriös als seine historische Abkunft. Was Goldhagen unter dem
Titel des kognitiven Modells verfehlt, spricht die Wahrheit des Kapitals als
automatisches Subjekt aus, und die Formen des logischen Schließens enthalten und
offenbaren so die Gesellschaft in ihrer dialektischen Quintessenz tatsächlich.
So nahe Goldhagen der „Logik des Antisemitismus“ daher kommt, so sehr verfehlt
er sie doch. . Seiner logischen Notwendigkeit ermangelt die gesellschaftliche
Wirklichkeit. Was der Geldbegriff Goldhagens, der alles andere als ein Begriff war,
schon durchscheinen ließ, das macht sein Kapitalbegriff unabweisbar: Hier denkt
und arbeitet jemand, den nur Zufall und höhere Fügung davor bewahrt haben, das
Drehbuch zu „Schindlers Liste“ zu schreiben. Da ist die Rede davon, die
„subjektive Vorstellung der Deutschen von den Juden“ hätte sie dazu veranlaßt,
„Arbeit – also eine instrumentelle Tätigkeit, die normalerweise der effizienten und
rationalen Produktion dient – in ein Mittel der Zerstörung zu verwandeln“ (377),
da spricht Goldhagen von einem „Sieg von Politik und Ideologie über das
ökonomische Eigeninteresse“ (382) und davon, „daß der eliminatorische
Antisemitismus selbst dann das Handeln der Akteure bestimmte, wenn ihnen die
normalerweise machtvolle Logik ökonomischer Rationalität gegenüberstand, die
doch das deutsche Wirtschaftsleben im großen und ganzen bestimmte“ (471),
schließlich noch davon, daß „die Macht des Antisemitismus die ökonomische und
für eine moderne industrielle Produktionsweise erforderliche Rationalität außer
Kraft gesetzt“ (499) hätten: Reinhard Kühnl, Ernst Nolte und die deutsche
Reichsbahn lassen grüßen. Von der Vorstellung, Geld und Kapital seien an sich
Vgl. Moishe Postone, Nationalsozialismus und Antisemitismus. Ein theoretischer Versuch,
zuletzt in: Michael Werz (Hg.), Antisemitismus und Gesellschaft. Zur Diskussion um Auschwitz,
Kulturindustrie und Gewalt, Frankfurt 1995, S. 29 ff. Vgl. auch Stefan Vogt/Andreas Benl, „No
Germans, no Holocaust“. Zur Kritik von D. J. Goldhagens „Hitlers willing Executioners“, in:
Bahamas Nr. 20 (Sommer 1996), S. 42 ff.
selbst antisemitisch, erzeugten gar aus eigenem Wesen und eigener Dynamik die
objektive Ideologie eben jenes abstrakten und unproduktiven, jenes wurzellosen
und kosmopolitischen Un- und Antiwesens, als das die Nazis dann die Juden
mörderisch identifizierten, ist Goldhagen so weit entfernt wie nur die deutschen
Historiker vom Grundkurs ‘Marx für Anfänger’. „Die konsequenten Vertreter der
Illusion, daß der Mehrwert aus einem nominellen Preisaufschlag entspringt“,
notierte Marx für alle, die den Warentausch für ein kognitives Modell halten, „oder
aus dem Privilegium des Verkäufers, die Ware teurer zu verkaufen, unterstellen
daher eine Klasse, die nur kauft, ohne zu verkaufen, also auch nur konsumiert ohne
zu produzieren. Die Existenz einer solchen Klasse ist … unerklärlich. (…) Das
Geld, womit eine solche Klasse beständig kauft, muß ihr beständig, ohne
Austausch, umsonst, auf beliebige Rechts- und Gewalttitel hin, von den
Warenbesitzern selbst zufließen.“ Darin nimmt die Logik des Antisemitismus
ihren Anfang, die durch die Irrungen und Wirrungen der Geschichte hindurch nach
ihrer Selbstverwirklichung trachtet, d.h. danach, ihres eigenen objektiven Zwecks
auch subjektiv und praktisch inne zu werden, d. h. den nazistischen Aufstand des
Konkreten gegen das Abstrakte, die deutsche Revolution des Gebrauchswerts
gegen den Tauschwert ins Werk zu setzen, d.h. die Liquidation des monetären
Parasiten und „Gegen-Volks“ (Rosenberg). Die historische Gelegenheit dazu
ergab sich aus dem Zusammenbruch des deutschen Kapitals im Zuge der großen
31 Marx, Kapital, Bd. 1, S. 176
32 Was Goldhagen die Theorie des „ökonomischen Antisemitismus“ (60 f.) nennt, verfällt zu
Recht seiner Kritik: Denn ökonomische Interessen erklären nichts, ihre Verwissenschaftlichung
zur linksparteilichen Soziologie auch nichts. Von den Marxisten kann man tatsächlich nicht
lernen, wie Antisemitismus materialistisch zu deuten wäre: Man lese nur fk., D. J. Goldhagens
„Hitlers willing executioners“. Wer waren die Täter? (in: Linksruck. Jung – sozialistisch – aktiv,
Nr. 30 (März 1996), S. 22), der Goldhagen vorwirft, „die eigentlich Schuldigen im Brei der
Allgemeinschuld ungeschoren“ zu lassen, oder Reinhard Kühnl, der der Rede von „den
Deutschen“ eine „Nähe zum völkischen Antisemitismus“ ankreidet (Kampf ums Geschichtsbild,
in: junge Welt v. 24. 6. 1996).
Überhaupt kann einer wie Goldhagen von den Linken in Sachen Gesellschaft bemerkenswert
wenig lernen, nämlich weniger als gar nichts. Ein Beispiel ist die „Geld ist genug da“-
Kampagne, die an ein gleichnamiges Buch des Distel-Verlages anknüpft. In einer freiburger
Kongreßzeitung schreibt Stefan Vey in einem Artikel Über das Geld, daß es „wider seine Natur
zur Eigentumsbildung und damit zur Machtbildung mißbraucht“ werde, daß es daher darum zu
tun sein müsse, „die Krebsgeschwüre der Welt (das … Geldkapital), die überall auf Kosten des
Ganzen wuchern“, zu bekämpfen, um so das Geld auf „das Ganze des sozialen Organismus“ zu
verpflichten (in: Allerdings. Hrsg. von der Linken Liste/Friedensliste Freiburg, Nr. 3 (Dezember
1996), S. 2). – Wenn schon mutmaßlich Linke der „Arbeitsgruppe Buchenwald“ die
protonazistische Geldtheorie so entschieden vertreten, daß nur noch Name und Anschrift des
Parasiten fehlen, braucht man sich um die zukünftige, wenn nicht: Wahrheit, so doch:
Richtigkeit der Thesen Goldhagens keine Sorgen zu machen.
Krise von 1929. Diese Krise, die nur aus dem allgemeinen Begriff des Kapitals zu
erklären ist, setzte das totalitäre politische Potential frei, das in der deutschen
Nation und ihrem Staat aufgespeichert war und das sich im Antisemitismus
niederschlug. Was folgte, war so „typisch deutsch“, wie das Kapital es nicht ist,
denn es gehorchte einer derart zwanghaften, in Barbarei als bis dato unbekannte
Gesellschaftsform überschnappenden Logik, daß das Kapital ihrer nirgendwo
anders denn eben in Deutschland hätte fähig sein können.
„Die Täter“, sagt Goldhagen, „waren keine Automaten und keine Puppen“ , und
sie waren erst recht nicht Marionetten des Kapitals. Sie waren ganz gewöhnliche
Deutsche, die es definitiv satt hatten, vom Kapital geschurigelt und determiniert zu
werden, die sich mit Haut und Haaren dafür entschieden hatten, es in wahnhaftem
Elan zu überbieten, um selbst Kapital zu sein, um endlich dem Geheimnis der
Verwertung des Werts auf die Spur zu kommen.
Auschwitz, Begriff der deutschen Geschichte
Es ist diese überaus negative Dialektik, die es macht, daß Auschwitz mit den
geistigen Mitteln des bürgerlichen Verstandes, so wie er sich in der
Geschichtswissenschaft ausdrückt, weder zu verstehen noch zu erklären ist. Der
Massenmord ist das synthetische Produkt der Geschichte der bürgerlichen
Gesellschaft in Deutschland, ihr wie immer vermitteltes Resultat. Im Massenmord
ist alles enthalten und aufgehoben. Auschwitz ist die Wahrheit Deutschlands; und
eine andere Wahrheit, da können sich die deutschen Historiker mühen und quälen,
wie sie wollen, wird es niemals gegeben haben. War der Massenmord also der
logische Schlußpunkt einer Linie, die von Luther über Nietzsche zu Hitler führt?
Ja und nein. Ja: denn Luther war ein großer Antisemit vor dem Herrn, nein: denn
er war es nicht vor dem Gott, der nach ihm kam, dem Kapital, konnte es noch nicht
sein – aber die Antwort ist an sich nichtig und egal, denn der historische Prozeß
erlischt im Resultat, das Auschwitz heißt, und er verschwindet darin so, wie die
Absichten und Motive der am Warentausch Beteiligten erlöschen und gleichgültig
werden, wenn Zahltag ist. Es ist das Resultat, das ex post über den historischen
33 Goldhagen, Das Versagen der Kritiker, a.a.O.
Prozeß entscheidet, der dann ex ante zu ihm führte und auf kein anderes führen
konnte, d.h. es ist das Produkt, das die Produktion bestimmt. Man kann das
Produkt nicht vom Prozeß her denken, und daher identifiziert das Produkt das
Ausschlaggebende, das Wesentliche am Prozeß. Die Toten jedoch sind tot, kein
Sinn, der ihren Tod ungeschehen machen könnte, keine Interpretation der
Entwicklung hin zum Mord, der daran ein Jota ändern könnte.
Geschichtswissenschaft, die in „Faktoren“ und „Bedingungen“ denkt (und anders
kann sie, wenn sie überhaupt denkt, überhaupt nicht denken) arbeitet im nationalen
Interesse an der Virtualisierung der Massenvernichtung: Je mehr Argumente über
„notwendige und hinreichende Bedingungen“ sie dafür beibringt, daß alles auch
hätte ganz anders kommen können, wenn …. , desto weniger ist, ob Mommsen,
Wehler, Jäckel oder Zitelmann, von der fatalen Notwendigkeit der bürgerlichen
Gesellschaft die Rede, die es machte, daß …
Das Produkt der Geschichte des Kapitals in Deutschland ist Auschwitz. Was aber
ist Auschwitz? Was ist die Massenvernichtung im Verhältnis zu einer, wie es heißt,
von der Zweck-Mittel-Rationalität beherrschten bürgerlichen Gesellschaft, die die
Vernichtungslager hervorbrachte? Es ist die Wahrheit dieser Gesellschaft, so, wie
sie aus der an sich irrationalen Dialektik von Zweck und Mittel hervorgeht. Die
bürgerliche Gesellschaft kann den Nazismus nicht begreifen, denn dieser ist ihr
originäres und genuines Produkt, Fleisch vom Fleische. Würde sie ihn begreifen,
sie müßte gegen sich selbst revolutionieren, d.h. Selbstmord begehen. Die
Geschichtswissenschaft dieser Gesellschaft, d.h. die planmäßige Bilanzierung ihrer
verflossenen Taten und Untaten, kann den Nazismus erst recht nicht begreifen,
denn sie transformiert, Maß und Maßstab ihrer Urteile, die Zweck-Mittel-
Rationalität aus einer Ideologie zur Methode: Nie wird sie damit fertig werden,
über die „falsche“ Verwendung der knappen Güterwagons zu staunen, niemals
damit, in „Schindlers Liste“ den produktiven, d.h. recht eigentlich
antifaschistischen Gebrauch der Arbeitskraft durch das Kapital zu begaffen.
Auschwitz jedoch, das war, in stenogrammatischer Definition, die Selbstaufhebung
des Kapitals im Verfolg seiner eigenen Dynamik und auf seiner eigenen Grundlage,
d. h. eine qualitativ neue, zwar kapitalgeborene, aber doch kapitalentsprungene
Gesellschaftsformation, d.h. Barbarei in einem nicht luxemburgistischen, nicht
metaphorischen Sinne, d.h. die geoffenbarte Wahrheit der „verrückten Form“
(Marx). „Barbarei“ allerdings ist bloße Definition, alles andere als Begriff im
strengen Sinne, denn begreifen, d.h. verstehen und erklären läßt sich nur, was, wie
diskret auch immer, an Vernunft doch immerhin partizipiert. Die Toten müßten
sprechen; aber wenn sie es denn könnten, würden sie von den deutschen
Historikern mit allen Mitteln ihrer „seriösen Holocaust-Forschung“ (Mommsen)
daran gehindert, bestenfalls in die Abteilung „oral history“ deportiert.
Der Antisemitismus ist daher schuld an Auschwitz, und er ist es nicht. Ja und nein.
Ja: denn Antisemitismus ist eine Basisideologie der bürgerlichen Gesellschaft
schlechthin, und ist es insbesondere in Deutschland, einer Gesellschaft, die sich als
bürgerliche nur gegen die bürgerliche Revolution zu konstituieren vermochte, d.h.
als Produkt eines erst absolutistischen, dann bonapartistischen, in letzter Instanz
nazistischen Staates, der, so klassenübergreifend wie klassennegierend, im
Antisemitismus das politische Programm der totalen politischen Integration fand.
Der Antisemitismus ist schuld am Massenmord, weil er das notwendig falsche,
sprich: praktisch richtige Bewußtsein einer verkehrten Gesellschaft darstellt:
Goldhagen hat ganz recht. – Nein: denn der Antisemitismus ist, als objektive
Ideologie, nichts ohne die Gesellschaft, die in ihm sich reflektiert. Daher irrt
Goldhagen. Der Antisemitismus ist schuld; und er ist es nicht, weil die
Vernichtung, die auf die Juden zielte und sie traf, in wahnhafter Verschiebung der
Selbstvernichtung der bürgerlichen Gesellschaft wehren sollte. Darin liegt das
Anathema der Geschichtswissenschaft, das ihre Bemühungen im Ansatz nichtig
macht: Daß Auschwitz eine Tat war, die, nach dem Bild des Amokläufers, keine
wie immer geartete Beziehung zwischen dem Täter und seinem Opfer, die irgend in
letzterem gründete, zu ermitteln erlaubt, daß diese Tat kein Mittel gewesen ist zu
irgendeinem Zweck, sondern das Mittel als autistischer Selbstzweck, d.h. die fatale
Konsequenz aus der Todeskrise der Selbstvermittlung der bürgerlichen
Gesellschaft durch das Kapital, in deren Konsequenz das automatische Subjekt alle
in der Perspektive des Positivismus rationalitätsstiftenden Vermittlungen kassiert
und in vollendeter Raserei zum tödlichen Block erstarrt. Darin sind „die
historischen Voraussetzungen, unter denen allein das Kapital Gebrauchswert
34 Siehe Ulrich Enderwitz, Antisemitismus und Volksstaat. Zur Pathologie kapitalistischer
Krisenbewältigung, Freiburg 1991
setzt“ , ebenso vergangen wie die materiellen Bedingungen aufgehoben, unter
denen allein es erkennbar ist. Auschwitz liegt im Jenseits des Begriffs, weil sich die
kapitalisierte Gesellschaft im Zuge ihrer Selbstaufhebung in Barbarei selbst im
Jenseits ihrer menschenmöglichen Begreifbarkeit plaziert hat. Ja und nein daher,
pro und contra Goldhagen in einem: Ja, denn der Antisemitismus ist schuld an der
Massenvernichtung, weil er, funktional äquivalent, für die Nazis das darstellte, was
fdGO, Pluralismus und soziale Marktwirtschaft ihren legitimen Rechtsnachfolgern
bedeuten: praktische Geschäftsordnung der Politik und ideologisches
Selbstbewußtsein in einem. Und nein, denn Antisemitismus ist nur selbstbewußte
Ideologie, d.h. ein Denken, das nicht sich selbst denkt, das gedacht wird. Der
„Wille zu töten“, dessen Spur Goldhagen mit kriminalistischer Akribie und
juristischer Präzision verfolgt, ist in einem der unwiderstehliche und unabweisbare
Zwang zu töten.
Zwangscharakter der Freiheit: In völliger Freiheit nicht anders zu können – in
diesem Realparadox resümiert sich der Grund, der es macht, daß man niemals wird
wissen können, was Auschwitz war, und warum es war. Auschwitz läßt sich weder
erklären noch verstehen, es läßt sich weder erklären und nicht verstehen noch läßt
es sich nicht erklären und doch verstehen, weil es die gesellschaftlichen
Bedingungen der Möglichkeit dieser Unterscheidung selbst aufhebt. Die Wahrheit
der Massenvernichtung kann daher keine in sich selbst noch so schlüssige oder gar
vernünftige Theorie sein, sondern nur die praktische Herstellung der „freien
Assoziation“, d.h. der staaten- und klassenlosen Weltgesellschaft. Es kann keine
vernünftige Theorie der vollendeten Unvernunft geben, nur deren Rationalisierung.
Auschwitz macht keinen Sinn: Und das ist das Ende der Geschichtswissenschaft.
35 Siehe Wolfgang Pohrt, Theorie des Gebrauchswerts, Berlin 1995
http://www.ca-ira.net/isf/beitraege/bruhn-nazismus.erkenntnisfalle.html
Bremer Zustände Teil 7 – Juden antreten zum Zahlappell
Der schon hinlänglich eingeführte Herr Strohmeyer lässt einmal mehr die Maske beiseite und widmet sich ganz ohne Umschweife einem Anliegen, das er wohl als „Judenkritik“ bezeichnen würde, machte er sich denn einen Begriff davon. Bekanntlich legt der ehemalige Journalist und Kultur-Redakteur des Bremer Landesverbands der Partei „Die Linke“ größten Wert auf die Feststellung, dass es einzig und allein der eine jüdische unter allen Staaten ist, den er bei jeglicher unpassenden Gelegenheit verbal attackiert. Wer dahinter Antisemitismus vermutet, liegt natürlich vollkommen richtig, schließlich ist es Arn Strohmeyer offenkundig darum zu tun, sich postum mit seinem Vater, dem NS-Journalisten Curt Strohmeyer, doch noch zu versöhnen, unter dem er immer so gelitten hat. Büßen müssen dies die Juden und ihr Staat Israel, was nach der einfachen Projektionsleistung funktioniert, Juden zu Rechtsextremisten und Israel als Unrechtsstaat abzustempeln. Wer einem wie Strohmeyer nachweist, dass er über seine Zuschreibungen an Juden und Israelis lediglich das alte antijüdische Ressentiment ausagiert, der betreibt natürlich in den Augen eines blindwütigen Judenhassers nichts als üble Nachrede und eine auf die Vernichtung der Persönlichkeit gerichtete Psychologisierung – ganz so, als wäre daran noch irgendetwas zu vernichten, wenn die Destruktivkräfte bereits dermaßen überhand genommen haben, dass einer an gar nichts anderes mehr denken kann als an seinen Vernichtungswunsch gegenüber dem jüdischen Staat.
Nun wäre Arn Strohmeyer hier nicht das Thema, wenn er seine daddy issues mit seinem Therapeuten bespräche oder wenn man ihm überall das politische Mitwirken aufgrund seiner Obsession verwehrte. In Wirklichkeit verhält es sich so, dass Arn Strohmeyer in Bremen überall mitmischt und mitmischen darf, wo es innerhalb friedensbewegter oder altlinker Kreise um das Thema Nahost, d.h. in diesen Kreisen: gegen Israel, geht. So hat er für die Bremer Linkspartei diverse Artikel und Broschüren verfasst, die problemlos über die Homepage des Landesverbands abzurufen sind. Und wenn sich in Bremen tausende zusammenrotten, um ihren Antisemitismus auszuagieren und gegen Israel zu demonstrieren, dann freuen sie sich, dass der große Agitator ihnen die Hetzrede hält, die sie alle hören wollen. Organisationen wie das Bremer Friedensforum sind zwar eifrig darauf bedacht, dass sie nicht direkt mit ihm assoziiert werden – wenn das Aktionsbündnis gegen Wutbürger über den lupenrein antisemitischen Charakter seiner Reden aufklärt, dann wird das Manuskript klammheimlich von der Homepage des Bremer Friedensforums entfernt und es wird lediglich noch angeboten, es auf Anfrage per E-Mail zuzusenden. Man hofft dort offenbar, dass einem keiner auf die Schliche kommt, dass man nicht am Ende doch noch aus der Villa Ichon und anderen Zusammenhängen herausgewiesen wird, weil man einem antisemitischen Hassprediger ein Forum bietet. Das Aktionsbündnis gegen Wutbürger lässt sich durch solche Verschleierungstaktik selbstverständlich nicht beeindrucken und beharrt darauf, dass alle widerwärtigen Äußerungen Strohmeyers auch dem Bremer Friedensforum zuzurechnen sind. Wer mit Strohmeyer und Konsorten zusammenarbeitet, leistet keine Arbeit für den Frieden, sondern steht auf der Seite der Mörder, die mit Messern und Äxten in Synagogen eindringen, um möglichst viele Juden abzuschlachten.
Nun wäre aber Arn Strohmeyer nicht der Antisemit, der er ist, wenn er seinen Judenhass nur am Staat Israel ausagierte. Auch die jüdische Gemeinde Bremen wird zur Zielscheibe seiner Attacken:
Verschiedene Religionsgemeinschaften und Vereine haben in Bremen angekündigt, dass sie mit Geldbeträgen und Hilfsgütern den Menschen beistehen wollen, die vor den Kämpfen in Syrien und dem Irak fliehen mussten.
deckt Strohmeyer auf der Seite des Nahost-Forums Bremen auf, dem Syrien und Irak sonst genauso wenig ein Thema sind wie Libanon, Saudi-Arabien oder der Iran, weil es sich in der ganzen Region sowieso nur an an dem einen Staat stört, gegen den es auch seine samstäglichen „Mahnwachen für Palästina“ vor dem Bremer Dom organisiert. Von einer Mahnwache für Syrien oder gegen das dortige Blutvergießen ist von diesem Forum Nahost schon deswegen nichts zu hören, weil die dort umgebrachten Syrer (und Palästinenser) nicht Israel in die Schuhe geschoben werden können, was sie für solche Antisemiten zu uninteressanten Kollateralschäden macht. Mit traumwandlerischer Sicherheit findet Strohmeyer unter den verschiedenen Vertretern Bremer Religionsgemeinschaften die eine, der er das humanitäre Engagement so nicht durchgehen lassen kann:
Auch die Bremer Jüdische Gemeinde beteiligt sich daran. Deren Vorsitzende Elvira Noa begründete am Donnerstag ihr Engagement für die Flüchtlinge mit der jüdischen Ethik: Es wäre doch eine Selbstverständlichkeit, diesen Menschen in großer Not zu helfen.
Nun müsste der letzte Satz, wäre er einer, der in indirekter Rede die Aussage Elvira Noas wiedergäbe, im Konjunktiv 1 formuliert sein. So wie Strohmeyer ihn aber formuliert hat, bildet er die Kurzfassung seines zum Erbrechen wiederholten Credos, dass die einzigen rechtmäßigen Besitzer einer jüdischen Ethik die handvoll Kronzeugen sind, von denen er sich in seinem Ressentiment bestätigt fühlt, anderen Juden – d.h. praktisch allen – ist Hilfe für notleidende Menschen demnach keine Selbstverständlichkeit. Vielmehr seien die Juden, die sich nicht permanent von Israel distanzieren, automatisch Teil der brutalen israelischen Kriegsmaschinerie, die Palästinenser in Ghettos sperre und mit Krieg überziehe. Was er allerdings unfreiwillig noch sagt: eine Selbstverständlichkeit ist es für ihn nicht. Schließlich ist er auch noch nie dadurch in Erscheinung getreten, dass er sich über die große Not der im Verlauf der letzten drei Jahre vom Ba’ath-Regime Ausgehungerten und Ausgebombten in Rage geschrieben hätte, und beträfe es auch nur diejenigen, die in Syrien als „palästinensische Flüchtlinge“ noch in vierter Generation in Elendslagern festgehalten werden. Er hat auf ein anderes Stichwort gelauert:
Da spiele die Religionsgemeinschaft gar keine Rolle.
Für Arn Strohmeyer tut sie das aber sehr wohl. Deshalb ist der Fachmann für antijüdische Ethik auch nicht um die Idee verlegen, wie das Engagement der Jüdischen Gemeinde gegen sie – und nur gegen sie – zu verwenden wäre:
Wenn das so ist, dann ist es doch auch eine Selbstverständlichkeit, dass Frau Noa zur Hilfe für die Menschen im Gazastreifen aufruft.
Seine jüdischen Nachbarn sind es, die er gerne für die in Gaza herrschende Misere in die Pflicht nehmen will, weil für ihn ohnehin alle Juden irgendwie Israelis und damit Verbrecher sind. Nicht nur die Israelis, sondern alle Juden, so die Intention Strohmeyers, sollen gefälligst Reparationen leisten an die Urheber des Raketenkrieges, der diesmal so weit ging, dass die Menschen in Tel Aviv und Rishon LeZion genauso um ihr Leben laufen mussten wie das in Sderot und Ashkelon schon zuvor praktisch an der Tagesordnung war. Dass uns Strohmeyer diese „Selbstverständlichkeit“, Juden gesamthaft für den Terror der Antisemiten büßen zu lassen, ausgerechnet in dem Monat auftischt, in dem die Deutschen sich für die 25 Jahre feiern, die sie den Tag des Novemberpogroms von 1938 nun schon in ein neues nationales Erweckungsereignis umgedeutet haben, dürfte auch kaum zufällig sein. Papa wäre stolz.
Der große Agitator
In der Nacht vom 12. auf den 13. Juli zog eine aufgebrachte Menge junger Männer durch das Bremer Steintorviertel. Rufe wie „Zionisten sind Faschisten“ und „Kindermörder Israel“ ertönen. Es kommt zu Gewaltdrohungen gegen Passanten, ein Bremer Journalist wird attackiert. Ein Mann, der dem Journalisten zur Hilfe kommt, wird niedergeschlagen, landet mit dem Kopf auf dem Pflaster und erleidet schwere Kopfverletzungen. Er gehört der linken, antisemitismuskritischen Bremer Gruppe „Associazione delle Talpe“ an.
Man könnte erwarten, dass ein solcher Akt der Gewalt mit derart gravierenden Folgen eine Welle der Solidarität mit dem Opfer auslöste. Die Associazione delle Talpe ist in Bremen innerhalb der Linken gut vernetzt und grundsätzlich wohlgelitten. Das liegt schlicht und ergreifend am „zahme(n) Gestus, der stets »problematisieren« nicht aber »polemisieren« oder gar »diffamieren« will“ und „letztendlich zu einer ‚Appeasment’-Politik“ gegenüber der Bremer Linken geführt hat. So mischt man im Bremer Infoladen mit und lässt sich von der Linkspartei bzw. deren Rosa-Luxemburg-Stiftung finanzieren.
Warum das so ist, dafür reicht ein kurzer Blick in die Broschüre Staatsfragen – Eine Einführung in die materialistische Staatskritik, die von der Associazione delle Talpe in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung Bremen herausgegeben wurde. Was dort präsentiert wird, ist ein Sammelsurium verschiedener „marxistischer Staatstheorien“, die nach Meinung der Herausgeber wohl dazu angetan sein sollen, den Verdammten dieser Erde Erkenntnis über ihren desolaten Zustand zu vermitteln. Denn zu warnen ist, so heißt es schon im Vorwort, vor spontanen Protesten, da diese „alleine noch nie die gesellschaftlichen Verhältnisse emanzipatorisch verändert haben“, weswegen eine „staatskritische Bewegung“, die nach „der Aufhebung des jetzigen Zustands“ strebt, das Ziel zu verfolgen habe, „durch Selbstorganisation und Selbstverwaltung“ einen solchen Zustand zu erkämpfen. Dabei bestehe die zentrale Aufgabe darin, „Geschichtslosigkeit, antiintellektuelle Ressentiments und Theoriefeindlichkeit“ zu überwinden. „Die kollektive Aneignung, Diskussion und Weiterentwicklung (staats-)kritischen Wissens ist daher gewissermaßen Maulwurfsarbeit, um in Zeiten fern der befreiten Gesellschaft überwintern zu können und die Waffen der Kritik für künftige Auseinandersetzungen scharf zu halten.“
Die Vorstellung, dass die „Maulwurfsarbeit“ in nichtrevolutionären Verhältnissen darin bestehe, sich ein „profundes Wissen der aufhebungswürdigen Verhältnisse anzueignen“, ist im doppelten Sinne anschlussfähig an den linken Mainstream: Einerseits lässt sich die Theoriearbeit, die von Kritik und Polemik möglichst wenig wissen will und sich nur selten ins Handgemenge begibt, wunderbar für akademische Tätigkeiten, Promotionen und dergleichen nutzen, die dann wieder durch die einschlägigen Stiftungen gefördert werden. Kein Linker, kein Antisemit, kein Staatsfetischist muss sich durch die abstrakte Staatskritik angegriffen fühlen, die nur die Klassiker repetiert und zu aktuellen politischen Auseinandersetzungen wenig zu sagen hat. Die Ausführungen der Associazione delle Talpe sind ein einziger Beleg für Pohrts These, dass auf 100 Dissertationen, die sich mit Adorno befassen, kaum eine komme, die selbst polemischen, d.h. gesellschaftskritischen Charakter habe. Andererseits kann man sich als besonders radikaler Staatskritiker deswegen gerieren, weil man sich mit der Frage, was vielleicht noch schlimmer wäre als das staatliche Gewaltmonopol und wann der Einsatz staatlicher Gewalt sogar zu begrüßen ist, nicht befassen muss, wenn man jede Bezugnahme zu aktuellen Geschehnissen vermeidet und „materialistische Staatskritik“ im luftleeren Raum betreibt. Denn sobald sich der antisemitische Mob auf den Straßen austobt, bleibt selbst diesen Staatskritikern nichts anderes übrig, als das Einsatzkonzept der Polizei zu hinterfragen und von der Staatsmacht besseren Schutz zu fordern.
Eine pauschale Kritik des Staates und der Nationen, wie sie in Bremen immer noch Mode ist und die gerade nicht ihre Aufhebung in supranationale Organisationen, Banden und Terrorgruppen ins Zentrum der Kritik stellt, sondern sich endlos in nutzlosen Turnübungen am Begriff ergeht, die Ableitungstheorie diskutiert usw. usf., scheint sich dabei bestens mit der realen Tendenz zu verstehen, an die Stelle des Staates und einer zentralen, vermittelten Staatsgewalt die unmittelbare, nackte Gewalt zu setzen. Was zum Beispiel ISIS über die Grenzen des Iraks und Syriens hinaus zu installieren trachtet, könnte man durchaus als Versuch begreifen, „durch Selbstorganisation und Selbstverwaltung“ eine andere Ordnung an die Stelle der Bestehenden zu setzen, die gerade nicht mehr staatlicher Natur ist. Die „Staatskritik“ antinationaler Prägung liefert, wie andere linke Theoreme vorher, entgegen der ursprünglichen Intention materialistischer Staatskritik lediglich den Sound zum Vollzug einer Barbarei, die noch weit schlimmer ist als das, was Linke zu überwinden antreten.
Allein: Genutzt hat diese Anbiederung an den linken Mainstream der Associazione delle Talpe freilich nichts. Die aktive Solidarität, der Verzicht auf jede Zuspitzung der Kritik der Linken oder des Antisemitismus zu einer der Antisemiten und ihrer Umtriebe hat keineswegs dazu geführt, dass es zu Solidaritätsbekundungen kam, als antisemitische Schläger einen jungen Mann ins Koma prügelten. Als repräsentativ für eine undogmatische Linke in Bremen darf das Weblog end of road gelten, das auch die Associazione delle Talpe verlinkt. In einer dort veröffentlichten Stellungnahme der Gruppe „NoLager Bremen“ heißt es zu dem brutalen Angriff auf ihren linken „Genossen“ lapidar:
Mit Blick auf einige der bereits erfolgten Pro-Palästina-Demos findet morgen in Bremen eine „Kundgebung gegen Antisemitismus“ statt. Das ist durchaus nachvollziehbar, denn natürlich hat es antisemitische Ausfälle auf den diversen Demos der jüngsten Zeit gegeben, auch am Wochenende – ganz zu schweigen von den dramatischen Verletzungen, die eine Person im Zuge einer nächtlichen Pro-Palästina-Demo in Bremen erlitten hat. Nicht nachvollziehbar ist indessen die Selbst-Beschränkung auf „Antisemitismus“, d.h. die Nicht-Bereitschaft, eine linke, mithin emanzipatorische Position zur Situation in Israel/Palästina zu beziehen (nicht zuletzt in Anlehnung an undogmatisch-linke Positionen, wie sie von entsprechenden Gruppen und Netzwerken in Israel/Palästina offensiv vertreten werden).
Nachdem der sehr konkrete Mensch, der von brutalen Antisemiten zusammengeschlagen wurde, zur „Person“ entindividuiert wurde, wird zumindest suggeriert, dass sich diese durch ihre „Selbst-Beschränkung auf den Antisemitismus“ und die „Nicht-Bereitschaft, eine linke, mithin emanzipatorische Position zur Situation in Israel/Palästina zu beziehen“ alles weitere im Grunde selbst zuzuschreiben habe. Wer solche Genossen hat, braucht keine Feinde mehr und es wäre das Mindeste, den Betreibern von „end of road“, die dieses Musterbeispiel der Entsolidarisierung veröffentlicht haben, jedwede Kooperation aufzukündigen.
Auch die Partei „Die Linke“ in Bremen, ein von antizionistischen Hardlinern durchsetzter Landesverband, sah sich gezwungen, zwar den antisemitischen Charakter der Demonstration einzuräumen. Dabei wurde aber jedes Wort der Empathie und der Solidarität mit dem schwer verletzten „Genossen“ vermieden: „In Bremen gab es in den vergangenen Tagen mehrere Spontandemonstrationen gegen Israel, die eine klar antisemitische Ausrichtung hatten. Dort kam es zu Angriffen auf mindestens einen Passanten und einen Journalisten. Menschen wurden als „Scheiß Juden“ beschimpft, eine Person wurde schwer verletzt.“ Um der Gefahr zu entrinnen, die Stellungnahme könnte als Solidaritätsadresse mit Demonstrationen gegen Antisemitismus missverstanden werden, wurde aber ausdrücklich betont: „Der gesamte Konflikt ist aktuell und in seiner Geschichte viel zu komplex, als dass einseitige Schuldzuweisungen und Demonstrationen zur Lösung und Beruhigung der Lage beitragen würden.“
Einige Tage später, nach einer antisemitischen Großkundgebung in Bremen, von der noch zu sprechen sein wird, legte der Landesvorstand eine weitere Erklärung nach. Darin heißt es:
Wir sind froh, dass die gestrige Bremer Demonstration „Für Gerechtigkeit und Frieden in Palästina“ friedlich verlaufen ist und dass es den Organisatoren gelungen ist, antisemitische Äußerungen auf der Demonstration weitgehend zurückzudrängen. Dies ist auch ein Erfolg der vorangegangenen Bremer Kundgebung „Zusammen gegen Antisemitismus“, die den Druck darauf unmissverständlich erhöht und unterstrichen hat, dass es für antisemitische Stimmungsmache in Bremen keinen Raum geben darf. Ereignisse wie in der Nacht vom 12. zum 13. Juli, als es im Viertel bei einer propalästinensischen Demo zur lebensgefährlichen Verletzung eines Passanten kam, der einen Bremer Journalisten schützen wollte, dürfen sich nicht wiederholen.
Der massive militärische Angriff der israelischen Armee im Gazastreifen und die jahrelangen, täglichen Raketenangriffe der Hamas auf Israel müssen gestoppt werden. Wir können all jene verstehen, die sich angesichts der Opfer, der Bedrohung und der Mobilisierung von Hass solidarisieren wollen – weil sie Angehörige und Freunde in Israel und den palästinensischen Gebieten haben, weil sie sich jeweils berechtigten Positionen und Betroffenheiten (sic!) verbunden fühlen, weil es die Notwendigkeit gibt, Stellung gegen Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus zu beziehen. Wir verstehen aber auch diejenigen gut, die sich in diesen Tagen kaum in der Lage sehen, Solidarität zu üben, solange Empathie „für die eine Seite“ offen oder stillschweigend Ignoranz gegen „die andere Seite“ meint oder als solche (miss)verstanden wird.
Auch hier wird man vergeblich auf Solidarität oder Mitgefühl warten müssen. Kein Wort davon, dass der „Passant“ ein linker Antifaschist gewesen ist, kein Wort zur Associazione delle Talpe, die doch eng mit der Bremer Rosa-Luxemburg-Initiative verbandelt ist. In allerhöchstens pflichtschuldigem Mitleid heißt es lediglich, ein solcher Vorfall dürfe sich „nicht wiederholen“, wobei jedes konkrete Wort dazu vermieden wird, wie dies zu verhindern sei. Stattdessen wird das abgespult, was vermutlich auch die Gruppe „NoLager“ unter einer emanzipativen Position zum Nahost-Konflikt versteht: Ganz uneinseitig fordert man, Ursache und Wirkung bereits semantisch vertauschend, dass der „massive militärische Angriff der israelischen Armee“ und „die jahrelangen, täglichen Raketenangriffe der Hamas“ gestoppt werden müssten – als sei nicht etwa das Ende des Zweiten die Voraussetzung für Ersteres. Einem solchen Geschwafel über Komplexität des Konflikts, Betroffenheiten, einseitige Schuldzuweisungen, Empathie und Ignoranz gilt es entgegenzuhalten, dass die Wurzel des Konflikts dieselbe ist wie die Ursache des Gaza-Kriegs: Das Ziel aller Antisemiten und Antizionisten, den jüdischen Staat Israel zu zerstören und seine Bewohner zu massakrieren.
Dieser Vernichtungswunsch verträgt sich seit jeher problemlos mit einer emanzipativen Position zum Nahostkonflikt, wie sie der Gruppe „NoLager“, der Linkspartei und anderen linken „Israelkritikern“ vorschwebt. Zwar wird das Ziel einer Vernichtung des jüdischen Staates vehement geleugnet, wenn permanent von Besatzung, dem Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes, israelischer Siedlungspolitik, einer ultrarechten israelischen Regierung, der Mauer der Schande, den elenden Lebensbedingungen in den besetzten Gebieten und im Gazastreifen oder der Würde des palästinensischen Volkes die Rede ist. Käme Israel aber auch nur im Ansatz den Forderungen dieser emanzipativen Linken nach einem Abriss der Sperranlage, einer Aufgabe aller Gebiete jenseits der Grenzen von 1967, einem Ende der Blockade des Gazastreifens und einer Demilitarisierung entgegen, könnte es als funktionsfähiger, wehrhafter und für seine Bürger lebenswerter jüdischer Staat nicht mehr existieren.
Dass dies den Proponenten einer emanzipativen Position zum Nahostkonflikt nicht bewusst oder egal ist, wäre eine beschönigende Darstellung. Eine Linke, die es nie mit der Freiheit gehalten hat, kann bedenkenlos „Freiheit für Gaza“ fordern, auch wenn die militanten Gruppen dort nicht für, sondern gegen die Freiheit kämpfen. Denn es gibt keinen sinnvollen Begriff der Freiheit, der nicht universell wäre, der die Unterdrückung derjenigen Bewohner des Gazastreifens durch die Hamas und derjenigen Bewohner der palästinensischen Autonomiegebiete im Westjordanland durch die Fatah zum Thema hätte, die nicht islamisch, männlich, heterosexuell und israelfeindlich sind. Wenn die Hamas in Gaza Oppositionelle hinrichtet, erschießt oder an Motorrädern zu Tode schleift, fordert kein emanzipativer Linker „Freiheit für Gaza“, sondern hält die Klappe oder redet von einem Freiluftknast oder einem Lager, das Israel in Gaza errichtet hätte, weswegen es natürlich auch für diese Taten im Endeffekt verantwortlich zu machen sei.
Es ist also durchaus kein Zufall, dass diese Leute nie von Freiheit, sondern lieber von „Emanzipation“ sprechen, das sich vom lateinischen Wort „emancipatio“ herleitet, das die Entlassung des Sohnes aus der väterlichen Gewalt bezeichnet. Während Freiheit einen Akt der Befreiung voraussetzt, jedem die Verantwortung aufbürdet, mit seiner Freiheit umzugehen, lässt man die Emanzipation über sich ergehen. „Freiheit für Palästina“ kann aus emanzipativer Perspektive kaum mehr sein als die Freiheit von jüdischer Herrschaft und Säuberung von jüdischem Einfluss. Die Menschwerdung des Palästinensers, sein Übergang vom auf den Endkampf getrimmten, antisemitischen Kollektivsubjekt zum Individuum, das sein Leben in einem möglichst weiten Rahmen selbst gestalten kann, ist in dieser Perspektive von vornherein ausgeschlossen. Ein souveräner Palästinenserstaat, der unter derart falschen Voraussetzungen entstünde, könnte nie mehr sein als ein 20fach vergrößerter Gazastreifen, ein Freiluftgefängnis für alle, die mehr sein wollen als Berufspalästinenser und Vernichtungskämpfer. Ob sie es offen sagen oder nicht, ob sie es wollen oder nicht: Das ist die Perspektive, auf die alle emanzipativen Positionen zum Nahostkonflikt hinauslaufen. Sie sind aus diesem Grund nicht nur antisemitisch, sondern auch antipalästinensisch, da sie die Befreiung der Palästinenser als Akt des Ausgangs aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit systematisch hintertreiben.
Einer, der noch nie Probleme hatte, offen auszuplaudern, was er vom Judenstaat hält, ist Arn Strohmeyer, Sonderbeauftragter des Landesverbands Bremen der Partei „Die Linke“ und des Bremer Friedensforums zur Endlösung der Israelfrage (ohne Partei- und vermutlich auch ohne Vereinsmitgliedschaft). Denn wie war das nochmal mit der Großdemonstration „Für Gerechtigkeit und Frieden in Palästina“, der die Bremer Linkspartei zugute hält, „dass es den Organisatoren gelungen ist, antisemitische Äußerungen auf der Demonstration weitgehend zurückzudrängen.“? Der erste Redner der abschließenden Kundgebung auf dem Bremer Marktplatz war kein geringerer als Arn Strohmeyer, der es sich nicht nehmen ließ, vor dem Publikum, aus dessen Reihen sich die Gewalttäter rekrutieren, die einen Bremer Linken brutal zusammengeschlagen haben, eine lupenrein antisemitische Hetzrede zu halten. Dieses Zeugnis beispiellosen Israelhasses, das auf Youtube zu finden und auf der Website des Bremer Friedensforums in Textform dokumentiert ist, überführt die Bremer Linkspartei und ihre „LandessprecherInnen“ Doris Achelwilm und Dr. Christoph Spehr sowie die Fraktionsvorsitzende der Linken in der Bremischen Bürgerschaft, Kristina Vogt, der glatten Lüge. Die ganze Veranstaltung war genuin antisemitisch motiviert und es wurden dort offen Positionen vertreten, die nichts anderes bezweckten als die Dämonisierung mit dem Ziel der Delegitimierung und damit letztendlich der Vernichtung Israels. Wer Strohmeyer als Hauptredner einlädt, muss wissen, was er bekommt: Jemanden, der den ehemaligen Mufti von Jerusalem, Amin al-Husseini, als tragische Figur ansieht, der sich mit den Nazis verbündete und Hitlers Endlösung der Judenfrage lediglich deswegen aktiv unterstützte, um das „Hauptmotiv seiner politischen Tätigkeit“ zu verfolgen, nämlich „die weitere jüdische Einwanderung nach Palästina zu verhindern, denn er sah deutlich die Gefahr, die diesem arabischen Land durch die Immigration von immer neuen Wellen jüdischer Immigranten drohte.“ Wer an diesen Worten einen xenophoben, antisemitischen und jeder linken Politik Hohn sprechenden Hassprediger erkennt, dem ist nicht zu widersprechen.
Eine Veranstaltung, die diesen Mann als Hauptredner aufbietet, um „Gerechtigkeit und Frieden in Palästina“ zu propagieren (von Israel ist hier schon allein deswegen nicht die Rede, weil Israel nach Ansicht dieser Leute gar nicht existieren dürfte und auch nicht existierte, hätte nur der Mufti von Jerusalem das Hauptmotiv seiner politischen Tätigkeit etwas effizienter verfolgt), ist bereits von vornherein ein massiv antisemitisches Statement. Man stelle sich vor, es wären lupenreine Nazis gewesen, die unter diesem Motto demonstriert und Israel dämonisiert und delegitimiert hätten – die Linke, end of road und die Gruppe NoLager, die gegen jeden Mini-Naziaufmarsch mobilisieren, wären vermutlich vor Aufregung kollabiert. Da nun aber ein paar Linke, Friedensfreunde und Mitglieder der Linkspartei wie der Bürgerschaftsabgeordnete Peter Erlanson dabei waren, als türkische und palästinensische Gruppen ihre Großdemonstration abhielten, nahm man es mit den Hetzreden nicht mehr so genau. Neben Strohmeyer sprachen übrigens der Imam Bektas Ömer, der von „Völkermord“ daherdelirierte und die Situation in Palästina zu einem „Problem für 1,5 Milliarden Muslime in aller Welt, die hier ihre heiligen Stätten haben, die aber nicht frei zugänglich sind“, erklärte und damit bereits klarmachte, dass Israel mit seinen wenigen Millionen Juden den 1,5 Milliarden Muslimen und ihren Ansprüchen zu weichen habe, sowie Salam El-Sara, der Vorsitzende der palästinensischen Gemeinde Bremens, der von einem „kriegerischen Angriff auf unser Volk“ sprach und sich somit vollends mit der Hamas solidarisierte. Da Ömer auf Türkisch und El-Sara auf Arabisch sprach, sind wir hier auf die Übersetzungen der Veranstalter angewiesen, für die wir keine Gewähr übernehmen können. Auch den Bremer Linken-Politikern könnte man ihre mangelnden Sprachkenntnisse zugute halten, wäre da nicht die Rede Strohmeyers gewesen, die keine Fragen offen ließ. Dort hieß es unter anderem:
Liebe Freunde, es ist wieder Mal ein furchtbarer Anlass, zu dem wir uns heute hier auf dem Bremer Marktplatz versammeln – wie schon so viele Male zuvor. Hunderte von Palästinensern – darunter viele Alte, Frauen und Kinder – mussten in den vergangenen Tagen sterben, weil Israel seine Kriegsmaschinerie wieder einmal auf ein so gut wie unbewaffnetes und wehrloses Volk losgelassen hat und im Gaza-Streifen einmarschiert ist. Ich sage unbewaffnet, denn die Palästinenser – auch die im Gazastreifen – leben unter Israels Besatzung und haben nicht einen einzigen Panzer, keine Flugzeuge, Kanonen und andere Kriegsgeräte, über die Israels Armee als die viertstärkste der Welt reichlich verfügt. Es findet dort kein Krieg zwischen zwei gleich starken militärischen Gegnern statt, wie uns hier oft eingeredet wird. Was Israel dort anrichtet, ist ein Massaker schlimmsten Ausmaßes, ein anderes Wort gibt es dafür nicht – das wievielte Massaker in der Geschichte beider Völker – muss man fragen, das Israel da begeht?
Strohmeyers Auslassungen zu Israel, das ist in Bremen wohlbekannt, basieren auf einer fundamentalen Auslassung: Das Ziel palästinensischer Terrororganisationen wie der Hamas, alle Juden umzubringen, das im Zentrum ihres Handelns und ihrer Politik steht, wird nicht einmal erwähnt. Es liegt in der Natur der Sache, dass eine solche Auslassung kein Versehen ist, wie Strohmeyers Umgang mit der Biographie al-Husseinis zeigt. Sie ist Ausdruck des tiefen Einverständnisses mit dem Ziel der Vernichtung, das bereits den ebenfalls als Journalisten und Autor tätigen Vater Arn Strohmeyers, Curt Strohmeyer, umtrieb. Dieser war als überzeugter Nationalsozialist Redakteur der Zeitung „Das Reich“ und wurde von Hitler kurz vor Kriegsende als Hofberichterstatter auf den Obersalzberg gerufen. Arn Strohmeyer, der unter diesem Nazi-Vater und seinen Konflikten mit ihm offenbar stark zu leiden hatte, hat mit seinem Eintreten für die Palästinenser und ihr Ziel, jüdische Staatlichkeit und Existenz in Palästina zu verunmöglichen, ein Motiv gefunden, sich postum mit seinem Vater zu versöhnen. Man wird bei Strohmeyer nirgendwo, selbst dort, wo er Gestalten wie al-Husseini oder den israelischen Unabhängigkeitskrieg von 1948/49 behandelt, ein Wort darüber lesen, was offizielle Politik der Araber war: Die Liquidierung der „zionistischen Präsenz“, die Vernichtung Israels und die Ermordung der Juden. Da Strohmeyer sich aber exzessiv und geradezu obsessiv mit dem Konflikt befasst, ist es unmöglich, dass ihm diese Motive gänzlich unbekannt sind. Vielmehr hat Strohmeyer diese so sehr internalisiert, dass er gar nicht mehr fähig oder willens ist, sie zu reflektieren oder ans Bewusstsein zu bringen. Sie bilden vielmehr das Herzstück seiner antisemitischen Hetze gegen den jüdischen Staat – und wer sich das Youtube-Video zur Rede ansieht, der sieht, wie sehr Strohmeyer in der Rolle des großen Agitators aufgeht. Wer einmal dieses Motiv Strohmeyers entschlüsselt hat, dem fällt es leicht, die von ihm zusammengetragenen Fakten, Behauptungen, Propagandalügen und Hasstiraden zu lesen. Zur Illustration folgen einige besonders hässliche Beispiele aus seiner Rede:
Nun wird dem von den Israel-Verteidigern und den deutschen Medien so gut wie unisono entgegengehalten, und das ist ihr erstes Gegenargument: Aber die Raketen der Hamas! Man kann ja durchaus die Frage stellen, ob die Hamas sich und der Bevölkerung des Gaza-Streifens mit dem Raketenbeschuss auf Israel einen Gefallen getan hat? Und man kann finden, dass es sich damit keinen Gefallen getan hat. Aber man muss auch anmerken: Diese Raketen sind im Gegensatz zu den israelischen selbst gebaute und unwirksame Geschosse, die vielleicht Panik hervorrufen, aber so gut wie keine Schäden in Israel angerichtet haben. Ein einziger Israeli ist durch diese Raketen getötet worden. Aber ich will zu den Raketen der Hamas auch ganz klar sagen: Man darf hier nicht Ursache und Folgen verwechseln. Die Hamas-Raketen sind nicht die Ursache des gegenwärtigen Krieges, sondern der erbärmliche Zustand, unter dem die Palästinenser seit Jahrzehnten unter der brutalen israelischen Besatzung leben müssen!
Interessanterweise sagt Strohmeyer hier, was Bremer Linkspartei und die Gruppe NoLager meinen, wenn sie von einer „Person“ oder einem „Passanten“ sprechen, wenn davon die Rede ist, es habe jemand Verletzungen erlitten oder es sei zu einem Angriff gekommen, ohne von einem Angreifer zu sprechen. Bei Strohmeyer ist es nur ein einziger Israeli (was in diesem Zusammenhang geradezu bedauernd klingt), der nicht etwa durch einen Angriff auf zivile Ziele ermordet wurde, sondern bloß getötet wurde und dies auch nicht von Mördern bzw. Terroristen, sondern durch Raketen. Mit den Raketenangriffen ist einer wie Strohmeyer, der bedauert, dass die Hamas bzw. die Palästinenser nicht über effektive Massenvernichtungswaffen verfügen, prinzipiell einverstanden. Er bezweifelt lediglich, ob die Taktik sinnvoll ist und merkt an, dass man der Bevölkerung des Gaza-Streifens damit möglicherweise „keinen Gefallen getan“ habe. So geht einer, dem vermeintlich das Wohl der Palästinenser am Herzen liegt, darüber hinweg, dass die Hamas Raketen aus Schulen, Moscheen, Kindergärten und Wohngebieten abfeuert, Zivilisten als menschliche Schutzschilde missbraucht und dadurch den Tod zahlloser Menschen zumindest und für jeden ersichtlich mitverschuldet. Es ist vollkommen klar, dass einen wie Strohmeyer das Leid, dass der Krieg über Gaza bringt, im Grunde überhaupt nicht kümmert. Er plaudert es offen aus, wenn er die Frage, ob man Raketen abfeuern und damit die Bevölkerung des Gaza-Streifens einem vermeidbaren Krieg aussetzen sollte, mit der vollkommen verniedlichenden Frage abhandelt, ob das der Bevölkerung einen „Gefallen“ getan habe. Natürlich hat es der Bevölkerung keinen Gefallen getan, sondern zu etlichen unnötigen Toten und Verletzten geführt, von denen jeder Einzelne einer zu viel war. Darum kann es aber einem faschistischen Agitator wie Strohmeyer in seiner vollständigen Unmenschlichkeit schon lange nicht mehr gehen. Er denkt im Großen und im Ganzen, in völkischen Kategorien und Kollektiven:
Liebe Freunde, ich frage Sie hier: wer gibt Israel das Recht, ein ganzes Volk hinter Mauern und Zäunen wegzusperren – und dass aus dem einzigen Grund, dass es den Israelis gut geht und sie in Sicherheit leben wollen. Wer gibt ihnen das Recht dazu?
(…)
Israel verteidigt sich nicht gegen einen äußeren Feind, sondern gegen ein Volk, dessen Land es besetzt hat und das es hinter Mauern in Gefangenschaft und in Geiselhaft hält. Da kann man doch nicht das Recht auf Selbstverteidigung in Anspruch nehmen! Ganz im Gegenteil: Die Palästinenser haben nach dem Völkerrecht ein Recht auf – auch gewaltsamen – Widerstand, wenn er sich nicht gegen Zivilpersonen richtet.
(…)
Nur die Freiheit und Selbstbestimmung für die Palästinenser und eine einvernehmliche Koexistenz beider Völker können einen gerechten Frieden im Nahen Osten herbeiführen.
Strohmeyers Fortführung völkischer Vokabeln bestätigt, was Adorno bereits wusste: „Im dogmatischen Begriff des Volkes aber, der Anerkennung des vorgeblichen Schicksalszusammenhangs zwischen Menschen als der Instanz fürs Handeln, ist die Idee einer vom Naturzwang emanzipierten Gesellschaft implizit verneint.“ Für Strohmeyer ist es exakt dieser Schicksalszusammenhang, dem die Menschen sich zu opfern haben, wenn er dem palästinensischen Volk ein Recht auf Selbstverteidigung zuspricht und Israels Politik die Verantwortung für Terror, Raketenangriffe und Vernichtungsfantasien zuweist. Es zeigt sich nirgendwo so sehr wie an der bedenkenlosen, unkritischen, affirmativen Verwendung des Volksbegriffs, wie wenig sich Arn von Curt gedanklich zu entfernen vermocht hat. Da wundert es auch nicht, dass er dem Vorwurf des Antisemitismus nichts entgegenzusetzen hat. Die gewalttätige Manifestation des Antisemitismus der israelfeindlichen Demonstranten in Bremen und anderswo kommentiert Strohmeyer folgendermaßen:
Und wenn es jetzt antisemitische Ausfälle bei Demonstrationen gegen den Gaza-Krieg gibt, ist das schlimm! Damit haben wir hier nichts zu tun! Aber ein Eintreten für Humanität, Menschenrechte und für das Einhalten des Völkerrechts hat nichts mit Antisemitismus zu tun. Wer das behauptet, macht sich selbst der Inhumanität und eines perversen Denkens schuldig! Das sollten wir aus unserer Geschichte gelernt haben! Man muss Kritik an Israels Politik und Antisemitismus sehr sauber auseinanderhalten.
Nochmals: Strohmeyer sagt dies im Wissen um die Tatsache, dass 10 Tage vorher ein Antifaschist ins Koma geprügelt wurde, von einem, der dem Bündnis angehört, zu dem er spricht. Er erwähnt diesen Vorfall mit keinem Wort, genausowenig die übrige Gewalt gegen Juden, Synagogen und friedliche Demonstranten. Wenn er Sprechchöre, in denen zur Vernichtung der Juden aufgerufen wird, die Juden zu Schweinen entmenschen, mit Nazis gleichsetzen oder als blutdürstige Kindermörder dämonisieren, zu „Ausfällen“ verniedlicht, dann wissen wir bereits, was Sache ist: Für ihn sind alle Antisemiten, die jetzt im Zuge des Gaza-Konflikts ihren Hass herausschreien und ihrer Brutalität freien Lauf lassen, im Grunde nichts als legitime Israelkritiker, die für Humanität, Menschenrechte und das Einhalten des Völkerrechts eintreten. Strohmeyer Junior verhält sich zu dem antisemitischen Schläger auf der Bremer Demonstration wie Strohmeyer Senior zum Waffen-SS-Mann. Und selbstredend sind auch bei Strohmeyer Junior immer die Juden und ihr Staat Schuld am Judenhass. Israel verfällt deswegen der Kritik, weil es antisemitische Mordbanden davon abhält, Juden zu ermorden. Diese kranke Irrenlogik bringt auf den Begriff, was diejenigen, die von „emanzipativen Positionen“ zum Nahostkonflikt daherschwafeln und eine „Selbst-Beschränkung auf »Antisemitismus«“, natürlich in Anführungszeichen, beklagen, auf ihre verdruckste Art und Weise sagen wollen, sich aber nicht mehr so Recht trauen, da sie bereits zu oft mit der Antisemitismuskeule verdroschen worden sind. Strohmeyers Fazit würden diese Freunde einer emanzipatorischen Perspektive auf den Nahostkonflikt aber sicherlich vorbehaltlos und ohne jede Einschränkung zustimmen:
Die mörderischen Kriege, die Israel ständig führt, bringen diesem Staat weder Sicherheit noch Frieden. Ganz im Gegenteil. Israels Zukunft wird dadurch immer unsicherer. In der Geschichte hat noch kein Staat überlebt, der in völliger Feindschaft mit seiner gesamten Umwelt lebte und nur auf die Stärke seiner Waffen setzte.
Deshalb meine Forderung: Schluss mit dem Massaker im Gaza-Streifen. Wir fordern hier ein sofortiges Ende des Krieges, das Ende der Besatzung, das Ende der Siedlungspolitik und die Aufhebung der Blockade des Gazastreifens. Wir fordern Freiheit und Gerechtigkeit für ein selbstbestimmtes Palästina neben einem friedlichen Staat Israel!
Während die Charta der Hamas sich auf den Gründer der Muslimbrüder, Hassan al-Banna, beruft und diesen mit den Worten „Israel wird entstehen und solange bestehen bleiben, bis der Islam es abschafft, so wie er das, was vor ihm war, abgeschafft hat“, zitiert, beruft sich Strohmeyer in ganz derselben Intention der Abschaffung, d.h. Vernichtung, auf die Geschichte. Dass aber gerade dann, wenn Geschichte etwas anderes sein sollte als eine verhängnisvolle Verkettung von Leid, Tod und Gemetzel, von Krieg, Genozid und Massenmord, gerade der Staat Israel gegen all seine Feinde Bestand haben müsste, ist genau das, was man all denen entgegenhalten müsste, die aller Kritik am Antizionismus und Antisemitismus zum Trotz nicht erkennen wollen, dass Kritik des Antisemitismus heute zwingend Solidarität mit Israel erfordert. Und dies gegen alle, die es im Namen des Islam, der Geschichte, der Vorsehung oder der Menschenrechte opfern wollen. Konsequenterweise soll dann auch, neben einem selbstbestimmten Palästina, was in der gegenwärtigen Lage auf ein Selbstbestimmungsrecht von Mördern, Terroristen und Antisemiten hinausläuft sowie auf eine Infiltration durch den weltweiten sunnitischen Djihadismus, ein „friedlicher Staat Israel“ existieren – wohlwissend, was einem friedlichen Staat in dieser Umgebung blüht, wie man an den wehrlosen, über keine moderne Armee verfügenden Christen und Yeziden im Nordirak und in Syrien sehen kann.
Aus diesen ungeheuerlichen Vorgängen in Bremen, aus einer antisemitischen Massenzusammenrottung in der Bremer Innenstadt, an der nach Angaben der Veranstalter ca. 5.000 Menschen teilnahmen, müssen die notwendigen Konsequenzen gezogen werden. Adorno schreibt in seinem Essay „Erziehung nach Auschwitz“:
Da die Möglichkeit, die objektiven, nämlich gesellschaftlichen und politischen Voraussetzungen, die solche Ereignisse ausbrüten, zu verändern, heute aufs äußerste beschränkt ist, sind Versuche, der Wiederholung entgegenzuarbeiten, notwendig auf die subjektive Seite abgedrängt. Damit meine ich wesentlich auch die Psychologie des Menschen, die so etwas tut. Ich glaube nicht, dass es viel hülfe, an ewige Werte zu appellieren, über die gerade jene, die für solche Untaten anfällig sind, nur die Achseln zucken würden; glaube auch nicht, Aufklärung darüber, welche positiven Qualitäten die verfolgten Minderheiten besitzen, könnte viel nutzen. Die Wurzeln sind in den Verfolgern zu suchen, nicht in den Opfern, die man unter den armseligsten Vorwänden hat ermorden lassen. Nötig ist, was ich unter diesem Aspekt einmal die Wendung aufs Subjekt genannt habe. Man muss die Mechanismen erkennen, die die Menschen so machen, dass sie solcher Taten fähig werden, muss ihnen selbst diese Mechanismen aufzeigen und zu verhindern trachten, dass sie abermals so werden, indem man ein allgemeines Bewusstsein solcher Mechanismen erweckt.
Zunächst einmal hieße die Wendung auf die subjektive Seite, die Antisemiten, die in Bremen und nicht nur in Bremen ihr Unwesen treiben, beim Namen zu nennen. Wenn es gegen Nazis geht, käme niemand auf die schwachsinnige Idee, ein Plakat mit der Aufschrift „Gegen jeden Nationalsozialismus“ hochzuhalten, sondern die Parole lautet schlicht: „Gegen Nazis“. Gegen den grassierenden Antisemitismus in Bremen ist zunächst einmal solide antifaschistische Arbeit gefragt, das Benennen antisemitischer Organisationen und Zirkel, die Denunzierung und Isolierung ihrer Lautsprecher und Scharfmacher. Es ist in diesem Zusammenhang keineswegs einzusehen, warum beispielsweise Arn Strohmeyer, Bektas Ömer und Salem Al-Sara sowie alle, die mit ihnen kooperieren, anders zu behandeln sind als die Nazis von Standarte und Kategorie C. Das würde zunächst einmal bedeuten, dass der Trägerverein der Villa Ichon Strohmeyer und seinen Kameraden vom Bremer Friedensforum endlich Hausverbot erteilt. Wer gegen Antisemitismus demonstriert, kann das Gesindel nicht in seinen Räumlichkeiten ein- und ausgehen lassen, das diesen in Bremen permanent verbreitet und sich damit mitschuldig am tätlichen Angriff auf einen Bremer Antifaschisten gemacht hat.
Sogar in Bremen ist mit dem Vorfall vom 12./13. Juli und den ausgebliebenen Reaktionen endgültig klar geworden, dass der Versuch, eine sinnvolle Kritik des Antisemitismus mit einer „emanzipativen Position“ zum Nahostkonflikt unvereinbar und folglich mit der Bremer Linken nicht zu haben ist, sondern sich primär explizit gegen diese zu richten hat. Die wenigen Gruppen und Einzelpersonen, die bereit sind, sich nicht nur gegen Antisemitismus auszusprechen, sondern Antisemiten zu bekämpfen und sich aus diesem Grund mit dem Staat Israel als antifaschistischer Gewalt solidarisch erklären, müssen sich endlich und ohne Wenn und Aber von einer Bremer Linken verabschieden, an der nichts zu retten ist und auf die sie selbst dann nicht zählen können, wenn einer der ihren brutal zusammengeschlagen wird.
Israelsolidarität in Bremen – ein Ding der Unmöglichkeit?
Zur Kritik des Aufruftextes zur „Kundgebung gegen Antisemitismus“ auf dem Bremer Marktplatz am 22.07.2014 um 17h.
Hamas und israelkritische Weltöffentlichkeit haben ein Bündnis geschlossen, das auf folgender Arbeitsteilung basiert: Die einen liefern den anderen tote palästinensische Zivilisten, vorzugsweise Kinder. Dafür erhalten sie von den anderen Geld, Hilfsgüter und Waffen. Immer dann, wenn den einen das Geld oder den anderen die verbale Munition gegen den „Kindermörder Israel“ auszugehen droht, wird die Zahl der Raketen, die Hamas aus dem Gazastreifen auf israelische Zivilisten abfeuert, erhöht. Gleichzeitig hetzt die israelkritische Weltöffentlichkeit gegen jede Maßnahme, die Israel zur Verteidigung seiner Bürger ergreift, präsentiert jeden toten Palästinenser als Opfer jüdischer Rachsucht oder Ritualmorde. Wenn man so will, dann ist dies die „Spirale der Gewalt“, von der in Bezug auf den Nahen Osten so gern gesprochen wird. Israelkritik und Israelhass peitschen sich gegenseitig auf, mit jedem Terrorakt gegen Israel nimmt die Israelkritik zu, was wiederum die Unterstützung der Terrorgruppen und deren Bereitschaft zu Terrorakten erhöht. Am Ende dieser Spirale steht die Vernichtung Israels – sei es durch das iranische Atomprogramm, die Etablierung eines Terrorstaats in der Westbank oder durch den internationalen sunnitischen Djihadismus, der in Syrien und im Irak gerade massiv auf dem Vormarsch ist. Es muss also gelingen, diese Spirale zu unterbrechen, um das Schlimmste zu verhindern.
Nicht weil diese Erkenntnis neu wäre oder weil es eine große Denkanstrengung erforderte, sie nachzuvollziehen, sondern weil sie so banal ist, muss sie offenbar immer wieder neu gegen jene durchbuchstabiert werden, denen es primär gar nicht um Israel geht. Israel als Staat und der Zionismus als Projekt stehen im besten Sinne dafür, was Leute wie Moshe Zuckermann, der beliebteste israelische Stichwortgeber einer deutschen Linken von Sarah Wagenknecht und Inge Höger bis zu Gremliza und Ditfurth, ihnen vorwerfen: Für eine partikuläre Antwort auf die Universalität nicht nur der Shoah, sondern des Antisemitismus. Was der Vorwurf meint, ist klar: Die Zionisten instrumentalisierten Auschwitz, um ihre Verbrechen und die Existenz des Staates Israel zu rechtfertigen. Nie wird jedoch auch nur mit einer Silbe erwähnt, dass es keine universelle Antwort auf den Antisemitismus gegeben hat, dass es keinen Staat gab, der den Juden Schutz bot und niemand bereit war, gegen den Antisemitismus zu intervenieren. Die Gründung des Staates Israel als partikularer Staat der Juden sichert insofern heute die Möglichkeit, dass ein Universalismus überhaupt noch möglich ist. Israel ist zwar, was seine Institutionen, seine Armee, die Fehlbarkeit seiner Politiker und Bewohner betrifft, ein Staat wie jeder andere. Er kann jedoch als Versuch der revolutionären Abschaffung antisemitischer Verfolgung und der Überwindung eines Zustands, in dem man sich fürchten muss, sich als Jude erkennen zu geben, kein Staat wie jeder andere sein. Aus diesem Grund muss jede Bewegung und jede Einzelperson, die es mit Aufklärung, Fortschritt und einer besseren Gesellschaft hält, aus Prinzip mit Israel solidarisch sein.
Der Mord an drei israelischen Jugendlichen und der Raketenterror aus Gaza durch die Hamas (Im Aufruf ist, als handele es sich um ein Naturschicksal, für das niemand die Verantwortung trägt, von einer „erneuten Eskalation des Nahost-Konflikts“ die Rede) führt derzeit zu einer antisemitischen Eskalation auf den Straßen, die ohne einen ideologischen Geleitschutz aus der israelkritischen Öffentlichkeit dieses Landes unmöglich gewesen wäre. Wenn Demonstranten in Berlin vor einer Synagoge „Jude, Jude feiges Schwein – komm‘ heraus und kämpf allein!“ brüllen, dann fordern sie nichts substantiell anderes als Günter Grass, Jakob Augstein, Arn Strohmeyer, Michael Lüders, Jürgen Todenhöfer und Nahost-Korrespondenten wie Inge Günther, Susanne Knaul und Peter Münch.
Sie alle werfen Israel vor, gegen diejenigen, die es vernichten wollen, sich in einer relativen Position der Stärke zu befinden und sich weder abschlachten zu lassen noch den heroischen Kampf Mann gegen Mann zu suchen. Wenn Israel Angriffe auf seine Bürger unterbindet, dann ist ihnen dies maßlos, unverhältnismäßig, folgt einem Gesetz der Rache und so weiter. Die derzeitigen Querfront-Demonstrationen, die Linke, Rechte, Islamisten und Bürger mit Migrationshintergrund vereinen, werden von einer gesellschaftlichen Mitte angefeuert, der jede israelische Selbstverteidigung eine Gefährdung des Weltfriedens ist, der das Schlachten in Syrien und im Irak aber kaum Anlass zu Empörung und mitnichten Motivation zu gemeinsamen Solidemos bietet, denen also Krieg und Leid immer genau so lange am Arsch vorbei gehen, wie sie nicht den Juden angelastet werden können.
Es gibt zwei falsche Deutungsmuster der derzeitigen antisemitischen Manifestationen, die sich inzwischen offen und eindeutig gegen Juden und jüdische Einrichtungen richten und diese umstandslos mit Israel identifizieren. Beide Deutungsmuster sind im Grundsatz rassistisch, da sie den Migranten, die sich an solchen Demonstrationen beteiligen und die antisemitische Parolen grölen, jede Verantwortung absprechen. Das rechte, islamfeindliche Muster lautet: „Diese Menschen können und wollen sich hier nicht integrieren und gehören abgeschoben!“ Das linke, menschenfeindliche Muster geht davon aus, dass Migranten als Opfer der Verhältnisse und der rassistischen Mehrheitsgesellschaft entschuldigt seien und damit quasi eine Art Freifahrtschein für Hassparolen hätten, die ihrem „Zorn“ entsprängen. Dass es vielmehr ein Zeichen gelungener Integration sein könnte, wenn junge Migranten das Geschreibsel älterer Deutscher in die „Sprache der Straße“ übersetzen, ist als Gedanke offenbar ebenso verpönt wie der, jeden Nazi gleich zu behandeln, egal welcher Abstammung.
Der Grund, aus dem sich die Staatsmacht aber so nachsichtig gegenüber diesen antisemitischen Demonstrationen und sogar den dort regelmäßig zu beobachtenden Gewaltausbrüchen zeigt, ist derselbe, aus dem die Antifa keinen substantiellen Protest organisiert bekommt: Es gibt zur staatsoffiziellen Israelkritik keine nennenswerte Opposition, die sich die Solidarität mit Israel auf die Fahne schreibt. Es ist daher mehr als befremdlich, wenn in Zeiten, in denen Menschen Angst haben müssen, sich als Juden und Israelis erkennen zu geben, in denen das Bündnis aus antisemitischem Mob und israelkritischen Eliten fröhliche Urstände feiert, in einem Demonstrationsaufruf darum gebeten wird, ausgerechnet das Tragen von „Nationalfahnen“, womit natürlich die Israelfahne gemeint ist, zu unterlassen.
[Der Aufruf kursiert in zwei Versionen: „Wir bitten auf das Tragen von Nationalfahnen zu verzichten“ wurde geändert zu „Wir bitten zu beachten, dass es im Bündnis keinen Konsens gibt, was das Zeigen von Nationalfahnen bei der Kundgebung betrifft.“]
Die Israelfahne ist das Symbol, mit dem man beide Seiten des Bündnisses gegen Israel am klarsten konfrontiert. Man macht damit dem Mob deutlich, dass es durchaus noch Menschen gibt, die bereit sind, sich ihm entgegenzustellen und für die Gegenseite Partei zu ergreifen, die für Israels Recht auf militärische Selbstverteidigung, auf Terror-Schutzzäune und für das Recht auf jüdisches Leben eintreten, ob in Hebron, Jerusalem, Tel Aviv oder Bremen.
Gleichzeitig wird den ideologischen Scharfmachern, den hauptamtlichen Israelkritikern, eindeutig signalisiert, dass ihr Gift nicht bei allen verfängt, dass es durchaus noch Menschen gibt, die bereit sind, sie mit der „Antisemitismuskeule“ zu verdreschen, wenn sie aus ihrer Mördergrube kein Herz machen.
Der Verzicht auf das Tragen von Israelfahnen zeigt, dass man offenbar bereit ist, der Kritik des Antisemitismus jeden Schwung zu nehmen. Bereits Horkheimer/Adorno hatten festgestellt, dass es keinen mehr gibt, der sich als Antisemiten bezeichnet. Heute ist man lieber mit gutem Gewissen Antizionist, Israelkritiker oder ganz grundsätzlich Antinationalist, ohne beim Staat Israel eine Ausnahme formulieren zu können. Für Deutschland gilt aber, nachweislich der Schriften und Reden von Alfred Rosenberg und Adolf Hitler, dass jeder Antisemit auch Antizionist sein muss und umgekehrt, dass zwischen Antisemitismus und Antizionismus nicht sinnvoll unterschieden werden kann. Deswegen ist eine Kritik des Antisemitismus unmöglich, die sich nicht auch und zugleich mit Israel solidarisch erklärt.
Dass das Bremer Bündnis gegen Antisemitismus in dieser Frage „keinen Konsens“ herzustellen vermag, stellt den Sinn dieser Kundgebung und die Berechtigung des Bündnisses grundlegend in Frage, muss dies doch als Warnung an alle verstanden werden, die sich offen zu Israel bekennen. Wenn man also aus Prinzip nicht in der Lage oder nicht gewillt ist, ein demonstratives und kollektives Zeichen der Solidarität mit Israel zu setzen, das angesichts der momentanen Kräfteverhältnisse bereits darin bestehen könnte, sich zumindest gemeinsam vorzunehmen, vor dem Mob nicht zurück zu weichen, sondern entschlossen „zusammen“ zu stehen, dann sollte man es lieber lassen, die Kundgebung absagen, das Bündnis einstampfen.
Wir wollen aber wohlwollend annehmen, dass die nachträgliche Veränderung des Aufrufs, in der die Bitte, auf Nationalfahnen zu verzichten, zurückgezogen wurde (und nun ärgerlicherweise auf den nicht vorhandenen Konsens verwiesen wird) in die richtige Richtung geht. Den Banalitäten der Israelsolidarität gerecht zu werden, hieße sich über jede Israelfahne auf der Kundgebung zu freuen und diese lächerliche Debatte um „Nationalfahnen“, die die Linke seit 10 Jahren beschäftigt, endlich zu beenden. Mit wem eine israelsolidarische Demo mit Israelflaggen nicht zu machen ist, der möge eben zuhause bleiben.
Die Unverträglichkeit des Wutbürgers
Zeit Online weiß über die Bewohner dieses Landes folgendes zu berichten:
Die Sorge, sich falsch zu ernähren, greift um sich: Viele Deutsche glauben, Gluten, Laktose oder Fruktose mache sie krank. Tatsächlich leiden nur wenige wirklich an einer Lebensmittelunverträglichkeit.
So dürfte jeder Linke zumindest eine Person kennen, die ihre Essstörung offensiv propagiert und unter Labeln wie Vegetarier, Pescetarier, Straight Edge, Fruktarier, Veganer segelt oder die zumindest felsenfest davon überzeugt ist, mit einer speziellen Diät oder dem Verzicht auf bestimmte Nahrungsmitteln ihrer Gesundheit zu dienen. Zeit Online resümiert:
Noch vor zehn Jahren waren Verdauungsvorgänge ein Tabuthema bei Tisch, heute breitet sich beim gemeinsamen Essen die neue Innerlichkeit aus. Jedes Grummeln im Magen, jedes Ziehen im Bauch wird diskutiert und mit ernster Miene kategorisiert. Wer alles klaglos hinunterschluckt und verdaut, sitzt dazwischen wie ein Klotz: unsensibel, unreflektiert – kurz: von gestern.
Das Gefühl, nicht richtig zu ticken, weil man Fleisch, Laktose, Histamin, Gluten und alles andere verzehrt, was auf den Tisch kommt, kann einem in der falschen Gesellschaft schon einmal kommen.
So ist der Markt für laktosefreie Produkte in den vergangenen Jahren enorm gewachsen. Kauften 2007 nur 6,5 Prozent der Haushalte derartige Milchprodukte, waren es 2012 schon knapp 18 Prozent. Das ergab die jährliche Befragung von 30.000 Haushalten durch die Gesellschaft für Konsumforschung. Viele, die angegeben hatten, laktosefreie Milchprodukte zu kaufen, verneinten gleichzeitig die Frage der Marktforscher nach einer Laktoseintoleranz. Wie viele Konsumenten glutenfreie Produkte kaufen, ist in Deutschland nicht bekannt. In den USA zeichnet sich jedoch ein deutlicher Trend ab: 28 Prozent der Erwachsenen gaben 2012 bei einer Befragung des Marktforschers NPD Group an, kaum oder gar kein Gluten mehr zu verzehren. Dabei leidet weniger als ein Prozent der Bevölkerung tatsächlich an Glutenunverträglichkeit.
Auf die Frage, was dieser Ernährungsunsinn bedeuten soll, weiß Zeit Online, neben der üblichen Schuldzuweisung an die Werbeindustrie, drei verschiedene gesellschaftliche Entwicklungen zu benennen:
Erstens: Gesundsein ist Bürgerpflicht. Und es gehört zum guten Ton, die Bewusstwerdung des eigenen Körpers öffentlich zu machen. Wer per Jogging-App seine wöchentliche Laufleistung über die Sozialen Netze jedem noch so entfernten Bekannten triumphierend aufs Mobiltelefon schickt, entwickelt auch beim Wettlauf um die gesündeste Ernährung einigen Ehrgeiz – und spricht darüber.
Zweitens: Unterstützt wird der Hang zur Selbstdarstellung durch einen wachsenden Boom der Innerlichkeit. Yoga ist zum Volkssport geworden. “Achtsamkeit” ist der neue Trend des Innehaltens und In-sich-Hineinlauschens. Da wird so manches kaum vernehmliche Verdauungsgeräusch zum warnenden Fingerzeig.
Drittens: Die nicht abreißende Kette von Lebensmittelskandalen hat die Verbraucher tief verunsichert, was zu der fälschlichen Annahme führt, dass da weniger Gefahren lauern, wo weniger drin ist. War früher “cholesterinfrei” oder “fettfrei” ein Qualitätssiegel, so haben die Hersteller das Marketing des Weglassens inzwischen auf die Spitze getrieben: laktosefrei, glutenfrei, fruktosefrei. All das gibt es jetzt auch.
Während Zeit Online im Folgenden das „Sensibelchen“, die „Prinzessin auf der Erbse“ und den „picky eater“ nicht besonders ernst nimmt, sondern vor allem als Resultat von Marketingstrategien erscheinen lässt und dies vermutlich für „Gesellschaftskritik“ hält, lohnt es sich, bei diesen drei Punkten zu bleiben und die zugrundeliegenden Bedürfnisse zu beleuchten. Werbung, und das eint sie mit Ideologie, muss den Menschen schließlich etwas versprechen, ihnen also etwas anzubieten haben, wovon sie sich etwas erhoffen können. Nun zeichnet sich der wutbürgerliche Wahn, der von Zeit Online hier als „Innerlichkeit“ charakterisiert wird, dadurch aus, dass innerleibliche Zustände nach demselben Schema beurteilt werden wie die äußerliche, der Erfahrung kaum mehr zugängliche Realität. Der Wutbürger hält nicht nur die Welt, sondern vor allem eben auch sich selbst für krank, er fühlt sich durch den Schmutz, die moralische Verkommenheit und nicht zuletzt durch die Nahrung schleichend vergiftet. Zeit Online missversteht diese Tendenz systematisch, wenn dieses permanente „In-sich-Hineinlauschen“ als Ausdruck eines „hochgezüchteten“ Individualismus betrachtet wird. Denn das permanente Kreisen um die eigene Person und Befindlichkeit besitzt natürlich keine individuelle Komponente, sondern ist Ausdruck einer massenhaften Vereinzelung, des zunehmenden Verlusts des Kontakts zur Außenwelt.
Mit Fitnesstraining, Yoga und Gesundheitswahn versucht das Subjekt verzweifelt, dem Tempo der Kapitalakkumulation schrittzuhalten, den an es gestellten Anforderungen, die in erster Linie als Herausforderungen oder Bedrohungen wahrgenommen werden, gerecht zu werden. Wird aber Gesellschaft zuallererst als ein Konzept verstanden, in dem es permanent Prüfungen zu meistern gilt, in dem diejenigen sich durchsetzen, die sich unermüdlich nach oben kämpfen, so wird dieses Schema zwangsläufig auch auf die Innenwelt der Subjekte übertragen, so wird das tägliche Training und die tägliche Ernährung zur Kampfhandlung, der es sich mit größtmöglicher Beharrlichkeit zu widmen gilt. Das trifft selbst dort zu, wo über Entschleunigung, Entspannung und Innehalten gesprochen wird, denn dies meint im Kern dasselbe, nur in umgedrehter Form. Wer in der täglichen Produktionsschlacht seinen Mann stehen sollte, der brauchte Kraft durch Freude, und wer jeden Tag kreative Höchstleistungen in einer Werbeagentur vollbringt und nebenbei für den Marathon trainiert, muss sich auf der Yoga-Matte entspannen oder sich mit einem Soy Caffè Latte belohnen.
Bereits der Führer persönlich betonte als einen der Vorzüge vegetarischer Ernährung das größere Durchhaltevermögen, die größere Beharrlichkeit von Pflanzen- gegenüber Fleischfressern. Es wird berichtet, er habe bei Tisch ausschweifende Vorträge darüber gehalten, dass das Pferd zu stärkeren Leistungen in der Lage sei als der Hund, dass das Kamel länger laufen könne als der Löwe. Was der Führer noch wusste, ist heute unter den Apologeten vermeintlich besserer Ernährung Gemeingut. So dürfte es vermutlich kaum einen Veganer geben, der keinen minutenlangen Monolog über die Vorzüge seiner Lebensführung zu halten wüsste. Abgesehen davon, ob die Fakten stimmen oder nicht, ist ganz offenkundig der Placebo-Effekt solcher Selbstüberredungen der entscheidende Punkt, ist der unumstößliche Glaube an die Richtigkeit des eigenen Tuns der Motor, der solche Menschen besonders geeignet für Arbeit in der Dienstleistungsgesellschaft macht.
War Übergewicht früher ein Statussymbol, so gilt es heute als Unterschichtphänomen, als Zeichen dafür, zum Prekariat zu gehören und nicht zu den nimmermüden Leistungsträgern. Die permanenten Diäten sind ebenso wie die zahllosen eingebildeten Nahrungsmittelallergien und -unverträglichkeiten Ausdruck einer Unfähigkeit des Bürgers zum Genuss, der nach der Kunst auch die Ernährung längst erreicht. Bereits das Wort der Unverträglichkeit drückt aus, in welchem Zustand der heutige Wutbürger zu seiner Außenwelt steht. Seine Unverträglichkeit funktioniert wie die tatsächliche Lebensmittelunverträglichkeit: Stößt der Wutbürger auf gesellschaftliche Prozesse, die ihm unverständlich bleiben, schlägt er aus. Es ist insofern nur konsequent, dass er dies konsequent auf sein Innenleben überträgt, indem er sich zahllose tatsächliche oder eingebildete Lebensmittelunverträglichkeiten zuzieht.
Bremer Zustände Teil 6 – Arn Strohmeyer und die Tragik des Mohammed Amin al-Husseini
Dass linke Palästina-Freunde nicht gern vom arabischen Antisemitismus sprechen, ist ein bekanntes Phänomen. Die Motive derer, für die sie sich so selbstlos einzusetzen vorgeben, spielen schon deswegen keine Rolle, weil sie bloße Projektionsfläche für die eigenen, auf Vernichtung der Juden und ihren Staat gerichteten Mordphantasien sind. Wird dann doch mal ein Wort darüber verloren, dann nur, um vor „Scharfmachern“ oder „Extremisten“ auf beiden Seiten zu warnen oder im arabischen Antisemitismus eine Art Notwehr gegen zionistische Aggression, eine einigermaßen verständliche Reaktion auf zionistischen „Landraub“ erkennen zu wollen. Antizionismus halluziniert also wie jeder andere Antisemitismus eine Notwehr-Situation herbei, die es erlaubt, zur mörderischen Tat zu schreiten.
Einen entscheidenden Schritt weiter ist man bekanntlich in Bremen, wo Arn Strohmeyer, der parteilose Sonderbeauftragte des Landesverbandes Bremen der Partei „Die Linke“ für die Endlösung der Israelfrage, sein wüstes antisemitisches Unwesen treibt. In seiner im „Palästina-Portal“ erschienenen Rezension des Buches „Die Araber und der Holocaust“ von Gilbert Achcar kommt er zunächst zu dem erwartbaren und insofern klassisch linken Fazit, das bereits die Überschrift „Ohne den Zionismus gäbe es keinen arabischen Antisemitismus“ verrät. Aber Strohmeyer wäre nicht Strohmeyer, wenn er es dabei bewenden ließe. Denn nach allerlei unerheblichen Gerede kommt er unvermittelt auf die zentrale Figur des palästinensischen Antisemitismus zu sprechen, nämlich auf Amin al-Husseini, den Mufti von Jerusalem. Wie üblich macht Strohmeyer aus seiner Mördergrube kein Herz, wenn er über die üblen Zionisten und den berechtigten Hass auf sie schreibt:
Wenn der aus Deutschland kommende Judenhass und Antisemitismus im arabischen Raum Verbreitung fand, dann muss dies als Folge des sich zuspitzenden Konflikts zwischen Arabern und Zionisten in Palästina gesehen werden.
Die Legende, der Judenhass sei aus Deutschland quasi in die arabische Welt eingeführt worden, muss sogleich die Behauptung an die Seite gestellt werden, es habe sich um eine Folge eines sich zuspitzenden Konfliktes zwischen Arabern und zu Zionisten entmenschten Juden gehandelt. So suggeriert Strohmeyer, der arabische Mob, der z.B. im August 1929 in Hebron ein Pogrom abhielt, habe fein säuberlich in Zionisten und Nichtzionisten selektiert und nicht etwa ausnahmslos jeden Juden massakriert, den er finden konnte.
Ohne diese Auseinandersetzung und die gewaltsame Eroberung Palästinas durch die Zionisten hätten antisemitische Stereotypen und Ideologeme wohl kaum eine Chance zur Entfaltung im arabischen Raum gehabt.
Nun könnte man natürlich fragen, ob Strohmeyer nicht weiß, dass antisemitische Pogrome und das Bündnis des Muftis mit dem Führer der Gründung des Judenstaates vorausgegangen waren, was aber vollkommen sinnlos wäre. Denn für Strohmeyer ist bereits die Idee des Zionismus verbrecherisch, der aus den Nationalbewegungen und dem sich zuspitzenden Antisemitismus im 19. Jahrhundert die Konsequenz zog, dass auch die Juden ihren Staat benötigten. Genau hier ist Strohmeyers Konstruktion dieselbe wie die der Nazis und des Muftis: Den Juden wird es schlicht nicht zugestanden, als Konsequenz aus dem immer virulenter werdenden Antisemitismus einen eigenen Staat zu gründen, sie ist also lupenrein antisemitisch und folgt dem Argumentationsmuster führender Nazis.
Lange Passagen seines Buches widmet Achcar der Hauptfigur auf palästinensischer Seite in diesen für den Nahen Osten so wichtigen 1930er und 40er Jahren: dem Mufti von Jerusalem Amin al-Husseini. Das Hauptmotiv seiner politischen Tätigkeit war es zweifellos, die weitere jüdische Einwanderung nach Palästina zu verhindern, denn er sah deutlich die Gefahr, die diesem arabischen Land durch die Immigration von immer neuen Wellen jüdischer Immigranten drohte. Dass er sich, um dieses Ziel zu erreichen, mit dem „Teufel“ verbündete, also zum Komplizen und Kollaborateur der Nazis wurde und auch über den Völkermord an den Juden informiert war und ihn ganz offensichtlich auch billigte, macht die Tragik und Schande dieses palästinensischen Führers aus. Der Reichsführer der SS, Heinrich Himmler, hatte ihn im Sommer 1943 zum Mitwisser gemacht. Der Mufti hoffte darauf, dass Hitler nach dem deutschen Sieg im Krieg die sogenannte jüdische nationale Heimstätte in Palästina vernichten werde und berief sich dabei auf deutsche Zusagen.
Man merke: Einer, der die nach Palästina eingewanderten Juden allesamt massakrieren wollte, war im Grunde nur ein fehlgeleiteter Widerstandskämpfer, der deutlich die Gefahr für dieses Land mit Arabernachweis sah, die von jüdischen Einwanderungswellen ausging. Wer das schreibt, der muss ohne wenn und aber als Nazi, als eliminatorischer Antisemit ersten Ranges bezeichnet werden. Denn die Juden, die da einreisten, das waren diejenigen, die durch ihre Einreise Strohmeyer senior und seinen Mordkomplizen noch einmal entkommen konnten. Wer sie als Gefahr begreift und die Abwehr dieser Gefahr mit allen Mitteln, der Verhinderung der Einreise von Juden auf der Flucht vor ihren Mördern, des Massakers bis hin zur Unterstützung der Nazis aus voller Überzeugung als „politische Tätigkeit“ bezeichnet, der ist Schreibtischtäter und Komplize der Mörder. Die Hoffnung des Muftis, die Strohmeyer teilt, war die, dass nicht nur die „Heimstätte“, sondern ganz konkret die Juden, die im palästinensischen Mandatsgebiet lebten, vernichtet werden sollten. Dass dieser Mufti, der sein ehrenwertes Ziel eines judenreinen Palästinas nicht erreicht hat, in Strohmeyers Augen eine tragische Figur ist, leuchtet ein – man fragt sich lediglich, worin die Schande dieses Mannes bestanden haben soll, der sich doch nur in einem legitimen Abwehrkampf gegen jüdische Einwandererhorden befunden hat?
Man kann es drehen und wenden wie man will: Gegen die Einwanderung keiner Gruppe in kein Land dürfte einer, der bei der Linkspartei wohlgelitten ist, sich derart xenophobe Vernichtungsphantasien erlauben. Die Linkspartei in Bremen aber hält sich diesen Antisemiten und auch das Bremer Friedensforum, das so großen Wert darauf legt, zu einer Veranstaltung von Strohmeyer nicht aufgerufen zu haben, wirft diesen Mordhetzer und Nazisympathisanten keinesfalls hochkant raus. In Bremen kann sich so einer alles erlauben und die linke Gemeinde feiert ihn dafür.
Die Rolle des Mufti war verhängnisvoll und nicht entschuldbar, daran lässt Achcar gar keinen Zweifel. Eine ganz andere Frage aber ist, wie groß sein politischer Einfluss wirklich war und ob sein politisches Wirken sich dafür eignet, den Palästinensern eine Mitschuld an der Ermordung der europäischen Juden zu geben, wie es zionistische und neokonservative Ideologen bis heute tun und noch die Gleichung anhängen: Die Palästinenser sind die neuen Nazis, die Israel vernichten wollen.
Dass al-Husseinis Wirken und seine bis heute ungebrochene Verehrung unter palästinensischen Arabern selbstredend sowohl für eine Mittäterschaft am Holocaust als auch die Kontinuität des palästinensischen Antisemitismus sinnbildlich ist, muss einer wie Strohmeyer nur deshalb leugnen, weil seine publizistischen die Fortsetzung der politischen Tätigkeiten des Muftis sind.
Verfolgende Unschuld
Bremen, 1. Mai 2013. Die Sonne scheint und das Viertel ist voller Zombies der radikalen und gemäßigten Linken, von Linksjugend bis SAV, von MLPD bis verdi: Alle sind sie da. Am GEW-Stand stehen überwiegend ältere, graubärtige Männer, einer von ihnen spielt auf der Klampfe: „Und diese Blume, so sagen alle, o bella ciao bella ciao bella ciao ciao ciao, ist die Blume, des Partisanen, der für unsere Freiheit starb!“ Und die ergrauten Alt- und Post-68er, Ex-K-Grüppler, Linksgrüne, Gegenstandpunkt- und Junge Welt Abonnenten verdrücken eine Träne. Ach, war das schön damals, als man sich im todesmutigen Kampf für die Freiheit wähnen durfte.
Selbstkritik hat nicht stattgefunden, die alten Männer flüchten sich in bierselige Nostalgie. Menschen, die sich einen Restbestand von Empathie bewahrt haben, müssen solche Zombieaufläufe peinlich berühren. Doch während man zum Beispiel Wolfgang Pohrt anmerkt, dass das Scheitern des Revolutionsversuchs von 1967ff Spuren hinterlassen hat, so muss man wohl im Übrigen konstatieren: Seine Erfahrung des Scheiterns ist die Ausnahme in einer Welt (und, so müsste man hinzufügen, erst Recht in einer Stadt) der Erfahrungslosigkeit. Man geht weiterhin hinaus zum ersten Mai und malt weiterhin steindumme (Eine mittelalte Mutter: „Meine Arbeit ist Mehrwert!“) oder unlustige (Linksjugend solid: „Für eine Welt ohne Sparschweine!“) Parolen auf Transparente, ganz so als stünde die Revolution bevor.
Dieses bizarre Schauspiel, das sich „Revolutionärer erster Mai“ nennt, wird Jahr für Jahr in deutschen Großstädten und Bremen aufgeführt. Später, wenn die Opas von verdi und GEW im Bierkoma liegen, darf der schwarze Block schon einmal an der Sielwallkreuzung den kommenden Aufstand proben , der garantiert von jedem menschenfreundlichen Gehalt befreit wurde und sich von der puren Lust an der Gewalt, wie sie ordinäre Hooligans praktizieren, nicht mehr unterscheidet. Die jährliche Wiederholung der immergleichen Farce, deren einzig variable Größe das die Teilnehmerzahl und Laune bestimmende Wetter ist, ist die logische Konsequenz der Erfahrungs- und damit Geschichtslosigkeit der Linken.
Bekanntlich ist Bremen auch die Stadt, in der Linke besonders ausgiebig gegen die Juden und ihren Staat Israel hetzen. Bereits die Textverfälschung des italienischen Partisanenlieds, in dem der Partisan für die Freiheit starb und nicht, wie in der Version des Bremer Lehrers, für unsere, gibt den entscheidenden Hinweis: Als die wahren Opfer des Nationalsozialismus sahen sich schon immer die nach 1945 geborenen Linken, obwohl (oder weil?) die überwältigende Mehrheit ihrer Eltern zu denen gehörten, gegen die die Freiheit verteidigt werden musste. Wird aber die Freiheit, die universell, unteilbar ist, in unsere verkehrt, dann ist klar: Der Partisan kämpfte nicht etwa auch dafür, Vernichtungskrieg und Massenvernichtung zu beenden, sondern dafür, dass alte Lehrer am ersten Mai am GEW-Stand Gitarre spielen, Partisanenlieder singen und Bier trinken können.
Denn dort, wo es eben nur um unsere statt um die Freiheit geht, da war der Krieg gegen die Nazis nur insofern gerechtfertigt, als er uns Deutschen Wirtschaftswunder, Wohlstand, Demokratie und Linkspartei gebracht hat. Keineswegs kann es ein legitimes Kriegsziel gewesen sein, den Holocaust zu beenden, weswegen auch immer betont werden muss, dass es den Amerikanern darum schon gleich gar nicht ging. Und erst Recht ist dort, wo der Partisan besungen wird, kein Platz für die namenlosen IDF-Soldaten, die für die Freiheit kämpfen und sterben, dass sich dergleichen nie wiederholen dürfe.
Mit großer Sicherheit sind sie heute auf der Straße: Arn Strohmeyer, das Bremer Friedensforum, sämtliche Israelhasser der Bremer Linkspartei, die Antikapitalistische Linke, der Gesprächskreis Nahost und all die anderen Bremer Gruppen, die nichts schlechteres zu tun haben, als permanent gegen Israel zu hetzen und sich noch als verfolgte Unschuld aufzuführen. Dass der Nationalsozialismus, die Nürnberger Gesetze, die Reichspogromnacht, der zweite Weltkrieg, die Wannsee-Konferenz und der Holocaust einschneidende historische Ereignisse waren, die ein zurück zu alten linken Bezugnahmen auf Völker verbieten und ein Anschlag auf die Freiheit waren, werden sie nie begreifen. Für sie geht es um die Freiheit der Juden, nicht um unsere, und dieser kann ganz simpel die der Palästinenser entgegengestellt werden, da gibt es halt verschiedene Narrative und Diskurse und wie der ganze Schwachsinn noch so weitergeht.
Da aber, wo es um die Freiheit geht, muss man vielmehr feststellen, dass der Kampf, den GI, Rotarmist und Partisan gegen die Nazis geführt haben, heute nicht weniger notwendig ist, um einer erneuten Judenvernichtung vorzubeugen. All die Aussagen des iranischen Regimes, palästinensischer Terroristen und anderer Islamisten stehen in ihrer Deutlichkeit den Aussagen der Nazis in nichts nach und die IDF ist heute, in Zeiten eines US-Präsidenten, der gegen die Massaker in Syrien nichts unternimmt, vielleicht die letzte Gruppe, die sich positiv auf den Partisanen berufen könnte, der für die Freiheit starb. Nicht zufällig ist es das zentrale Motiv aller Israelfeinde hierzulande, den eliminatorischen Antisemitismus seiner islamistischen Gegner zu verleugnen, wegzulügen oder zumindest zu rationalisieren.
Der unumstrittene Großmeister dieser Disziplin ist, zumindest im Mikrokosmos Bremen, der Sonderbeauftragte des Landesverbands der Partei Die Linke für die Endlösung der Israelfrage (ohne Parteibuch), Arn Strohmeyer. Im Nachklang zu seiner antisemitischen Veranstaltung am 9. April, zu der Juden keinen Zutritt hatten und die von palästinensischen Schlägern gesichert wurde, beschwert er sich ausgiebig unter Erwähnung einiger Kritiker über die massive Verfolgung, der er ausgesetzt sei. Lediglich das Aktionsbündnis gegen Wutbürger, das sich ausführlich mit seiner Israel-Obsession auseinandergesetzt hat, spart er aus, was insofern nur konsequent ist, als er versucht, die Kritik seiner Umtriebe auf juristischem Wege unschädlich zu machen. Es ist also nicht verwunderlich, dass er die Kritik ignorieren muss, um die Lüge verbreiten zu können, es gebe keine inhaltliche Auseinandersetzung mit seinem Israelhass. Bereits aus seiner Darstellung der Vorfälle wird deutlich, wie verfolgt sich die Unschuld aus Woltmershausen fühlen muss:
Aufregung im Blätterwald von BILD bis zur taz und der Jüdischen Allgemeinen: In Bremen soll ein israelisches Paar von einer Vortragveranstaltung über Antisemitismus ausgeschlossen worden sein. Was war passiert? Am Anfang des Bremer „antisemitischen“ Skandals stand eine Buchrezension. Der angesehene Bremer Sozialwissenschaftler Professor Rudolph Bauer hatte eine Rezension über das Buch „Wer rettet Israel? Ein Staat am Scheideweg“ geschrieben, das vom Verfasser dieser Zeilen stammt. Die Rezension durfte einige Tage auf der Webseite der Bremer Linkspartei stehen, dann kam aus der Berlin Parteizentrale die Anweisung: runternehmen! Was einer der Redakteure auch brav befolgte, obwohl er das gar nicht musste, denn die Landesverbände sind in dieser Hinsicht autonom.
Dann folgte ein übler Hetzartikel im „Stürmer“-Stil in der BILD-Zeitung, die deren Mitarbeiter Jan Philipp Hein verfasst hatte, der zugleich „Kopf“ und Antreiber der neokonservativen Bremer „Antideutschen“ ist. Die Schlagzeile lautete: „Wie viel Nazi-Sympathie steckt in den Bremer Linken? Zwei Israel-Hasser bekommen immer wieder ein Forum auf der Parteihomepage“. In dem Artikel wurden Bauer und der Verfasser dieser Zeilen als „Israel-Hasser“ und „Judenfeinde“ abgekanzelt. Der wohl gezielte Angriff richtete sich neben den beiden parteilosen Autoren natürlich vor allem gegen die Linkspartei. Nach der „antideutschen“ Weltanschauung sind Linke die schlimmsten Antisemiten, denn wer den Kapitalismus kritisiert muss natürlich auch etwas gegen Juden haben, so die „antideutsche“ Logik. (Dass in dieser Behauptung schon selbst ein antisemitisches Ressentiment steckt, merken diese Leute offenbar gar nicht.) Die Linkspartei verhielt sich gegenüber den beiden Autoren aber wenig solidarisch, sie stellte sich nicht hinter sie und distanzierte sich erst nach Wochen von den BILD-Angriffen – bis heute aber nicht öffentlich.
Ich selbst habe mir sofort einen Rechtsanwalt genommen, der gegen den BILD-Artikel beim Hamburger Mediengericht eine einstweilige Verfügung zu erwirken versuchte, was aber scheiterte, weil die Hamburger Richter der Ansicht waren, dass die Hetzworte „Israel-Hasser“ und „Judenfeinde“ (welch schlimmere Beleidigung kann es nach dem Holocaust für einen Deutschen geben!) durch die Meinungsfreiheit gedeckt seien.
Man ist es von Leuten gewohnt, die keinen Begriff von Antisemitismus und Nationalsozialismus haben, die BILD mit dem Stürmer gleichzusetzen. Lustigerweise ist ihm aber bereits hier ein Fauxpas unterlaufen, der deutlich macht, dass ihm die Kritik des Aktionsbündnisses gegen Wutbürger, die er so tapfer zu ignorieren trachtet, auf den Magen geschlagen ist. Denn in einer Polemik gegen eine Protestaktion, die von Strohmeyer und Konsorten anlässlich eines Israel-Informationstag in Bremer Schulen durchgeführt wurde, hieß es an dieser Stelle, Strohmeyer und Co. hätten Hetze “im sogenannten Stürmer-Stil” betrieben. Bei Strohmeyer, der zu Polemik gänzlich unfähig ist und der sich über diesen Satz ausführlich in einem offenen Brief an Ralf Giordano ausgeweint hatte, handelt es sich um ungefilterte Wut darüber, dass es tatsächlich Menschen gibt, die seinen heroischen Kampf für den gerechten Frieden als antisemitische Hetze benennen. Einspruch duldet er nicht, und so schlägt er um sich: Mit juristischen Mitteln oder mit Nazi-Vergleichen. Man muss von Psychoanalyse nichts verstehen, um sich auszumalen, wozu so einer fähig wäre, wenn er tatsächlich über Macht verfügte.
Um sich selbst als verfolgt darzustellen und gleichzeitig weiter gegen Israel hetzen zu können, muss zunächst die Wahrheit geopfert werden. Dass es im Nahen Osten tatsächlich, seit der Staatsgründung und dem folgenden Krieg, darum geht, ob Israel als jüdischer Staat existieren kann, kommt als Argument der Gegner nicht vor. Es wird so getan, als wollten die Kritiker des Antisemitismus den Linken ihr Spielzeug wegnehmen. Die Lüge, es habe keinerlei innerlinke Auseinandersetzung über die linke Basis der faschistischen Massenmobilisierung, linken Antisemitismus und daraus folgende Konsequenzen für die Kritik der politischen Ökonomie gegeben, ist notwendig, um jede Kritik des linken Antisemitismus für rechtsradikal zu erklären. Bei Strohmeyer geht das so:
Es ist äußerst aufschlussreich, dass keine(r) der Autoren/innen, die verbal über die Veranstaltung hergefallen sind und mit dem Antisemitismus-Vorwurf so schnell bei der Hand waren, sich im geringsten dafür interessiert hat, was Susann Witt- Stahl in ihrem Vortrag eigentlich gesagt hat. Es reicht für diese Art von Journalismus, aus dem kleinen Gerangel an der Tür einen „antisemitischen“ Skandal zu machen. Dabei lieferte die Referentin – ausgehend von den jüdischen Philosophen der Frankfurter Schule – eine brillante Analyse des Antisemitismus als eine Spielart des Rassismus bis in die Gegenwart und der Tatsache, wie der Antisemitismus-Vorwurf heute politisch-ideologisch instrumentalisiert wird. Was nun ja keineswegs heißt – um es zu wiederholen! , dass es keinen Antisemitismus mehr gibt! Natürlich gibt es ihn und die Referentin rief ausdrücklich dazu auf, ihn zu bekämpfen.
Sie schrieb den Neokonservativen und „Antideutschen“ aber auch ins Stammbuch: „In den gegenwärtigen ideologischen Schlachten um Israel und den Antisemitismus geht es nur sekundär um den Nahostkonflikt und das Judentum, sondern beide werden vorwiegend als Instrumente und Joker benutzt, um die antikapitalistische linke Opposition zu zerschlagen Antisemitismus-Vorwürfe werden in großer Zahl und Dichte gegen antikapitalistische Linke formuliert, es werden aber kaum noch Antisemitismus-Vorwürfe gegen Nazis und andere Gruppen im rechtsradikalen Spektrum – also genuine Antisemiten – erhoben. Die können sich beruhigt zurücklehnen und weiter antisemitisch sein. Das stört kaum jemanden. Gegen linke emanzipative Bewegungen werden Antisemitismus-Vorwürfe fast schon als Universal-Waffe in Stellung gebracht. Die Urheber dieser Vorwürfe stammen zumeist aus dem neokonservativen Spektrum und der Neuen Rechten.“
Enttäuschenderweise wird die “brillante Analyse des Antisemitismus als Spielart des Rassismus” im weiteren Text ausgespart. Die totale geistige Verwahrlosung, die nötig wäre, diesen Quatsch mit Adornos und Horkheimers „Elementen des Antisemitismus“ in Einklang zu bringen, bleibt uns erspart. Besonders widerwärtig ist aber, dass eine solche komplette Verdrehung ihrer Arbeiten, wie auch bei Strohmeyers Stichwortgeber Moshe Zuckermann, als Alibi gegen die Antisemitismusvorwürfe herhalten soll. Weil Witt-Stahl sich auf die Frankfurter Schule und Moshe Zuckermann beruft, kann sie nicht Antisemitin sein. Perfider ist Adorno selten instrumentalisiert worden. Da ist es auch nicht verwunderlich, dass die Kritik, die die Arbeiten der Frankfurter Schule an der Linken üben, gar nicht vorkommt. Vermutlich sind diese nur dort zu gebrauchen, wo sich ein Zitat anbringen lässt, im Übrigen sind sie aber Neokonservative und Neue Rechte. Der Verfolgungswahn marginalisierter Gestalten der Linken scheint keine Grenzen zu kennen, wenn sie ernsthaft glauben, dass man extra Antisemitismusvorwürfe habe erfinden müssen, um sie zu zerschlagen. Die Selektion jüdischer Passagiere in Entebbe durch deutsche Linksterroristen und der Bombenanschlag auf das jüdische Gemeindehaus durch Kunzelmann und Co. haben nie stattgefunden.
Um Antisemitismus-Vorwürfe als ideologische Waffe einsetzen zu können, muss man natürlich einige Taschenspielertricks anwenden. Witt-Stahl nannte drei: Erstens: Die Erweiterung. Dabei geht es darum, die Kriterien, die für die Definition und Kritik des Antisemitismus verwendet werden, erheblich auszuweiten und auf der anderen Seite natürlich darum, die Abgrenzungskriterien zu vermindern und die Grenzen zwischen Antisemitismus und Kritik zu verwischen. Ein Beispiel: Die Aussage, israelische Regierungen unterhalten seit 46 Jahren ein völkerrechtswidriges brutales Besatzungsregime ist nur dann antisemitisch, wenn man zugleich die israelische Regierung mit den Israelis und diese dann mit den Juden gleichsetzt und identifiziert.
Hier zeigt sich, wie wenig die Kritik des linken Antisemitismus in den Hirnen von Strohmeyer, Witt-Stahl und ihren Genossen zu bewirken imstande ist. Denn die Pauschalaussage ist und bleibt natürlich antisemitisch, wenn überhaupt nicht hinterfragt wird, wie es zur Besatzung kam und wie es vorher aussah. Dass zwischen 1948/49 und 1967 Judäa und Samaria inklusive Ostjerusalem und Tempelberg judenrein waren, ist ebenso wenig ein Skandal wie die fortgesetzte arabische Aggression gegen Israel zwischen 1948 und 1967, die überhaupt erst zum Sechs-Tage-Krieg und der Besatzung führten. De facto machen Antisemiten den Juden mit dem Adjektiv „brutal“ zum Vorwurf, dass sie sich äußerst effizient gegen ihre Vernichtung zur Wehr setzen. Und dies betrifft zunächst einmal alle Israelis, ob sie nun Netanjahu oder Zuckermann heißen, und im zweiten Schritt, wie z.B. Hassan Nasrallah betont, alle Juden, da macht der arabische Antisemit in seinem Vernichtungswahn keinen Unterschied.
Der unverschämte Vorwurf Witt-Stahls, es gehe den Gegnern ihrer antiisraelischen Umtriebe nicht um den Nahostkonflikt, sei der kategorische Imperativ „Es geht um Israel!” entgegengehalten. Nicht um den Nahostkonflikt, sondern um die Abarbeitung der historischen Belastung und das Ausagieren antisemitischer Ressentiments geht es denen, die sich permanent an Israel abreagieren, obsessiv von allen gewaltförmigen, also „brutalen“ Staaten ausgerechnet und zielsicher den einen sich herauspicken, der als einziger ein jüdischer ist, worin der vorrangige Unterschied zu anderen Staaten besteht. Diesen zu skandalisieren, ist nicht nur Ausdruck einer antisemitischen Obsession, sondern eben auch einer wahnhaften Staatskritik, die als Ideal den organischen, aus Blut und Boden gewachsenen Volksstaat gegen das „Gebilde“ und „Besatzungsregime“ Israel in Stellung bringt.
Beim zweiten Taschenspielertrick geht es um Verknüpfungen. Antisemitismus wird an Weltanschauungen, politische Kollektive und Bewegungen rückgebunden, die man diskreditieren will. Umgekehrt wird das Judentum mit Weltanschauungen, politischen Kollektiven und Bewegungen in Verbindung gebracht, die man vor jeglicher Kritik schützen will. Das hat z.B. der neokonservative Historiker Michael Wolffsohn gemacht, indem er Juden mit Kapitalismus und Antisemitismus mit Antikapitalismus gleichgesetzt hat. Er sagte, „nur im liberalen kapitalistischen System konnten und können sich Juden frei entfalten.“ Kommunistische Juden gibt es in Wolffsohns Vorstellungswelt offenbar nicht. Seiner Ansicht nach „sahen und sehen sich die Juden als Teil der Bourgeoisie.“ Sie würden von der Linken gehasst, weil sie der „Klassenfeind“ seien. Sein Fazit: Die Linke (inklusive die Linkspartei) ist antisemitisch. Sie muss es sein, wenn sie links sein will.“ [An dieser Stelle des Vortrags gab es lautes Gelächter.]
[…]
Der dritte Taschenspielertrick besteht aus Übertreibung und Verallgemeinerung. Er hat wie alle Ideologien die Verstellung und Verzerrung der Realität zum Ziel. Das funktioniert so, dass man Ausnahmen und marginale Erscheinungen von tatsächlich vorhandenem Antisemitismus in einem Kollektiv oder in einer politischen Bewegung als die Regel darstellt und so tut, als sei das in diesem Kollektiv oder der Bewegung vorherrschend. So schreibt etwa der „Welt“-Autor Richard Herzinger: „Judenfeindlichkeit ist strukturell in der sozialistischen Ideologiegeschichte angelegt.“ Herzingers hetzerische Botschaft lautet: Der Sozialismus ist schon antisemitisch auf die Welt gekommen.
Besonders interessant ist an dieser Stelle, wie Strohmeyer mit Adjektiven arbeitet. Wenn er die Frankfurter Schule oder Moshe Zuckermann für sich vereinnahmen will, sind sie „jüdisch“. Der nicht minder jüdische Historiker Michael Wolffsohn, den Strohmeyer ablehnt, firmiert unter dem Adjektiv „neokonservativ“. Sein ganzes Gerede über Hetze und Diskreditierung des politischen Gegners lässt sich bereits an diesem simplen Beispiel leicht als Projektion durchschauen. Zur Frage, wieso Judentum und Kapitalismus in der Vorstellungswelt vieler Antisemiten untrennbar verknüpft sind und warum Antisemitismus mit einer personalisierten, regressiven Kapitalismuskritik zusammenfällt, haben Strohmeyer und Witt-Stahl außer schlechten Witzen nichts anzubieten, für sie existiert das Problem schon deswegen nicht, weil ihnen vulgärer Antikapitalismus mindestens so sehr am Herzen liegt wie Hetze gegen Israel.
Worin besteht nun die Verfolgung, über die Strohmeyer sich so sehr aufregt? Darin:
Die Referentin und die Veranstalter können sich durch die höchst unsachlichen und emotionalen Attacken in ihrer Sicht der Dinge nur bestätigt fühlen. Es geht der neokonservativen und „antideutschen“ Seite nicht um eine Debatte über das so wichtige Thema, sondern um die Verhinderung der Diskussion und das Aufbauen neuer Tabus, indem man droht, denunziert und Skandälchen inszeniert und so die Aufmerksamkeit vom Eigentlichen ablenkt. So gesehen – das muss man diesen Leuten zugestehen – waren sie sehr erfolgreich, denn die völlig unkritische Mainstream-Presse ist auf ihrer Seite. Die Frau des früheren Bremer Bürgermeisters, Louise Scherf, die im Vorstand der Villa Ichon ist, hat inzwischen, wie BILD berichtet, den Veranstaltern mit Hausverbot gedroht! Genau das wollten die Antideutschen um Jan Philipp Hein erreichen. Glückwunsch!
Die schlimmste Verfolgung, die einer, der gegen Israel hetzt und mit seiner Verleugnung der vernichtungsantisemitischen Motive Israels Gegner eine Art Holocaustleugnung zweiten Grades betreibt, sich vorstellen kann, besteht darin, dass man ihm, dem aufrechten Kämpfer für Frieden und Falafel, mit Hausverbot droht!
Es wird deutlich, dass Bremen viel zu lange ein Biotop für die Antisemiten dieser Stadt war, dass man sie gern in die Linke eingemeindet und gerade an Tagen wie dem ersten Mai als Schwungmasse verwendet. Die jahrelange Friedhofsruhe, die in der Bremer Linken herrscht, muss beendet werden. Wie sonst ist zu erklären, dass der Sprecher des Bremer Landesverbandes der Partei Die Linke, Christoph Spehr, angesichts der antisemitischen Veranstaltung Dinge sagt, für die man anderswo bereits vor 20 Jahren zurücktreten hätte müssen: “Man muss über das Thema Antisemitismus in der Linken diskutieren, das fordern vor allem die jüngeren Parteimitglieder. Aber eine solche Veranstaltung ist einseitig und verharmlost das Problem.”
Herr Spehr, über Antisemitismus muss man nicht diskutieren, man muss ihn bekämpfen! Wenn Sie aber darüber diskutieren möchten, wie das zu geschehen hat, steht Ihnen das Aktionsbündnis gegen Wutbürger zur Verfügung.
Gegendarstellung
Das Bremer Friedensforum möchte folgenden Sachhverhalt richtiggestellt sehen:
Die Veranstaltung “Antisemitismusvorwurf als ideologische Waffe” am 9. April 2013 in der Villa Ichon wurde ausweislich der als link angebotenen Veranstaltungsankündigung vom Gesprächskreis Nahost, den Nordbremer Bürgern gegen den Krieg und der Antikapitalistischen Linken (AKL) und nicht vom Bremer Friedensforum veranstaltet.
Wir haben den Fehler im entsprechenden Text korrigiert.
Auf sein eigenes Volk
Laut tagesthemen macht sich Bashar al-Assad derzeit einer Kardinalsünde schuldig: Er lässt schießen, aber nicht wie die EU nur auf sogenannte illegale Einwanderer, also Ausländer ohne besondere Qualifikationen, was sie zu überflüssigem Menschenmaterial macht, was zwar schade, aber nicht zu ändern ist, sondern „auf sein eigenes Volk“. Dies macht nach landläufiger Meinung den entscheidenden Unterschied zwischen DDR-Mauerschützen und EU-Grenzpatrouillen aus, wenn sie auf unbewaffnete Grenzgänger schießen.
Bemerkenswerter an dieser Aussage ist aber etwas anderes: Die Rede von „seinem“ Volk impliziert, dass das syrische Volk Eigentum des Herrschers sei, Assad, der große Führer des syrischen Volkes als Inkarnation des Souveräns – dieses Prinzip hat man offenbar internalisiert. Insofern kann es auch nicht verwundern, dass deutsche Politiker und Journalisten nicht zur gewaltsamen Entmachtung Assads aufrufen. Schlimm genug, dass sie bereits ihren Führer verloren haben – dieses traurige Schicksal wollen sie dem syrischen Volk ersparen.
Der Grieche, der Wutbürger und die Ratingagentur
Der Wutbürger ist wütend, er weiß nur nicht auf wen: So könnte man den angeregten Diskurs charakterisieren, der angesichts der Griechenpleite derzeit stattfindet. Nach der Bankenrettung kommt die Griechenrettung und bald kommt auch noch die Portugiesenrettung. So viel Solidarität findet der gemeine Wutbürger allemal übertrieben, weil schließlich „der Steuerzahler“ (Rainer Brüderle und alle anderen Sabbelköpfe), also alle Wut- und sonstigen Bürger, dafür „aufkommen“ müsse. Und beim Geld hört die Freundschaft auf. Und also ist man wütend.
Wenn es ein Problem gibt, dann fragt man heutzutage nur noch selten den Astrologen oder Priester, dafür aber umso häufiger eine andere Spezies, die seit jeher okkulte Praktiken betreibt und einfordert, um die höheren Mächte gnädig zu stimmen: Den Ökonomen. Und die höhere Macht, die der Ökonom anbeten lässt, man ahnt es bereits, ist das Kapital (oder wie er es nennt: Der Markt oder die Finanzmärkte).
Der Ökonom verfügt über eine ganze Reihe wohlerprobter Riten, die er Ländern durchzuführen empfiehlt, die die Märkte ungnädig gestimmt haben. Zur Läuterung wird empfohlen, die Ausgaben drastisch zu kürzen, Staatseigentum zu verschenken (Pardon: zu privatisieren) und natürlich alle Löhne und Renten zu reduzieren. Ein wenig mehr Armut, ein wenig mehr Obdachlose, Hungernde, Tote und möglicherweise marodierende Krawallmacher in den Innenstädten – nach dieser Phase der Askese werden sich die Finanzmärkte den gereinigten Länderseelen schon gnädig zeigen.
Einem Teil der Wutbürger gefällt das sehr gut. Schließlich habe der Grieche den ganzen Sommer nur nutzlos herum gezirpt, während der Deutsche Vorräte gesammelt habe. Diese nun mit dem faulen Griechen zu teilen, kommt ihm gar nicht in die Tüte, und so reagiert er verärgert und wütend, wenn die Ameisenkönigin Angela seine mühselig zusammengetragenen Früchte den nutzlosen Griechen hinterherschmeißt.
Nur wäre Ideologie nicht Ideologie, wenn solcherlei Geschwätz nicht automatisch die Gegenmeinung provozieren würde. Schließlich bildet man sich hierzulande allerhand ein auf seine Moralität und Friedfertigkeit. Keineswegs will man es klaglos hinnehmen, dass ein Massenmörder abgeknallt wird oder ein Grieche verhungern muss. So menschlich ist man auf der linken Seite des politischen Spektrums allemal.
Da aber der Wutbürger nun einmal wütend ist und seine Früchte nicht gern mit dem Griechen teilt, muss ein alternativer Schuldiger ausgemacht werden. Und hier kommt nun die Ratingagentur ins Spiel. Die Ratingagentur sagt, dass der Grieche im Sommer nicht genug gesammelt habe, weil sie es sage, fiele es anderen auf. Und deswegen seien die Ameisen und andere fleißige Bienchen nicht bereit, den faulen Griechen etwas von ihren Früchten zu leihen. Kurz gesagt: Die Ratingagentur ist schuld, dass der Grieche im Sommer nichts gesammelt und der Wutbürger ihm nichts abgeben will. So geht linke Kritik der politischen Ökonomie heute.
Und hier bietet sich doch eine phantastische Perspektive für eine alternative Auflösung der Fabel von dem Griechen und dem Wutbürger: Warum tun sie sich nicht zusammen und hauen der blöden Ratingagentur eins auf Maul? Dann sind genug Früchte für alle da.
Der Wutfan
Nicht nur Bürger, sondern auch Fans sind in Wut. Darum geht eine kleine Leseempfehlung raus:
Aktionsbündnis gegen Wutbürger – Sektion Bremen gegründet
Nicht nur in Stuttgart tobt der Mob – auch Bremen hat seine “pissed-off-residents-party”, die sich selbst “Bürger in Wut” nennt. Warum Wut neuerdings wieder zu Ehren gekommen ist und als wünschenswert angesehen wird, weiß der Himmel – aber wir sind dagegen. Und wir versuchen, uns durch intensives Denken (oder durch Bewusstseinserweiterung, je nachdem) diesem Phänomen zu nähern. Wer mitmachen, mitdenken oder einfach nur seiner Wut über die nutzlosen Traktate hier loswerden will, der schicke eine email an abgwbb@googlemail.com.
https://abgwb.wordpress.com/page/5/?blogsub=confirming
Eine Studie untersucht die Debatte um den Publizisten Jakob Augstein in deutschen Medien.
von Stephan Grigat
Eigentlich ist zu Jakob Augstein schon alles gesagt. Der liberale Kolumnist Hannes Stein hatte Anfang 2013, nachdem das in Los Angeles ansässige Simon Wiesenthal Center den Mitinhaber des Spiegel-Verlags auf Platz neun der »2012 Top Ten antisemitischer/antiisraelischer Verunglimpfungen« gesetzt hatte, ebenso lapidar wie richtig festgehalten: »Man kann Jakob Augstein nicht kritisieren, denn er ist unter aller Kritik.« Rainer Trampert fasste in der Jungle World (2/2013) treffend zusammen: Der »smarte Dauerhetzer aus Deutschlands Top-Medien« sei »weder harmlos, noch geht es ihm um Kritik an der israelischen Politik. Er erfüllt alle geläufigen Kriterien des Antisemitismus.« Stefan Gärtner brachte mit der Überschrift »Wer Juden hasst, bestimme ich« in der Titanic treffend Augsteins anmaßenden Autoritarismus und seine Abwehr jeglicher Kritik auf den Punkt.
Auffallend ist dabei, dass die großen deutschen Zeitungen Augstein nicht kritisieren. Mit Matthias Küntzel und Samuel Salzborn gab es zwar in Springers Welt vereinzelte kritische Stimmen zu Augstein, und Deniz Yücel ließ in der Taz mit einer scharf formulierten Polemik aufhorchen. Aber das waren Ausnahmen, die Abwehrfront hielt. Fast die gesamte deutsche Journaille schwang sich zu einer Verteidigung des Publizisten auf.
Der Grund dürfte darin liegen, dass viele Autoren sich selbst ertappt gefühlt haben. Augstein hatte mit seinen Ausführungen zu Israel als »Gefahr für den Weltfrieden«, mit seinen Falschdarstellungen und Verharmlosungen der Vernichtungsabsichten des iranischen Antisemitenregimes, durch seine Gleichsetzung von ultraorthodoxen israelischen Juden mit jihadistischen Mördern und durch sein verschwörungstheoretisches Geraune, hinter was und wem Israel nicht alles stecke, die antisemitische Schlagseite des deutsch-österreichischen Volkssports der »Israelkritik« nur noch deutlicher werden lassen, als sie ohnehin schon ist.
Vertreter der deutschen Linkspartei verteidigten Augstein ebenso wie Vorstandsmitglieder der CDU. In der Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Rundschau sprang man dem Herausgeber von Der Freitag ebenso zur Seite wie in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Berliner Zeitung. Eine der wenigen rühmlichen Ausnahme im Konzert der etablierten Medien war Josef Joffe, Mitherausgeber der Zeit, der angesichts der Augstein-Debatte konstatierte, es gelte heute als verwerflicher, »jemanden einen Antisemiten zu nennen, als einer zu sein«.
Allein schon deswegen ist es von großem Nutzen, wenn nun eine akademische Studie nochmals Punkt für Punkt erklärt, inwiefern sich antisemitische Ressentiments »in den Kolumnen Augsteins auf lexikalischer, semantischer, syntaktischer und argumentativ-konzeptueller Ebene manifestieren«. Der Soziologe Lukas Betzler und der Politikwissenschaftler Manuel Glittenberg wollen am Beispiel der Augstein-Debatte die häufig konstatierte »sich vollziehende ›Normalisierung‹ antisemitischer Artikulationen in der Öffentlichkeit empirisch nachweisen«. Sie zeigen, wie Augstein »gesetzte Tabuisierungen subtil umgeht« und es ihm dadurch gelingt, »Sprechstrukturen hervorzubringen, die das tendenziös Gemeinte im Gesagten aufblitzen lassen, ohne dass das Gesagte in den Bereich des Unsagbaren fiele«. In ihrer umfassenden Textanalyse kommen sie zu dem Schluss, »dass sich in Augsteins Kolumnen auf allen sprachlichen Ebenen Verbal-Antisemitismus finden lässt«.
Zahlreiche seiner Aussagen über Israel seien zudem schlicht »faktisch falsch«, was ihn aber nicht daran hindere, sich als großer Kenner des Nahen Ostens zu inszenieren. Mit fast schon ermüdender Akribie arbeiten die Autoren heraus, inwiefern sich die antisemitischen Motive in Augsteins Texten aus einem großen Fundus bedienen: Von »alten christlichen Stereotypen über tradierte Stereotype des modernen Antisemitismus bis hin zu Ideologiefragmenten aus dem antiimperialistischen Weltbild« reichten die Versatzstücke Augsteins. Detailliert weisen Betzler und Glittenberg ihm die Delegitimierung und Dämonisierung Israels sowie die Anwendung zweierlei Maßstäbe bei der Beurteilung des Agierens des jüdischen Staates nach.
Augsteins Invektiven gegen die USA haben in der Debatte Anfang 2013 kaum eine Rolle gespielt. Umso erfreulicher ist es, dass Betzler und Glittenberg nun eine luzide Analyse von Augsteins Antiamerikanismus vorlegen und ihm dabei auch ein Abgleiten in expliziten Geschichtsrevisionismus nachweisen können. Sie spüren dem Zusammenhang von antiamerikanischen Ressentiments und Antisemitismus nach, verwischen dabei aber nie die mitunter gravierenden Unterschiede, die zwischen Antiamerikanismus und Antisemitismus bestehen. Trotz dieser Unterschiede charakterisieren sie beide als »Ausdrucksformen einer konformistischen Rebellion«; und kaum jemand passt besser in die Rolle des Protagonisten einer ebensolchen als Jakob Augstein mit seiner nonkonformistischen Attitüde und seinen affirmativen Inhalten – einer Kombination, die schon immer die linksdeutsche Ideologie gekennzeichnet hat.
In Augsteins Texten finden Glittenberg und Betzler »zwar zahlreiche Stereotype des modernen Antisemitismus«, aber der Antisemitismus erfülle in seinem Denken nicht jene Funktion einer Welterklärung, mit der auf unverstandene Entwicklungen und Bedrohungen in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft im modernen Antisemitismus reagiert wird. Diese Funktion übernehme bei Augstein vielmehr ein ausgeprägter Antiamerikanismus: »Widersprüche (soziale Ungleichheit oder Demokratiedefizite) und negativ bewertete Merkmale (Gier, Profitdenken, Materialismus und Egoismus) der eigenen Gesellschaft werden auf Amerika projiziert.« Anstatt eine Kritik am Kapitalverwertungsprozess zu formulieren, wettert der Spiegel-Kolumnist lieber gegen »Wallstreet-Täter«.
Neben ihrer Textanalyse zu Augsteins Kolumnen liefern Glittenberg und Betzler eine Diskursanalyse jener Debatte über den Spiegel-Autor, in der die seit Martin Walsers Paulskirchenrede gerne herbeizitierte »Auschwitz-Keule« von den Verteidigern Augsteins durch die »Antisemitismus-Schrotflinte« ergänzt wurde, mit der wahllos auf jede Form der »Israelkritik« geschossen werde. Als entscheidende Abwehrstrategie in der Augstein-Debatte machen sie die Umdeutung antisemitischer und israelfeindlicher Aussagen zur »legitimen Israelkritik« aus, wohingegen die Kritik an diesen Aussagen als »Akte der Diffamierung, Denunziation oder Stigmatisierung der Person Augsteins gedeutet« werde.
Die Autoren erinnern daran, dass die Debatte über Augsteins Invektiven gegen den jüdischen Staat dem Mitinhaber des Spiegel keineswegs geschadet hat: 2014 war er einer der am häufigsten eingeladene Gäste in Polit-Talkshows, seine Kolumne erscheint mittlerweile nicht nur online, sondern auch in der Print-Ausgabe des Spiegel und seine Wochenzeitung Der Freitag konnte die Auflage steigern. Insofern ist es auch gar kein Wunder, dass Augstein seine Attacken auf Israel bis zum heutigen Tag fortsetzt und nach der Lausanner Vereinbarung mit dem iranischen Regime ganz unverhohlen seine Freunde darüber kundtat, dass mit einer demnächst nuklear bewaffneten Ayatollah-Diktatur endlich die »Jahrzehnte alte Anomalie« beendet werde, »dass Israel die einzige Atommacht in Nahost ist«.
Ganz so wie in anderen Bände der Reihe »Interdisziplinäre Antisemitismusforschung«, die vom Politikwissenschaftler Samuel Salzborn herausgegeben wird, beziehen sich auch Betzler und Glittenberg auf die Kritische Theorie. Sie erklären die Abwehr des Antisemitismusvorwurfs in der Augstein-Debatte mit einem »auf den nationalsozialistischen Judenhass verengten Antisemitismusbegriff«, wodurch ein »antiisraelischer Antisemitismus mit gutem Gewissen« ermöglicht werde. Dieser halte sich für »besonders kritisch und antiantisemitisch«, projiziere aber lediglich »in Form einer fetischisierten Staatskritik die negativen Anteile von Staatlichkeit auf Israel«. Dass die »Fokussierung auf Israel es ermöglicht, den eigenen Staat als gerechte und gute Herrschaft zu imaginieren«, können sie anhand von Augstein ebenso exemplarisch zeigen wie bei seinen zahlreichen Verteidigern.
Lukas Betzler/Manuel Glittenberg: Antisemitismus im deutschen Mediendiskurs. Eine Analyse des Falls Jakob Augstein. Interdisziplinäre Antisemitismusforschung, Bd. 5. Nomos-Verlag, Baden-Baden 2015, 320 Seiten, 59 Euro
http://jungle-world.com/artikel/2015/26/52219.html
Befreiung zur Heimat
Doch darin erschöpft sich die unmittelbare politische Nutzbarmachung der offiziellen Befreiungserzählung denn auch zumeist. Befürchtungen, dass das „Gerade-wir-als-Deutsche“-Ticket als Legitimation eines aggressiv-kriegerischen Kurses des neuen Antifa-Deutschland dienen würde, wie sie zu Zeiten Scharpings, Fischers und des Jugoslawienkriegs naheliegend schienen, haben sich nicht bewahrheitet. Was diese politisch-rhetorischen Übungen zum Thema „Befreiung“ zum Ausdruck bringen, ist viel weniger eine raffinierte, von materiellen Interessen geleitete Camouflage-Übung der politischen und publizistischen Klasse, sondern indiziert vielmehr einen veränderten Zustand des gesellschaftlichen Bewusstseins: den in den letzten Krisen-Jahrzehnten immer positiver wie panischer werdenden Bezug des Einzelnen auf die schützenden Kollektive, die Rearchaisierung des Bewusstseins im Zeichen von Heimat und Familie. Beide nämlich salviert das geläuterte Deutschland, bereinigt sie vom Makel der Vergangenheit, nicht, indem es sie verschweigt, sondern indem es in ihr schwelgt, narrativiert und personalisiert.
Die gesellschaftliche Substanz der „mentalen Befreiung“ gibt deshalb am ehesten die populäre Kultur preis, zuvörderst im neuen Heimat- und Generationenfilm. Der dürfte wohl auf Edgar Reitz’ TV-Familiensaga Heimat aus dem Jahr 1981/82 zurückreichen, die die deutsche Geschichte als Geschichte einfacher Leute, die ihrer Scholle emotional nicht entrinnen können, realistisch zeigt und zugleich kitschig verklärt. Der Trick: Die Lebensgeschichte einer immobilen Hunsrückerin verbürgt in eben ihrer Immobilität eine Kontinuität, die den Bruch des Nationalsozialismus eskamotiert, nicht indem sie seine Existenz leugnet, sondern indem er zur Episode eines immer im selben Bett bleibenden generationellen Flusses degradiert wird. Dass eine aufwendig remasterte Version mit großem Tamtam ausgerechnet im Frühjahr 2015 als wochenendfüllender Zwei-Tages-Film in die Kinos und DVD-Stores kam, zeigt den gesellschaftlichen Mehrwert der „Befreiung“ eher an, als es die Reden Winklers oder Steinmeiers hergeben würden. Und der Heimat-Rummel ist beileibe kein Einzelphänomen, sondern nur Teil einer Welle, die seit Jahrzehnten über deutsche Leinwände und Mattscheiben rollt. Um nur einige besonders prägnante Beispiele zu nennen, in denen trotz unmenschlicher Umstände die guten, vor allem – und das ist wichtig – jungen Deutschen ihr menschliches, zur Identifikation einladendes Gesicht zeigen: Der notorische Joseph Vilsmaier mit Stalingrad (1993), Leo und Claire (2001), Comedian Harmonists (1997) und Die Gustloff (2008), Xaver Schwarzenbergers Annas Heimkehr (2003) oder der schon unter einem wahrhaft programmatischen Titel laufende Streifen Nicht alle waren Mörder nach einer Erzählung von Michael Degen unter der Regie von Jo Baier (2006). Wohl am wirkmächtigsten erwies sich dabei die Führerbunker-Schmonzette Der Untergang von Oliver Hirschbiegel aus dem Jahr 2004; die dreiste Gegenüberstellung von deutsch-jugendlicher Unschuld und der verdorbenen, alten Nazi-Elite erhielt durch diesen Streifen ein nahezu ikonisches Gesicht, das sich eingeprägt hat, das pausbäckige Fräuleinwunder Alexandra Maria Lara als Hitlers Sekretärin Traudl Junge – allein schon der Name: das Verkleinerungs-l plus „Junge“ löst bereits die passenden Assoziationen aus. Wie sie so verloren süß und fassungslos das Böse beglotzt und später kuhäugig-verstört, unter einem zu großen Stahlhelm naives Unverständnis verströmend, durch ein zerschossenes Berlin stolpert, fantasiert sie sich und die Zuschauer in die eigene Großmutter. Die „Wiedergutmachung der Deutschen“ funktioniert imaginativ als Wiedergutmachung der Vorfahren.
Die Filmproduktion flankiert dabei eine belletristische Dauermode. Unzählige Bestseller, die es mittlerweile auch in den Kanon der Schulliteratur geschafft haben, thematisieren in selber Weise die Jugend im Nationalsozialismus, wobei man erfährt, dass es Freundschaft, Sommer und Badeseen auch im Dritten Reich gab. Zu denken wäre auch an Gefühlsschinken wie den von Thomas Medicus, der In den Augen meines Großvaters (2004) dessen Kriegsperspektive erkundet und damit die Re-Identifikation auf die Spitze treibt; kurzum, man geht nicht fehl, von einer regelrechten „Sophie-Schollisierung“ (Heinz) der Medienproduktion zu sprechen.
Mit diesem manisch anmutenden Interesse liegt also mitnichten ein Indiz für grundlegende Besserung (die unter dem Schlagwort „Auseinandersetzung mit der Vergangenheit“ firmiert) vor, sondern eher für ein, wenn man so will, sanftes Scheitern der re-education, die sich paradoxerweise als deren Erfolg versteht. Wenn man den heftigen Generationenkonflikt, der Deutschland wie kein anderes Land der westlichen Hemisphäre in den Sechzigern kennzeichnete, zumindest als sich auftuende Bedingung der Möglichkeit einer solchen re-education betrachtet, so ist hingegen das Ende dieses Konflikts, das unersättliche biographische Interesse und der intergenerationelle Brückenschlag der „Befreiten“, als Neuerfindung der Volksgemeinschaft zu lesen: eine imaginäre Wiederherstellung, die sich – viel mehr noch als es politischen Reden abzuhören ist – in der populärkulturellen Mythenproduktion spiegelt, die die Generationeneinigkeit wiederherstellt, und damit die Wiederinbeschlagnahme der Vergangenheit durch die Neuinszenierung der Vergangenheit. Indem der Enkel den guten Opa wiederfindet, findet er sich so auch wieder ans mythisch und generationell rekonstruierte Kollektiv gebunden.
Dass Deutschland im letzten Jahrzehnt endgültig zu einem Pop-Phänomen wurde, zum Sich-selbst-Feierweltmeister ist der eigentliche Skandal und Ausdruck eines verhärteten Bewusstseins zweiter Ordnung. Es muss die Vergangenheit nicht mehr panisch-missvergnügt abwehren, sondern kann sich unbeeindruckt an ihr nachgerade delektieren, weil es ihr durch Familiarisierung den Stachel genommen hat. Nicht zuletzt sind es die Inszenierung des nationalen Fußballs und das neue Selbstbewusstsein deutschsprachiger Popmusik, die mindestens ebenso tief reichen wie die biographisierte Film- und Buchschwemme. Frank Apunkt Schneider hat kürzlich in diesem Zusammenhang auf die Veränderung der deutschen Popmusik deutlich hingewiesen (Jungle World 22/2015), die nicht mehr ein, vielleicht sogar das Vehikel einer inneren Emigration nach Westen mehr sein will und darf, sondern die heilsame Wunde, die das Englische in den Erinnerungskörper einst schlug, ungeschehen machen möchte. (3) Das – natürlich unerträglich schlechte – Album Muttersprache der Deutsch-Diva Sarah Connor schließlich, das die deutsche Popindustrie derzeit promotet wie sonst nichts, bringt das Junktim von Sprachbeharren und Familienrekonstruktion auf den Punkt. Die De-Anglisierung ist in diesem Titel überdeutlich verbunden mit der endgültigen Rückbindung an die nationale Familiengeschichte.
„Schlussstrich“ durch Rückprojektion
So erklärt sich auch, dass nicht mangels Aufklärung, sondern durch die Art der Aufklärung, die Zahl der Schlussstrich-Zieher einfach nicht sinken will. Der Historiker Norbert Frei referierte in der Taz (8.5.2015) die entsprechenden Zahlen: „Bereits im Frühjahr 1994, in einer ersten größeren demoskopischen Studie nach der deutschen Vereinigung, hatte sich mehr als die Hälfte der Befragten (53 Prozent) zu einem allgemeinen ‚Schlussstrich‘ unter die Vergangenheit bekannt. 20 Jahre später misst Forsa 42 Prozent Schlussstrich-Befürworter, während die Bertelsmann-Stiftung auf 58 Prozent kommt – und von 81 Prozent aller Deutschen sagt, sie wollten die Geschichte des Holocaust irgendwie ‚hinter sich lassen‘. Man muss solche Umfrageergebnisse nicht ernster nehmen als die Worte, in denen darüber berichtet wird; oft genug bleibt unklar, was genau gemessen wurde. Trotzdem verfestigt sich der Eindruck, dass es inzwischen vielfach gerade Jugendliche und junge Erwachsene sind, die sich von der Geschichte der NS-Zeit belästigt fühlen; eher genervt als in scharfem Ton versuchen sie sich ihr zu entziehen. Die Vorstellung, dass es kollektive Zugehörigkeiten geben könnte – und damit transgenerationelle historische Verantwortung jenseits persönlicher Schuld –, scheint mehr und mehr aus dem Blickfeld zu geraten, ja für anachronistisch gehalten zu werden.“
Eine fatale Fehlinterpretation der Zahlen: Nicht das Sich-Freisprechen der Jungen ist das Problem, denn tatsächlich haben sie an den Verbrechen keinen Anteil, sondern es ist gerade jene „transgenerationelle“ Verbundenheit, die Frei als fehlend beklagt, die die freundliche „Genervtheit“ hervorruft. Denn alle diese jungen Befragten haben eben durch die narrativ-biographische Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus zwar gelernt, dass es eine moralisch dunkle Zeit war, aber eben auch, dass man anständig bleiben konnte, auch wenn man verständliche Fehler machte. Nicht mehr die Leugnung des Unleugbaren, wie noch vor 40 Jahren, als wirkliche Täter (und ihre entsprechend parentifizierten Nachkommen) das öffentliche Klima bestimmten, macht das Verstockte aus, sondern die Rückprojektion der eigenen Unschuld in die Familiengeschichte des Kollektivs. Der „Schlussstrich“, der jetzt gezogen wird, gleicht dem, mit dem man gemeinhin Familienkräche zu beenden pflegt, dem Schwamm-drüber, mit denen langanhaltende Fehden – ohne dass die Sache selbst geklärt worden wäre – für die Zukunft als irrelevant erklärt werden. Es ist die Stilisierung generationeller Einheit in der modernen Mythenproduktion, die den Nationalsozialismus zur unliebsamen Familienepisode macht, die man kennt und anerkennt, auf deren Fortwirken man aber gern verzichtet; statt, dass es heißt, „Ich will nicht werden, was mein Alter ist“, wie die Scherben noch 1970 zu krachendem Bluesrock rotzten, lautet das populäre Motto nun sinngemäß: „Mein Ur-Alter war doch auch nicht anders als ich.“
Woher aber nun diese Übermacht des Familiären in einer Gesellschaft, in der die Mehrgenerationenfamilie als Sozialisationsinstanz längst zerfallen ist? Ein scheinbares Paradox, das wohl nur dadurch erklärt werden kann, dass der einstige Gegenpol zum traditionellen Sozialverband mindestens ebenso beschädigt ist wie dieser: die Öffentlichkeit des freien Tauschs, ihre offenen Räume der Individuierung, die ein Sich-Gesellen wiederum ermöglichten, in dem die Beziehungen der Einzelnen zueinander frei gewählt und gewechselt werden konnten. Das können sie aber nur da, wo der Einzelne einen zureichenden Lebensunterhalt ohne Surplus an Loyalität, ohne Internalisierung des Gruppenkodex bestreiten konnte. Das sieht in der postindustriellen Gesellschaft, aus der die unmittelbare Produktion in die einstige Peripherie ausgewandert ist, anders aus. Hier entscheidet sich früh, wer in den Dumping-Sektor abwandert und wer in die Verwaltungsapparate der globalen Produktion einwandern darf. Und die Weichen werden nicht nur früh gestellt – mit der Konsequenz, dass sich der Lebensabschnitt „Jugend“ radikal wandelt, ja, ganz zu verschwinden droht –, sondern auch durch eben früh gelernte Loyalität gegenüber den Älteren, die in diesen Apparaten sitzen und das Auswahlverfahren überwachen, wesentlich bestimmt. Anders als noch vor Jahrzehnten ist eine längere Phase der Unbotmäßigkeit, des Ausscherens aus den vorgebahnten Lebenswegen, mit hohem Risiko verbunden, ohne Wiederkehr statt im Penthouse im Prekariat zu landen. Eine Gesellschaft, die dergestalt in Bande und Banden zerfällt, in abgegrenzte Territorien und geschlossene Subgesellschaften, bringt den Einzelnen in eine Situation, in der er auf Vereinzelung verzichten muss, bedingt also die untote Wiederkehr des Gebundenen, des Familiären. Die Familie gibt so das Leitbild des modernen Unternehmens, in dem emotionale Bindung anständige Bezahlung für die Jungen ersetzt und in dem der sogenannte „Teamgedanke“ jede Regung, Arbeit als tatsächlich entfremdeten Dienst nach Vorschrift ansehen zu dürfen, schier austreibt. Und auch ganz lebenspraktisch ist es eben die Familie, die denen, die sich überhaupt einbilden können, dahin zu kommen, wo die Eltern waren, allenthalben unter die Arme greift und gleichzeitig in den Hintern tritt. Diese Refamiliarisierung von Erfahrung und Lebenswelt, anders gesagt: der innere Liebeszwang zu den Nicht-Liebenswerten, greift natürlich auch da, wo die biologischen Familien sozial versagen, denn die Posses, Rackets und Gangsterbanden sind der Familie als Motor von Aufstieg, als Weg zu Reichtum oder wenigstens Berühmtheit direkt nachgebildet, und dabei noch autoritärer als das Vorbild. Kurz gesagt: Die Aussöhnung durch Identifikation mit den Tätern der vorvergangenen Generation erfolgt aus der Not, sich nicht mehr in den offenen Räumen des Tauschs bewegen zu können, sondern sich in den geschlossenen Gesellschaften, die durch betonierte Stratifizierung dessen, was einst Gesellschaft hieß, entstanden, „positionieren“ zu müssen – also auf Gedeih und Verderb nicht mehr aus der Gemeinschaft fallen zu dürfen.
Der gute Vater
Solche Refamiliarisierung von gesellschaftlicher Wahrnehmung gibt schließlich auch einen Blick in die Tiefendimension des Weizsäcker-Rummels frei. Wie kein anderer eignet sich der Ende Januar gestorbene „Befreiungs“-Redner als guter Vater, besser gesagt: Groß- oder Urvater eines bereinigten Deutschlands. So wie der rückprojizierte Großvater den echten ersetzt, besetzt Weizsäcker mythologisch die Stelle, die durch den Sieg der Alliierten 40 Jahre schmerzlich vakant blieb, denn Mitscherlichs „vaterlose“ Gesellschaft war nicht zuletzt das führerlose Deutschland. Die „Befreiung“, die Weizsäcker 1985 versprach, war tatsächlich nicht eine von der Kontinuität deutscher Geschichte, sondern von eben dieser Vakanz.
Hitler, der sich qua Niederlage und „Untergang“ als Usurpator und falscher Adressat des autoritären Bedürfnisses herausgestellt hatte, wird durch einen wie Weizsäcker, der eine moralisch einwandfreie Brücke über die 12 Jahre Nationalsozialismus schlug, ersetzt. Schon allein biographisch ist er bestens geeignet, diese Funktion zu erfüllen, ist er sozusagen die späte Reinkarnation des 20. Juli, die, anders als dieser, aristokratische Kontinuität mit echter Macht verknüpft. Verstrickt und geläutert, dubios und doch anständig gibt er den idealen, gesamtbiographischen Hordenführer ab, denn schließlich war er Wehrmachtsoffizier an der Ostfront und verteidigte höchstpersönlich noch seinen Vater [!], einen der ranghöchsten NS-Diplomaten, in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen.
So verkörperte er im wahrsten Sinne des Wortes das, was ihm die Republik zuschreibt. Selten dürfte die veröffentlichte Meinung so sehr mit der öffentlichen übereingestimmt haben, wie in den Presse-Elogen auf den dahingeschiedenen Alt-Bundespräsidenten und Ex-Regierenden Bürgermeister von Berlin. Er war der „große Versöhner“ (ZDF-Spezial, 31.1.2015; gleichlautend: Faz, SZ, 1.2.2015, Spiegel, 11.2.2015), die „geistige und moralische Autorität“ (FR, 1.2.2015), das „deutsche Gewissen“ (Bild, 1.2.2015) und – am treffendsten – „der Bundeskönig“ (SZ, 11.2.2015).
Gerade dadurch, dass der Aristokrat Weizsäcker als nur dem Großen und Ganzen verpflichtete, dem Gezänk enthobene Autorität sich immer wieder über die „Machtversessenheit der Parteien“ (Bild erinnerte genüsslich daran am 31.1.2015) stellte, stiftete er den Familienfrieden, ließ die Deutschen wieder bei sich sein und das mit gutem Gewissen. Im Kult um seine Person enthüllt sich am deutlichsten, dass die Befreiung eben doch nur die Fortsetzung des deutschen Elends, mit einem König anstelle des Führers, bedeutet und zeigt, dass der 8.Mai endgültig eine Familienfeier im deutschen „Familienroman der Neurotiker“ geworden ist. Freud schrieb in dieser Studie, dass „um die angegebene Zeit sich nun die Phantasie des Kindes mit der Aufgabe (beschäftigt), die geringgeschätzten Eltern loszuwerden und durch in der Regel sozial höher stehende zu ersetzen. Dabei wird das zufällige Zusammentreffen mit wirklichen Erlebnissen (die Bekanntschaft des Schlossherrn oder Gutsbesitzers auf dem Lande, der Fürstlichkeit in der Stadt) ausgenützt“. (4) Genau diesen Moment beschreibt der 8.Mai 1985, der sich in diesem Frühjahr zum 30. Mal jährte. Der gute Richard hat den bösen Adolf endgültig ausgetrieben und nicht trotzdem, sondern deswegen denken die Deutschen weiter in ihrer großen Mehrheit über Parteiengezänk, Volkskörper, Amerikaner und Juden so wie immer schon zuvor.
Anmerkungen:
- Eike Geisel: Opfersehnsucht und Judenneid. Bemerkungen zur Nationalisierung der Erinnerung, in: Ders.: Triumph des guten Willens, hg. von Klaus Bittermann, Berlin 1998, 58. Die Edition Tiamat hat in diesem Jahr in einem über 400 Seiten starken Sammelband Essays und Polemiken Geisels mit dem Titel Die Wiedergutwerdung der Deutschen wiederveröffentlicht.
- Zitiert aus dem Online-Archiv des Bundestags (Hrvb. v. mir): http://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2015/kw19_gedenkstunde_ wkii_rede_winkler/373858
- Schneider schreibt hier zutreffend: „Von Kino- und Bühnenkörpern lernten junge Deutsche, dass es etwas Besseres gab, als Flakhelfer der deutschen Schuldabwehr zu sein. Die Sprachlosigkeit wurde überwunden durch die Hereinnahme des geheimnisvollen, weichen, nur in Bruchstücken verstandenen Poptextenglisch ins eigene Sprechen.“
- Sigmund Freud: Gesammelte Werke, Frankfurt/M. 1946 ff., Bd.7, 229. Sonja Witte hat die Freudsche Annahme bereits für die Analyse des postnazistischen Generationenbündnisses genutzt. Vgl.: Sonja Witte: Das Wunder von Bern – Katharsis der Nation, in: Kittkritik (Hg.): Deutschlandwunder. Wunsch und Wahn in der postnazistischen Kultur, Mainz 2008.
http://www.redaktion-bahamas.org/auswahl/web71-1.html
Bahamas – Die Toten kommen!
Wo der SS-Mann ruht
Die Frau ist Deutsche. Ihr Großvater war ein Mörder und Kriegsverbrecher, Mittäter bei Geiselerschießungen, Ausrottungen ganzer Dorfschaften, womöglich einer von jenen SS-Schergen, die noch im April 1945 in Norditalien die Gotenstellung zu halten suchten und bis zur Kapitulation Massaker verübten. Vielleicht hatte der unbekannte Großvater sogar eine einschlägige Vergangenheit, bevor er in Italien zu Tode kam. Auf dem deutschen Soldatenfriedhof von Costermano wurden schließlich auch die Vernichtungslager-Kommandanten Christian Wirth, Franz Reichleitner und Gottfried Schwarz begraben. Aber man soll niemanden vorschnell verurteilen! Kannten wir denn den toten Großvater? Oder die anderen Jungs aus Wehrmacht und selbst SS, aus denen schließlich auch Nobelpreisträger hätten werden können? Sollten wir uns am grauen Stein der Kriegsverbrecher nicht lieber aufs vorbehaltlose Fragen beschränken und die Antwort schuldig bleiben, wir, die wir nicht dabei waren? Etwa so: „Was hat sie bewegt? Rassenhass, Sadismus, Zorn, Angst, Verzweiflung, Verblendung, Heimweh, Sehnsucht, Liebe?“ So genau weiß man es ja nicht. Das ist aber auch nicht nötig, wenn man nur weiß: „Beim Marschieren haben sie gesungen: ‚auf der Heide blüht ein kleines Blümelein. Und das heißt Erika.‘ Nazikitsch. Jetzt blüht das Blümelein über ihren Gebeinen, über Guten und Bösen, Tätern und Opfern.“ Das ist zum Heulen und wirklich: „Viele weinen dort. Es platzt etwas; das Herz öffnet sich. Es ist ein Ort der Wahrheit oder der Ort einer Wahrheit.“ (FAS, 21.6.2015)
Mit dem Herumheulen hat es eine eigene Bewandtnis in Deutschland. Zunächst war es nämlich verboten, da ist man sich sicher. Man durfte nicht um die Bombentoten trauern, nicht um die auf der Flucht zu Tode gekommenen Volksgenossen und über die Wehrmachtssoldaten schon gar nicht, weil man den Krieg verloren hatte. Dabei hat doch keine Kommune es versäumt, bald nach 1945 aufs Kriegerdenkmal für die Helden von Weltkrieg Eins zügig die Liste der Helden von Weltkrieg Zwei einzumeißeln. Ganz Westdeutschland ist von Vertriebenendenkmälern – gern mit Kreuz – überzogen, und die Bombentoten, denen z.B. schon 1952 in Hamburg-Ohlsdorf ein monströses Denkmal gestiftet wurde, waren bis spät in die 70er Jahre hinein der Stoff, auf den sich die ausgetauschten Kriegserinnerungen reduzierten. Aber man durfte eben nicht einfach losheulen, glaubt man zu wissen. Jetzt, wo es nicht mehr nur die Wahrheit der Sieger gibt, sondern eben auch die der Massenmörder, wo Deutschland wahlweise in schlummernde Provinzen zerfällt, in denen der Nationalsozialismus eine der Heimat fremde Zutat war, oder die Heimat über die Landesgrenzen dringt und einem aus eigener leidvoller Erfahrung nichts mehr fremd ist, platzt man schier vor tränenreichem Mitteilungsdrang und öffnet wahlweise dem italienischen Friedhofsgärtner in Costermano oder dem Griechen sein Herz. „Man kann und soll und will aber die Griechen, die sich immer weiter isoliert haben, nicht zu ihrem Glück zwingen.“ Da sei Gott vor, aber sie ein bisschen vor deutscher Verstrickung warnen, das können wir leicht und aus vollem Herzen: „Dort sind, nachdem die Eliten abgewirtschaftet haben, die Extremisten von links und rechts an der Macht. Auch das kennen wir Deutsche aus eigener Geschichte – und können nur hoffen, dass die Griechen den Weg in den Wahnsinn nicht weitergehen wie einst unsere Vorväter.“ (Zastrow, a.a.O.)
ERIKA stand in großen Lettern über Zastrows Post-Nazi-Kitsch, mit dem er seine Losung: „Europäische Integration bedeutet Frieden“ begründen wollte. Links neben diesem Artikel des Ressortleiters Politik – den eine Rede von existentieller Tiefe des Bundespräsidenten tags zuvor offensichtlich befeuert hatte – stand unter derselben Überschrift der Zweispalter „Neuanfang mit den Vertriebenen“ des minder prominenten Redakteurs Peter Carstens. Darin geht es weniger ums Toten-Blümelein als um die Apotheose von Steinbachs Erika, die ein Verbandsleben lang dafür gekämpft hatte, dass Deutschland in Sachen Flucht und Vertreibung ganz vorne und unüberhörbar beim Heulen den Ton angeben darf.
Was existenziell zusammengehört
Gauck hatte gesagt: „Zum ersten Mal gedenkt nun Deutschland an einem offiziellen bundesweiten Gedenktag jener Millionen von Deutschen, die am Ende des Zweiten Weltkrieges zwangsweise ihre Heimat verloren. Zum ersten Mal begeht Deutschland damit auch regierungsamtlich den internationalen Weltflüchtlingstag, wie er vor fünfzehn Jahren von der Generalversammlung der Vereinten Nationen beschlossen wurde. Auf eine ganz existenzielle Weise gehören sie nämlich zusammen – die Schicksale von damals und die Schicksale von heute, die Trauer und die Erwartungen von damals und die Ängste und die Zukunftshoffnungen von heute.“ Wie diese existenzielle Zusammengehörigkeit der deutschen und der anderen Flüchtlinge konkret zu verstehen wäre, hat Gauck zur Interpretation offengelassen und Peter Carstens von der FAS half, die Lücken zu füllen. Der Tag der Opfer von Flucht und Vertreibung wurde erst 2014 als eine Art staatsoffizieller Tag der Heimat eingeführt und am 30.8.2014 mit einer Rede der Kanzlerin feierlich begangen. Doch das war ein zu verräterisches Datum für weltumspannendes Flüchtlingsgedenken, schließlich geht es auf die Charta der Vertriebenen vom August 1950 zurück, die sich möglichst nah am Jahrestag der Beschlüsse der Potsdamer Konferenz vom 2.8.1945 in Szene setzen wollten. „Aber in der Charta stand nichts von Kriegsschuld und Holocaust. Stattdessen nannten sich die Vertriebenen die‚ vom Leid dieser Zeit am schwersten Betroffenen.‘“ (Carstens, FAS) Deshalb kam es schon im Folgejahr zur Okkupation des von der UN 2001 ausgerufenen Weltflüchtlingstags, der auf einen Afrika-Flüchtlingstag zurückgeht und auf den 20. Juni fällt. Ab jetzt wird zusammen geheult und keiner redet mehr relativierend von „den am schwersten Betroffenen“ Deutschen. In der FAS allerdings liest sich das so: „Das UNHCR unterstützte damals“ – 1950, im Jahr seiner Gründung – „rund 250.000 Menschen, die etwa als ausländische Zwangsarbeiter in der deutschen Rüstungsindustrie geschuftet hatten und danach nicht mehr nach Hause konnten.“ Eine große Anzahl, sollte man denken, aber gemessen an den deutschen Zahlen Peanuts: „Sie waren Opfer des Krieges, wie die mehr als zwölf Millionen deutschen Vertriebenen und Flüchtlinge.“ Diese Deutschen ohne Zuhause toppten die Displaced Persons in Deutschland folglich um den Faktor 48 – das nicht zu vergessen, gehört eben auch zum Gedenken. Dass ihr Blümelein, dessen Blüte sie im erzwungenen Ruhestand erleben muss, von solcher Strahlkraft sein würde, kann sich Erika Steinbach auch in ihren übermütigsten Stunden nicht vorgestellt haben. Ein Kerl, der derartige Rechenkunststücke veranstaltet und von „barbarischen Gemetzeln und Vergewaltigungen“ an deutschen Flüchtlingen und Vertriebenen schreibt, die es unbestreitbar gegeben hat, tut es nur, um Ursache und Wirkung zu verwischen, die Guten und die Bösen sich gleich zu machen, mithin hinter all den verschiedenen Wahrheiten die einzige als deutsche auftauchen zu lassen. Die Verbindung von Peter Carstens zu Volker Zastrow reicht vom Vertriebenenkreuz zum deutschen Soldatenfriedhof, der gar nichts anderes als ein Kriegsverbrecherfriedhof sein kann, selbst wenn, anders als in Costermano oder Bitburg, einmal keine Kameraden von der SS unter dem grauen Stein liegen sollten.
Das ausgepowerte Großbritannien, aber auch die USA, wussten im Sommer 1945 in Potsdam sehr wohl, dass die Verschiebung der polnischen Grenzen und die damit verbundene Aussiedlung der Schlesier ein hässlicher imperialistischer Akt der Landnahme durch die UdSSR war, die sich damit Ostpolen als Beute sicherte. Aber ausgerechnet wegen der Deutschen, deren kollektiven Jubel zum Beispiel bei den Siegesfeiern nach Frankreichs Kapitulation 1940 sie noch in den Ohren hatten, auch nur ein weiteres Soldatenleben zu riskieren, wäre ihnen nicht in den Sinn gekommen. Dass in Schlesien auch vor 1945 schon Polen gelebt hatten und zwar unter der Fuchtel von preußisch deutschen Herrenmenschen, die ab 1939 sich endgültig wie Barbaren aufgeführt haben, war Truman, Churchill und Attlee durchaus bekannt. Auch war die zwangsweise und von allerdings in ihrem Umfang maßlos übertriebenen Morden begleitete Aussiedlung der Sudetendeutschen aus der zweiten tschechisch-slowakischen Republik in ihrer Rigorosität, die auch vor nachweislich tschechenfreundlichen deutschen Antifaschisten nicht Halt machte, ein hässlicher Akt. Dass Tschechen nach den Erfahrungen in der ersten Republik ab 1918 und weit schlimmer noch denen der Okkupationszeit, nicht nur die 90 Prozent Henlein-Deutschen, sondern überhaupt keine Deutschen mehr unter sich dulden wollten, ist eben trotzdem verständlich und nicht eine Wahrheit unter verschiedenen.
Solche Augenwischerei mit Zahlen und Ursachen zu dem einzigen Zweck, deutsches Leid gegen das von den Deutschen über Europa gebrachte als mindestens ebenbürtig aufzurechnen, war schon seit der Niederlage deutscher Regierungsauftrag, aber es dauerte doch eine Weile, bis man sich endlich selbstgerecht und im Ton der Anklage vor aller Welt kollektiv die Augen wischen durfte im Angedenken an all die Großväter und -mütter. Am 20.6.2015 meldete Joachim Gauck Vollzug, als er in seiner Rede befriedigt vermerkte, dass nach 1990 unter anderen die Slowakei, Polen, Ungarn, Rumänien und Tschechien um Vergebung für die Vertreibung von Deutschen gebeten haben. In den Worten von Peter Carstens aus der FAS vom 21.6.2015, der seinen Präsidenten gut verstanden hat, ist es deshalb jetzt an der Zeit für eine Nutzanwendung: „Die Verbindung des Gedenkens schafft ein neues Verständnis für das, was geschah und was heute geschieht: damals den Deutschen, heute Syrern und Yeziden. Sie ist für die Vertriebenenverbände außerdem eine Gelegenheit, sich und ihre Anliegen in anderem Licht zu präsentieren, herauszukommen aus der Ecke des Gestrigen“. Als gestrig an den Vertriebenenverbänden wurde ab den 1970er Jahren ihr obstinates Festhalten an den deutschen Grenzen von 1937 empfunden und nicht ihr Anliegen der Anerkennung als der am meisten geschädigten Opfergruppe des Zweiten Weltkriegs. Die neue Ostpolitik war zwar auf Versöhnung mit Polen und der Tschechoslowakei angelegt, aber Kniefälle deutscher Bundeskanzler sollte es nicht zum Nulltarif geben. Willy Brandts Warschauer Performance war vielmehr eine Investition in die Zukunft, die sich ab 1990 prächtig auszahlen sollte. Punktgenau zur Wiedervereinigung wurde generationenübergreifend zumeist per Bus die Reise in die alte Heimat angetreten, ganz im Zeichen der Vergebung der Sünden der polnischen, tschechischen etc. Täter von gestern. Die Nachfolgegeneration, die sich mit den spannenden historischen Erlebnissen in ihrer Freizeit beschäftigt und Ahnenforschung betreibt, wird sich kaum als Vertriebene betrachten; sie ist nur noch deutsch und gefühlig. „Aber noch heute fühlen Kinder und Enkel eine ideelle Verbindung zum historischen Raum ihrer Vorfahren, gehen auf Spurensuche und finden einen Teil ihrer Selbst.“ (Carstens)
Graue Steine – Bauten des Friedens
Der historische Raum muss sich auch keineswegs auf die verlorenen Ostgebiete beschränken. Wo immer Deutsche ihrer Mission folgend graue Steine hinterlassen haben, schlagen Spurensucher Mehrwert für ihr Selbst heraus. Dass dabei den Leuten erst der Mund überläuft, dann etwas in ihnen platzt und sich schließlich ihr Herz so sehr öffnet, dass über das Leid von Generationen geweint werden muss, wie Volker Zastrow meint, versteht sich von selbst. Zastrow hat wohl auch mit seiner Beobachtung recht, dass diese Deutschen nie so recht sagen können, warum sie sich so gerne obsessiv und aggressiv und vor allem öffentlich, am liebsten gegenüber ausländischen Beobachtern, als Gefühlsmenschen präsentieren und losheulen, sich plärrend in die Arme fallen, tausend Lichter anzünden – und dabei immer dem Tod ins Auge sehend. Die Selbstinszenierung ist immer die gleiche: Mal ist es die völlig verblödete Enkelin am grauen Stein am Gardasee, mal die ganze Stadt Erfurt nach einem Schulmassaker, dann wieder angejahrte Überlebende samt ihren unvermeidlichen Enkeln, die in deutschen Städten den 70sten Jahrestag der Bombardierung begehen und schließlich deutsche Schulklassen samt pädagogischem Personal, die nach erfolgreichem Anlegen eines Gedenkwegs für die Opfer der Todesmärsche aus den deutschen KZs vor sich hin schluchzen. Dieses Volk hat generationenübergreifend keine Scham, keine der Reflektion Raum gebende Distanz zu den wirklichen oder historischen Schrecknissen, am wenigstens zu den von den berühmten Großvätern angerichteten. Hat man noch bis in die 1970er Jahre zum Holocaust verstockt geschwiegen, so lässt man seit der damaligen Ausstrahlung eines kitschigen Vierteilers gleichen Namens im Fernsehen endlich auch Auschwitz an sich heran, wie den Bombenkrieg und die Vertriebenenschicksale schon immer. Die Deutschen sind zwanghaft damit beschäftigt, alles unmittelbar auf sich zu beziehen und sich in fremder Leute Trauer, und sei es in die von deutschen Familien in Haltern nach dem Absturz einer Lufthansamaschine im Frühjahr 2015 einzumischen, mit blöden Gesichtern zusammenzustehen, um in obszöner Weise den Ernstfall Tod zu genießen. Existenziell ihrem Gefühl gehorchend, das dem Jargon der Eigentlichkeit abgelauscht ist, den ihnen die dafür zuständigen Volker Zastrows oder, weit erfolgreicher noch, die Bernhard Schlinks verabreichen, schließen sie sich verlogen und hartherzig von der Welt ab, die ihnen so tot erscheinen muss wie ihr Land, das auf grauen Steinen gegründet ist.
Der skandalöse Taschenspielertrick, das internationale Flüchtlingselend seit ungefähr 1950 mit den von Flucht und Vertreibung betroffenen Deutschen gleich zu setzen und einen monströsen Tag der Heimat zu inszenieren, führt nicht einfach nur zu Nazi-Kitsch in den Meinungsseiten der Qualitätspresse, sondern ist seiner ideologischen Herkunft nach ein echtes Erbe der Nazis. Ab 1942 wurde den unwilligen Bewohnern der okkupierten westeuropäischen Länder durch Kulturmissionen und schöne Konferenzen von den auf die Festung Europa zurückgeworfenen Nazis verstärkt das deutsche Europa als europäische Schicksalsgemeinschaft eingetrichtert. Daran wird angeknüpft, ohne Waffen, ohne ökonomische oder politische Erpressung – ein nötigender Friedensdienst sozusagen. Auf die Griechen bezogen, die man damals noch in Massen als Partisanen hinmetzelte, heißt das heute: „Wir werden so oder so helfen müssen. Weil wir Europäer unauflöslich miteinander verbunden sind“ (Zastrow, a.a.O.). Diese Schicksalsgemeinschaft, die ausgerechnet auf dem höheren Sinn deutscher Untaten aufruhen soll, die als „europäische Katastrophe“ neu gedacht werden müssen, ist der versöhnende Endzweck, der irgendwie auch flüchtenden Syrern und Yeziden zu Gute kommen soll: „Wenn das Sterben nicht völlig sinnlos bleiben sollte, musste man in Europa mit den Millionen Toten auch die Feindschaften begraben und Bauten des Friedens errichten“ (Zastrow a.a.O.).
Zwei relevante Bauten des Friedens sind bereits seit Jahren in der Hauptstadt zu besichtigen. In der Neuen Wache in Berlin steht auf besonderen Wunsch Helmut Kohls seit 1993 ein hässlicher Kloß, der sich erst bei näherem Hinsehen als eine Schmerzensmutter erweist, die ihr Kind schützend hält. Vor dieser durch seine Vergrößerung auf 1,6 Meter Höhe noch unförmiger wirkenden Duplik einer schwachen Skulptur von Käthe Kollwitz ist der Schriftzug „Den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft“ in den Boden eingelassen. Die Urnen mit den sterblichen Überresten des unbekannten Widerstandskämpfers und des unbekannten Soldaten sowie die mit Erde gefüllten Gefäße befinden sich seither unter der Gedenkplatte aus schwarzem Granit. Natürlich hätte man auch alternativ schreiben können: „den unbekannten Opfern von Gewaltherrschaft, Bombenkrieg und Vertreibung“, denn genau an die entsprechenden Denkmäler für die deutschen Opfer gemahnt die „Pietà“. Diese neue Neue Wache war die Voraussetzung für den Bau von Deutschlands größtem Denkmal an die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft, das bezeichnenderweise ein stilisiertes Gräberfeld ist und 2005 als „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ eingeweiht wurde.
Die aus deutscher Leidenserfahrung gereifte Erinnerungskultur, die dazugehörige Ästhetik und die um Eigentlichkeit ringenden Begleittexte im Marschgepäck, appellierte der Bundespräsident an die Landsleute, die aktuell aus Afrika und dem Nahen Osten einreisenden Flüchtlinge willkommen zu heißen. Gauck meint das wahrscheinlich sogar ernst und glaubt an den Erfolg der staatsoffiziellen Überzeugungsarbeit. Dabei ist es völlig unmöglich, mit ganz lebendigen Menschen freundlich umzugehen, wenn man selber nur retrospektiv die eigenen Opfer bzw. die ihnen großzügig und vor allem folgenlos an die Seite gestellten ermordeten Juden im Blick hat. Auch routiniert Trauerarbeit leistende deutsche Tränentiere können über die Neuankömmlinge aus Syrien, Libyen, Mauretanien etc. nicht freudig ausrufen: Sieh da, „die Toten kommen!“ Das sollte man denken, aber sie können es doch.
Wir bauen einen Friedhof
Einen Tag nach dem ersten zusammengelegten Vertriebenen- und Flüchtlingstag, ein Tag nach des Präsidenten Rede und pünktlich zum Erscheinen der FAS mit dem ERIKA-Motiv, zog eine 5.000 Teilnehmer starke Totengräberbrigade durch Berlin, die von sich behauptete, Flüchtlinge retten zu wollen. Mit diesem nekrophilen Umzug, der mit einem massenhaften Gräberschaufeln vor dem Reichstag endete, wurde alles, was Gauck, Carstens und selbst Zastrow daherredeten, in kongenialer Weise als öffentliche Propagandashow deutschen Wesens inszeniert und übertroffen. Die da allen Ernstes unter dem Motto „Die Toten kommen!“ durch Berlin marschiert sind, waren gewiss keine Nazis oder Ausländerfeinde. Sie haben nur den Todeskult der Nazis affirmiert und statt lebendiger Flüchtlinge tote Ausländer willkommen geheißen. Angestiftet von einer Berliner Künstlergruppe mit dem gleichermaßen auftrumpfenden wie hochironisch zurückgenommenen Namen „Zentrum für politische Schönheit“ hatten sich die Angehörigen jener Gesinnungsgemeinschaft, die als das noch bessere Deutschland die Gauck- und FAS-Gemeinde in ihrer ureigenen Disziplin übertreffen wollen, zu einem „Marsch der Entschlossenen“ zusammengefunden und selbstgebastelte Särge und reichlich Holzkreuze, auf denen Losungen gegen das europäische Grenzregime zu lesen waren, durch die Gegend getragen. Das unterschied sich vom traditionellen deutschen Protest-Sarg-Tragen eindrucksvoll schon dadurch, dass es nicht nur der eine Sarg war, auf dem das abstrakte Objekt der Trauer, das mal „Studium für alle“ mal „Meinungsfreiheit“ heißt, geschrieben steht. Am 21.6. in Berlin stand darüber hinaus jeder Pappsarg für eine echte Leiche im Mittelmeer oder auf anderen Fluchtwegen. Natürlich waren sie leer, aber dass auch echte Leichen darin sein könnten, hat der wohlig schaudernden Gemeinde die gleiche Künstlergruppe bereits am 16.6.2015 vorexerziert, als sie die von ihr in Italien exhumierten und in Zinksärgen nach Deutschland transportierten Überreste von auf der Flucht Gestorbenen unter großer Medienanteilnahme nach dem Ritual der Religion, die für die Bürgerkriege und die Elendsverwaltung maßgeblich verantwortlich ist, die immer mehr Menschen zu Flüchtlingen macht, „würdevoll“ auf dem moslemischen Teil des Friedhofs von Berlin-Gatow begraben. Ein Blick auf die im Netz verfügbaren Bilder offenbart eine von deutschen Künstlern auf den Weg gebrachte Propagandashow des Islam. Die unter die Haut gehende Atmosphäre der würdigen Begräbnisse von Gatow konnte somit am 21.6. zwar nicht mehr in Gestalt von Leichen bergenden Särgen überboten werden, wohl aber durch das Kunststück, Spontanität zu inszenieren und ein Volk von Totengräbern zu emsigem Wühlen in der Reichstagswiese zu veranlassen. Und so ging es los: „Plötzlich wurde es ruhig zwischen den Demonstranten, ein Trompeter spielt eine Trauermelodie, die Menge verstummt in einer Schweigeminute. Einzelne zünden Kerzen an. Es gibt keine Anzeichen gewalttätiger Aktionen“ (Tagesspiegel, 21.6.2015). Der kleine Trompeter, der von der Weltkrieg-Eins-Totenverherrlichung zum Rot-Front-Kämpferlied, ein wenig abgeändert auch als Horst-Wessel-Lied, dann wieder als DDR-Aufbaulied, nicht fehlen darf, wenn sich Deutsche ihrer nicht umsonst Gefallenen erinnern, dieser kleine Trompeter spielte beim „Marsch der Entschlossenen“ seine einfühlsamen Melodien, traurig, einsam und aufwühlend. Die Kerzen waren selbstverständlich sofort zur Hand, darunter auch die typischen roten Friedhofslichter in stattlicher Zahl. Man schwieg betroffen genau eine Minute lang, bevor es spontan, ausgelassen und vor allem entschlossen weiterging. „Die entschlossene Zivilgesellschaft machte sich unmittelbar nach der Ankündigung des Friedhofs an dessen Umsetzung. Entschlossene rissen die Zäune zur Bundestagswiese ein und hoben spontan hunderte Gräber in der Hauptstadt aus“ (1), schreiben die Regisseure vom Zentrum für politische Schönheit. „Die Stimmung ist fast ausgelassen“, vermerkte der Tagesspiegel, und dem Kollegen von der Zeit klang alles nach einem fröhlichen antiautoritären Familienfest: „Am Rande springt ein kleines Kind auf einem der umgeworfenen Zäune herum, und als eine Polizistin den Vater bittet, das Kind möge doch damit aufhören, guckt es sie nur an und sagt: ‚Ey, ich mag keine Cops!‘ Alles wie immer also“ (Humanistischer Pressedienst, 22.6.2015). Erwachsene Teilnehmer wussten den Spaß beim Gräberbuddeln gegenüber dem Reporter in mahnende und natürlich entschlossene Worte zu gießen: „,Ein extrem ergreifender Moment‘, sagt die Teilnehmerin Svenja Brackel. Das sei ziviler Ungehorsam, wie er sein sollte, fährt die 29-jährige Erzieherin fort: ‚Ich glaube, sogar die Polizei ist auf unserer Seite‘“ (Tagesspiegel, a. a. O.). Dass dem tatsächlich so war, zeigte sich daran, dass die gut 5.000 Teilnehmer von der Polizei größtenteils ungehindert ihren Grabungen nachgehen durften. Bis auf wenige Rabauken gingen dann alle brav bis 19h nach Hause. (Tagesspiegel, a. a. O.) Tatsächlich war der Polizei aus den Verlautbarungen des Veranstalters bekannt gewesen, dass symbolisches Gräberschaufeln Teil des Abschlussprogramms war, weshalb sie die Reichstagsweise absperrte und einige der Demonstranten nach Grabungsgerät durchsuchte. Das Zentrum für politische Schönheit berichtet: „Die Demonstranten [des ZPS] riefen die Teilnehmer daraufhin zutiefst zynisch dazu auf, weder Särge noch Holzkreuze mitzubringen, nicht kreativ zu sein, sich nicht selbst zu organisieren. Zugleich verurteilten sie die Entscheidung, die Wiese zu sperren als ‚Akt grober Staatsgewalt gegen die Kunstfreiheit‘“. (Tagesspiegel, a. a. O.) Im Ergebnis hatte sich die Kunstfreiheit gegen eine untätige Polizei durchgesetzt, deren Führung wusste, dass dergleichen Tun im Grunde Regierungslinie ist, und es waren dutzende Grabstellen mit ordentlichen Grabkreuzen samt Aufschriften wie „Grenzen töten“ oder „Frontex Mörder“, in einem Fall sogar „Deutschland wir weben dein Leichentuch“ zu bewundern, geschmückt mit Blumen und Friedhofslichtern und ergänzt um hunderte Erdlöcher.
Was da wirklich gespielt wurde und wie es dazu kam, dass jeder in seiner ihm vorab zugedachten Rolle so einwandfrei spontan funktionierte, dass aus einer Volksgemeinschaftsübung „politische Poesie“ wurde, machte die Heinrich Böll Stiftung deutlich: „Alle wurden Teil des großen ‚als ob‘, pures Verwandlungsschauspiel, zart ironisch gebrochen durch einen Miniaturbagger, der würdevoll an einer Leine hinter dem Leichenwagen hergezogen wurde. Und unfreiwillig komplettiert von den zahlreichen Medienvertretern, die ihre Rolle besonders aufopferungsvoll interpretierten. Die gewünschte Bildproduktion fand statt, jeder filmte jeden, schon während die Aktion lief wurde sie viral. Die Demonstrationsteilnehmer erledigten die Dokumentation des Ereignisses gleich selbst und wurden so zu Co-Regisseuren der Erzählung im Netz. […] Als künstlerische Improvisationsanordnung ging der ‚Marsch der Entschlossenen‘ deshalb auf, weil das Zentrum erst starke Behauptungen und Inspirationen setzte, aber im entscheidenden Moment die Kontrolle über das Drehbuch an die Teilnehmenden abgab und auf die Magie der Improvisation vertraute. Demnächst ist die erste Theaterinszenierung des Zentrums für politische Schönheit am Schauspiel Dortmund zu sehen. Man darf gespannt sein“ (Christian Römer auf dem Blog der Heinrich Böll Stiftung, 24.6.2015). So spannend wird es dann doch nicht. Bevor für die Veranstalter am Schauspiel Dortmund erste Honorare und später staatliche Projektgelder für sinnstiftende Folgeprojekte unter aktiver Einbeziehung des Publikums abfallen und für den einen oder anderen vielleicht sogar eine Professur, gab es die unvermeidlichen Nachahmungsaktionen, zum Beispiel in Hannover, wo über Nacht im Stadtzentrum einige dieser Pseudogräber angelegt wurden; eines davon mit der Aufschrift: „Die Toten kommen!“ (Hannoversche Allgemeine, 3.7.2015).
Moralische Meisterstücke des Christian Schwarz-Schilling
Das Zentrum für politische Schönheit zählt sich im Ton auftrumpfender Selbstvermarktung (dem natürlich ein Schuss gebrochener Ironie nie fehlen darf) „zu den innovativsten Inkubatoren politischer Aktionskunst“. Es hält sich sogar „für eine erweiterte Form von Theater: Kunst muss weh tun, reizen, Widerstand leisten. In eine Begriffsallianz gebracht: aggressiver Humanismus.“ Dieser Anpreisung von Sauerbier aus den frühen 1970er Jahren (2) folgt der Lebenslauf für spätere Verwendung: „Inszenierungen und Werke am Gorki Theater, 7. Berlin Biennale, Theater Dortmund, Steirischer Herbst, NGBK, ZKM Karlsruhe u.v.a.“ (Website des ZPS). Doch mutig vorgetragener aggressiver Humanismus fordert dem Künstler vor allem einiges ab: Mut, Widerstand, Verzicht, Leiden und moralische Meisterstücke. Denn „politische Schönheit ist moralische Schönheit (καλὸς καὶ ἀγαθός). Kein Thema macht Erschütterung, politische Integrität und Verletzlichkeit methodisch derart sichtbar wie die Frage, wer gegen genozidale Verbrechen aufbegehrt und Widerstand geleistet hat – notfalls gegen die eigene Karriere, die eigenen Freunde, die eigenen Gefühle.
Das Zentrum formt Handlungen zu strahlender politischer Schönheit. Es geht um moralische Lichtintensität. Gerade in der Finsternis humanitärer Katastrophen und genozidaler Kriegsführung, inmitten schwärzester Anthropologie, wird die Erkenntnis moralischer Schönheit möglich. Moralisches Versagen und moralische Meisterstücke werden im Angesicht von Völkermord am besten erkennbar.
Diese Menschen umreißen Akte von politischer Schönheit: Varian Fry, Peter Bergson, Eduard Schulte, Simon Wiesenthal, Soghomon Tehlirian, Beate Klarsfeld, Raoul Wallenberg, Jean Moulin, George Mantello, Shahan Natalie, Roméo Dallaire, Raphael Lemkin, Georg Elser, Kurt Schrimm, Christian Schwarz-Schilling, Rupert Neudeck, Paul Grüninger, Willem Arondeus oder das World Food Programme.“ (Website des ZPS) Die Heldenliste präsentiert eine so abgefeimt ausgewogene Mischung, dass weder das Bundespräsidialamt noch die Redaktion der FAS sie besser hätte zusammenstellen können. Besonders bemerkenswert sind die beiden deutschen Lichtgestalten Christian Schwarz-Schilling und Rupert Neudeck, von denen man ja weiß, dass sie bei ihren Bemühungen um Flüchtlinge Karriere und Freunde aufgeopfert und irgendwie bestimmt auch gegen die eigenen Gefühle gehandelt haben. Dazu ein Schindlerdeutscher ersten Ranges: Eduard Schulte und ein Staatsanwalt, der jetzt, wo es zu spät ist, enorm mutig das Erbe Fritz Bauers antritt und halbtote SS-Männer vor Gericht bringt: Kurt Schrimm. Das reicht fast schon, um eine laut Selbstdarstellung „Sturmtruppe zur Errichtung moralischer Schönheit, politischer Poesie und menschlicher Großgesinntheit – zum Schutz der Menschheit“ zu qualifizieren. Solchen Leuten glaubt man aufs Wort, was ihr Sprecher gegenüber der BZ angekündigt hat: „Eine Sensation ist perfekt, da kommt noch mal was. Wir werden weiter beerdigen, bis die deutsche Politik sich dem Problem mit aller Entschlossenheit annimmt. Mindestens mit der Energie, mit welcher der Verkehrsminister versucht, die Autobahnmaut durchzudrücken.“ Es sage keiner, es ließen sich öde Forderungen an die Politik „in der Finsternis humanitärer Katastrophen und genozidaler Kriegsführung“ nicht auch im Titanic-Sprech rüberbringen.
Volkswiderstand und Protestpotenzial
Die Berliner Zeitung endlich hat den Punkt benannt, von dem deutsches Flüchtlingsgedenken unbedingt ausgehen muss: Den Leichenbergen. „Wir werden mit den Folgen dessen, was wir tun oder lassen konfrontiert. Das ist das eine. Das andere ist: Die Aktion verwandelt Leichenberge in zu Tode gebrachte Einzelne. Sie verwandelt Flüchtlinge in Menschen“. (Berliner Zeitung, 19.6.2015) Wie immer die Menschwerdung von anonymen Toten vonstattengehen soll – das ist schon egal. Worauf es ankam, war die Aneignung, wie man heute zu sagen pflegt, jener anklagenden Dokumentarfilme aus dem Jahr 1945, auf denen man amerikanische Bagger die zu Bergen geschichteten Leichen vorwiegend jüdischer KZ-Insassen wegen der erheblichen Seuchengefahr in die Gruben schieben sah, zu ganz anderen Zwecken. Man schreit „genozidal“, vereinnahmt Georg Elser und andere, nur zu dem Zweck, sich betroffenheitssatt und todesverfallen an die Relativierung der deutschen Vergangenheit zu machen. Aber noch diese Gemeinheit hat einen tieferen Sinn, der bis in den Sprachduktus an jene Zeiten anknüpft, in denen Deutsche Leichenberge produzierten. Die vom Zentrum für politische Schönheit, die sich wie professionelle Klageweiber bei öffentlichen Auftritten immer Asche ins Gesicht schmieren, sind so erfüllt von der Erhabenheit ihres Tuns, dass ihr Sprech in die hohe Sprache der Eigentlichkeit kippt, von der die des Nationalsozialismus alles hat. In Bezug auf ihre Begräbnisaktion auf dem Friedhof von Gatow sagten sie allen Ernstes: „Das Wunder des europäischen Denkens, das hier und jetzt von Deutschland ausgeht, verbreitet sich wie ein Lauffeuer in der Welt.“ Gemünzt auf die große Versöhnung am endlich deutschen Weltflüchtlingstag wäre es das rechte Wort gewesen. Dem Volker Zastrow hätte es gefallen, aber der Bundespräsident, der anders als Berliner Künstler noch mit Empfindlichkeiten aus dem Ausland rechnen muss, hat es sich dann doch nicht zu sagen getraut. Dazu bedarf es deutscher Widerstandkämpfer in der Tradition Christian Schwarz-Schillings, die Kopf und Kragen riskieren. Wer da etwa mäkelt wird angeherrscht: „Wir verbitten uns, dieses Wunder klein zu machen und uns in der Rolle von Protestierenden zu sehen. Die Beerdigung von Menschen kann und wird niemals ‚Protest‘ sein.“ Nein, Widerstand ist Berufung, die den ganzen aggressiven Humanisten erfordert: „Wir leben den Verantwortlichen vor, wie sie mit den Opfern ihrer Abschottungspolitik umgehen müssen.“ (Zentrum für politische Schönheit auf Facebook, 20.6.2015)
In Deutschland, wo man weiß, dass selbst in stumpfsinnig „Wir sind das Volk!“ krakeelenden Leipzigern nicht aggressive Ausländerfeinde, sondern aggressive Humanisten stecken, deren Tun man nicht etwa als schnöden Protest, sondern als uns anderen vorgelebte moralische Meisterstücke der deutschen Revolution zu bewundern gelernt hat, wird jede Tafel, jeder Lappen sofort nach Gebrauch eingesammelt, archiviert und ins Museum für politische Schönheit verfrachtet. Rupert Neudeck ist über das Verhältnis von Kunst und Volkswiderstand anlässlich der Aktion „die Toten kommen“ die schöne Einsicht zu danken, dass „die Gesellschaft froh darüber sein sollte, dass sie noch solche Protestpotentiale in sich birgt, mit denen die Künstler ihre Kunst sichtbar machen können“ (Qantara.de, 3.7.2015). Daran knüpfte bereits am 22.6.2015 die Bundestagsfraktion der Linken an und forderte den Erhalt der Gräber auf der Reichstagswiese als Mahnmal (ad-hoc-news.de, 22.6.2015). Die Abgeordnete Ulla Jelpke, die dann, wenn einer im Bundestag spricht, der dem Holocaust entronnen ist, aber Israel mitbegründet hat, sitzen bleibt, wahrscheinlich deshalb, weil sie über „Massensterben“ besonders gut Bescheid weiß, erklärte, warum nach Neuer Wache und Holocaustdenkmal ein drittes und endgültiges deutsches Mahnmal dringend gebraucht wird: „Jetzt im wahrsten Sinne des Wortes wieder Gras über die symbolischen Gräber wachsen zu lassen, ist angesichts des andauernden Massensterbens an Europas Grenzen die falsche Reaktion“.
Anmerkungen:
- http://www.politicalbeauty.de/toten.html
- „Klaus Staeck sieht hier historische Bezüge bis heute: ‚Ich habe 1986 mein erstes Plakat zu diesem Thema gemacht, mit dem Titel Stell dir vor, Du musst flüchten und liest überall: Ausländer raus.‘“ (Qantara.de., 3.7.2015)
Ausgabe #14 vom 01.11.2010
Auf dem größten der antisemitischen Massenaufmärsche, die in Wien anlässlich der Aufbringung der Friedensflotte genannten antiisraelischen Armada abgehalten wurden, wurde neben Fahnen der Hisbollah, der Hamas, der Islamischen Republik Iran sowie Flaggen des militanten Jihad auch ein Transparent mitgeführt, auf dem zu lesen war: „Der Kampf gegen Israel ist nicht Antisemitismus, sondern Antirassismus.“ [1] Angesichts solch einer Ausführung, die vielleicht in ihrer Eindeutigkeit, nicht aber in der in ihnen sich reflektierenden Argumentation hervorsticht, sondern vielmehr von den Israelkritikern unterschiedlichster Couleur geteilt, ja sogar als Ausweis für Reflektiertheit sowie Menschen- und Friedensfreundlichkeit angeführt wird, stellt sich die Frage, was für ein Begriff von Rassismus dem Antirassismus als Weltanschauung zugrunde liegt und warum dieser geradezu notwendig auf so geartete Feststellungen hinauslaufen muss.
Den Vorwurf, selbst antisemitisch zu sein, weisen Antirassisten, wie man nicht zuletzt an dem angesprochenen Transparent sehen kann, weit von sich; eine zum antirassistischen Ticket gehörige Sensibilität, die sich auf Völkerverständigung und Minderheitenschutz beruft, gilt als Beweis, dass man kein Antisemit sein könne, weil man kein Rassist sei. Schon in dieser Argumentation wird deutlich, dass ein bestenfalls diffuses Verständnis des Antisemitismus vorherrscht: Er wird lediglich als eine Spielart des Rassismus betrachtet, als einer von vielen „Rassismen“ [2], der sich in diesem konkreten Fall eben gegen Juden richtet, wie andererseits die Islamophobie sich Moslems als Ziel suche. Dieses interessierte Unverständnis ist es, das dem Gerede von „strukturelle[n] Ähnlichkeiten zwischen Antisemitismus und Islamfeindlichkeit“ zugrunde liegt, wobei es mittlerweile zum kritisch sich gebenden Repertoire der solcherart Argumentierenden gehört, gleichermaßen reflexartig wie gehaltlos darauf hinzuweisen, diese Konstatierung von Parallelen geschehe, „ohne billige Gleichsetzungen anstellen zu wollen.“ [3]
Der Rassismus im Allgemeinen entspränge dem Hass auf das Fremde und der Furcht vor dem Unbekannten, sei also ein Vorurteil im strengen Sinne des Wortes. Der Antisemitismus im Besonderen sei demgemäß eine solche Fremdenfeindlichkeit gegen und Diskriminierung von Juden. Der Hass auf den Zionismus, der in antirassistischen Kampfparolen gegen Israel wie den eingangs zitierten sich ausdrückt, kann in diesem Verständnis nicht als Antisemitismus begriffen werden – dies nicht zuletzt deswegen, weil die vernunft- und zivilisationsfeindliche Ranküne geradezu naturwüchsig zur Grundausstattung der Warner vor Islamophobie, ihrer Vorstellung von Rassismus und der darüber vermittelten eigenen Israelkritik gehört. [4] Unter dem Kampfbegriff Islamophobie wird mittlerweile so gut wie jede Kritik am Islam und dessen politischer Praxis subsumiert – auch wenn seine Propagandisten treuherzig versichern, gegen „Kritik an einzelnen Phänomenen des Islam überhaupt nichts [zu] haben“ [5] –, und er wird in einem weiteren Schritt als ein den „judeophobe[n] Aspekten“ des „Diskurses“ [6] gleichwertiges, wenn nicht aktuelleres und damit brennenderes Phänomen verstanden. Neben den bereits aufgeführten geben etwa die Veröffentlichungen des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung und seines Leiters Wolfgang Benz oder die des konkret-Autors Kay Sokolowsky [7] – um nur zwei weitere relativ beliebige Beispiele zu nennen – beredtes Zeugnis von dieser Tatsache. [8]
Zum Verhältnis von Rassismus und Antisemitismus Materialistische Kritik dagegen hat kenntlich zu machen, dass der Rassismus historisch die Biologisierung von Produktivitätsgefällen darstellt. Als gesellschaftlich notwendiger Schein kolonialer Praxis entsprang er daraus, dass die Wertbestimmung kolonialer Arbeitskraft in Natur aufgelöst wurde – dass die kolonialen Arbeitskräfte auf Natur, auf quasi tierisches Dasein reduziert wurden. Sie wurden als „Minderwertige“ projiziert und ihre gesellschaftliche Stellung naturalisiert. Ihre Erscheinung als koloniale Arbeitskraft wurde also für das Wesen genommen, sodass es an der Oberfläche erschien, als ob die minderwertige Behandlung einer „natürlichen Minderwertigkeit“ entspreche, wie auf der anderen Seite die Kolonialisierung der „natürlichen Überlegenheit“ der Europäer entspringe. [9] Zu Zeiten des Kolonialismus und der Sklaverei, zu Zeiten der Durchsetzung des Weltmarkts also, heftete sich diese die Unterdrückung rationalisierende Verkehrung an einen realen gesellschaftlichen Unterschied, den zwischen kapitalistischer und vorkapitalistischer Subjektivität. [10] Dieser Unterschied existiert jedoch nicht mehr – was allerdings nicht bedeutet, dass sich die verkehrende Projektion aufgelöst hat und verschwunden ist. Vielmehr hat sie eine Transformation und Verallgemeinerung erfahren und befriedigt nun ein allumfassendes psychisches Bedürfnis der krisenhaft konstituierten kapitalen Subjekte.
Der Rassismus ist demgemäß zu verstehen als eine objektive Verkehrung, durch den die Einzelnen sich ihre Tauglichkeit zur Verwertung bzw. ihre Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft als Naturmerkmal halluzinieren. Sie spalten die in der nachbürgerlichen Gesellschaft allumfassend gewordene Angst ab, der eigenen gesellschaftlich produzierten Überflüssigkeit überführt zu werden, und projizieren diese in die Außenwelt. Der identitäre Wahn ist solcherart eine Ideologie der Konkurrenz, eine Abgrenzung gegen und – letzten Endes – Feinderklärung an den nicht zum eigenen Kollektiv Gehörigen. In diesem wird, wie verkehrt und wahnhaft auch immer, der Konkurrent, die Arbeitskraft und damit der Gleiche erkannt, als der er gleichzeitig gebannt werden soll, was durch seine Reduzierung auf Natur, die zur Verwertung nicht tauglich ist, bewerkstelligt wird. Dadurch wird er überhaupt erst zu jenem Ungleichwertigen erklärt, der er in der Realität des global durchgesetzten Weltmarkts und seiner Subjektivität eben per se nicht ist. Wie sehr in dieser Denkform der Konkurrent immer noch aufscheint, und wie wenig die Projektion von eigener Verwertbarkeit aufgrund „natürlicher“ oder „kultureller“ Zugehörigkeit selbst von denen ganz geglaubt wird, die solche Vorstellungen hegen, das zeigt schon das zwangsläufig gleichzeitige, aber entgegen gesetzte Szenario, demgemäß dieselben Zuwanderer, die doch als bloße Natur zu Wert schöpfender Arbeit gar nicht in der Lage sein sollen, nur deswegen „zu uns“ kämen, um „uns die Arbeitsplätze wegzunehmen“. Gegen den vorherrschenden Rassismusbegriff wäre also kritisch einzuwenden, dass der Rassist und Fremdenhasser am Ausländer gerade nicht das Fremde und Andersartige – die Differenz, wie es im postmodernen Jargon heißt – hasst, sondern vielmehr die Gleichartigkeit. Was der Ausländerfeind also verabscheut, und wogegen er verzweifelt seine nationale Besonderheit stellt, ist die Gleichheit und Ununterscheidbarkeit der als Subjekte konstituierten Individuen im Prozess der kapitalen Verwertung – und darüber vermittelt seine eigene Austausch- und Ersetzbarkeit.
Doch in Zeiten des durchgesetzten Weltmarktes und seiner massenhaften Produktion von für den Fortgang der Verwertung Überflüssigen gibt es kein natürlich scheinendes Kriterium – wie etwa die Hautfarbe –, das den Einzelnen ihre produktive Indienstnahme und damit ihre Zugehörigkeit zum Kollektiv der Überlegenen sichert. Gerade diese Tatsache aber nötigt diese Einzelnen umso mehr zum Beharren auf der eigenen Unverwechselbarkeit und der Attributierung der Konkurrenten als Fremde oder Nicht-Dazugehörige. Genau in dieser Tatsache ist denn auch die in den letzten Jahren immer verstärkter zu beobachtende Fahndung nach kollektiven Identitäten zu verstehen: die Suche nach unhintergehbarer Identität, deren Anerkennung den Individuen ihren „Platz an der Sonne“ – d.h. an der Werkbank – garantieren soll. Der arbeitsgerichtliche Streit etwa darum, ob Ossis eine eigene Ethnie sind und deswegen dem Antidiskriminierungsgesetz unterliegen, [11] ist nur eine, lediglich auf den ersten Blick belanglos und absurd wirkende Erscheinung dieses gesamtgesellschaftlichen Trends. Die Ununterscheidbarkeit der auf Kapitalproduktivität und Staatsloyalität festgelegten Monaden treibt diese zur Behauptung der Differenz. Sie treibt sie zur Forschung nach Merkmalen, die die Zugehörigkeit zu einem Kollektiv unhintergehbar begründen und entweder die als fremd Attributierten draußen halten, oder den Sich-selbst-Ethnifizierenden einen Zugang zu den Futtertrögen garantieren sollen, indem sie sich als unter Schutz zu stellende „Andere“ gerieren.
Statt nun aber die Willkürlichkeit der kollektiven und identitären Zuschreibungen als Ergebnis der negativen Vergleichung durch Staat und Kapital zu kritisieren, beteiligt sich der Antirassismus an der Verschleierung eben dieses Mechanismus. Die Projektion der kollektiven Verschiedenheit wird nicht als dem Wunsch des kapitalen Subjekts entsprungen kritisiert und nicht als wahnhafter Versuch denunziert, der Gleichheit der Konkurrenz zu entgehen, sondern wird vielmehr in der Anerkennung der „Verschiedenartigkeit der Kulturen“ affirmiert und bloß positiv gewendet. Dieser Antirassismus nimmt den rassistischen Impuls auf, der die Verschiedenheit der Menschen nicht als je individuelle Qualität, sondern als Ausdruck eines unentrinnbaren Kollektivs behauptet. So schreibt etwa Iman Attia in ihrem Buch Die „westliche Kultur’“ und ihr Anderes: „In gesellschaftskritischer Perspektive und von soziologischen Begriffen, Fragestellungen und Aufgaben ausgehend, ergänzt die poststrukturalistische Sozialwissenschaft mit der Kategorie ‚Kultur’ die bislang zentralen Kategorien der Struktur und des Subjekts. Als Bindeglied zwischen Struktur und Subjekt ist Kultur der Bereich, in dem Subjekte in den Strukturen handeln, sie sich aneignen, sie hervorbringen und transformieren. […] Dieser Prozess, in dem Subjekte und Strukturen sich aufeinander beziehen, findet seinen Rahmen und seinen Ausdruck in der Kultur.“ [12]
Was sich hier gesellschaftskritisch gibt, ist das genaue Gegenteil davon, nämlich die begriffliche Verdopplung der gesellschaftlichen Realität, statt ihrer kritischen Durchdringung: Die Annerkennung der Menschen findet nicht als Anerkennung dieser als besondere Individuen statt, sondern als Exemplare kultureller Kollektivsubjekte. Die Einzelnen werden entindividualisiert und zu klar abgegrenzten Repräsentanten fremder Kulturen gemacht, deren Kritik als eurozentristische Anmaßung aufgefasst wird. Um auch hier nur ein Beispiel unter vielen zu nennen, sei ein Aufsatz von Sawitri Saharso zitiert, in dem sie ausführt, dass es rassistisch sei, die Entfernung der Klitoris als Verstümmelung (Mutilation) zu bezeichnen und zu verbieten: „Das Problem eines solchen Verbots ist aber, dass viele Lebensweisen mit Praktiken der Geschlechterdiskriminierung verbunden sind. Obwohl ich begrüßen würde, wenn wir uns alle feministischen Überzeugungen anschließen würden, haben wir in unserem Privatleben das Recht, geschlechterdiskriminierende Praktiken zu wählen. Eine Praktik aufgrund von Geschlechterdiskriminierung zu untersagen, würde bedeuten, dass all diese Praktiken nicht mehr länger rechtens wären. Dies würde aber unzulässigerweise persönliche Freiheiten einschränken.“ [13] Solcher Antirassismus, der sich allen Ernstes als emanzipatorischer Sprecher für die Unterdrückten begreift, baut auf einer positiv verstandenen kulturellen Identität der Menschen und Völker auf, und schreckt dabei zwangsläufig nicht davor zurück, auch noch die schlimmsten Verbrechen als „persönliche Freiheit“ innerhalb der kulturellen Vielfalt unter Naturschutz und damit unter Kritikverbot zu stellen.
Der Rassismus wie der Antirassismus sind objektive Denkformen der warenproduzierenden Vergesellschaftung und als solche Ausdruck des Wahns mittels dessen die kapitalen Subjekte sich einer als natürlich imaginierten, unaufkündbaren Zugehörigkeit zum Kollektiv, zur Gemeinschaft der Unabkömmlichen versichern möchten. Die allumfassende Nötigung, die eigene Nützlichkeit und Vernutzbarkeit im Gange der Verwertung, welche stets nur verlangt, niemals aber garantiert ist, zu beweisen, ist solcherart aber nicht aus der Welt zu schaffen. Die harmonisch halluzinierte Gemeinschaft entpuppt sich stets wieder als Zwangszusammenhang von Konkurrenten, die ihrem Verwiesensein an den kapitalen Prozess, den doch nur sie selbst in Gang halten, nicht entgehen können. Sie befinden sich in einer objektiven Situation, in der sie der negativen Vergleichung in der Konkurrenz ausgesetzt sind, welche einerseits ihre Subjektivität permanent setzt, diese aber ebenso permanent bedroht und hintertreibt. Dies bringt den Hass auf das gleichmachende Prinzip und alles, was damit identifiziert wird hervor. Das „automatische Subjekt“ (Marx), das die Einzelnen durch ihr gesellschaftliches Handeln produzieren und reproduzieren, wird von ihnen in einem Akt der Veräußerlichung als über ihnen stehende Macht konkretisiert und soll als Aggressor dingfest gemacht werden: als Finanzkapital und Spekulantentum [14], als Globalisierung, als Arroganz und Maßlosigkeit des Westens u. ä. „Die Feindschaft der Völker gegen die Globalisierung von außen entspricht der Feindschaft der Kollektivsubjekte gegen den Zersetzer im Inneren. In multipler Form entsteht so das ‚ewig jüdische Prinzip’ neu, jenes das stets verneint.“ [15]
Die kapitalen Subjekte halluzinieren sich ein personifiziertes negatives Prinzip, auf das sie alle krisenhaften Phänomene der Moderne projizieren, ihm Allmacht und Allgegenwärtigkeit unterschieben, und es für alle empfundenen Übel und Ungerechtigkeiten verantwortlich machen. Insofern schwingt im Antisemitismus notwendig und immer ein sozialrevolutionäres Moment mit – die Schreckgestalt eines verneinenden Prinzips, das die Menschen, die Völker und Kulturen ins Übel stürzt, das ihre Identität unterwandert und zu zersetzen droht; diesem Prinzip soll es an den Kragen gehen, um so Identität endgültig und definitiv fest- und stillzustellen. In genau diesem Zusammenhang ist auch das eingangs zitierte Transparent zu verstehen: Der jüdische Staat wird als jener rassistische Aggressor projiziert, der die schützens- und erhaltenswerten Kulturen, Differenzen und „Praktiken“ (Saharso) der Welt bekämpft und zerstört, um sie unterjochen und ausbeuten zu können und den an diesem Unterfangen zu hindern als antirassistische Pflicht erscheint.
Es existiert ein fundamentaler Unterschied zwischen Rassismus und Antisemitismus: Ersterer „ereignet sich […] im Rahmen von Vergleichung und Konkurrenz, während der Antisemitismus sich gegen die durch den Tausch gestiftete Vergleichung der Individuen als kapitale Subjekte wendet.“ Letzterer rationalisiert also die Vergleichung als Verschwörung und projiziert sie auf empirische Personen, die er ohne Rücksicht auf ihre Besonderheiten aus der Welt schaffen möchte. „Antisemitismus ist der barbarische Aufstand aller Ressentimentgeladenen und Opferwütigen, egal, wie sehr sie mit welch ‚rassistischen’ Vorwänden auch immer sich untereinander selbst ans Leder wollen.“ [16] Dies ist auch der Grund, warum sich unter jenem antiisraelischen Transparent eine auf den ersten Blick derart heterogene Masse versammeln kann, wie auf der Demonstration in Wien am 4. Juni 2010: Internationalistische Trotzkisten, arabische Islamisten, kurdische Nationalisten, türkische Faschisten der Grauen Wölfe und „Feministischer Widerstand gegen imperialistischen Krieg“ [17] – der Bezug auf den gemeinsamen Feind, der gemeinsame Hass auf das Abstrakte und die Sehnsucht nach unhintergehbarer Gemeinschaft schafft die Einheit der antisemitischen Internationale; diese ungenießbare Melange ermöglicht die Konstituierung jener Hetzmasse von einander spinnefeindlich gesinnten Rackets.
Es ist allein der Antisemitismus, der als allumfassende Welterklärung auftritt und eine existentielle Feinderklärung vornimmt, die ohne Rücksicht auf alle individuellen und sozialen Eigenschaften vorgeht und alle von ihm Betroffenen auf bloße Opfer, auf zu vernichtendes Material reduziert. Er ist die autoritäre Rebellion gegen die widersprüchliche und krisenhafte Konstitution der als kapitale Subjekte gesetzten Individuen und als solche gleichzeitig die bewusste Exekutierung der barbarischen Züge, die die kapitalvermittelte Vergesellschaftung in ihrem Verlauf aus sich selbst heraus produziert. Der Antisemitismus ist somit zu charakterisieren als fetischistische Revolte gegen das Kapital auf der Grundlage des Kapitals, und genau darin, eine konformistische Rebellion gegen das Kapital auf dessen eigener Grundlage exekutieren zu wollen, gleicht sich der gesinnungsethische Antikapitalismus der Antiglobalisierer und der Panarabisten, der Islamisten und der Antiimperialisten, was auch erklärt, warum der Antisemitismus ein notwendiges Moment all dieser Weltanschauungen ist; und zwar genau jenes verbindende Moment, das ihre jeweilige Avantgarde auf der Mavi Marmara hat zusammenfinden lassen.
Antirassismus als Antikapitalismus
Der spontane Antikapitalismus, für den in Deutschland paradetypisch „Die Linke“ steht, erklärt Ausbeutung und Verelendung als Ausfluss egoistischer und raffgieriger Absichten, fasst diese in weiterer Folge als rassistische Diskriminierung und Ausplünderung der Völker der Dritten Welt und ist bestrebt, darüber die Zusammenrottung der Verelendeten zum Kollektiv der sich Wehrenden und Zurückschlagenden zu betreiben, wie man nicht zuletzt an den Geschehnissen rund um die antisemitische Piratenfahrt gen Gaza beobachten konnte. Es entspricht genau der antirassistischen Weltanschauung, wenn Anette Groth von einer „unglaublich gute[n] Atmosphäre“ inklusive Gesang auf der Mavi Marmara schwärmt und Norman Paech erklärt, sich in diesem „bunte[n] Treiben“ wie auf einem „Bazar“ gefühlt zu haben. [18] Es entspricht genau dieser Disposition, dass beide nichts als harmonische und friedliche Vielfalt der Kulturen erkannt haben wollen, bis die israelische Soldateska diesem fröhlichen und bunten Treiben ein gewaltsames Ende bereitet habe und dafür zurecht mit Gewalt konfrontiert wurde, die nichts als Gegenwehr und Selbstverteidigung gewesen sei. Der an dieser Stelle als repräsentatives Beispiel einer sich selbst als oppositionell halluzinierenden Organisation herangezogene BAK Shalom gibt zu dieser Irrenlogik dann das Feigenblatt ab, indem er in seiner Stellungnahme zur „Unterstützung der ‚Friedensflotille’“ den Parteigenossen Höger, Paech und Groth erst Respekt ob der „widrigen Umstände, die sie durchmachen mussten“, ausspricht und ihnen danach ins Stammbuch schreibt, dass sie es bei der grundsätzlich nicht verwerflichen „Infragestellung der israelischen Blockadepolitik“ ein wenig übertrieben hätten, um schließlich ebenfalls die Souveränität des jüdischen Staates zu untergraben, indem er ihm kluge Ratschläge gibt und eine internationale Untersuchungskommission fordert. [19]
Es ist der Antirassismus selbst, der den Rassismus nicht als eine objektive Gedankenform der globalen kapitalistischen Vergesellschaftung begreifen kann. Er macht ihn stattdessen zu einer Chiffre für Unrecht und Ungerechtigkeit schlechthin und schwingt sich so zum ressentimentgeladenen Deutungsmuster für gesellschaftliche Prozesse aller Art auf. Um auch hier wieder nur ein Beispiel zu nennen: Im Vorfeld der berüchtigten Durban Review-Konferenz letztes Jahr in Genf hielt das Forum für Menschenrechte in Israel/Palästina, dem etwa Amnesty International Schweiz und die Schweizer Caritas angehören, am 19. April 2009 eine Israel Review-Konferenz ab. Auf dieser wurden allen Ernstes israelische Swimming Pools zu rassistischen Unterdrückungsmaßnahmen erklärt, die den in der palästinensischen Scholle wurzelnden Olivenhainen das Wasser abgraben würden. [20] Wie Leo Löwenthal bereits in den 1940er Jahren festgestellt hat, dient diese Art der Agitation nichts anderem als dem Schüren von „Ressentiments gegenüber den Exzessen des Luxus.“ In seiner Studie Falsche Propheten führt er aus: „Der Agitator entwirft ein bizarres Bild überdimensionierter luxuriöser Besitztümer, […] wo es von Schwimmbassins nur so wimmelt.“ [21]
Der so argumentierende Antirassismus ist eine antikapitalistische Bewegung, die sich die Verallgemeinerung des Elends auf ihre Fahnen geschrieben hat und die, die sich unter dieser Fahne sammeln, erwarten nur eine Form der Belohnung: Sie dürfen ihr Mütchen an den im Luxus verkommenen Sündern kühlen, wenn ihnen diese als Beuteopfer in die Hände fallen. Seine Agitation zielt darauf, die Gesellschaft in identitäre, gemeinschaftliche Elendsselbstverwaltung zu überführen. Die zu schützenden Völker und Kollektive sind charakterisiert dadurch, dass sie durch rigide Verzichtsmoral und das aggressive Einklagen eines Opferstatus zusammengehalten werden und dieses Einklagen ermöglicht es, sich als jene „verfolgende Unschuld“ (Karl Kraus) zu präsentieren, die aus den Ausführungen Groths und Paechs spricht. Dieses Einklagen ermöglicht es, sich als Opfer zu fühlen und aufzutreten, das in der Verfolgung des imaginierten Verursachers der als Übel und Ungerechtigkeit empfundenen gesellschaftlichen Verhältnisse immer nur in Notwehr auf einen äußeren Aggressor zu reagieren beansprucht. So charakterisiert auch Jürgen Habermas die Selbstmordanschläge islamistischer und panarabistischer Rackets als psychologisch nachvollziehbare Reaktion, mit der eine durch „gewaltsame Entwurzelung“ „aus ihren kulturellen Traditionen herausgerissene Bevölkerung“ auf die „aufreizend banalisierende[…] Unwiderstehlichkeit einer materialistisch einebnenden Konsumgüterkultur“ reagiert. [22] Es gelte dementsprechend – so Habermas in einem anderen, gemeinsam mit Jacques Derrida verfassten Aufsatz –, den jihadistischen Terror als eine Bewegung zu sehen, welche den Westen „für die Gewalt einer oktroyierten und entwurzelnden Moderne zur Rechenschaft“ zieht. [23]
Nicht die Jihadisten mit ihrem Hass auf den Westen sollen die Urheber der Selbstmordanschläge sein, sondern der arrogante und überhebliche Westen, der seine Kultur dem gesamten Erdball aufzwinge, fordere solch antirassistische Gegenwehr geradezu heraus. Diese wird folglich auch nicht als Krieg, sondern geradezu als – wenn auch manchmal überzogen gewaltsame – kulturbewahrende Notwendigkeit verstanden, womit die antiwestliche Enthemmung zugleich gegen jede Kritik immunisiert wird. Durch die Selbstentmündigung mittels der Reklamierung des Status als bloßes Opfer verbitten sich die Kollektive und ihre Fürsprecher nicht nur jede Einmischung, sondern auch jede Kritik von vornherein als ethno- oder eurozentristische Arroganz und als Rassismus. So schreibt etwa Judith Butler in ihrem Aufsatz Unbegrenzte Haft in Hinblick auf jihadistische Kämpfer: „Wenn wir annehmen, dass jeder Mensch so Krieg führt, wie wir das tun, und daß dies ein Teil dessen ist, was ihn erkennbar menschlich macht, […] dann verwenden wir einen begrenzten und begrenzenden kulturellen Rahmen für unser Verständnis dessen, was es heißt, menschlich zu sein.“ [24] Und sie fährt fort: „Wenn diese Gewalt Terrorismus ist anstatt Gewalt wird sie als ein Handeln ohne politische Zielsetzung aufgefasst, oder sie kann politisch nicht gedeutet werden. […] Daß es ein islamischer Extremismus oder Terrorismus ist, bedeutet einfach, daß die bereits vom Orientalismus bewirkte Entmenschlichung auf die Spitze getrieben wird, so daß diese Art von Krieg aufgrund ihrer Einzigartigkeit und Außergewöhnlichkeit von den Annahmen der Universalität und vom Schutz der Zivilisation ausgenommen wird.“ [25] Auch hier sind es wiederum nicht die Jihadisten, die, wie man in jeder ihrer Verlautbarungen nachlesen könnte, ganz selbstbewusst einen Kampf gegen die Zivilisation führen und diese vernichten möchten, die an der Barbarisierung der Verhältnisse arbeiten, sondern der rassistische Westen mit seinen universalistischen Vorstellungen etwa vom Kriegsrecht. Während der Kampf gegen Rassismus, wie ihn etwa die amerikanische Bürgerrechtsbewegung in den 1960ern geführt hat, den Ausschluss bestimmter Bevölkerungsgruppen von universalistischen Rechtsansprüchen kritisierte und dagegen vorging, dreht der Antirassismus den Spieß um: Er behauptet, vernunftgeleitete Maßstäbe seien rassistisch, weil westlich. Er denunziert und verwirft so den Universalismus als Partikularismus – solange dieser nicht auch noch das grausamste Verbrechen im Namen der Kultur mit einbezieht. Der Universalismus, der Butler vorschwebt, ist der der vollendeten kulturell-konkreten Parzellierung im Kampf gegen die abstrakten Allgemeinbegriffe.
Der friedenssehnsüchtige Kampf gegen Israel
Dieser Antirassismus ist – wie bereits erwähnt – Ausdruck einer konformistischen Revolte gegen das Kapital. Er entspringt nicht dem Wunsch nach Emanzipation, sondern ist vielmehr das genaue Gegenteil von emanzipatorischer Umwälzung auf dem höchsten Niveau bestehender Vergesellschaftung. Stattdessen will er in einem einseitigen Angriff auf die als abstrakt abgespaltenen Seiten der Warenproduktion das Konkret-Natürliche retten und entspricht darin genau der antisemitischen Denkform. Die wertförmige, über das Geld vermittelten Vergesellschaftung wird nicht deswegen kritisiert, weil sie irrational und die von ihr gesetzte Individualität als Anhängsel der Wertverwertung eine ideologische und krisenhafte ist. Die Gesellschaft und der über sie vermittelte Individualismus werden vielmehr denunziert, weil längst schon keine Gesellschaft von Individuen mehr gedacht, geschweige denn verwirklicht werden soll, sondern lediglich ein weltweiter Ethnienzoo verschiedener Kulturen und anderer kollektiver Identitäten. „In mir“, formuliert Butler in ihrer Kritik der ethischen Gewalt, ist „eine andere Geschichte am Werk und es ist unmöglich zwischen dem ‚Ich’ […] und dem ‚Du’ – der Menge der ‚Dus’ –, das mein Begehren von Anfang an bewohnt und enteignet, zu unterscheiden.“ [26]. In allen von uns ist eine Geschichte, eine Struktur, ein Sein Heideggerscher Provenienz am Werk, das bedingt, dass wir „alle nicht genau umgrenzt, nicht wirklich abgesondert, sondern einander körperlich auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind, einer in der Hand des anderen.“ [27]
Dass der als Menschenliebe und Verantwortungsethik auftretende Antirassismus sich aus trüben Quellen speist, aus genau jenem Hass auf den Konkurrenten, der im unmittelbar rassistischen Stereotyp offen zutage tritt und im antirassistischen nur positiv gewendet ist, sprechen die Vertreter dieser Weltanschauung offen aus. So hadert Judith Butler damit, dass der Westen in seiner arroganten Zentrierung auf Vernunft und Gesundheit, die „Gefährdetheit des Lebens“ [28] nicht als das unhintergehbare menschliche Existenzial affirmiere, sondern stattdessen versuche, diese in seiner Verdrängung des Todes und des Wahnsinns zu derealisieren und zu übertünchen. Es ist lediglich eine dünne Patina der Rationalisierung die sich über ihren todessehnsüchtigen Voyeurismus gelegt hat, wenn sie auf das Gefühl der Reue und Trauer hinweist, dass „die Bilder mit Napalm verbrannter Kinder“ im Vietnamkrieg ausgelöst haben. So bedauert sie, dass die „Medien solche Bilder nicht mehr zeigen“ und uns deswegen die Menschenleben „nicht in ihrer Gefährdetheit und Vernichtung erscheinen […].“ „Unter den derzeitigen Bedingungen der Darstellung“ so fährt sie fort, „können wir weder den gequälten Schrei hören noch durch das Gesicht gezwungen oder genötigt werden. […] [W]elche Medien werden uns diese Zerbrechlichkeit wissen und fühlen lassen und damit an die Grenzen der Darstellung gehen, so wie diese zur Zeit kultiviert und unterhalten wird?“ [29]
Butlers gesamte Ethik ist eine Apotheose des Leids als menschliches Existenzial. Den Anspruch auf Versöhnung wird man bei ihr vergeblich suchen, vielmehr denunziert sie ihn als anmaßende Hybris des modernen Subjekts und insofern spielt auch der Begriff des Glücks in ihrer Philosophie keine Rolle: Das Menschliche, das es zu schützen gelte, ist ihr vielmehr der „Schrei menschlichen Leidens, der keine direkte Darstellung zuläßt“ [30] – eine uns in Geiselhaft nehmende „Vokalisierung der Qual“. [31] Dies nicht etwa zu kritisieren und abzuschaffen, sondern anzuerkennen und zum Programm einer Ethik zu machen, ist das Anliegen von Butlers Schriften, in denen sie dezidiert die Bejahung der „Unfreiheit im Herzen unserer Beziehungen“ [32] propagiert. Diese Unfreiheit und damit Todesverfallenheit menschlichen Lebens nicht anzuerkennen, darin besteht für Butler die Kardinalsünde des Westens und seiner Subjektivität, die ihr eine einzige Veranstaltung ist, der unhintergehbaren Verletzbarkeit allen menschlichen Lebens zu entrinnen. Es gehe dem westlichen Denken darum, einen „‚moralischen Narzissmus’ (zu nähren), dessen Lustgewinn in seiner Fähigkeit liegt, die konkrete Welt zu transzendieren“ [33] – also Qual, Leid und dem Tode Ausgesetztsein abschaffen zu wollen, was laut Butler eine arrogante Halluzination ist.
Indem sie jedes über Immanenz hinausgehende Denken als Ausfluss moderner Subjektherrschaft und Selbstzurichtung denunziert, gerät ihr – wen wundert es noch – der Zionismus ins Blickfeld, jene politische Bewegung, die sich mit der Opferrolle der Juden nicht abfinden, sondern diese durch die Schaffung eines verteidigungsfähigen Staates beenden oder zumindest eindämmen will. Die Einfühlung ins Leid und die Denunziation jedes Versuches, das Unmenschliche aus der Welt zu schaffen [34], charakterisiert Judith Butlers Denken und bricht sich in den altbekannten Ressentiments Bahn. So kritisiert sie etwa Emmanuel Lévinas’ Versuch, über die Bedeutung des Holocaust für seine Verantwortungsethik nachzudenken, als eine alternative Version des Auserwähltheits-Anspruchs des Judentums. [35] Lévinas’ Überlegungen seien eine „skandalöse Darstellung des jüdischen Volkes“, eine zionistische Legitimationsstrategie, die „zu einem schrankenlosen Rückgriff auf Aggression im Namen der ‚Selbstverteidigung’“ ermächtige. [36] Während sie den Zionismus im Allgemeinen als „mörderische Aggression“ begreift, gesteht sie Lévinas gönnerhaft zu, dass sein Denken „hier wirklich durch Verletzungen und Beleidigungen geprägt “ [37] ist, die er erlitten habe. Dazu muss man wissen, dass Lévinas’ Eltern und Brüder in Litauen der nationalsozialistischen Vernichtung zum Opfer gefallen sind, welche für Butler gemäß ihrer Theorie diskursiver Einschreibung [38] kaum mehr als die Verwundung durch performative Sprechakte und diskriminierende Adressierungen ist: Offener als an dieser Stelle kann die poststrukturalistische Trivialisierung und Wegarbeitung von Auschwitz kaum ausfallen.
Dass Butler nur pars pro toto für das antirassistische Weltbild ist, wird deutlich, wenn man einen weiteren Blick in das bereits zitierte Buch Die ‚westliche Kultur’ und ihr Anderes wirft. Darin schreibt Iman Attia, dass es „eine deutsche Mitschuld an der Lage von Flüchtlingen aus dem Nahen Osten“ gibt, und zwar „durch die nationalsozialistische Ermordung und Exilierung von Juden und Jüdinnen, die den politischen Zionismus und damit die Landnahme und Vertreibung von PalästinenserInnen forcierten.“ [39] Der „deutsche Beitrag zur Kolonialisierung des ‚Orients’ bereits vor dem Nationalsozialismus“ so führt sie weiter aus, sei beschränkt gewesen, da das Deutsche mit dem Osmanischen Reich verbündet war und dessen Interessen nicht in die Quere kommen wollte. „Im Zuge des Nationalsozialismus freilich zeigte das Deutsche Reich kein Interesse an der Unterstützung von Jüdinnen und Juden. [sic!] In diesem Kontext ist der deutsche Beitrag zur Kolonisierung Palästinas im Zusammenhang mit der eliminatorischen Politik (Holocaust) und dem zunehmenden Antisemitismus zu sehen, in dessen Folge die Gründung eines eigenen Staates als Ausweg eingeleitet wurde.“ [40]
Während Attia die Vernichtung des europäischen Judentums also rationalisiert, indem sie die Palästinenser zu deren eigentlichen Opfern erklärt, so tut Butler dies, indem die Shoa bei ihr, wenn überhaupt, dann nur als Verwundung vorkommt, aufgrund derer Levinas zum Zionisten wurde und so die „mörderische Aggression“ Israels gerechtfertigt habe. In ihrer in dem Text Sprache, Politik, Zugehörigkeit geführtenAuseinandersetzung mit Hannah Arendts Elementen und Ursprüngen totaler Herrschaft etwa ist mit keinem Wort von Antisemitismus und Vernichtung die Rede. Der Nationalsozialismus firmiert hier als jene „Zeiten“, in „denen Menschen deportiert wurden, ihre Rechte verloren, aus ihren Häusern vertrieben oder als Menschen zweiter Klasse geführt wurden.“ [41] Anders darf er auch nicht vorkommen, geht es Butler doch darum, Israel und die USA als die Erben dieser Politik darzustellen; als Erben, die diese Politik sogar noch übertreffen, da die „außergesetzliche Ausübung von Souveränität“ [42] zwar „nicht neu“ sei, der „Mechanismus“ aber, mit dem die USA und Israel sich dieses Instruments bedienten, um ihre Ziele zu erreichen, eine „Einmaligkeit“ darstelle. [43] Die Anschläge von 9/11 betrachtet Butler dagegen als tätige „Dezentrierung“, mittels derer Al-Qaida den USA die konstitutive Verwundbarkeit des Lebens vor Augen geführt habe. Der Jihadismus ist ihr also quasi eine Schickung des Seins, die die hybrishafte Seinsvergessenheit souveräner Subjekte anklagt, um so zum „Verlust der Überheblichkeit der Ersten Welt“ [44] beizutragen. Die USA aber hätten diese „Erfahrung der Demütigung“ [45] nicht genutzt und stattdessen zum Zwecke der Wiederherstellung ihres Subjektstatus’ den War on Terror als einen „Kreislauf der Gewalt im Namen der Gerechtigkeit“ [46] gestartet. Indem die Vereinigten Staaten sich so gegen das Sein abdichteten, indem sie Ordnung stifteten kraft der Verteufelung und Vernichtung der im Islam dingfest gemachten Differenz, machten sie „die Gewalt im Namen ihrer Verleugnung zum Dauerzustand“ [47], eine Gewalt, die sich nicht nur im offenen Krieg äußere, sondern auch in der universalistischen Kultur, welche die USA der Menschheit aufzwängen. In diesem Zusammenhang spricht Butler der Burka „wichtige kulturelle Bedeutungen“ als Notwehrmaßnahme gegen die rassistische Oktroyierung westlicher Werte zu: Diese stehe „für die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft und Religion, zu einer Familie“, sie sei „eine Übung in Bescheidenheit und Stolz“ und diene „als Schleier […], hinter dem und durch den die weibliche Handlungsfähigkeit wirken kann.“ [48] Demgemäß fasst sie Kritik an der Burka als „kulturimperialistische Ausbeutung des Feminismus“ [49], als Teil eines Programms der „Dezimierung islamischer Kultur“, das zur „Ausbreitung von US-amerikanischen kulturellen Annahmen führt, wie Sexualität und Handlungsfähigkeit zu organisieren und darzustellen seien.“ [50]
Diese Gewalt wird für Butler wohl nur noch von der Israels übertroffen: Der jüdische Staat ist für sie der Inbegriff des National-Staates im Gegensatz zum post-souveränen Staat, dem Staat der Selbstbestimmung, den Butler sowohl durch den Internationalen Strafgerichtshof [51] als auch in Palästina heraufdräuen sieht, dem Staat der Selbstbestimmung, der das Territorium denationalisiert und so die Souveränität deformiert. [52] Israel dagegen als Nationalstaat par excellence gewinne seine Souveränität durch Vertreibung, Entrechtung und der Einrichtung von Gaza als „Open-Air-Gefängnis“ [53]; allesamt „Permutationen der Staatsmacht“ [54], mit denen es nationale Ordnung in die von Differenz geprägten Menschen einschreibt. Mittels dieser Einschreibung – in Bezug auf Israel kennt Butler plötzlich Einschreibungen, die nicht rein diskursiv sind, die mehr sind als die „Verletzungen und Beleidigungen“, die Lévinas durch den Nationalsozialismus erlitten habe – realisiert Israel seine Souveränität als „spezifische Anordnung von Macht und Zwangsmitteln, die eigens dazu bestimmt ist, die Lage und den Zustand des Enteigneten zu schaffen und zu erhalten“ [55] und ist so für Butlers Weltanschauung der Inbegriff eines rassistischen Apartheidsystems schlechthin. Dementsprechend bezeichnet sie Gaza auch als Ghetto und solidarisiert sich mit der Hisbollah [56], die sie als Widerstandsgruppe für die „Selbstbestimmung des libanesischen Volkes“ apostrophiert [57] und mit der Hamas, die sie gemeinsam mit der Hisbollah, den „progressiven sozialen Bewegungen“ und der „globalen Linken“ zurechnet, in der Butler auch sich selbst verortet [58] – auch wenn sie diese Solidarität als kritische verstanden wissen will, weil sie, wie schon Habermas und Derrida, die Gewaltfrage im Kampf gegen „Kolonialismus und Imperialismus“ etwas anders beantwortet sehen möchte. [59] Womit sich der Kreis geschlossen hat und wir wieder bei dem eingangs zitierten Transparentslogan angelangt wären: Der Kampf gegen vernünftige Universalität und damit der Kampf gegen allgemeinmenschliche Emanzipation, als welcher sich der Antirassismus heute darstellt, fällt notwendig mit dem Kampf gegen Israel zusammen – was man sowohl an dessen Theorie aufzeigen kann, als auch an der Praxis, etwa der Demonstrationen rund um die Verteidigung israelischer Souveränität gegen die Blockadebrecher von der Mavi Marmara.
Anmerkungen:
[1] Bilder dieses Aufmarschs sind zu finden unter:
http://www.flickr.com/photos/49643818@N03/sets/72157624078673959/. [2] Gudrun Harrer, Die Angst vor dem „Muselblut“, in: Der Standard, Album vom 28.08.2010, S. A11.
[3] Ebd.
[4] Als partes pro toto seien hier zwei jener Bücher genannt, welche Gudrun Harrer in dem erwähnten Standard-Artikel der geneigten Leserschaft als Werke von „Spezialisten“ empfiehlt: Zwischen Antisemitismus und Islamophobie. Vorurteile und Projektionen in Europa und Nahost, hrsg. v. J. Bunzl u. A. Senfft, Hamburg 2008 und Islamophobie in Österreich, hrsg. v. J. Bunzl u. F. Hafez, Innsbruck – Wien – Bozen 2009.
Die in diesen beiden Bänden versammelten Aufsätze bieten mehr als genug Anschauungsmaterial für den hier konstatierten Zusammenhang. Der Aufsatz Zwischen Antisemitismus und Islamophobie. Überlegungen zum neuen Europa von Matti Bunzl dürfte den Herausgebern gleich dermaßen gefallen haben, dass sie in wortidentisch in beiden Sammelbänden veröffentlichten. In diesem erklärt Bunzl die Beschäftigung mit dem Antisemitismus für unerheblich, da er „sich ausgelebt“ habe, in die „Bedeutungslosigkeit“ versunken, „irrelevant“ und „obsolet“ geworden sei (S. 61 bzw. 39f.) und damit lediglich eine Kategorie der Vergangenheit darstelle: „Europa muss sich dem Problem des Antisemitismus stellen, und zwar unter Anerkennung seiner besonderen Geschichte. Dringlicher ist jedoch die Frage der Islamophobie, sowohl hinsichtlich der Zukunft Europas wie auch der geopolitischen Gesamtlage“, da sonst „eine weitere Zunahme des Antisemitismus […] unser geringstes Problem“ wäre. (S. 73f. bzw. 48)
[5] Harrer, Die Angst vor dem „Muselblut“, a. a. O., S. A11.
[6] John Bunzl, Einleitung, in: Zwischen Antisemitismus und Islamophobie, a. a. O., S. 15.
[7] Kay Sokolowsky, Feindbild Moslem, Berlin 2009.
[8] So stellte etwa Wolfgang Benz am 26. 05. 2010 in der Sendung kulturzeit auf 3sat in Bezug auf die vom dänischen Künstlerduo „Surrend“ vorgenommene Bezeichnung des Deutschland-Korrespondenten der Jerusalem Post als Stürmer-Journalisten und als Teil der „jüdischen[n] Lobby in Deutschland“ fest, mit Antisemitismus habe dies nichts zu tun.
[9] Vgl. dazu: Peter Schmitt-Egner, Rassismus und Wertgesetz. Zur begrifflichen Genese kolonialer und faschistischer Bewusstseinsformen, in: Gesellschaft. Beiträge zur Marxschen Theorie, hrsg. v. H.-G. Backhaus, Nr. 8/9, Frankfurt/M. 1976.
[10] Vgl. dazu und zu den Widersprüchen, die dem Rassismus daraus erwachsen: Clemens Nachtmann, Rasse und Individuum. Plädoyer für eine vollendet künstliche Amoral, in: Bahamas, Nr. 58/2009, S. 53ff.
[11] Vgl. dazu etwa: Christian Fahrenbach: „Ossi“-Vermerk beschäftigt Arbeitsgericht, unter: www.morgenweb.de/service/archiv/artikel/687146685.html: „Das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG), vereinfacht Antidiskriminierungsgesetz genannt, verbiete eine Absage mit dem Argument ‚Ossi’. Das Gesetz wolle schließlich Benachteiligungen aufgrund der ‚Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft’ ausschließen. ‚Die beiden Teile Deutschlands haben sich während der Trennung auseinandergelebt’, erklärt Nau [der Rechtsanwalt der ostdeutschen Klägerin; AG]. ‚Die Ostdeutschen hatten teilweise Wortbildungen und Sitten, die wir nicht kannten’, führt er aus. Die Richter müssen also entscheiden, ob der ‚Ossi’ eine eigene Ethnie ist. ‚Der Begriff >ethnische Herkunft< ist weder in der ursprünglichen europäischen Richtlinie noch im daraus abgeleiteten deutschen Gesetz genau definiert’, erklärt Heiko Habbe, Rechtsanwalt und Fachmann für Antidiskriminierungsrecht.“
[12] Iman Attia, Die „westliche Kultur“ und ihr Anderes. Zur Dekonstruktion von Orientalismus und antimuslimischem Rassismus, Bielefeld 2009, S. 18f.
[13] Sawitri Saharso, Gibt es einen multikulturellen Feminismus? Ansätze zwischen Universalismus und Anti-Essenzialismus, in: Zwangsfreiheiten. Multikulturalität und Feminismus, hrsg. v. B. Sauer u. S. Strasser, Wien 2008, S. 19.
[14] So macht etwa der sozialdemokratische österreichische Bundeskanzler Werner Faymann vaterlandslose Spekulanten für die ausbleibende Bildungsreform in Österreich und andere Angriffe auf die Gerechtigkeit verantwortlich: „Wir sind für eine gemeinsame Schule, für ganztägige Schulformen. Da betrachte ich solche Initiativen und schon gar nicht Sie persönlich als Gegner, sondern als Unterstützung. Es ist legitim, zu sagen, ich hätte gerne von allem das Doppelte und das gleich. Aber das funktioniert nicht. Nicht durch die Schuld eines Landes allein, sondern durch eine internationale Entwicklung haben Spekulationen der Realwirtschaft so viel Geld weggenommen, dass die Staaten jetzt einfach zu wenig haben. […] Auf der anderen Seite liefert die Spekulation der Finanzmärkte nichts an die öffentliche Hand ab. Für öffentliche Aufgaben, für das, was wir eine soziale und gerechte Welt nennen, ist dann weniger da.“ (Der Standard, 28./29.08.2010, S. 8)
[15] Uli Krug, Pazifistische Bruderschaft. Antirassisten und Nationalrevolutionäre gemeinsam gegen Zionismus und Globalisierung, in: Bahamas, Nr. 37/2002, S. 16.
[16] Clemens Nachtmann, Drittes Reich, Dritte Welt, Dritter Weg. Über Rassismus und Antirassismus, in: Bahamas, Nr. 43, 2003/04, S.58.
[17] Siehe unter: http://www.flickr.com/photos/49643818@N03/4669495160/in/set-72157624078673959/.
[18] Vgl. dazu den Report Mainz der ARD vom 07.06.2010. (http://www.youtube.com/watch?v=zm8-32abifM&feature=player_embedded)
[20] Vgl. http://www.jpost.com/servlet/Satellite?cid=1239710727591&pagename=JPost%2FJPArticle%2FShowFull.
[21] Leo Löwenthal, Falsche Propheten. Studien zur faschistischen Agitation, in: Ders., Falsche Propheten. Studien zum Autoritarismus, Frankfurt/M. 1990, S. 42.
[22] Jürgen Habermas, Fundamentalismus und Terror, in: Ders., Der gespaltene Westen, Frankfurt/M. 2004, S. 19.
[23] Jürgen Habermas/Jacques Derrida, Der 15. Februar – oder: Was die Europäer verbindet, in: Habermas, Der gespaltene Westen, a. a. O., S. 51.
[24] Judith Butler, Unbegrenzte Haft, in: Dies., Gefährdetes Leben. Politische Essays, Frankfurt/M. 2005, S. 109.
[25] Ebd., S. 108.
[26] Judith Butler, Kritik der ethischen Gewalt. Adorno-Vorlesungen 2002, Frankfurt/M. 2007, S. 102.
[27] Ebd., S. 136.
[28] Judith Butler, Gefährdetes Leben, in: Dies., Gefährdetes Leben, a. a. O., S. 170.
[29] Ebd., S. 177.
[30] Ebd., S. 170.
[31] Ebd., S. 165.
[32] Butler, Kritik der ethischen Gewalt, a. a. O., S. 124.
[33] Ebd., S. 141.
[34] Ebd. S. 142f.
[35] Vgl. ebd., S. 125ff.
[36] Ebd., S. 128f.
[37] Ebd. S. 128.
[38] Vgl. dazu: Judith Butler, Hass spricht. Zur Politik des Performativen, Frankfurt/M. 2006.
[39] Attia, Die „westliche Kultur“ und ihr Anderes, a. a. O., S. 82.
[40] Ebd., S. 83.
[41] Judith Butler/Gayatri Chakravorty Spivak, Sprache, Politik, Zugehörigkeit, Zürich – Berlin 2007, S. 33 f.
[42] Judith Butler, Unbegrenzte Haft, in: Dies., Gefährdetes Leben, a. a. O., S. 119.
[43] Ebd., S. 112.
[44] Judith Butler, Gewalt, Trauer, Politik, in: Dies., Gefährdetes Leben, a. a. O., S. 57.
[45] Ebd., S. 43.
[46] Judith Butler, Erklärung und Entlastung oder: Was wir hören können, in: Dies., Gefährdetes Leben, a. a. O., S. 34.
[47] Ebd., S. 35.
[48] Butler, Gefährdetes Leben, a. a. O., S. 168.
[49] Butler, Gewalt, Trauer, Politik, a. a. O., S. 59.
[50] Butler, Gefährdetes Leben, a. a. O., S. 168.
[51] „Ich glaube nicht, daß der Internationale Strafgerichtshof Souveränität kriminalisiert hat, aber es ist schon der Fall, daß er eine Reihe internationaler Schutzmechanismen entwickeln will, die nicht auf Basis der National-Staaten formuliert sind, wie es die Genfer Konvention tat. Das Versprechen ist also, daß ein postnationales Verständnis dessen entwickelt werden soll, was Menschenrechte sein könnten.“ (Butler/Spivak, Sprache, Politik, Zugehörigkeit, a. a. O., S. 68)
[52] Vgl. ebd., S. 70.
[53] Ebd., S. 10.
[54] Ebd., S. 12.
[55] Ebd., S. 9.
[56] Judith Butler u.a., Solidaritätserklärung mit den Menschen in Libanon und Palästina, unter: http://www.islinke.de/sol_libanon.htm.
[57] Butler, Unbegrenzte Haft, a. a. O., S. 119.
[58] Vgl. Judith Butler on Hamas, Hezbollah & the Israel Lobby, unter: http://radicalarchives.org/2010/03/28/jbutler-on-hamas-hezbollah-israel-lobby/.
[59] Judith Butler, In diesem Kampf gibt es keinen Platz für Rassismus, in: Jungle World Nr. 30/2010. (http://jungle-world.com/artikel/2010/30/41420.html)
Das evangelische Hilfswerk Heks hat die Basler Zeitung verklagt, weil diese ihm in einem Gastkommentar antisemitisch motivierte Aktionen vorwarf. Die vom Staat grosszügig mitfinanzierte Organisation versucht sich verzweifelt vom Sumpf loszusagen, in dem sie knietief drinsteckt.
Heks-Partnerorganisation Eappi in Jerusalem.Bild: zVg
Am 14. Juni trafen sich in Murten rund siebzig Abgeordnete des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes zur jährlichen Versammlung. Um die Freundschaft zwischen den Religionen zu betonen, war auch Herbert Winter geladen, der Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG), des Dachverbandes der Juden in der Schweiz. In einer «Grussbotschaft» an die Abgeordneten lobte er ausgiebig die «guten Beziehungen», die «gegenseitige Wertschätzung» – bis er plötzlich auf das Heks zu reden kam, das Hilfswerk der evangelischen Kirchen der Schweiz. Dem Heks nahestehende Personen verbreiteten im Internet Hetzschriften gegen Israel und Juden – und das Heks würde das sogar billigen, sagte er.
Die heftigen Vorwürfe fussen auf den Vorkommnissen rund um die Zürcher Demonstration gegen die Gaza-Intervention Israels im Sommer 2014. Die Emotionen schlugen in Hass um, in Internetforen wurde in einer Art gegen Juden Stimmung gemacht, wie das in der Schweiz schon lange nicht mehr vorgekommen ist. Von «vergasen» war da die Rede; man werde ins Zürcher Judenviertel gehen, um Zionisten zu verprügeln. Und das waren noch eher die harmloseren Kommentare.
Als der SIG das Heks diskret darauf aufmerksam machte, dass auf der Facebook-Seite einer Palästina-Aktivistin, die zweimal an dem vom Heks mitfinanzierten «Friedensprogramm» Eappi mitmachte, Mordaufrufe und andere strafrechtlich relevante Kommentare veröffentlicht worden seien, wurde er von Heks-Mitarbeitern schroff zurückgewiesen.
Politisch gefärbte Evangelische
Dass ausgerechnet im Umfeld des Heks solche antisemitischen Tiraden vorkommen, ist kein Zufall. Die Hilfsorganisation ist mit mehreren Programmen in den besetzten Gebieten tätig und leistet dort nicht bloss Hilfe für Bedürftige, wie man das von einem Hilfswerk erwartet, sondern ist auch an politisch gefärbten Aktionen beteiligt. Insbesondere die enge Zusammenarbeit mit dem angeblichen Friedensprogramm Eappi (Heks-Beitrag 2015: 262 000 Franken), aus dem immer wieder äusserst radikale Anti-Israel-Aktivisten entspringen, und die Unterstützung der israelischen Organisation Zochrot, die sich die Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge zum Ziel gesetzt hat, führten in letzter Zeit zunehmend zu Kritik, nicht nur von jüdischer Seite. Die Verantwortlichen des Heks sorgen sich deswegen mittlerweile um ihren Ruf. Doch statt dass sie die politischen Aktivitäten einstellen und sich auf humanitäre Hilfe konzentrieren, gehen sie mit juristischen Mitteln gegen Kritiker vor. Im März hatte der Basler Musiker David Klein – in der Israel-Frage nicht minder obsessiv wie seine Gegner – in der Basler Zeitung (BaZ) die Aktivitäten des Heks mit deutlichen Worten angeprangert.
Der damalige Heks-Direktor Ueli Locher veröffentlichte wenige Tage später eine Replik, in der er die Projekte zur «Friedensförderung» verteidigte und Klein «diffamierende und verleumderische Züge» vorhielt. In einem nächsten Bericht warf Klein dem Heks vor, mit dem Einsatz von Mitteln für politische Gruppierungen gegen das eigene Stiftungsstatut zu verstossen, was eine Veruntreuung von Spendengeldern bedeute. «Der Hass auf Israel ist grösser als der Wunsch, Gutes zu tun.»
Das Heks nahm dies als Grund für eine Klage. Mit dem Vorwurf der Veruntreuung habe David Klein dem Heks eine Straftat unterstellt, was eine Persönlichkeitsverletzung darstelle, schreibt die Organisation in einer Stellungnahme. Man habe von der BaZ gefordert, den Artikel von der Website zu entfernen, «den Tatbestand der Persönlichkeitsverletzung auf aussergerichtlichem Wege anzuerkennen und eine entsprechende publizistische Wiedergutmachung zu leisten». Da die Zeitung den Forderungen nicht nachgekommen sei, habe man eine Anzeige beim basel-städtischen Zivilgericht eingereicht. Die BaZ wollte sich wegen des laufenden Verfahrens nicht dazu äussern.
Acht Millionen von der öffentlichen Hand
Ob der Vorwurf der «Veruntreuung» in diesem Fall erlaubt ist oder nicht, müssen die Gerichte entscheiden. Doch diese Detailfrage lenkt vom eigentlichen Gegenstand ab: dass das Heks einseitig Partei nimmt in einem internationalen Konflikt. Und damit selbst politisch aktiv ist. Zum Beispiel, wenn es von Grossverteilern fordert, Produkte aus den besetzten Gebieten speziell zu kennzeichnen oder besser «ganz auf den Verkauf zu verzichten». Stöbert man auf den Internet-Seiten von Heks-Partnerorganisationen wie Eappi, so wird dort unverblümt das Bild vermittelt: Israelis sind böswillige Aggressoren, die sogar mutwillig Kinder töten, Palästinenser hingegen sind unschuldige Opfer. Dass sich mehrere Schweizer Teilnehmer am Eappi-Programm auf Facebook als radikale Israel-Hasser in Szene setzen, trägt auch nicht zur Glaubwürdigkeit solcher Heks-finanzierter Programme bei.
Besonders stossend ist dieser politische Aktivismus, da sich das Hilfswerk zu einem beträchtlichen Teil mit öffentlichen Geldern finanziert. Rund 14 Millionen Franken erhält das Heks jährlich von Bund, Kantonen und Gemeinden, was 22 Prozent des Gesamtbudgets ausmacht. Zusätzlich kommen etwa 7 Millionen von den Kirchen, also aus Kirchensteuern. Allein die Beiträge des Bundes haben sich in den letzten fünf Jahren von 4,45 Millionen (2010) auf 8 Millionen (2015) fast verdoppelt. Beim Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) sieht man in den Anti-Israel-Aktivitäten des Heks kein Problem – oder man schaut bewusst weg. «Dem Bundesrat sind keine Fälle bekannt, in denen im Zusammenhang mit dem Heks Probleme bezüglich der korrekten Verwendung von Spendengeldern aufgefallen wären», heisst es auf Anfrage. Und auch das Heks gibt weiterhin vor, allein vom humanitären Gedanken getragen zu sein. Alles andere wäre ein Eingeständnis, gegen eigene Vorgaben zu verstossen. Im Heks-Strategiepapier heisst es nämlich, dass man sich «nicht von ideologischen, politischen, religiösen oder kulturellen Strömungen vereinnahmen» lasse.
Die steigende Präsenz der Salafisten hat das Stadtbild von Bonn nachhaltig verändert. Gefahren soll man offenbar erst ansprechen, wenn das Schlimmste eingetreten ist.
Die ehemalige Bundeshaupt- stadt Bonn ist zu einer Hochburg der radikalen Salafisten geworden. Etwa zehn Prozent der aus Deutschland nach Syrien ausgereisten radikalen Islamisten kommen aus Bonn, wo sie sich im Stadtteil Bad Godesberg konzentrieren. Mittlerweile ist Arabisch in Bonn die am zweithäufigsten gesprochene Sprache. Anknüpfungspunkt ist die König-Fahd-Akademie, eine saudi-arabische Auslandsschule, die über Jahrzehnte stark religiös ausgerichtete Familien aus ganz Deutschland anzog. 2003 hatte es einen Skandal um ihre radikalislamischen Schulbücher gegeben. Seitdem handhabt die Schulbehörde die Befreiung der Schüler von der deutschen Schulpflicht restriktiver. Aber die demografische Ballung islamistischer Araber in Bonn Bad Godesberg ist nicht mehr umkehrbar und hat das Stadtbild nachhaltig verändert.
Drohung gegen Kirche
Die Stadt Bonn leugnet die Probleme nicht, aber sie spricht auch nicht gern darüber. Die Integrationsbeauftragte Coletta Manemann macht sich Sorgen über eine drohende Islamfeindlichkeit.
Die grösste evangelische Gemeinde in Bonn Bad Godesberg ist die Erlösergemeinde. Am 11. Dezember 2014 fand sich in ihrer Post ein anonymer Drohbrief mit Briefkopf und Unterschrift in arabischen Schriftzeichen. Er hatte folgenden Text:
«An den Vorbeter der Versammlung von Ungläubigen, die ihr evangelische Gemeinde nennt: Islam ist die einzig wahre Religion. Ihr bekommt die Gelegenheit zum Annehmen des Islam in den nächsten drei Monaten von jetzt an. Lest Al-Q’ran und nehmt den Islam an! Macht von eurem Haus eine Moschee, die nur den Muslimen offen steht! Ihr müsst in den nächsten drei Monaten erklären, dass ihr Islam freiwillig angenommen und von eurem Versammlungshaus eine Moschee gemacht habt. Das müsst ihr im TV und Internet machen, so dass alle Menschen davon hören und sehen. Wenn ihr euch aber Islam verweigert: Wir werden zuerst dich finden. Wir werden dich strafen im Namen von Allah, welchen du verleugnest! Wir werden deine Brut finden und strafen! Wir werden das Haus für eine Moschee einfach nehmen und alle strafen, die Islam nicht freiwillig angenommen haben!»
Das Presbyterium der Gemeinde entschied nach einer Beratung mehrheitlich, den Brief nicht zu veröffentlichen und die Gemeindemitglieder nicht zu informieren. Man fürchtete offenbar einerseits Repressalien, andererseits den Ruf der Islamfeindlichkeit. Nur durch eine Indiskretion kam es zu einer Weitergabe des Briefes, und nur auf Umwegen geriet er von da in meine Hände.
Verrückte Fanatiker
Offenbar wurde der Brief von einem verrückten Fanatiker geschrieben. Inhaltlich ernst zu nehmen ist er natürlich nicht. Aber verrückte Fanatiker steuerten vor vierzehn Jahren zwei Flugzeuge ins World Trade Center. Und verrückte Fanatiker, die in Europa aufgewachsen sind, kämpfen heute zu Tausenden beim IS. Nur: Wie geht man mit der Verrücktheit um? Ihre Gefahren soll man offenbar erst ansprechen, wenn das Schlimmste eingetreten ist. Und einen ideologischen oder religiösen Zusammenhang mit dem Islam soll man möglichst gar nicht herstellen, denn spätestens seitdem Bundespräsident und Bundeskanzlerin es sagten, wissen doch alle: «Der Islam gehört zu Deutschland.»
Aufschlussreich ist der Vergleich der Ereignisse im äussersten Osten und im äussersten Westen Deutschlands.
— Als der Drohbrief der Salafisten in den Briefkasten der Godesberger Erlösergemeinde wanderte, warnte Pegida gerade in Dresden vor der Islamisierung Deutschlands. Das wurde den demonstrierenden Bürgern sehr übel genommen, mindestens fand man ihre Befürchtungen lächerlich, weil es doch praktisch keine Muslime in Dresden gebe.
— Von Bonn kann man das wahrhaftig nicht mehr sagen. Dort, wo radikale Islamisten Drohungen aufs Papier bringen (oder nach Syrien ausreisen, wenn sie mehr tun wollen), schweigen die Bedrohten konsequent, vielleicht in der Hoffnung, so die Gefährdung abzuwenden, vielleicht aber auch beherrscht von der noch grösseren Angst, sie könnten als islamfeindlich gelten.
Islamfeindlichkeit wird in der veröffentlichten Meinung gleich neben Ausländerfeindlichkeit angesiedelt, von da ist es zum Rechtspopulismus und gar zu rechtsradikalen Umtrieben nicht weit. Der gute Deutsche, der nicht in diese Ecke möchte, hält lieber den Mund, um nicht anzuecken, egal ob er in Bonn oder Dresden wohnt. Ganz unaussprechlich ist da die Befürchtung, unter den grossenteils muslimischen Flüchtlingen aus dem Nahen und Mittleren Osten und aus Afrika könne es Nachschub für radikale Ausprägungen des Islam in Deutschland und Europa geben. Wer soll sich auch schon äussern, wenn die Politiker es nicht tun, die Medien jeden bestrafen, der es tut, und die Kirchen sich so wegducken wie die Erlösergemeinde in Bad Godesberg.
Welches ist das nächste Tabu?
Auf dem Höhepunkt der Achtundsechziger Bewegung war das Schimpfwort Kommunistenfeind inhaltsgleich mit der Abstempelung als rechts und reaktionär. Mit dem Untergang des kommunistischen Ostblocks ist das Feindbild Kommunistenfeind zwangsläufig mit verschwunden. Natürlich zerbrach das System nicht an den Kommunistenfeinden, sondern an seinen eigenen Widersprüchen. Genau so wird der Islamismus nicht an den Islamfeinden, sondern an seinen eigenen Widersprüchen zugrunde gehen. Man kann nur hoffen, dass bis dahin weniger Blut geflossen sein wird als im Falle des Kommunismus. Neugierig darf man sein, welches neue Tabu dann die Islamfeindlichkeit ablösen wird.
Thilo Sarrazin ist ehemaliger deutscher Bundesbanker und Bestsellerautor. Er schreibt einmal pro Monat exklusiv für die Weltwoche über die deutsche Politik.
Wann fällt es unter die Presse- und Meinungsfreiheit, jemanden als Antisemiten zu bezeichnen, und wann verletzt dies das Persönlichkeitsrecht von Leuten, die nicht Antisemit genannt werden wollen? Mit dieser Frage muss sich neuerdings immer öfter die deutsche Justiz befassen.
Im jüngsten Fall geht es um Xavier Naidoo, der die Amadeu-Antonio-Stiftung vor Gericht brachte (Jungle World 35/2015), weil er auf dem von der Stiftung betriebenen Portal »Netz gegen Nazis« indirekt als Antisemit bezeichnet worden war. Naidoo, der auch bei Demonstrationen auftrat, die aus dem Umfeld der »Reichsbürger« organisiert wurden, singt in einem seiner Lieder, »Baron Totschild« gebe den Ton an. Vor dem Landgericht Mannheim kam es schließlich zu einem Vergleich: Die Amadeu-Antonio-Stiftung wird den Popstar nicht mehr einen Antisemiten nennen, darf aber weiterhin bestimmte Liedzeilen als antisemitisch interpretierbar bezeichnen. Die Stiftungsvorsitzende Anetta Kahane sagte in einer Stellungnahme, dass es kein Interesse an einer langwierigen juristischen Auseinandersetzung mit dem Sänger gegeben habe. Dieser muss sich deutlich weniger vor den Prozesskosten fürchten als die Stiftung.
»Freiheit für Deutschland«: Xavier Naidoo spricht am Tag der Deutschen Einheit 2014 bei einer Kundgebung vor dem Kanzleramt in Berlin (Foto: Action Press / Future Image / Michaela Ellguth )
Jutta Ditfurth hat kein Interesse an einem Vergleich. Die Publizistin bezeichnete Jürgen Elsässer, den Herausgeber des Querfrontmagazins Compact, in einem Interview mit der Fernsehsendung »Kulturzeit« auf 3Sat als »glühenden Antisemiten« (Jungle World 42/2014). Elsässer war zuvor im Rahmen einer »Montagsmahnwache für den Frieden« aufgetreten, wo er der johlenden Menge zurief: »Internationale Finanzoligarchie klingt vielleicht ein bisschen abstrakt. Deswegen möchte ich mit Bertolt Brecht sagen: Das Verbrechen hat Name und Anschrift und Telefonnummer. Und man kann doch durchaus einige Namen nennen: (…) die Herren Rockefeller, Rothschild, Soros, Chodorkowski«. Elsässer verklagte Ditfurth auf Unterlassung, denn ein Antisemit – und gar ein glühender – wollte er ganz gewiss nicht sein. Es kam zur mündlichen Verhandlung, in der Elsässer sich von Michael Hubertus von Sprenger, dem ehemaligen Anwalt des Holocaust-Leugners David Irving, vertreten ließ. Die vorsitzende Richterin erklärte im Rahmen des Verfahrens, dass »ein glühender Antisemit in Deutschland« jemand sei, »der mit Überzeugung sich antisemitisch äußert, mit einer Überzeugung, die das Dritte Reich nicht verurteilt«. Antisemitismus, führte sie aus, sei ein Totschlagargument. Ditfurth verlor in erster Instanz und darf Jürgen Elsässer bis auf weiteres nicht als glühenden Antisemiten bezeichnen. Sie geht in Berufung, einen Termin für die zweite Verhandlung gibt es bislang nicht. Anders als die Amadeu-Antonio-Stiftung kündigte sie an, ihren Prozess »bis zum Ende« durchzufechten. Die Prozesskosten versucht sie über Spenden zu finanzieren, zu denen auch in großen Medien aufgerufen wurde. Jüngst erklärte Ditfurth, man »muss, gerade in Deutschland, einen Antisemiten einen Antisemiten nennen dürfen. Das geht uns wirklich alle an und ist von öffentlichem Interesse.«
Zu Spenden für Ditfurth hat auch Deniz Yücel aufgerufen. Er ist einer der Herausgeber der Jungle World und war bis vor kurzem Kolumnist der Taz. Die hat ebenfalls schon Erfahrungen gemacht mit Antisemitismusvorwürfen, die vor Gericht landen: Die Taz schrieb, dass die Band Die Bandbreite für ihre »antisemitischen Texte bekannt« sei. Die Bandbreite verbreitete etwa mit ihrem Lied »Selbst gemacht« Verschwörungstheorien zu den Anschlägen des 11. September 2001 und trat unter anderem bei einer Gegenveranstaltung zu einem Bilderberger-Treffen auf. Mit Hilfe des Anwalts Dominik Storr, der sich in seiner Freizeit mit der »Bürgerinitiative Sauberer Himmel« gegen sogenannte Chemtrails einsetzte, klagte die Band gegen die Taz erfolgreich auf Unterlassung. Die Taz ging in Berufung und verlor erneut. Einen Unterlassungsanspruch gegenüber dem Rechtsanwalt der Taz wegen der von ihm vertretenen Meinung, der Sänger der Band leugne den Holocaust, wenn er George W. Bush und Adolf Hitler gleichsetze, sah das Gericht hingegen nicht. In aktuellen Texten der Taz über Die Bandbreite sucht man das Wort Antisemitismus vergebens.
Ähnlich erging es dem Journalisten Stefan Laurin, der das Blog Ruhrbarone presserechtlich verantwortet. Ihm wurde gerichtlich verboten, der Band, ihrem Sänger oder ihren Liedern wörtlich oder sinngemäß zu unterstellen, Antisemitismus zu propagieren. In der Realität heißt das: Laurin darf sich zur Band nicht äußern, sofern auch nur anhand einer Textzeile möglicher Antisemitismus diskutiert wird, nicht einmal Links teilen, die ansatzweise eine solche Deutung zulassen. Täte er es trotzdem, hätte er mit hohen Geldstrafen zu rechnen. Ein umfassender Maulkorb, verkündet »im Namen des Volkes«.
Was wäre, wenn die Überschrift dieses Textes »Antisemiten vor Gericht« lauten würde? Dann würde es wohl Abmahnungen hageln. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, gibt es in Deutschland keine Antisemiten mehr. Zumindest kann man jene, die man dafür hält, nicht mehr ohne weiteres so nennen. Man kann komplexe Analysen von Text und Subtext, Sprachcodes und Bildsprache, Gesagtem und Gemeintem anstellen. Man kann Antisemitismus an konkreten Stellen belegen. Doch wenn man den Urheber einer antisemitischen Aussage als Antisemiten bezeichnet, hat man vor Gericht schlechte Karten. Die Grundrechte auf Meinungs- und Pressefreiheit stoßen in Deutschland schnell an Grenzen, wenn man von Antisemiten spricht – zumindest wenn man damit lebende Personen in Deutschland meint, die sich selbst nicht so nennen. Diese Grenzen begründen sich aus dem Persönlichkeitsrecht: »Antisemit« ist für viele Richter in Deutschland offenbar eine Beleidigung, eine Diffamierung, böswillige Unterstellung, aber nichts, was sich belegen ließe, solange die gemeinte Person sich nicht selbst zum Antisemitismus bekennt. Sozialwissenschaftliche Studien weisen immer wieder auf große Anteile an Antisemiten in der Gesellschaft hin. Doch konkrete Beispiele zu benennen, ist vor der deutschen Justiz gefährlich und teuer geworden. Presse- und Meinungsfreiheit sind in Gefahr, wenn es um die Kritik des Antisemitismus geht. Wo anders als vor deutschen Gerichten sollte ein Antisemitismusvorwurf schwerer wiegen als die Reproduktion antisemitischer Ideologie?
Anders sieht es offenbar aus, wenn es nicht nur um die Meinungsfreiheit, sondern im besonderen um die Freiheit der Kunst geht. Der Rapper Koljah der HipHop-Gruppe Antilopen Gang rappt im Song »Beate Zschäpe hört U2« die Zeilen »Sie können sagen, was sie wollen / sie sind schlicht Antisemiten / All die Pseudo-Gesellschaftskritiker / Die Elsässer, KenFM-Weltverbesserer«.
Ken Jebsen, der Gründer von KenFM, der bezogen auf Israel etwa von den »Irren mit dem Davidstern« spricht, versuchte vor dem Landgericht Köln eine einstweilige Verfügung gegen die Band zu erwirken. Das Gericht sah diesen Anspruch kritisch im Hinblick auf die »Äußerungen des Antragstellers in der Vergangenheit und unter besonderer Berücksichtigung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 3 GG«. Jebsen nahm seinen Antrag zurück und musste folglich für die Gerichtskosten sowie die Kosten des Anwalts der Antilopen Gang aufkommen. Die Rapper kommentierten das Ergebnis gewohnt süffisant: »Wie zu erwarten war, hat sich Ken Jebsen blamiert. Für die kostenlose Promokampagne sind wir ihm dankbar. Falls Jebsen nach diesem Eigentor in Erwägung ziehen sollte, eine Vernunftehe mit Barbra Streisand einzugehen, würden wir uns als Trauzeugen anbieten.« Die HipHopper spielten damit auf den nach der Sängerin benannten »Streisand-Effekt« an, mit das mediale Phänomen beschrieben wird, »dass der Versuch der Unterdrückung einer Information diese einem größeren Publikum erst bekanntmacht«, wie es auf Wikipedia heißt.
Remember: Do X! Don´t do Y!
Protect innocent, respect life, defend art, preserve creativity!
http://www.jsbielicki.com/jsb-79.htm
Psychoanalytische Arbeitsstation
DJ Psycho Diver Sant – too small to fail
Tonttu Korvatunturilta Kuunsilta JSB
Tip tap tip tap tipetipe tip tap heija!
http://www.psychosputnik.com
http://www.saatchionline.com/jsbielicki
https://psychosputnik.wordpress.com/
They are on the run, we are on the march!
Be patient, work hard, follow your passions, take chances and don’t be afraid to fail.
Von oben hat man bessere Aussicht. Psychoanalyse ist eine Erhebung über die Situation.
„Kritische Theorien, wie die Freudsche, artikulieren eine Erfahrung, die mit den jeweils herrschenden Denk- und Wahrnehmungsweisen unvereinbar ist. Gerade in dem, was der Konvention als unbrauchbar, als Abfall gilt und wovon in Wissenschaft und Lebenspraxis methodisch abgesehen wird, entdecken die Revolutionäre der Denkart das Neue, das ei¬ne bestehende Einrichtung des Lebens in Frage stellt. Indem sie an das Ausgegrenzte und erfolgreich Vergessene erinnern, markieren sie den Mangel der Ordnung, die über dem Grab der verworfenen Alternativen triumphierend sich erhebt. Und das dem Status quo verschworene Kollektiv stempelt solche Alchimisten, die aus Dreck Gold zu machen schei¬nen, stets zu Außenseitern6 . Aus der Erfahrung dessen, was den vorherrschenden, institutionalisierten Zwecken widerstrebt, erschüttern die Neuerer deren fraglose Geltung.“ – Helmut Dahmer
Die Umwälzung nach 1945 führte nicht zur Überwindung des Nationalsozialismus als Ideologie der deutschen Volksgemeinschaft, sondern rief lediglich die eitle Illusion hervor, daß mit der Kritik am Nationalsozialismus das nationalsozialistische Dünken selbst und seine innere Konflikthaftigkeit mit dem Judentum überwunden sei.
„Wie es Tatbestände gibt, die die Sinne in die Irre führen, wie im Fall der optischen Täuschung, so gibt es welche, die die unangenehme Eigenschaft haben, dem Intellekt Schlüsse zu suggerieren, die gleichwohl falsch sind.“ – Christoph Türcke
Das Geschlecht ist ein sozialer Konstrukt? Berg, Tal, See und das Meer auch!
Bereits Marx diagnostizierte den Deutschen das Umkippen von Ideologie in Wahn und Lüge. Wie gegenwärtig der Fall ist, neigen die Deutschen zu Ausbrüchen des kollektiven Wahns, der Massenpsychose mit zunehmendem Realitätsverlust.
Der Wahn ist kurz, die Reue lang, pflegte meine Großmutter zu sagen.
Nach dem I. Psychosputnik-Gesetz verwandelt sich der frei florierende Zynismus ab gewissem Verdichtungsgrad seiner Intensität in hochprozentige Heuchelei, analog zu einer atomaren Kernschmelzereaktion. Diesen Prozess der zunehmenden Zynismuskonzentration mit anschliessender Explosion der Heuchelei kann man sehr deutlich gegenwärtig in Deutschland beobachten. Das Denken ist weggeblasen, pulverisiert, das (Hoch)Gefühl ist voll an seine Stelle getreten.
»Indem (der gesunde Menschenverstand) sich auf das Gefühl, sein inwendiges Orakel, beruft, ist er gegen den, der nicht übereinstimmt, fertig; er muß erklären, daß er dem weiter nichts zu sagen habe, der nicht dasselbe in sich finde und fühle; – mit anderen Worten, er tritt die Wurzel der Humanität mit Füßen. Denn die Natur dieser ist, auf die Übereinkunft mit anderen zu dringen, und ihre Existenz nur in der zustande gebrachten Einheit der Bewußtseine. Das Widermenschliche, das Tierische besteht darin, im Gefühle stehenzubleiben und nur durch dieses sich mitteilen zu können.« – G.W.F. Hegel, Phänomenologie des Geistes
„Die Verschleierung eigener Positionen durch Zitate und Zitatselektion dient dazu, eigene Positionen unkenntlich zu machen.“ – Ursula Kreuzer-Haustein
„Die Neurose ist das Wappen der Kultur.“ – Dr. Rudolf Urbantschitsch, Seelenarzt; „Sehr schön, aber es laufen derzeit schon weit mehr Heraldiker als Adelige herum.“ – Karl Kraus, Schriftsteller
„Zuerst verlieren die Menschen die Scham, dann den Verstand, hernach die Ruhe, hierauf die Haltung, an der vorletzten Station das Geld und zum Schluß die Freiheit.“ – Karl Kraus
„Ausbeutung heißt Beute machen, sich etwas durch Gewalt aneignen, was nicht durch eigene Arbeit geschaffen wurde, sich etwas nehmen, ohne Gleichwertiges zurückzugeben“ – Maria Mies
»Die Psychoanalyse ist eine Panne für die Hierarchie des Denksystems« – Pierre Legendre
Psychoanalyse entwickelt sich nicht weiter, weil sie nicht angewandt wird, es wird nur über sie gesprochen.
»Sie wissen, daß der Kampf des wissenschaftlichen Geistes gegen die religiöse Weltanschauung nicht zu Ende gekommen ist, er spielt sich noch in der Gegenwart unter unseren Augen ab … Die erste Einwendung, die man hört, lautet, … die Wissenschaft ist zur Beurteilung der Religion nicht zuständig. Sie sei sonst ganz brauchbar und schätzenswert, solange sie sich auf ihr Gebiet beschränkt, aber die Religion sei nicht ihr Gebiet, da habe sie nichts zu suchen … Die Religion darf nicht kritisch geprüft werden, weil sie das Höchste, Wertvollste, Erhabenste ist, was der menschliche Geist hervorgebracht hat, weil sie den tiefsten Gefühlen Ausdruck gibt, allein die Welt erträglich und das Leben lebenswürdig macht … Darauf braucht man nicht zu antworten, indem man die Einschätzung der Religion bestreitet, sondern indem man die Aufmerksamkeit auf einen anderen Sachverhalt richtet. Man betont, daß es sich gar nicht um einen Übergriff des wissenschaftlichen Geistes auf das Gebiet der Religion handelt, sondern um einen Übergriff der Religion auf die Sphäre des wissenschaftlichen Denkens. Was immer Wert und Bedeutung der Religion sein mögen, sie hat kein Recht, das Denken irgendwie zu beschränken, also auch nicht das Recht, sich selbst von der Anwendung des Denkens auszunehmen … Eine auf die Wissenschaft aufgebaute Weltanschauung hat außer der Betonung der realen Außenwelt wesentlich negative Züge, wie die Bescheidung zur Wahrheit, die Ablehnung der Illusionen« (Freud, 1933, S. 182 ff. und S. 197).
„Freuds »Religions«-Kritik galt den »Neurosen« genannten Privatreligionen (Heiraten, romantische Liebe, Gier, Ethik und Moral, etc. Anm. JSB) ebenso wie den kollektiven (Nation, Gutmenschen, Sport, etc. Anm. JSB);“ – Helmut Dahmer
Freud prognostizierte, die bestehende Gesellschaft werde an einem Übermaß nicht absorbierbarer Destruktivität zugrundegehen. (sofern nicht »Eros« interveniere (Eros ist nicht Ficken, sondern Caritas. Anm. JSB)).
„Wer dem Kult der »Werte« frönt, kann unsanft erwachen, wenn im Kampf der Klassen und Parteien, von dem er sich fernhält, Gruppen obsiegen, auf deren Programm eine »Umwertung der Werte«, z. B. die Aufwertung von »Unwerten« steht.“ – Helmut Dahmer
»Hinsichtlich der allgemeinen nervlichen Belastung wirkte die Lage im Dritten Reich auf den psychischen Zustand des Volkes ziemlich ambivalent. Es unterliegt kaum einem Zweifel, daß die Machtergreifung zu einer weitverbreiteten Verbesserung der emotionalen Gesundheit führte. Das war nicht nur ein Ergebnis des Wirtschaftsaufschwungs, sondern auch der Tatsache, daß sich viele Deutsche in erhöhtem Maße mit den nationalen Zielen identifizierten. Diese Wirkung ähnelte der, die Kriege normalerweise auf das Auftreten von Selbstmorden und Depressionen haben. (Das Deutschland der Nazizeit verzeichnete diese Erscheinung zweimal: nämlich 1933 und 1939.) Aber gleichzeitig führte das intensivere Lebensgefühl, das von der ständigen Stimulierung der Massenemotionen herrührte, auch zu einer größeren Schwäche gegenüber dem Trinken, Rauchen und Vergnügungen« – Richard Grunberger
Von Anfang an hatte Hitlers Regime auch den Anstrich der Rechtmäßigkeit
„Die psychiatrischen Truppen der »kaiserlichen deutschen Psychiatrie« (Alexander und Selesnick, 1966, S. 214) jedoch, die 1914 ins Feld zogen, bekriegten immer noch die Krankheit, den äußeren Eindringling in ein gesundes System, und nicht die Neurose, das innere Ungleichgewicht zwischen Psychodynamik, Umwelt und Geschichte.“ – Geoffrey C. Cocks (Diese Einstellung herrscht bis heute in der deutschen Psychotherapie und findet explosionsartige Vermehrung im KOnzept der sog. „Traumatisierung“. Anm- JSB)
Der Plural hat kein Geschlecht.
„Um ein tadelloses Mitglied einer Schafherde sein zu können, muss man vor allem ein Schaf sein.“ -Albert Einstein
„Der psychoanalytische Beitrag zur Sozialpsychologie der jüngsten Vergangenheit (und Gegenwart Anm.JSB) und ihrer Verarbeitung ist heute ebenso unerwünscht wie die Libidotheorie zu Anfang des Jahrhunderts.“ – I.Kaminer
»Ein böses und nur durch Unkenntnis gerechtfertigtes Mißverständnis ist es, wenn man meint, die Psychoanalyse erwarte die Heilung neurotischer Beschwerden vom >freien Ausleben< der Sexualität. Das Bewußtmachen der verdrängten Sexualgelüste in der Analyse ermöglicht vielmehr eine Beherrschung derselben, die durch die vorgängige Verdrängung nicht zu erreichen war. Man kann mit mehr Recht sagen, daß die Analyse den Neurotiker von den Fesseln seiner Sexualität befreit.« – Sigmund Feud, Gesammelte Schriften«, Band XI, S. 201 ff.)
Dummheit ist, wenn jemand nicht weiß, was er wissen könnte.
Dummheit äußert sich heute als empörter Moralismus.
Liebe: nur bestenfalls eine Mutter akzeptiert ihr Kind, so wie es ist, ansonsten muß man Erwartungen anderer erfüllen, um akzeptiert zu werden.
Früher galt als mutig, wer ein Revolutionär war, heute reicht es schon, wenn einer seine Meinung behält.
“Jeder fünfte Bewohner des Westjordanlandes ist ein israelischer Siedler”, greint die Generaldelegation Palästinas heute auf ihrer Homepage.
Und jeder fünfte Bewohner Israels ist ein palästinensischer Araber.
So what?
Werte ohne Einfühlungsvermögen sind nichts wert.
„Sagen Sie meiner Mutter nicht, daß ich in der Werbung arbeite. Sie denkt, ich bin Pianist in einem Bordell.“ – Jacques Seguela
BILD: FAZ für Hauptschüler
Nonkonformistische Attitüde und affirmative Inhalte – einer Kombination, die schon immer die linksdeutsche Ideologie gekennzeichnet hat. – Stephan Grigat
Es sind dieselben, die behaupten, das Geschlecht wäre nicht biologisch angeboren, sondern nur ein soziales Konstrukt, und zugleich daß die Homosexualität kein soziales Konstrukt wäre, sondern biologisch angeboren.
Antisemitismus ist, wenn man Juden, Israel übelnimmt, was man anderen nicht übelnimmt.
„Es gibt zwei Dinge“, so wußte Hitler schon 1923, „die die Menschen vereinigen können: gemeinsame Ideale und gemeinsame Kriminalität“ .
Nach der gewaltsamen Beendigung des Mordens durch die Alliierten waren die Deutschen (und sind es bis heute geblieben) noch deutscher als zuvor.
„Der Staat sind wir“: Dies Credo der Sozialdemokratie Ferdinand Lassalles war die Wahrheit der Volksgemeinschaft, und der Nazismus war die vermittlungslose Basisdemokratie der Deutschen.
Die Demokratie der Bürger ist die interessierte Demutsadresse an den autoritären Staat.
„Die deutsche Nation ist das Apriori dieser seltsamen Wissenschaft, die
vorgibt, nichts zu kennen als Quellen, Quellen und nochmals Quellen, nichts als das
lautere Plätschern der Tatsachen und das ungetrübte Sprudeln der Empirie. Die
Quelle aber ist der Historie, was der Jurisprudenz das Indiz: Spielmaterial, bloße
Illustration des Systemzwangs zum Rechtsfrieden, d.h. empirische Legitimation der
vorab existenten letzten Instanz, an der jede Berufung aufhört und jede Revision
endet. Egal, wer Recht hat, solange nur Recht ist; was immer die Quellen sagen,
ein Beweis gegen die Nation wird sich daraus nie und nimmer folgern lassen.“ (…)
„Historische Wahrheit wird nach dem Modell von Meinungsumfragen vorgestellt;
kein Sample jedoch wird je repräsentativ genug sein,
um der deutschen Nation als solcher die Taten der Nazis zuzurechnen.
Die juristische Methode dieser seltsamen Wissenschaft, die sich die Behandlung der
Geschichte anmaßt, weiß so überaus sorgfältig zwischen Intention und Resultat zu
scheiden, daß der einzig noch mögliche Weg historischer Wahrheitsgewinnung, der
allerdings leider ausgeschlossen ist, Psychoanalyse wäre.“ – Joachim Bruhn
Da die Psychoanalyse heute auch nur noch ein korruptes Racket ist, würde sie nicht helfen.
Der Himmel, wenn er sich schon öffnet, zitiert sich am liebsten selbst.
Je verkommener eine menschliche Kreatur, desto eher fühlt sie sich beleidigt, respektlos behandelt, in ihrer Ehre verletzt.
Der religiöse Rassismus der Islamisten, der den völkischen Rassismus der Nazis ersetzt hat, erklärt Allah zum Führer und die Jihadisten zu seiner privilegierten Kampftruppe: Wenn man so will, zu Allahs SS. Der Zusammenhalt dieser Kampftruppe wird über die Jenseitserwartung von Hölle und Paradies, also über das Instrument der religiösen Angst, sichergestellt. Diese Selbstbildfantasie der Islamisten ist mit ihrer (zumeist antijüdischen) Feindbildfantasie untrennbar verknüpft. – Matthias Küntzel
Irritationen verhelfen zu weiteren Erkenntnissen, Selbstzufriedenheit führt zur Verblödung,
Wenn ein Affe denkt, „ich bin ein Affe“, dann ist es bereits ein Mensch.
Ein Mensch mit Wurzeln soll zur Pediküre gehen.
Zufriedene Sklaven sind die schlimmsten Feinde der Freiheit.
Kreativität ist eine Intelligenz, die Spaß hat.
Wen die Arbeit krank macht, der soll kündigen!
Wenn Deutsche über Moral reden, meinen sie das Geld.
Ein Mensch ohne Erkenntnis ist dann lediglich ein ängstlicher, aggressiver, unglücklicher Affe.
Denken ist immer grenzüberschreitend.
Der Mob, der sich das Volk nennt, diskutiert nicht, sondern diffamiert.
Legal ist nicht immer legitim.
Wer nicht verzichten kann, lebt unglücklich.
Humorlose Menschen könner nur fürchten oder hassen und werden Mönche oder Terroristen.
Menschen sind nicht gleich, jeder einzelne Mensch ist ein Unikat.
Erkenntnis gilt für alle, auch für Muslime, Albaner, Frauen und Homosexuelle.
Islam gehört zu Deutschland, Judentum gehört zu Israel.
Der Konsensterror (Totalitarismus) ist in Deutschland allgegenwärtig.
Es wird nicht mehr diskutiert, sondern nur noch diffamiert.
Es ist eine Kultur des Mobs. Wie es bereits gewesen ist.
Harmonie ist nur, wenn man nicht kommuniziert.
Man soll niemals mit jemand ins Bett gehen, der mehr Probleme hat, als man selbst.
Man muß Mut haben, um witzig zu sein.
Dumm und blöd geht meistens zusammen.
Je mehr sich jemand narzisstisch aufbläht, desto mehr fühlt er sich beleidigt und provoziert.
Was darf Satire? Alles! Nur nicht vom Dummkopf verstanden werden, weil es dann keine Satire war.
Islamimus ist Islam, der Gewalt predigt.
Islam ist eine Religion der Liebe,und wer es anzweifelt, ist tot.
Islam ist verantwortlich für gar nichts, Juden sind schuld an allem.
Islamisten sind Satanisten. Islamismus ist eine Religion von Idioten.
Leute fühlen sich immer furchtbar beleidigt, wenn man ihre Lügen nicht glaubt.
Jeder ist selbst verantwortlich für seine Gefühle.
“Zeit ist das Echo einer Axt
im Wald. “
– Philip Larkin, Gesammelte Gedichte
„Die sieben Todsünden der modernen Gesellschaft: Reichtum ohne Arbeit Genuß ohne Gewissen Wissen ohne Charakter Geschäft ohne Moral Wissenschaft ohne Menschlichkeit Religion ohne Opfer Politik ohne Prinzipien.“
―Mahatma Gandhi
„Wo man nur die Wahl hat zwischen Feigheit und Gewalt, würde ich zur Gewalt raten.“
―Mahatma Gandhi
Warum zeigt sich Allah nicht? Weil er mit solchen Arschlöchern nichts zu tun haben will.
Politische Korrektheit verlangt eine Sprache für ein Poesiealbum.
Psychoanalyse ist frivol, oder es ist keine Psychoanalyse.
Bunte Vielfalt, früher: Scheiße
Die Realität ist immer stärker als Illusionen.
Islam will keine Unterwerfung! Islam will Sieg, Vernichtung und Auslöschung.
Die Welt wurde nicht nur für dich alleine erschaffen.
Was hat Gott mit uns vor, wenn er dem Teufel immer mehr Territorien freiräumt?
Muslima mit Kopftuch nerven weniger, als deutsche Mütter mit ihren Kinderwagen.
Prothesen-Menschen – sehen aus wie Frau und Mann, sind aber keine.
Das Patriarchat ist seit Jesus erledigt.
Deutschland gestern: der Wille zur Macht.
Deutschland heute: der Wille zur Verblendung.
Deutschland morgen: 德國
Deutsche Psychoanalyse? Großartig, wie deutscher Charme, deutscher Humor und deutscher Esprit.
Der Widerstand fängt mit einer eigenen, anderen Sprache als die der Diktatur.
Smart phones for stupid people.
Ein Linker kann, muß aber nicht dumm sein.
Nur die Reinheit der Mittel heiligt den Zweck.
Ein extremer Narzißt ist ein potentieller Terrorist, und jeder Terrorist ist ein extremer Narzißt.
„Wird Freiheit mit Zügellosigkeit verwechselt, entsteht Rücksichtslosigkeit.
Am Schluss Gleichmacherei.
Ihr seid aber nicht alle gleich.
Noch nie wart ihr alle gleich.
Ihr lasst es euch aber einreden.
So werdet ihr immer respektloser, ungenießbarer gegeneinander.
Vergeudet in Kleinkriegen eure Zeit, als hättet ihr ein zweites Leben.
Weil ihr tatsächlich alles verwechselt.
Behauptungen mit Beweisen.
Gerechtigkeit mit Maß.
Religion mit Moral.
Desinteresse mit Toleranz.
Satire mit Häme.
Reform mit Veränderung.
Nachrichten mit Wirklichkeit.
Kulturunterschiede haltet ihr für Softwarefragen und ihre Analyse ersetzt ihr mit Anpassung.
Ihr habt die Maßstäbe verloren.
Der Gordische Knoten ist ein Keks gegen eure selbstverschuldete Wirrsal.
Der Separatismus gendert sich in die Köpfe, sitzt in Regierungen.
Männer sind keine Männer mehr. Frauen keine Frauen, sondern ‚Menschen mit Menstruationshintergrund’, Quote ist Trumpf.
Auf gar keinen Fall sollen Mann und Frau sich noch als zwei Teile eines Ganzen begreifen. Damit die Geschlechter noch mehr aneinander verzweifeln.
Bis alle in destruktiver Selbstbezogenheit stecken.
Am Ende: Mann ohne Eier. Frau ohne Welt.
Auf die Erschöpfung des Mannes wird aber nur die Erschöpfung der Frau folgen, das sage ich euch.
Auf die Verstörung der Kinder folgt die Zerstörung der menschlichen Schöpfung.“– Hans Dieter Hüsch
Was dem einen seine Souveränität, ist dem anderen seine Eigenmächtigkeit.
Kein Nazifaschist hat je wirklich geglaubt, er bezöge die Ermächtigung seiner Ansprüche aus dem Teutoburger Wald; keiner seiner demokratischen Erben hat jemals tatsächlich gedacht, ihnen erwüchse Legitimität im Resultat des “Lernens aus der Geschichte”; niemals war ein Sozialist der Ansicht, es sei die famose “Befreiung der Arbeit” und nicht vielmehr das Recht auf Beute, was seine Politik im Interesse der Arbeiterklasse motivierte. Und keinesfalls erwächst den Palästinensern irgendein Recht aus der Tatsache, daß sie zuerst da waren. Einer Gesellschaft, der Hunger kein Grund ist zur Produktion, kann auch das Leiden kein Grund sein zur Solidarität. Es ist die Ideologie, die mit der Unmittelbarkeit des Leidens agitiert, die aus dessen fragloser Evidenz Sinn zu schlagen sucht, sei es im Sinne von Caritas oder Amnesty International, sei es im Sinne der Freunde des palästinensischen Volkes für den Israelhaß der Antisemiten wie für den Islamfaschismus dieses Volkes. Ariel Scharon jedenfalls, der Zionist und praktische Antifaschist, ist dem aufgelösten Rätsel der Geschichte näher als die deutsche Linke, deren “Antifaschismus” sich als Aufstand der Anständigen à la Gerhard Schröder oder als Solidarität mit dem palästinensischen Volk ausagiert. (…) Im Wesen Israels als des ungleichzeitigen Staates der Juden liegt es aber nicht nur, Reaktion auf den Verrat an Aufklärung und Weltrevolution, nicht nur, Notwehrversuch gegen den Nazifaschismus und Asyl zu sein. Sondern eben auch, daß die üblichen Muster der bürgerlichen Rollenverteilung – hier das Gewaltmonopol des bürgerlichen Staates im allgemeinen und dort die Personen, die die Regierungsausübung im besondern besorgen – für den israelischen Staates aufgrund seiner Konstitutionsbedingungen keine Geltung mehr hat. Was sich unter anderem darin zeigt, daß diese “Kritiker” der israelischen Regierungspolitik für den faschistischen Mob und die Behörden, die Selbstmordattentäter belohnen, Verständnis aufbringen (Folge von Besatzung und Ausbeutung), dagegen für den Versuch, die militärische Infrastruktur der Gegner Israels zu zerschlagen, am liebsten die Begriffe Auslöschung oder Ausrottung der palästinensischen Bevölkerung im Munde führen. Wie hinter der treudoofen Frage, ob es nicht möglich sein müsse, Spekulanten als das zu bezeichnen, was sie sind, ohne gleich als antisemitisch zu gelten, so verbirgt sich hinter der treulinken Frage, ob nicht auch in Israel, weil es sich auch dort um eine bürgerliche Gesellschaft handele, Faschismus möglich sei, die Erkenntnis dieser Fusion in verquerer und verschrobener Gestalt. Verquer, weil ja gerade erklärt werden sollte, wie Israel, dieser Fusion zum Trotz, eine parlamentarische Demokratie ist und bleibt; verschroben, weil diese Einheit von Staat und Regierung im Übergang von einem unerträglichen Alten (die Vernichtungsdrohung) zum noch nicht erreichten Neuen (die herrschaftslose Gesellschaft) ja doch den Inbegriff dessen ausmacht, was einmal als “Diktatur des Proletariats”, als Emanzipationsgewalt und organisierte politische Macht der Revolution, auch und gerade auf den roten Fahnen stand. In Anbetracht der Grundidee des Staates Israel, vor dem Hintergrund der linken Staatsmythen, betreffend die “Diktatur des Proletariats”, muß jede Beurteilung der Handlungen der Regierungsvertreter auch die völlig andere Qualität dieses Staates, verglichen mit allen anderen, deutlich werden lassen. (…)
Wenn diese Linke über Israel schwadroniert, dann hört sich das nicht minder grausig an. Dabei liegt der Zusammenhang zwischen dem Antisemitismus und dem Vernichtungswillen gegen die zum Staat gewordene bürgerliche Gesellschaft der Juden, gegen Israel, eigentlich auf der Hand: Der sogenannte Antizionismus stellt nichts anderes dar als die geopolitische, globalisierte Reproduktion des Antisemitismus, das heißt die Erscheinungsform, die er in Weltmarkt und Weltpolitik nach Auschwitz annehmen muß. Der Antizionismus ist der aus den kapitalisierten Gesellschaften in die Welt herausgekehrte Antisemitismus. So ist Israel der Jude unter den Staaten; die Verdammung des Zionismus als eines “Rassismus” durch die UNO gibt es zu Protokoll. Das macht: die moralische Verurteilung der menschlichen Unkosten der Konstitution bürgerlicher Staatlichkeit allein am Beispiel Israels führt vor Augen, was die Welt der Volksstaaten vergessen machen will – daß die Zentralisation der politischen Gewalt über Leben und Tod keineswegs die natürliche Organisationsform der Gattung Mensch darstellt, sondern Ausdruck eben von Herrschaft und Ausbeutung. Dabei ist Israel – und das macht die Kritik an diesem Staat so perfide und muß deshalb immer wieder gesagt werden – der einzige Staat dieser Welt, der für sich eine nicht zu bezweifelnde Legitimität beanspruchen kann. Israel, das ist der ungleichzeitige Staat, der entstanden ist sowohl als Reaktion auf das Dementi aller Versprechungen der bürgerlichen Nationalrevolution, sowohl als Antwort auf den stalinistischen Verrat an der kommunistischen Weltrevolution als auch als zu spät gekommene Notwehr gegen den Massenmord an den europäischen Juden. (…) Israel ist das Schibboleth jener doch so naheliegenden Revolution; es ist der unbegriffene Schatten ihres Scheiterns. Israel ist das Menetekel, das zum einen (und ganz unfreiwillig) die kategorischen Minimalbedingungen des Kommunismus illustriert, und das zum anderen sämtliche Bestialitäten zu demonstrieren scheint, zu denen der bürgerlich-kapitalistische Nationalstaat fähig ist. Wer Israel nicht begriffen hat, wer den Haß auf diesen Staat, den Antizionismus, und wer den Antisemitismus, das heißt den Vernichtungswillen sowohl gegen die in diesem Staat lebenden als auch gegen die kosmopolitisch verstreuten Juden, nicht begriffen hat als das, was Antisemitismus wesentlich darstellt: den bedingungslosen Haß auf die Idee einer in freier Assoziation lebenden Gattung, der hat den Kommunismus nicht als das “aufgelöste Rätsel der Geschichte” begriffen. –
Der ostentative Muslimeifer aber, der sich im Alltag mancher ‚Allahu-Akbar‘-Brüller vielleicht doch sehr in Grenzen hält, findet im blanken Judenhass unverhoffte Nahrung, wo ihnen unter unendlich öden Koranrezitationen und geistlosen, absurden Vorschriften längst das bisschen ungeglaubten Glaubens zwischen den Fingern zerrann und ihr Muslimsein kaum je mehr ist als das typisch dauerbeleidigte, immer schon jeder Verantwortung ledige Gruppengefühl. Überhaupt will jeder Eifer – insbesondere der aktuelle, rasende Eifer des weltweit angreifenden Islam – den Stachel eines weniger drohenden als hinterrücks längst geschehenen Glaubensverlustes kompensieren.“ Mit anderen Worten: Muslime wurden nicht für ihr abstraktes Muslimsein kritisiert, sondern dafür, was – global betrachtet – die Mehrheit konkret darunter versteht: Die von Gott gegebene Ermächtigung zu Terror, Entrechtung, Antisemitismus. Wer differenziert, sollte nicht unerwähnt lassen, dass Osama bin Laden, Hassan Nasrallah und wie all die schrecklichen Figuren so heißen, in der muslimischen Welt als Helden gefeiert werden – und zwar nicht von einer minoritären Sekte, sondern von Millionen Muslimen, auch in Deutschland. (,,) Der unfreiwillige und verborgene Essentialismus der Postmoderne macht das Begreifen unmöglich, weil er die Beziehung zwischen Allgemeinem, Besonderem und Einzelnem nicht mehr zu thematisieren vermag. Wenn nur noch Vielfalt herrscht und Einzelnes und Allgemeines gewaltsam auseinandergerissen werden, bleibt die Verstandesleistung des begreifenden Subjekts auf der Strecke und die scheinbar ursprüngliche Differenz wird zum Mythos. Nicht nur dem Begriff des Allgemeinen, das ja ein noch einzulösendes ist, wird Gewalt angetan, auch dem Besonderen, dessen Unglück darin besteht, nur ein Besonderes zu sein, und das sich, weil es kein versöhnendes Ganzes gibt, dem schlecht-Allgemeinen, dem Racket nämlich, anschließen muss. – JAN HUISKENS
„Vernunft und Rationalität sind in dieser durchmedialisierten Welt chancenloser denn je. Ein unangenehmer Typ „Heckenschütze“ terrorisiert die Gesellschaft. Seine aktuelle Waffe: Der Phobienvorwurf.“ – Bettina Röhl
„Man wähnt, wenn man nach wissenschaftlichen Regeln sich richtet, dem wissenschaftlichen Ritual gehorcht, mit Wissenschaft sich umgibt, gerettet zu sein. Wissenschaftliche Approbation wird zum Ersatz der geistigen Reflexion des Tatsächlichen, in der Wissenschaft erst bestünde. […] Je tiefer man ahnt, daß man das Beste vergessen hat, desto mehr tröstet man sich damit, daß man über die Apparatur verfügt.“ (Theodor W. Adorno, Philosophie und Lehrer, AGS 10.2, 491)
„Vieles, was im Sinne von Foucaults »Mikrophysik der Macht« populär werden sollte; also die Erkenntnis, daß Macht nicht pyramidal hierarchisch, sondern durch sämtliche gesellschaftliche Bereiche hindurch wirkt, findet sich bereits in der Medizinkritik der Kritischen Theorie. Daß diese Thesen häufig übersehen wurden, mag daran liegen, daß sich Horkheimers entscheidende Äußerungen über Medizin und Psychiatrie nicht in den breit rezipierten Hauptwerken finden, sondern über die Gesamtausgabe verstreut sind. Wiemer suchte sie zusammen und zeigt, wie Horkheimer anhand der Medizin einen wesentlichen Charakterzug des modernen Kapitalismus ausmachte. Mediziner funktionieren laut Horkheimer wie fast jede wirtschaftliche Gruppe im Sinne eines Rackets. »Ein Racket«, erklärt er, »ist eine unter sich verschworene Gruppe, die ihre kollektiven Interessen zum Nachteil des Ganzen durchsetzt.« Allgemein betrachtet heißt das, daß sich die Klassengesellschaft in eine »neofeudale« Struktur verwandelt hat, innerhalb der Interessenverbände »nach dem Prinzip der Selbsterhaltung und der Machtakkumulation« funktionieren. Diesen Wandel macht Horkheimer an den Medizinern fest; und alles, was Horkheimer in seiner Kritik aussparte, von den Krankenversicherungen bis zum Pfusch in Krankenhäusern, wird von Carl Wiemer polemisch auf den neuesten Stand gebracht“ – Max Horkheimer
„Ein Shitstorm hat auch seine positive Seite. Da politisch korrekte Gülle meist in Richtung Originalität, Kreativität und Intelligenz geworfen wird, fliegt sie oft genug auf Leute, die zu lesen wirklich lohnt.“ – Evidenz-basierte Ansichten
Post-Pop-Epoche: der Sieg der Mode über die Sitten.
„Wir brauchen schadhafte Gebäude, durch deren geborstene Wände man hindurch sehen kann, um wenigstens einen Anfang zum Denken zu gewinnen.“ – Victor Tausk
„Was man in römischer Zeit das »Abendland« und später »Europa« nennen wird, ist die politische Konsequenz des individualistischen Martyriums, das ein gesprächsfreudiger Stadtstreicher auf sich nahm, um die Legitimität des im universalistischen Dialekt vorgebrachten Neuen gegen die entkräfteten lokalen Sitten zu demonstrieren.“ – Peter Sloterdijk
„Was nützt einem die Gesundheit wenn man ansonsten ein Idiot ist.“ – Theodor Adorno
„Ich bin eine Feministin. Das bedeutet, daß ich extrem stark behaart bin und daß und ich alle Männer haße, sowohl einzelne als auch alle zusammen, ohne Ausnahmen.“– Bridget Christie
„Die Tragödie isolierter persönlicher Leidenschaften ist für unsere Zeit zu fade. Aber weshalb? Weil wir in einer Epoche der sozialen Leidenschaften leben. Die Tragödie unserer Epoche ist der Zusammenstoß der Persönlichkeit mit dem Kollektiv.“ – LeoTrotzki 1923
Stupidity is demonstrated by people lacking the knowledge they could achieve
Stupidity manifests itself as outraged moralism
Love: only, and not always, a mother loves her child, just as it is, otherwise you have to meet the expectations of others, to be accepted.
Values without empathy are worth nothing
“In arguments about moral problems, relativism is the first refuge of the scoundrel.” Roger Scruton
They are the same who claim the sex/gender would not be biologically innate, but only a social construct, and at the same time that homosexuality was not a social construct, but biologically innate.
Antisemitism is when one blames the Jews or Israel for issues, he does not blame others
„There are two things,“ said Hitler in 1923, „which can unite people: common ideals and common crime“
After the violent termination of Murder by the Allies were the German (and have remained so to this day) more german than before.
The depraved human creature, the more she feels insulted, disrespected, offended in their honor.
Craziness is, when one always does the same but expects a different outcome
If a monkey thinks “I am a monkey”, then it is already a human
A man with roots should go for a pedicure
Self smugness leads to idiocy, being pissed off leads to enlightenment
Happy slaves are the worst enemies of freedom.
Creativity is an intelligence having fun.
If working makes you sick, fuck off, leave the work!
If Germans talk about morality, they mean money.
A man without an insight is just an anxious, aggressive, unhappy monkey.
Thinking is always trespassing.
The mob, who calls himself the people, does not discuss, just defames.
Legal is not always legitimate.
Who can not do without, lives unhappy.
People without a sense of humor are able only to fear or to hate and become monks or terrorists.
People are not equal, each single person is unique.
Insight applies to everyone, including Muslims, Albanians, women and homosexuals.
Islam belongs to Germany, Judaism belongs to Israel.
The totalitarian Terror of consensus is ubiquitous in Germany.
There are no discussions anymore, but defamations only.
It is a culture of the mob. As it has already been.
Harmony is only if you do not communicate.
One should never go to bed with someone who has more problems than you already have.
One has to be brave, to have a wit.
Stupid and dull belong mostly together.
Christopher Hitchens: “In a free society, no one has the right not to be offended.“
The more someone narcissistic inflates , the more he feels insulted and provoked.
What may satire? Everything! Except be understood by the fool, because then it was not a satire.
Islamimus is Islam preaching violence.
Islam is a religion of love, and he who doubts is dead.
Islam is not responsible for anything, Jews are guilty of everything.
Germany yesterday: the will to power.
Germany today: the will to blindness.
Germany tomorrow: 德國
German psychoanalysis? Great, like German charm, German humor and German wit.
The resistance starts with its own language other than that of the dictatorship.
Smart phones for stupid people.
A leftist can, but do not have to be stupid.
Only the purity of the means justify the end.