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Hamed Abdel-Samad: „Der islamische Faschismus. Eine Analyse“.

Zum Interview kommt Hamed Abdel-Samad zusammen mit drei Polizisten. Der Personenschutz ist notwendig. Kritiker haben gedroht, ihn umzubringen. Auslöser war ein Vortrag, den er im vergangenen Juni in Kairo gehalten hat. Das Thema: religiöser Faschismus in Ägypten. Kurz darauf rief ein Professor der Kairoer Al-Azhar Universität live im Fernsehen dazu auf, den Buchautor zu töten. Eine Mord-Fatwa. Abdel-Samad zählt zu den Islamkritikern, die von Islamisten weltweit am meisten gehasst werden. Auch sein neues Buch dürfte dem Politikwissenschaftler viel Hass einbringen. Er vergleicht darin faschistische Regime des vergangenen Jahrhunderts mit heutigen islamistischen Bewegungen. Seine Diagnose:

Faschismus ist eine politische Religion, die einen charismatischen Führer in der Mitte hat. Faschismus verachtet die Feinde dermaßen, dass man sie entmenschlicht und Massenvernichtung duldet. Das ist bei beiden Bewegungen vorhanden. Faschismus als Ideologie ist ein Wegbereiter für Gewalt. Faschismus teilt die Welt in Gut und Böse. Das tut der Islamismus auch. Der Faschismus geht von der Auserwähltheit seiner Gruppe aus. Das tut der Islamismus auch. Der Faschismus will die Welt beherrschen, und das will der Islamismus auch. Das ist Faschismus islamischer Prägung.“

Abdel-Samad sieht zahlreiche Gemeinsamkeiten zwischen den faschistischen Regimen Deutschlands und Italiens im 20. Jahrhundert und heutigen islamisch geprägten Regierungen und islamistischen Gruppen. Etwa den Kampf gegen die Moderne, die Aufklärung und die Juden, außerdem die Glorifizierung des Militärs. Autorität statt Freiheit, Gemeinschaft statt Individuum. Es sind heikle Thesen, die der Politikwissenschaftler vertritt. Und es ist ihm klar, dass jeglicher Vergleich mit dem Nationalsozialismus schwierig ist – insbesondere für ein deutsches Publikum.

Vergleichen bedeutet nicht automatisch gleichsetzen. Die zwei verspäteten Nationen Italien und Deutschland hatten andere Voraussetzungen. Der Islamismus ist auch eine verspätete Bewegung, kann auch mit dem Nationalismus verglichen werden, hat auch versucht diese Rolle, die der Nationalismus in Europa gespielt hat, zu spielen als Identitätsstifter für die Völker.“

Es hilft seinem Buch, dass es Abdel-Samads darin weniger um den Vergleich historischer Fakten geht als um die Gegenüberstellung von Ideologien und Geisteshaltungen. Was also haben Faschismus und Islamismus seiner Ansicht nach gemeinsam?

Die Parallele beginnt für mich mit der Spannung zwischen den eigenen Realitäten und der Weltrealität. Das war in Italien und Deutschland sehr deutlich. Dass man eigentlich eine Niederlage erlebt hat und gleichzeitig sich gewünscht hat, die Welt zu beherrschen. Der Islamismus nach dem Sturz des Osmanischen Reiches war genau in der gleichen Krise. Man erlebte eine Demütigung, eine Erniedrigung, eine Niederlage und wünschte sich eine Metamorphose, eine Wiedergeburt der islamischen Nation, Umma, Kalifat und hat diese Ideologie Islamismus benutzt, um diesen Wiederaufbau zu erreichen.“

Verschiedene Länder als Beispiele

Um seine Thesen zu belegen, hat der Politikwissenschaftler religiös geprägte Regierungen in Ländern wie Ägypten, Tunesien oder dem Iran untersucht.

Der Iran ist das erste muslimische Land, das den modernen islamischen Faschismus als Staatsdoktrin durchgesetzt hat. Seit über 35 Jahren dienen die faschistoiden Züge des Islamismus als Eckpfeiler der islamischen Republik: Hinrichtung von Regimegegnern, totale Überwachung der Bürger, (dpa/picture-alliance/epa Taherkenareh)Auch die Unterdrückung von Frauen und Minderheiten ist für den Autor ein Merkmal. (dpa/picture-alliance/epa Taherkenareh)und aggressiver Antisemitismus.“

Daneben dienen dem Politikwissenschaftler islamistische Gruppen als Vergleichsbeispiele. Die palästinensische radikal-islamische Hamas, die ägyptische Muslimbruderschaft oder die libanesische Hisbollah.

Kaum eine Bewegung hat die Grundzüge des Faschismus so eins zu eins kopiert und in die Tat umgesetzt wie die Hisbollah: Der Antisemitismus ist Leitmotiv, es gibt die bewaffnete Schwarzhemden-Miliz, es gilt der unbedingte Gehorsam und die Gefolgschaft zum Führer, Kampfbereitschaft und Tod werden verherrlicht.“

In seiner Analyse geht der Islamkritiker allerdings noch weiter. Denn er sieht die eigentlichen Wurzeln des aggressiven Islamismus im Ur-Islam in dessen Jahrhunderte alter Lehre und Geschichte. Aus dem Koran und dem Beispiel Mohamed beziehe der heutige – Zitat – „Islamofaschismus“ seine eigentliche Sprengkraft.

Es waren nicht die Islamisten, die den Dschihad-Prinzip erfunden haben. Das war der Islam. Es waren nicht die Islamisten, die damit angefangen haben, die Welt in Gläubige und Ungläubige aufzuteilen. Das war der Islam. Islamisten haben nicht den Machtanspruch des Islam erfunden, sondern das ist im Koran verankert.“

Keine Probleme mit der spirituellen und sozialen Seite

Als Beleg dafür erzählt der Autor zahlreiche Geschichten aus dem Koran, in denen Mohamed die Stadt Medina von Juden und Christen säubern lässt oder Milizen aufstellt, die Oppositionelle töten. Leider lässt der Autor seine Leser streckenweise darüber im Unklaren, ob er nun den Islam insgesamt als faschistisch ansieht oder der Weltreligion nur faschistische Züge attestiert. Im Interview aber betont er, dass er die juristische und politische Seite der Religion als faschistisch betrachte, während er mit den spirituellen und sozialen Facetten des Islams keine Probleme habe.

Das ist die letzte Hoffnung für den Islam, dass er klar zwischen der politisch-juristischen Seite und der spirituellen und der sozialen Seite unterscheidet. Die juristisch-politische Seite baut eine geistige Mauer zwischen Muslimen und dem Rest der Welt. Wenn Muslime ihre Religion friedlich ausleben können, dann sollten sie sich von dieser juristisch-politischen Seite trennen, damit sie im 21. Jahrhundert endlich ankommen.“

Wie seine bisherigen Veröffentlichungen ist auch das neue Buch von Hamed Abdel-Samad eine sachliche Analyse und keine Anklageschrift. Der Politikwissenschaftler schreibt und argumentiert ohne Zorn und Eifer in einem unaufgeregten Ton – völlig frei von Häme, Verachtung oder Polemik. Und so lohnt sich auch die Lektüre dieses Buches, weil es dabei hilft, die Motivation religiöser Fanatiker besser zu verstehen.

Hamed Abdel-Samad: „Der islamische Faschismus. Eine Analyse“.
Verlag Droemer, 221 Seiten, 18,00 Euro.

B. Quinkert: Wir sind die Herren dieses Landes

Alexander Neumann, Institut für Geschichte der Medizin, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Im vorletzten Jahr jährte sich der Überfall der deutschen Wehrmacht auf die UdSSR zum 60. Mal. Aus diesem Anlass organisierte die Berliner Gesellschaft für Faschismus- und Weltkriegsforschung und das Deutsch-Russische Museum in Berlin-Karlshorst eine wissenschaftliche Tagung, deren Beiträge nun überarbeitet und erweitert in Buchform vorliegen.

Der erste von vier thematischen Blöcken umfasst „Kriegsbeginn und Kriegsziele“. Dietrich Eichholtz umreißt die wesentlichen Ziele des von der NS-Führung verfolgten „Rassekrieges“ und den Zielen der „alten Eliten“, die sich in wesentlichen Punkten (z.B. territoriale Ostexpansion und Vernichtung der UdSSR) trafen. Eichholtz legt seinen Schwerpunkt auf die ökonomischen Motive, die dem Ostfeldzug zugrunde lagen (u.a. Zwangsarbeiter, Erdöl) und zeigt die dem jeweiligen Kriegsverlauf angepasste Strategie, die Ressourcen des eroberten Landes optimal auszubeuten. Da auch bereits ausführlich behandelte Themen im Rahmen einer solchen Veranstaltung resümiert werden müssen, verwundert es nicht, dass auch die lange Zeit heftig umstrittene „Präventivkriegsthese“ behandelt wird. Oleg Wischlow widerlegt vier zentrale Argumente der Anhänger dieser Aufassung, wobei er vor allem russische Quellen heranzieht, was darüber hinwegsehen lässt, dass einige relevante Literatur zu diesem Themenbereich (etwa die von Bianka Pietrow-Ennker im Jahre 2000 herausgegebene Aufsatzsammlung) nicht einmal in den Fußnoten erwähnt wird. Gewohnt überzeugend schildert im Anschluss Christian Gerlach die operativen Planungen der Wehrmacht für den Vernichtungskrieg, wobei er in Kurzform auf die von ihm schon ausführlich dargelegte Strategie eingeht, die russische Zivilbevölkerung verhungern zu lassen, da die Wehrmacht angesichts von Transport- und Versorgungsschwierigkeiten die vorhandenen Nahrungsmittel für die Versorgung der eigenen Soldaten brauchte.

Die nächsten drei Artikel behandeln die Okkupationspolitik unter den Aspekten der Herrschaftssicherung und Vernichtung. Zuerst schildert Gerhart Haas die deutsche Besatzungspolitik am Beispiel Leningrad: Ausführlich und quellenreich schildert er die Entwicklung der deutschen Vorstellungen, die sich nach dem Ausbleiben eines „Blitzsieges“ ergaben und auf eine Unterstützung durch die einheimische Bevölkerung abzielte – sei es freiwillig oder unter Zwang. Dass letzten Endes nur die Ausbeutung des Landes im Mittelpunkt stand, zeigen die Verschleppungen und Zerstörungen, die auch in Leningrad und Umgebung Hunderttausende von sowjetischen Opfern forderten. Deutlich benennt Haas die Verantwortung der Wehrmacht für diese Opfer und fügt so ein weiteres Mosaiksteinchen in der Diskussion um die Verbrechen der Wehrmacht hinzu. Daran knüpft Peter Klein mit seiner Untersuchung der Folgen der Partisanenbekämpfung für die Zivilbevölkerung in Weißrussland an, indem er differenziert aufzeigt, wie die Bevölkerung zwischen Wehrmacht auf der einen und Partisanen auf der anderen Seite buchstäblich „zwischen die Fronten geriet“, so dass letztendlich über 300.000 weißrussische Opfer im Partisanenkrieg zu beklagen waren. Als dritter Autor behandelt Andrej Angrick die Rolle der deutschen Militärverwaltung im Holocaust. Angrick stellt noch einmal eindringlich dar, dass die Wehrmacht den Einsatzgruppen eben nicht nur logistische Hilfe leistete, sondern auch selbst an Morden beteiligt war oder von sich aus die Initiative ergriff, was er mit mehreren Beispielen belegt (u.a. Kamenez-Podolsk, Mogilev). Aus diesem Grund spricht der Autor von „gleichberechtigter Partnerschaft“ zwischen SS und Heer.

Im dritten großen Themenkomplex drehen sich drei Beiträge um das Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter. Zunächst zeigt Reinhard Otto, inwieweit neu erschlossene Quellenbestände – wie etwa die personenbezogenen Bestände der früheren Wehrmachtauskunftstelle im Archiv des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation in Podolsk – neue Fragestellungen und Auswertungsmöglichkeiten eröffnen, da nun sowohl individuelle Schicksale sichtbar als auch präzisere Gruppenbiografien möglich sind, die beispielsweise auch den bisher kaum erforschten Bereich des Widerstandes der sowjetischen Gefangenen erhellen können. Während Pavel Polian eine statistische Übersicht über das Schicksal der verschiedenen Gruppen von sowjetischen Staatsangehörigen während des Zweiten Weltkrieges liefert, konkretisiert Michael Gander die eher abstrakten Zahlen am Beispiel von Osnabrück, indem er das Verhältnis zwischen deutscher Bevölkerung und den sowjetischen Zwangsarbeitern nachzeichnet. Dabei werden noch keine endgültigen Ergebnisse präsentiert, da es sich um ein noch laufendes Forschungsprojekt handelt. Allerdings geben die angeführten Interviewauszüge bereits einen Eindruck von der Bandbreite der zu erwartenden Ergebnisse, die nicht zuletzt Aufschlüsse über mögliche Handlungsspielräume und die Einstellung der deutschen Bevölkerung gegenüber den Gefangenen geben können.

Den größten Themenkomplex nimmt die Rezeptionsgeschichte des Krieges ein. Zunächst schildert Bernd Bonwetsch ausführlich und detailliert die Entwicklung in der UdSSR, die unter Stalin hauptsächlich im Kult um das Staatsoberhaupt bestand und weder andere Helden noch irgendwelche sowjetischen Opfer sehen wollte. In der Ära Chruschtschows kam es dann zwar zu einer Annäherung an eine „realistischere Sichtweise“, doch spätestens unter Breschnew setzte sich der pathetische und staatstragende „Heldenkult“ durch. Besonders interessant ist es, wenn Bonwetsch das wechselvolle Schicksal einzelner Biografien von hohen Militärs wie beispielsweise die Memoiren Marschall Schukovs beschreibt. Die Erinnerung und die Auswirkungen des (wechselnden) Geschichtsbildes auf die Individuen zeigt Sabine Arnold anhand von Interviewauszügen von ehemaligen sowjetischen Soldatinnen und Soldaten. Besonders interessant ist die anschließende Analyse der Literatur in den beiden deutschen Staaten im Hinblick auf den „Ostkrieg“. Leonore Krenzlin zeigt klar und gut strukturiert die unterschiedlichen Stadien der literarischen Verarbeitung in der DDR, die sich zwischen den Polen einer staatlich-volkspädagogischen Beeinflussung und dem Bemühen um eine Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels der deutschen Geschichte (z.B. Christa Wolfs „Kindheitsmuster“) bewegten. Peter Jahn dagegen kann in seinem Beitrag darauf verweisen, wie stattdessen in der Literatur – der im Titel angezeigte Bezug auf die bundesdeutsche Gesellschaft im Allgemeinen wird durch den Text nicht erfüllt – der BRD Gedankenmuster und Einstellungen der NS-Zeit konserviert und weiterverbreitet wurden, da im Kalten Krieg der Antikommunismus weiterhin eine der deutschen Leitideologien war. Das rassistische Russlandbild findet sich beispielsweise gerade auch in so erfolgreichen Romanen wie Konsaliks „Arzt von Stalingrad“.

Zum deutschen Überfall auf die UdSSR existieren eine fast nicht mehr zu überschauende Zahl von wissenschaftlichen Publikationen, so dass auch immer nach dem Wert einer Neuerscheinung zu fragen ist. Auch wenn der von Babette Quinkert herausgegebene Sammelband kaum ganz neue Erkenntnisse bietet, sondern im Wesentlichen die bestehenden Forschungen bekräftigt, liefert er dennoch einen ausgezeichneten Überblick über zentrale Aspekte des Themas, was angesichts der meist als Fachleute bekannten Autorinnen und Autoren nicht verwundert. Erfreulich ist außerdem die Zusammenarbeit zwischen deutschen und russischen Historikern, die unterstreicht, dass internationale Konferenzen einen wesentlichen Beitrag zum Erkenntnisgewinn beitragen können. Wie Hans Umbreit in der Einleitung zu Recht ausführt, liefern die einzelnen Beiträge nicht zuletzt auch einen Ausblick auf weitere Forschungen, indem auf Desiderata hingewiesen oder gerade laufende Forschungsprojekte vorgestellt werden, so dass sicherlich in einiger Zeit ein erneutes Fazit zu ziehen sein wird.

Titel: Wir sind die Herren dieses Landes. Ursachen, Verlauf und Folgen des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion

Hrsg. v. Quinkert, Babette
Erschienen Hamburg 2002: VSA Verlag
Umfang 270 S.
Preis € 20,40