Claus Leggewies Traum von der Räterepublik
Von Quentin Quencher auf Achgut.com am 23.03.2015
Am 17.03.2015 war Claus Leggewie zu Gast in der Radiosendung SWR1-Leute bei Stefan Siller.(1) Beide sind den Lesern dieses Blogs natürlich vertraut.(2) Leggewie gehörte zu den Hauptautoren des WBGU Gutachtens »Welt im Wandel« und als sogenannter 68er zu den Leuten, die die Schnittmenge von linken Gesellschaftsutopien hin zu einer Ökogesellschaft mit Nachhaltigkeitspostulat der Grünen bilden. Er selbst bezeichnet sich eher als Sponti, für die 68er wäre er zu jung.(3) Zur politischen Sozialisation Leggewies sagt das schon was aus, vor allem wenn er mit einem gewissen Stolz im Unterton sagt, dass die 68er die Republik zum positiven verändert hätten. Wobei er sich von den K-Gruppen der 70er distanziert, und meint, er wäre nie ein Amerikahasser gewesen. Die dem linken Denken nahestehenden dieses Landes bilden eben eine wesentlich komplexere Gruppe als es in Öffentlichkeit oft erscheint, und man darf annehmen, dass dieses Erscheinungsbild nur deswegen existiert, weil sie der gemeinsame Kampf gegen Kapitalismus oder von solchen Leuten die von ihnen als rechts eingestuft werden, sowie des Liberalismus, eint. Ist der gemeinsame Gegner besiegt, werden sie wieder übereinander herfallen. Carl Schmitt lässt grüßen.(4)
Kommen wir zurück zur hier zu betrachtenden SWR-Sendung. Als die Sprache auf Bürgerbeteiligungen und Volksentscheide kam, drückte Leggewie seine Abneigung gegen letztere aus, sei wären nur Momententscheidungen, die von Wutbürgern oder anderen kurzfristigen Stimmungen dominiert sein können. Gegen Bürgerbeteiligung hat er allerdings nicht, sofern sie entsprechend seiner Vorstellung organisiert sind. Neue Arten der Partizipation sollen entstehen, doch schauen wir mal, was er genau dazu im Interview sagte.
Ich bin Anhänger einer erörternden deliberalen Demokratie, die solche Entscheidungen, die wirklich auf Jahrzehnte Infrastrukturen schaffen, wo man sich genau überlegen muss was man tut, die halte ich für besser, dass man sich grundsätzlich überlegt, auch mit den Bürgern. Da gibt es auch Modelle. Wir sind gerade dabei an einem Modell zur arbeiten, was wir die Konsultative nennen, also eine Art vierte Gewalt. […] Wir nennen es gewissermaßen eine vierte Gewalt, weil sie neben Exekutive und Legislative, Judikative, eine Beratungsinstanz aufbaut, mit Blick in die Zukunft. Das kann ich jetzt nicht weiter ausführen.
Warum er das nicht weiter ausführen kann, das fragte der Moderator nicht nach, aber das ist man bei Stefan Siller ja auch gewöhnt, und dass er dann wenn es für den Hörer interessant werden könnte, in allgemeines Blablabla abgleitet, am besten in Zusammenhang mit Fußball.
Doch greifen wir zwei Begriffe auf: »deliberale Demokratie« und »Konsultative«. Letzteres ist eine relativ neue Wortschöpfung und soll von dem Gründungsmitglied der Grünen Erhard O. Müller in die Diskussionen einbracht worden sollen.(5) So jedenfalls der Mitinitiator eines Verfassungskonvents, Joachim Sikora, der, wie seine Genossen und Brüder, gleich eine neue Verfassung für Deutschland haben wollen. Sikora nennt diese Konsultative als erste von insgesamt sechs Gewalten. (6) Die Aufgaben dieser nun ersten Gewalt, und hier ist anzumerken, dass Leggewie zwar von vierter Gewalt spricht, sicher aber die Vorstellungen Sikoras teilt, ist folgende:
Die zentrale Aufgabe der „Konsultativen“ ist die Erarbeitung eines gesellschaftlichen Leitbildes, ausgehend von der Frage: In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Dieses Leitbild bildet die Grundlage für alle weiteren politischen Entscheidungen. Dazu initiiert die „Konsultative“ einen Konsultationsprozess (etwa analog den Bürgerforen) und eine ständig zugängliche Bürgerplattform im Internet als Medium des „Crowdsourcing“.
Die Aussagen des Leitbildes sind verbindlich für alle weiteren politischen Entscheidungen.
Wir müssen hier kurz durchatmen um die ganze Tragweite dieser Aussage zu begreifen. Diskussionsplattformen, bei denen davon auszugehen ist, dass die artikulationsstarken, ressourcen- und zeitreichen, sich durchsetzen werden, entwickeln ein Leitbild nach dem sich die ganze Politik zu richten hat. Letztlich bedeutet dies, dass Bürgern die sich nicht in der Lage sehen an diesen Prozessen teilzunehmen, sei es Zeitgründen oder weil sie ihre persönliche politische Meinung nicht zum Gegenstand von Diskussionen machen möchten, oder weil sie meinen sich nicht so geschliffen korrekt ausdrücken zu können, und daher eine gewisse Scheu und Scham vor Öffentlichkeit haben, oder anderen ganz persönlichen Meinungen, alle diese Leute haben dann nichts mehr zu sagen, da sie an der Entwicklung der politischen Leitbilder nicht mitwirken können, an die sich dann aber die Politik zu halten hat. Wahlen werden somit nebensächlich, denn auch die gewählten Volksvertreter müssen sich an diesen Leitbildern orientieren. Einen Vorgeschmack dessen wie Politik dann aussieht haben wir bekommen, als eine Ethikkommission darüber zu befinden hatte, ob nun Kernkraft in Deutschland sicher ist oder nicht.
Es hätte auch einen Volksentscheid geben können, bei dem die Wähler darüber entscheiden wie nun mit den Kernkraftwerken zu verfahren sei. Das Ergebnis wäre wahrscheinlich das gleiche gewesen, doch es hätte eine öffentliche Diskussion gegeben, bei der dann auch Bürger mit ihrer Stimmabgabe ihre Meinung kund tun können, solche die sich ansonst nicht in der Lage sehen, ihre Meinung auszuformulieren, was aber in Bürgerforen Voraussetzung ist. Es soll ja auch noch Bürger geben, die einer ganz normalen Erwerbstätigkeit nachgehen, eine Familie, einen Hund und ein Hobby haben, und schon aus Zeitgründen an diesen Diskussionen nicht teilnehmen können oder wollen, aber dennoch eine Meinung dazu haben. Die Stimmabgabe bei einer Wahl, bei der es auch wirkliche Alternativen gibt, ist die effektivste Form der Meinungsäußerung in der Demokratie. Wer Hand an dieses Prinzip legt, gefährdet die Demokratie insgesamt. (7)
Dieser Ethikrat, was anderes bedeutet die Rede vom gesellschaftlichen Leitbild nicht, bestimmt dann aber nicht nur einzelne Punkte der Politik, sondern ist ein allumfassender Lenker, bei dem die Rechte des Individuums automatisch unter die Räder kommen.
Diese Idee von der Konsultative, und wie diese gebildet werden soll, kommt nicht aus dem Niemandsland, sondern ist die nur Weiterführung einer von den 68ern geliebten Vorstellung. Fündig werden wir beim Begriff »deliberative Demokratie«.(8) Die theoretischen Ansätze dafür lieferte der bei Teilen der 68ern überaus beliebte Jürgen Habermas mit seiner Diskurstheorie und zielt auf Konsensfindung ab. In der Praxis bedeutet dies aber, dass der Konsens nur ein scheinbarer ist. Eben weil, wie auch bei Wikipedia als Kritikpunkt nachzulesen ist, auf Grund von Machtgefällen zwischen den Diskursteilnehmern ein neutrales Abwägen der Argumente in der Realität häufig nicht erreichbar ist und letztlich zur Ausbildung einer Schweigespirale führt.
Wir sehen also, hier am Beispiel Leggewie, dass die sogenannte Verbürgerlichung der 68er nur eine scheinbare ist, die alten Vorstellungen, die eigentlich einer Räterepublik nahe kommen, sind immer noch sehr lebendig. Nun sind aber diese Leute in Parteien, NGOs, den Behörden und in die Medien eingesickert und haben diese mit ihren Vorstellungen infiltriert. Zu Nutze kommt ihnen dabei, dass sie glauben mit einem Nachhaltigkeitspostulat oder der Rede von der Klimakatastrophe die Narrative in der Hand zu haben, mit denen die Bevölkerung überzeugt werden könnte. Der eigentliche Grund ist aber ein anderer, nämlich die komplette Umgestaltung unserer Demokratie, ja eigentlich deren Abschaffung zu Gunsten einer Meinungsdiktatur oder eines idealisierten utopischen Sozialismus.
Dass sind aber Utopien, und wie fast immer wenn diese hier und heute verwirklicht werden sollen, schrittweise versteht sich, dann treten Kolateralschäden ein. Doch diese werden in Kauf genommen und auch dabei hilft ein Vordenker der 68er, nämlich der Herr Bloch mit seiner Theorie von der konkreten Utopie.(9) Dass der mit Rudi Dutschke befreundet war, soll nur als Hinweis gelten und der Abrundung des Bildes dienen. Eigentlich wäre dies ein Thema für einen weiteren Beitrag, der beleuchtet was konkrete Utopie in Hinblick auf die Umgestaltung der Gesellschaft bedeutet. Deshalb hier nur der Hinweis.
Nun sind nicht alle 68er ihren damals erlangten Überzeugungen treu geblieben, nicht wenige sind konvertiert zum utopischen Ökologismus, oder zur utopischen Nachhaltigkeit. Dennoch haben sie ihr Handwerk, besser Denkwerk, bei den Linken gelernt. Die Werkzeuge die verwendet wurden um in einem Diskurs die Meinungshoheit zu bekommen, werden nun ganz selbstverständlich in Hinblick auf das neue Ideal verwendet. Die meisten aber haben einfach die alten Überzeugungen mit den neuen vermischt; das Ergebnis, auch hier kann das was man als Rüstzeug aus der linken Denkschulen mitbekommen hat gut für die Verwirklichung der nun neuen Ziele, Nachhaltigkeit und Klimaschutz als Postulat, verwenden. Kapitalismuskritik inklusive. Die verwendeten Begriffe »Deliberative Demokratie« und »Konsultative« verraten die Denkstrukturen und die Strategien mit der die Gesellschaft umgebaut werden soll. Eine Räterepublik bleibt eine Räterepublik, egal welches Leitbild in pseudodemokratischen Prozessen der Bevölkerung vorgegaukelt wird.
Noch ein letztes Wort zum Klimaschutz. Diese teils im Internet heftigen Diskussionen zwischen selbsternannten Alarmisten und Skeptikern über die physikalischen Eigenschaften von Treibhausgasen im allgemeinen, und CO₂ im besonderen, entbehren nicht einer gewissen Komik. Egal welche Wirkung dieses Gas nun wirklich aufs Klima hat, die Vorstellungen derer die meinen beweisen zu müssen, dass CO₂ nicht besonders wirksam sei, um damit das ganze Gedankengebäude des Klimaschutzes einstürzen zu lassen, sind lächerlich. Es geht Leuten wie Leggewie um die Umgestaltung der Gesellschaft, Klimaschutz ist nur ein Werkzeug dazu, sollte es unbrauchbar werden, keine Sorge, die strategisch und ideologisch bestens präparierten Werkzeugmacher aus alter ideologischer 68er-Schule werden neue Werkzeuge bauen. Die passenden Leitbilder gleich mit.
Verweise/Anmerkungen:
1) Prof. Claus Leggewie ist Politologe und Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen. Er wurde geprägt durch die Studentenbewegung in den 68er Jahren, ließ sich jedoch von keiner Gruppierung vereinnahmen. [SWR1-BW-Leute“ target=“_blank“ >http://www.swr.de/swr1/bw/programm/leute/leggewie-prof/-/id=1895042/did=15161314/nid=1895042/qhee67/index.html“>[SWR1-BW-Leute. Sendung vom 17.3.]
2) Beim SWR gibt es auch gute Moderatoren für Informationssendungen, Wolfgang Heim und Gábor Paál beispielsweise, Stefan Siller gehört aber nicht dazu. [Glitzerwasser, 01.03.2014: Schlechter Journalismus, am Beispiel Stefan Siller]
Wenn Leggewie also die fdGO-Formel ablehnt, auch weil sie zu Missbrauch einlädt, so ist konsequenterweise eine Nachhaltigkeitsformel ebenso abzulehnen. [Glitzerwasser am 03.09.2013: Leggewie, die Nachhaltigkeit und der Verfassungsschutz]
Leggewie wäre nicht Leggewie, wenn er nicht auch gleich mit der Beschreibung der Krise eine Ausweg anbieten könnte, mehr noch, seine Beschreibung macht den Eindruck, dass die Vergangenheit nur deswegen so von ihm dargestellt wird, damit sein großes Ziel, die Transformation hin zu einer Gesellschaft mit Nachhaltigkeitspostulat und »grünen Energien« Sinn macht. [Glitzerwasser,“ target=“_blank“ >http://glitzerwasser.blogspot.de/2013/10/latiner-teutonen-und-die-zukunft-europas.html“>[Glitzerwasser, 25.10.2015: Latiner, Teutonen und die Zukunft Europas]
Nur mit Hilfe des Kommerz können wir erkennen welche Fragen, Probleme, Sorgen und Ängste in die Kunst und Kultur einfließen und im Spielraum des Imaginären Nährböden für Mythen entstehen lassen. [Glitzerwasser, 05.07.2014: Kunst, Kommerz und die Kultur]
3) Spontis waren von den 1970er- bis in die 1980er-Jahre hinein Gruppen linksgerichteter politischer Aktivisten, die sich in der Nachfolge der Außerparlamentarischen Opposition (APO) und der 68er-Bewegung sahen. [Wikipedia: Sponti]
4) Unter Politik versteht Schmitt einen Intensitätsgrad der Assoziation und Dissoziation von Menschen. [Wikipedia: Carl Schmitt]
5) Bürgerbeteiligung braucht eine Verankerung im Verfassungsgefüge: Neben den drei bestehenden bedarf es einer „Vierten Gewalt“: der Konsultative, die den Bürger – als den eigentlichen Souverän – mit Verfassungsgewalt ausstattet. [Referat “Bürgerbeteiligung – bestehende Möglichkeiten in Berlin und Visionen für die Zukunft”(.doc)]
6) Die vor mehr als dreihundert Jahren entwickelte Gewaltenteilung wird den heutigen Anforderungen an eine demokratische Verfassung nicht mehr gerecht. [joachimsikora.de: Vorschlag für eine Demokratie der sechs „Gewalten“]
7) Mitbestimmung ohne eine Wahl zu haben, ist in Wirklichkeit keine Mitbestimmung sondern eine sanftere Art von Diktatur. Nur die Möglichkeit zur Wahl einer Alternative kann die Spannungen in der Gesellschaft abbauen. [Glitzerwasser,“ target=“_blank“ >http://glitzerwasser.blogspot.de/2013/06/partizipation-oder-wie-man.html“>[Glitzerwasser, 15.06.2013: Partizipation, oder wie man undemokratische Verfahren verklärt]
8) Wichtige Theoretiker deliberativer Demokratie sind außerdem Jürgen Habermas und John Rawls. Während das Konzept von Jürgen Habermas inoffizielle Arenen außerhalb des institutionellen Settings, beispielsweise soziale Bewegungen, einbezieht, zeichnet Rawles ein engeres Bild öffentlicher Beratung, indem er stärker auf offizielle Institutionen verweist. [Wikipedia: Deliberative Demokratie]
9) Konkrete Utopie ist der Prozess der Verwirklichung, in dem die näheren Bestimmungen des Zukünftigen tastend und experimentierend hervorgebracht werden. Der konkreten Utopie Ernst Blochs entspricht eine Haltung des militanten Optimismus. [Wikipedia: Konkrete Utopie]
http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/claus_leggewies_traum_von_der_raeterepublik
Wir sind das Volk! Von wegen. Das Volk gibt es nicht
Von Marko Martin auf Achgut.com am 17.03.2015
Ein Gespenst geht um, ein Begriff wird feilgeboten als angebliche Realität: das Volk. Eigentlich seltsam, rufen doch Vokabeln wie “Volksgemeinschaft” und “völkisch” weiterhin aus gutem Grund historisches Gruseln hervor. Dennoch scheint inzwischen beinahe jedes Distanzdenken verloren gegangen zu sein. Wer sich zum Ankläger einer vermeintlichen Kluft zwischen “den Regierenden” und “denen da unten” macht, hat den Applaus schon einmal sicher. Von Luthers rüder Aufforderung, dem Volk aufs Maul zu schauen, bis zu Jean-Jacques Rousseaus fein ziseliertem Philosophenkonstrukt einer “volenté générale” gibt es in der Tat eine wirkungsmächtige Geistestradition, die dem Volk einen allgemeinen und guten Willen zuspricht, auf welchen dann tunlichst zu hören wäre. Heinrich Heines prophetische Warnung vor den Konsequenzen grollender Massenforderungen passt da ebenso wenig ins Bild wie Konrad Adenauers Tagebuchnotiz, er misstraue der politischen Reife des deutschen Volkes zutiefst.
Die entscheidende Frage freilich ist, ob es so etwas wie “das Volk” überhaupt gibt. Solche Skepsis mag sophistisch klingen, denn verdankt Deutschland seine glücklich zustande gekommene Wiedervereinigung, die in diesem Jahr ihr 25. Jubiläum feiert, nicht auch dem ostdeutschen Demonstrationsruf “Wir sind das Volk”? Wohl wahr, doch machte dieser Ruf eben vor allem in einer Diktatur Sinn, die alle gesellschaftliche Ausdifferenzierung zwangsnivelliert hatte und sich dann auch noch anmaßte, im Namen dieses zusammengepferchten und sprachlos gemachten Kollektivs zu sprechen.
Beides wird in einer liberalen Demokratie hinfällig: Die frei gewählten Parlamentarier vertreten, das heißt repräsentieren ihre jeweiligen Wähler – sie sind mit ihnen also ebenso wenig identisch wie jene Wähler mit “dem” Volk. Stattdessen bilden sie gemeinsam die Bevölkerung, heterogen zusammengesetzt und geprägt von denkbar diversen Positionen und Handlungsmotiven.
Zwei Beispiele nur: Unter Lärmbelästigung leidende Flughafenanrainer haben andere (legitime) Interessen als Airport-Angestellte in ihrer ebenso nachvollziehbaren Sorge um den eigenen Arbeitsplatz. Ähnliches gilt für Tausende Arbeiter in Kohle- oder Atomkraftwerken und deren Haltung gegenüber den Forderungen von Umwelt- und Klimaschützern.
Solch komplexe Gemengelagen sind keineswegs durch eine simple Gegenüberstellung von “oben” und “unten” zu erklären. Was sich übrigens inzwischen auch herumgesprochen hat, sodass das Alltagspolitische – trotz des Gegrummels Prinzipien reitender Puristen – ungleich ideologiefreier als früher über die Bühne geht. Die immer wieder neu zu verhandelnde Austarierung ganz normaler Gegensätzlichkeiten funktioniert also überraschend gut.
Meldet sich womöglich gerade deshalb eine Art Phantomschmerz, der unter “vom Volk abgekoppelten Eliten” zu leiden glaubt und sein Heil in (noch) “mehr Transparenz und Demokratie” sucht?
Aber auch hier zeigen konkrete Beispiele, dass der Fetisch “Volkspartizipation” vor allem eines provoziert: Hader und Verdruss. So sieht etwa das derzeitige Hamburger Landeswahlrecht vor, jedem Abstimmungsberechtigten insgesamt zehn(!) Stimmen zu geben, damit er nicht mehr wie früher in die Bredouille gerät, für Parteilisten en bloc votieren zu müssen. Das Resultat der zweifellos gut gemeinten Erneuerung: In der Öffentlichkeit eher unbekannten, aber in der Bürgerschaft unverzichtbare Sacharbeit leistenden Parlamentariern droht die Abwahl – wobei das überforderte Volk bei der Wahl im Februar ohnehin nur mit rekordartig matten 55 Prozent präsent war.
In die gleiche kontraproduktive Richtung geht der Gesetzentwurf der rot-grünen Landesregierung von Baden-Württemberg, das Quorum für Bürgerentscheide auf kommunaler Ebene zu senken. Motto: Demokratie to go.
Aber wer erhebt sich dann schließlich vom Sofa? Gewiss nicht “das Volk” – zumindest nicht nach den Erfahrungen der Oberbürgermeister von Mannheim und Freiburg. Beide sind alles andere als konservative Gralshüter, doch wiegen ihre Einwände schwer: Weder das Mannheimer Bürgerreferendum zur umstrittenen Bundesgartenschau noch das Freiburger Votum für den Bau eines Fußballstadions spiegelte eine “volenté générale”, sondern war vielmehr Resultat lautstark partikularistischer “Bürgerinitiativen”-Lobbys und hat zudem die Wählerschaft zutiefst gespalten
Wie auch nicht, wenn man nun den Nachbar persönlich dafür angehen kann, eine umstrittene Pro- oder Contra-Entscheidung selbst mit herbeigeführt zu haben? Wenn sich jeder anheischig machen darf, “das Volk” zu sein, wird der Raum eng für jene pragmatischen Kompromisse, denen unser Gemeinwesen seine Existenz verdankt.
Die Erfahrung jedenfalls lehrt: Je schneller, “direkter” ein Entschluss, umso größer das Risiko, dass er von einer Augenblicks-Emotion beeinflusst ist, anstatt von einem das Allgemeinwohl in den Blick nehmenden Nachsinnen, das sich auch ein Recht nimmt auf reflektierte Langsamkeit.
Wenn aber bereits im Lokalen der Verzicht auf institutionelle Vermittlung Unfrieden stiftet, wie sieht es dann im internationalen Rahmen aus? Vor allem: Wer möchte davon profitieren? Allein schon das Beispiel Ungarn zeigt, was passiert, wenn ein Ministerpräsident eine demokratisch zustande gekommene Mehrheit nicht als Votum für ein temporäres (und verfassungsrechtlich kontrolliertes) Regieren versteht, sondern quasi als Auftrag “der Geschichte” – ein weiteres Nebelwerferwort – und sich selbst als Inkarnation des “Magyarentums”.
Genau das ist der abschüssige Weg einer endlosen Bürgerentmündigung – vom maroden Venezuela, dessen einstiger Herrscher Hugo Chávez die anmaßend identitäre Formel “Ich bin das Volk” liebte, bis hin zum gegenwärtigen Putin-Russland. Zwar hat der KGB-sozialisierte Kreml-Despot alles andere im Sinn, als in seinem korrupten Riesenreich “mehr Transparenz” zu wagen, doch beruft er sich auf die gleiche Schimäre: “Das Volk” dürste nach nationaler Wiederauferstehung, er folge nur dessen Stimme.
Der pathetische Abstraktionssprech hat Methode und ist das perfekte Instrument zum Machterhalt. In dem Moment nämlich, in dem Putin von “Bevölkerung” reden würde, müsste er riskieren, dass die derart präzis Angesprochenen – Studenten, Arbeiter, Rentner – sich an die eigene miese Lebenssituation erinnerten, anstatt weiterhin den billigen Fusel von russisch Volk und Seele zu akzeptieren.
Der Gewaltneurotiker Che Guevara, ebenfalls ein Fachmann für heroisches Über-die-Köpfe-hinweg-Schwadronieren, prägte einst den Nonsense-Satz “Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker”. Übersetzt in die zeitgemäßere Sprache der Service-Angebote, ließe sich wohl eher sagen: Wo “Volk” draufsteht, ist in den meisten Fällen Manipulation drin. Siehe Pegida.
Wohlstandsverloste Trittbrettfahrer, die das zerstören, was andere aufgebaut haben
20.03.15
Währenddessen linksextreme Blockupy-“Demonstranten” die Ungerechtigkeit in unserer Gesellschaft geißeln und noch mehr Umverteilung und Solidarität fordern. Sie sehen kein Problem darin, andere Menschen anzugreifen und zu verletzen, fremdes Eigentum zu beschädigen und die Öffentlichkeit zu behindern. Es sind Zöglinge einer Wohlstandsgesellschaft, die nichts zu deren Erfolg beigetragen haben. Die eine kostenlose Bildung, saubere Straßen, eine funktionierende Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung vorgefunden und genossen haben, ohne sie jemals wertgeschätzt zu haben. Es sind Menschen, die selbst nicht in der Lage wären, das aufzubauen, was sie mutwillig zerstören.
EIN NACHTRAG – ZUM MAIDAN IN FRANKFURT
U. Gellermann auf Rationalgalerie.de am 9. März 2015
Natürlich hat sich die FAZ (wie der Rest der deutschen Staatsmedien) heftig schäumend über die körperlichen Auseinandersetzungen rund um die EZB in Frankfurt erregt. Warum eigentlich? Wurden doch die gewaltsamen, zum Teil bewaffnetem Auseinandersetzungen auf dem Kiewer Maidan Monat um Monat als Höhepunkt der Demokratie gefeiert. Da hätte man doch Wohlwollen und Verständnis erwarten können.
http://www.rationalgalerie.de/kritik/angst-fressen-wahrheit-auf.html
Rede von Heike Hänsel, MdB, Die Linke
Doppelstandards bei der Berichterstattung über Gewaltanwendung
– Wir müssen jede Form von Gewalt verurteilen –
Danke, Frau Präsidentin! – Herr Innenminister,
Sie haben indirekt meinen gestrigen Tweet erwähnt und eben nicht im Original zitiert. Deshalb möchte ich das tun, weil Sie ihn interpretiert haben, wie so viele in der Presse.
Ich habe wortwörtlich geschrieben:
Stimmungsmache der Presse gegen #Blockupy#. Auf dem Maidan in Kiew waren Rauchschwaden für die Presse Zeichen der Freiheitsbewegung!
(Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister: Das macht es nicht besser! – Burkhard Lischka (SPD): Was soll das denn heißen? – Johannes Kahrs (SPD): Das macht es nicht besser!)
Hier kommen wir nämlich zu einer grundsätzlichen Diskussion.
(Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Das wird ja noch schlimmer!)
– Könnten Sie bitte zur Ruhe kommen?
(Zurufe von der CDU/CSU: Nein! – Johannes Kahrs (SPD): Bei so viel Unsinn geht das nicht!)
Vizepräsidentin Claudia Roth:
Liebe Kollegen, lassen Sie doch Frau Hänsel ihre Rede beenden.
Heike Hänsel (DIE LINKE):
Das ist sehr bezeichnend für Ihr demokratisches Grundverständnis.
(Volker Kauder (CDU/CSU): Sie kann sich ja zu Wort melden und reden!)
Ich habe die Berichterstattung über Gewaltanwendung verglichen. Hier gibt es eben Doppelstandards.
(Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Es ist eine Schande, den Maidan mit Frankfurt zu vergleichen!)
Sie erinnern sich alle: Auf dem Maidan in Kiew wurden brennende Barrikaden gebaut.
(Ulli Nissen (SPD): Was ist das denn für ein Vergleich? – Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da wurden aber keine Polizisten angezündet!)
Es gab Schlägertrupps des rechten Sektors, die mit Stöcken gegen die Polizei vorgingen. Häuser wurden in Brand gesetzt. Politiker der CDU und der Grünen sind dort hingefahren. Die Presse hat darüber berichtet und diese Gewalt verharmlost.
(Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die haben keine Polizeiautos mit Polizisten drin angezündet, Frau Hänsel!)
Das sind Doppelstandards in der Berichterstattung über Gewalt.
(Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU): Das ist ja völliger Blödsinn!)
Das geht nicht. Die Empörung, die Sie hier äußern, ist nicht glaubwürdig, weil Sie selbst diese Doppelstandards haben.
(Volker Kauder (CDU/CSU): Das ist nur noch widerlich!)
Ich kann nur sagen: Ich lehne die Gewalt in Frankfurt ab,
(Ulli Nissen (SPD): Das ist ja toll! Danke schön!)
wenn sie von Demonstranten und Demonstrantinnen ausgeht, ich lehne sie in Kiew ab.
(Ulli Nissen (SPD): Ich bin Abgeordnete! Ich habe gesehen, was in Frankfurt passiert ist!)
Ich lehne auch die Gewalt von Polizisten gegenüber Demonstranten ab. Über 200 Demonstrantinnen und Demonstranten sind verletzt.
(Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Unerhört! – Volker Kauder (CDU/CSU): Jetzt ist aber Schluss! Sie sollen einen Redebeitrag machen!)
– Lieber Herr Kauder, ich an Ihrer Stelle würde ruhig sein. Im Rahmen von Stuttgart 21 wurde ein Polizeipräsident zu einer Geldstrafe verurteilt,
(Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Jetzt ist aber gut!)
weil er für den Einsatz von Gewalt verantwortlich war.
(Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Das ist unerträglich!)
Also müssen wir generell über Gewalt sprechen und sie ablehnen,
(Ulli Nissen (SPD): Angriff auf Kinder im Flüchtlingsheim: Was ist das?)
nicht nur Gewalt von einer Seite. Wir müssen jede Form von Gewalt verurteilen, nicht nur die von einer Seite.
(Beifall bei der LINKEN – Johannes Kahrs (SPD): So viel Schwachsinn habe ich selten gehört!)
Die Kraft, die Gutes will und Böses schafft
Die Gewaltausbrüche in Frankfurt kommen nicht aus dem Nichts. Denn neben einer strukturell antisemitischen Kapitalismuskritik bietet die Bewegung eigentlich nur noch Krawalltourismus.
Ausgebrannte Autos, mehrere Hundert Verletzte, eine Stadt in Aufruhr und, obwohl das gegen die Gefährdung der Gesundheit vieler Tausend Menschen kaum ins Gewicht fällt, Sachschaden wahrscheinlich in Millionenhöhe. Das ist die Bilanz der vollmundig von Blockupy International zum „Tag X“ ausgerufenen Proteste in Frankfurt anlässlich der Feierlichkeiten zur Eröffnung des neuen Hauptquartiers der Europäischen Zentralbank. Nun distanzieren sich die friedlichen Demonstranten einmal mehr traditionell halbherzig, viele Menschen, die in den letzten Jahren durchaus mit einigem Wohlwollen auf Occupy und alles was danach kam geblickt haben, sind überrascht und die Politiker der Alternativlosigkeit sehen sich bestätigt: Kritik kommt eben doch nur von Chaoten. Dabei ist es überhaupt nicht verwunderlich, dass die schon immer schwer zu fassende frühere Occupy-, nun Blockupy-Bewegung (man beachte, wie der Namenswandel die Eskalation vorwegnimmt) derart explodiert. Gewiss hatte das besetzerische Treiben vergleichsweise zivilisiert und manchmal gar so idealistisch-naiv begonnen, dass man die Protagonisten am liebsten hätte knuddeln wollen, doch dass innerhalb der Heterogenität von Occupy eine durchaus bedenkliche Gemengelage angemischt wurde, war abzusehen.
Tatsächlich schon dem Anspruch nach aggressiv war die von Anfang an vollmundig formulierte Überzeugung, für „99%“ der Bevölkerung zu sprechen und in deren Namen dem ominösen „einen Prozent“ den Kampf anzusagen, während man etwa deutschlandweit noch nicht einmal ein Promille der Bevölkerung auf die Straße brachte. Mag die Wut der Protestierenden über die zweifelhaften Prioritäten, die im Krisenmanagement 2008 und 2009 gesetzt wurden, die Rettung „systemrelevanter“ Banken auf dem Rücken der Individuen und Steuerzahler, über die Ausweitung des Staatsdefizits zur Begleichung der Schulden großer Finanzmarktakteure, auch berechtigt gewesen sein, und mögen die ursprünglichen Forderungen des amerikanischen Originals, etwa die Wiederherstellung des unter Clinton aufgehobenen Trennbankensystems sowie ein höherer Eigenkapitalanteil auch einiges für sich gehabt haben: Sie traten bald um des Protestes willen zurück hinter den Protest, dessen konkrete Erscheinungsformen bei genauerem Hinschauen Ungutes ahnen ließen.
Ein Antikapitalismus, der Antisemitismus Vorschub leistet
Denn hinter dem wie eine Monstranz vor Occupy hergetragenen Pluralismus der Bewegung lauerte ein regressives Gemeinschaftsbedürfnis, das den rituellen Selbstvergewisserungen der frühen Proteste bereits aus jeder Pore triefte. Ihre Entscheidungen, zum Beispiel, trafen die Demonstrierenden in den ersten Jahren, wie man etwa in Jon Stewarts „Daily Show“ stolz erklärte, ausschließlich nach dem Konsensprinzip. Vielfältigen Gesten, mit denen die Occupier im „Plenum“ Zustimmung zu, Missfallen gegenüber, oder Unbehagen an einer Entscheidung ausdrückten, vermitteln auf heimelige Weise ein Gefühl von „basisdemokratischer“ Mitbestimmung. Natürlich machte dabei jeweils die abweichende Meinung auch nur eines einzelnen Aktivisten die Entscheidungsfindung unmöglich, was man eigentlich schon aus den Erfahrungen der K-Grüppler der Siebzigerjahre hätte gelernt haben können. In der Realität führte das dazu, dass sich diejenigen Aktivisten mit dem besten Sitzfleisch sprichwörtlich durch-setzten.
Die Überzeugung, im Namen einer überwältigenden Mehrheit die Welt zu verbessern, ein kuschelig romantisches Gemeinschaftsbedürfnis und im Hintergrund die reale Herrschaft eines kaum durch „Checks and Balances“ gestörten Rechts des Stärkeren: Diese Mischung kann schnell dazu führen, dass es knallt. Es brauchte nur den richtigen Zündstoff, um die Gewalt der zähesten Hintern durch die der Faust zu ersetzen.
Feinde hatte man von Anfang an zur Genüge ausgemacht. Die auch sechs Jahre später noch gern verdrängte und in jedem Fall zu diskutierende Frage, wie aus der Finanzkrise eine Weltwirtschaftskrise werden konnte, die in den USA mittlerweile als Great Recession bezeichnet wird, war schnell zugunsten einfacher Feindbildbestimmungen fallen gelassen worden.
Schon 2011 rühmte sich der deutsche Ableger von „Occupy Wall Street“, unter dem Motto „Banken in die Schranken“ zusammen mit 9.000 Gleichgesinnten das Frankfurter Bankenviertel „umzingelt“ zu haben. Auch die Versuche, all die systemischen Probleme, die mit zur Krise beigetragen haben in einzelnen Personen und Personengruppen greifbar zu machen, wurden häufiger. Parolen wie „Spekulanten verpisst euch“, oder „Finanzjongleure an den Pranger“ leisteten, wie Samuel Salzborn in der „Jüdischen Allgemeinen“ analysierte, einem Antikapitalismus Vorschub, der antisemitische Affekte begünstigt. Die auf Schildern und online mehrfach zu lesende Parole „Dieses Land gehört uns, nicht den Plutokraten“ etwa gemahnte nicht zufällig an einen Jargon, mit dem in der Bewegungsphase des Nationalsozialismus gegen das „jüdische Kapital“ gehetzt wurde. Verwundert es da, dass sich mit der Zeit auch immer wieder offen antisemitische Töne den Protesten beimischten? „Google: Jewish Billionaires“, las man z.B auf dem Plakat eines Protestierenden in New York, andere Slogans lauteten: „Humanity vs. the Rothschilds“, oder „Its Yom Kippur – banks should atone“. Bis zum 21. Oktober 2011 fand man auf der offiziellen Website der Frankfurter Besetzer gar noch das folgende Statement: „Eine kleine mafiaartig organisierte Gruppe, deren Mitglieder sich wohl schon über Generationen hinaus gegenseitig die Posten zuschieben, missbrauchen die jüdische Glaubensgemeinschaft für ihre Ziele.“
Blockupy bleibt als Alleinstellungsmerkmal nur der Eventcharakter
Die heftigsten Verschwörungstheoretiker haben nach allem, was in den letzten Monaten zu beobachten war, mittlerweile in den Reihen der Montagsdemonstranten ein neues Zuhause gefunden, womöglich hat auch Pegida einige der ursprünglichen Wütenden integriert. Occupy/Blockupy bleibt als Alleinstellungsmerkmal gegenüber den vielfältigen Unmutsbezeugern neueren Datums seitdem vor allem der Eventcharakter ihrer Großdemonstrationen, um der eigenen Bewegung neues Leben einzuhauchen. Aus der Website blockupy.org, die sich teilweise wie die Broschüre eines Abenteuerreiseveranstalters liest, geht das deutlich hervor.
Die Auswüchse davon durften wir gestern in Frankfurt erleben, wo nicht zuletzt auch zahlreiche „Krawalltouristen“ wüteten. Menschen, die die Sehnsucht nach Gemeinschaft in eine vor allem durch ihr alternatives Image verführerische Opposition zur Restgesellschaft trieb, die natürlich das, was sie suchten, mit und innerhalb von Occupy/Blockupy auch nicht finden konnten, verlieren die Kontrolle oder stehen zumindest fassungslos vor der Gewalt, die sich Bahn bricht. Sie haben ihr so wenig entgegenzusetzen, dass es nicht einmal zu einer überzeugenden Distanzierung reicht.
Denn ich bin weiterhin überzeugt, dass der Großteil der Menschen, die am gestrigen Tag in Frankfurt auf die Straße gingen, keine schlechten Menschen sind. Dass sie als Einzelne berechtigte Ängste, Sorgen, Anliegen haben. Wenn ich unbedarfte junge Menschen auf dem Weg zur Demo sehe, kommt mir Goethes Mephisto in den Sinn, der sagt:
Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.
Bei Blockupy ist es andersherum.
Letztendlich sind die Krawalle von Frankfurt ein schreckliches Ereignis. Einmal für alle, die direkt darunter leiden, ob Arbeitende, Anwohner, Polizisten oder friedliche Demonstranten. Und dann für alle, die der Meinung sind, „alternativlos“ dürfe tatsächlich kein Wort sein, das in einem politischen Vokabular etwas verloren hat. Sie sehen sich nach dem gestrigen Tag noch größerem Rechtfertigungsdruck ausgesetzt.
http://www.theeuropean.de/hasso-mansfeld/9928-blockupy-und-die-ausschreitungen-in-frankfurt
Vera Lengsfeld schreibt am 20.03.2015 auf Achgut.com
Die Schreibtischtäter am Tag danach
Die Feuer in Frankfurt waren gerade gelöscht, die Zahl der verletzten Polizisten auf 150 gestiegen, da begannen die Beschwichtiger und Terror- Versteher den Gewaltexzess in Frankfurt zu verniedlichen.
Allen voran Jacob Augstein, der in seiner Kolumne sich nicht entblödete zu behaupten, dass die Polizei sich zum „Schutz des Kapitalismus“, nicht des Staates, berufen sah. Sein „Beweis“: im Jahr 2013 hätten die Beamten als Grund ihrer Maßnahmen gegen die Proteste der Blockupy- Bewegung „Antikapitalismus“ angegeben. Man muss diese gewundene Herleitung nicht verstehen, die auch nur den Zeck hat, die Antikapitalismus- Philippika des Millionärs- Söhnchens zu rechtfertigen.
Bezeichnend ist, dass Augstein Blockupy mit der Studentenbewegung 68 gleichsetzt und zeigt, dass er nichts aus der Geschichte gelernt hat.
So wie 68 über den Krieg in Vietnam „informiert“ wurde, ohne die Verbrechen der Kommunisten an der südvietnamesischen Bevölkerung auch nur zu erwähnen, um die Gewaltaktionen zu legitimieren, wird heute von Blockupy und den Augsteins die Austeritätspolitik der EU für die Toten im Mittelmeer verantwortlich gemacht, ohne über die afrikanischen Diktatoren und die kriminellen Menschenhändlerbanden auch nur ein Wort zu verlieren.
Dann versteigt sich Augstein gar zu einer Rechtfertigung des RAF- Terrorismus.
„Herbert Marcuse, hatte schon 1964 geschrieben, dass die “traditionellen Mittel und Wege des Protests” unwirksam geworden seien, weil der moderne Kapitalismus gelernt habe, auch den Protest zu integrieren. Marcuse sagte, wer in der Gesellschaft der “repressiven Toleranz” sein Rechte ausübt – das Recht der Wahl, der freien Rede, der unabhängigen Presse – trage allein dadurch zum Anschein bei, dass es noch demokratische Freiheiten gebe, die in Wirklichkeit jedoch längst ihren Inhalt verloren hätten: “In einem solchen Fall wird die Freiheit zu einem Instrument, die Knechtschaft freizusprechen. Das waren außerordentlich gefährliche Gedanken. Der Terrorismus der Siebzigerjahre dachte sie nach.“
Da ist es nur logisch, dass er am Ende die Frage stellt, was wohl mehr wert wäre, ein Polizeiwagen oder ein griechischer Rentner. Bezeichnend, dass er die Frage nicht in Bezug auf deutsche Polizisten stellt, denn dann wäre die Absurdität seiner Gedanken zu offensichtlich geworden.
Weniger intellektuell verschwurbelt kam die jüngere Generation der Terror- Versteher daher.
„Es sind doch nur brennende Autos: Beruhigt euch mal wieder“, schrieb ein grüner Stadtrat aus Bochum in seinem Blog. Die verwundeten Polizisten sind keine Erwähnung wert. Gewalt gegen Sachen ist im antikapitalistischen Kampf legitim.
Die Blockupy- Organisatoren sehen keinen Grund, sich von ihren Verbündeten zu distanzieren.
Sie werten den Protesttag als lieber Erfolg: „Ich distanziere mich nicht von der Gewalt“, sagte ein Sprecher, man sei aber „traurig über einige Aktionen“, sagte ein anderer.
Eine Frau von der „Interventionistischen Linken“ freute sich, dass der politische Widerstand in Deutschland angekommen sei. Die 20.000 Demonstranten hätten gezeigt, „dass viele Menschen „sich nicht mehr von der Krisenpolitik terrorisieren lassen“. Dass die Frankfurter terrorisiert wurden, stört sie nicht.
Der Attac-Koordinierungskreis lies verlauten, einige Akteure hätten sich nicht an den vereinbarten Konsens gehalten. Jedoch verwüste die Gewalt, die von Regierungen ausgehe, ganze Länder.
„Der Widerstand geht weiter“, sagte der Blockupy-Sprecher. Es sei notwendig, weiter mit zivilem Ungehorsam gegen eine „menschenverachtende Politik“ vorzugehen.
Dass diese Art von Protest menschenverachtend ist, scheint den Verantwortlichen nicht in den Sinn zu kommen.
Wer so weiter machen will, nimmt mögliche tote beim nächsten Mal in Kauf.
Mir graut vor diesen Schreibtischtätern.
http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/die_schreibtischtaeter_am_tag_danach
echte Wutbürger
Pegida oder das autoritäre Syndrom
von Oliver Nachtwey auf www.blaetter.de
Pegida hat etwas geradezu Gespenstisches. Es war und ist eine verdrossene Menge, die auf den Straßen in Dresden und Leipzig spazierte, aber gefühlt marschierte, und „Wir sind das Volk“ und „Lügenpresse“ skandierte. Bis zur Spaltung des Organisationskomitees, der folgenden Fragmentierung und dem anschließenden Niedergang wurden die Zusammenkünfte wie von Geisterhand über Wochen immer größer und nicht kleiner. Der zwischenzeitliche Erfolg von Pegida verwundert viele, denn den Deutschen oder auch den Dresdnern geht es doch – gemessen an den europäischen und internationalen Desastern – relativ gut. Aber genau das scheint das Problem zu sein: Die Proteste spiegeln eine Gesellschaft, in welcher der Reichtum wächst, aber die Teilhabe schwindet. In einem Europa, das ökonomisch und sozial absteigt, politisch taumelt, wirkt Deutschland plötzlich wie ein Hort der Stabilität – der von Muslimen, den europäischen Schuldenstaaten etc. bedroht wird.
Dass Pegida sich vor allem in Dresden etablierte, lag an besonderen lokalen Umständen: In kaum einem Bundesland ist die politische Kultur so konservativ, sind die Bürger so entfremdet von der Politik. Gerade bei den Männern ist die Angst vor dem erneuten Abgehängtwerden, wie sie es in den Wendejahren erfahren haben, groß. Pegida ist zwar vor allem ein ostdeutsches, sächsisches Phänomen, aber es ist Ausdruck eines gesamtdeutschen geistigen Klimas,[1] einer schon länger gärenden neo-autoritären Strömung. Dass es in Teilen der Bevölkerung brodelt, war bereits durch den erstaunlichen Erfolg der Bücher Thilo Sarrazins oder dem Aufschwung von schrillen, neurechten Hasardeuren wie Jürgen Elsässer klar. Was aber überrascht, ist, dass sich die Ressentiments zu einer lokalen sozialen Bewegung mit bundesweiter Ausstrahlung verdichten ließen. Ganz normale Bürger, die sich sorgen; als das wollen die Pegida-Anhänger gesehen werden. Das ist nicht ganz falsch – und genau das macht es so beängstigend. Denn Pegida ist keine originär rechtsextreme Bewegung, sondern das Produkt einer nervösen Gesellschaft, in der die Affektkontrolle verwildert. Es ist ein Ausdruck einer Radikalisierung der Mitte, eines regressiven Aufbegehrens gegen eine marktkonforme Demokratie, in der die Ökonomie zur sozialen Instanz geworden ist. Bei Pegida versammeln sich gewissermaßen rechte Wutbürger.
Pegidas Vorhut
Pegida hat einige Vorläufer, nicht zuletzt auch in Westdeutschland. Zum einen sind es die verschiedenen lokalen „Pro-Bewegungen“ (beispielsweise Pro-NRW). Diese gaben sich bereits als Bürgerbewegungen aus, vertraten aber im Grunde offen antiislamische Ressentiments und verfügten über erkennbare Übergänge zu rechtsextremen Verbänden. Nur wenige Wochen vor dem Beginn von Pegida gab es mit den „Hogesa“-Krawallen den größten rechtsextremen Mob auf der Straße seit den 1990er Jahren.[2] Aber Pegida funktioniert anders: Offiziell grenzt sich Pegida immer wieder von rechtsextremen Positionen ab. Man betont den bürgerlichen Charakter der eigenen Positionen, der sich auf die westlichen Werte der Aufklärung, Demokratie, Freiheit, Selbstbestimmung und Rechtsstaatlichkeit bezieht. Erst an zweiter Stelle, in indirekter Form, kommt der Rassismus. „Ich bin ja kein Rassist, aber …“ ist das Kennzeichen von Pegida. Bei einigen ist es eine schlichte Lüge, bei anderen entspricht es ihrem tatsächlichen Selbstbild.
Gegründet wurde Pegida, das Akronym für „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“, das sich in seiner öffentlichen Rhetorik immer wieder auf den Erhalt des Rechtsstaats bezieht, von einem mehrfach vorbestraften Mann: dem Dresdner Werbegrafiker Lutz Bachmann. Dem engeren Organisationskreis von Pegida gehörten ferner ein ehemaliger Lokalpolitiker der CDU, der FDP und einige Personen mit Verbindungen zum rechten Milieu an. Über Facebook mobilisierte man zu den Demonstrationen.
Im Dezember veröffentlichte der Organisationskreis ein Positionspapier mit 19 Punkten. Man gab sich humanistisch und republikanisch: Man sprach sich für die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen und ihre menschenwürdige Unterbringung aus. Sogenannte unverdiente und unproduktive Migranten sollten jedoch schneller und effektiver abgeschoben werden können. Die meisten Punkte waren zudem insofern wenig überraschend, als man für fast jede dieser Äußerungen in den letzten zwei Dekaden einen halbwegs prominenten Politiker aus den Reihen der CDU/CSU oder der SPD finden kann, der exakt diese Forderung mit großem Aplomb in der Öffentlichkeit vertreten hat.
Normative Unordnungen
Pegida ist ein Protestphänomen normativer Unordnungen und Ausdruck einer Krise der Repräsentation. In der Gegenwartsgesellschaft ist nur noch auf wenig Verlass. Die Parteien haben mit ihren Anhängern zu kämpfen: Diese sind individueller, fragmentierter und volatiler geworden. Die alten Bindungen gelten nicht mehr. Der Loyalitätsentzug der Anhänger trieb wiederum in den Parteien Bestrebungen voran, sich von der Zustimmung der Bürger unabhängiger zu machen, indem man sein Profil verbreiterte. Die SPD hat den Arbeitsmarkt liberalisiert, zeitweise die Rente mit 67 eingeführt; die Christdemokraten haben die Familienpolitik modernisiert, die Wehrpflicht abgeschafft und die Energiewende eingeleitet. Von den alten Konflikten ist nicht mehr viel übrig geblieben. Die Spitzen der Volksparteien sind sich derart einig in den meisten Fragen, dass jeder politische Konflikt fast immer wie ein Narzissmus der kleinen Differenz daherkommt. Aber auch jenseits der Volksparteien ist der Konsens breit: Den Mindestlohn befürworten alle im Bundestag vertretenen Parteien, die Ministerpräsidenten von Grünen und Linken regieren trotz des großen Getöses ihrer Gegner bisher zahm und altlandesväterlich. Der Konsens der Parteien ist demokratietheoretisch mit dem Mangel behaftet, dass es kaum noch wahrnehmbare, zugespitzte Alternativen gibt. Wer mit der aktuellen Politik unzufrieden ist, findet im Grunde keine Kanäle der Artikulation für seine Kritik. Die Unterscheidung von links und rechts wird von den Parteien nur noch im Flüsterton ausgesprochen, denn sie wollen alle die Mitte sein.
Paradoxerweise fühlt sich genau die Mitte oft nicht mehr hinreichend vertreten. Die Mitte hat keine Heimat mehr – nicht im geographischen Sinne, sondern im politischen. Denn die Parteien haben ihre Repräsentationsfunktion weitgehend aufgegeben, einzig zum Regieren fühlen sie sich berufen. Politische Prozesse erscheinen gleichwohl als so komplex, dass man sie kaum noch durchblickt, die Entscheidungen jedoch postdemokratisch, als in Hinterzimmern abgesprochen, die Interessen des „kleinen Mannes“ nicht mehr repräsentierend. Am Ende dieses Zirkels steht der subjektive Souveränitätsverlust der Bürger gegenüber der Politik.[3] Die Krise der Repräsentation ließ viele Bürger ratlos zurück, sie flüchteten sich in mitunter aggressive Affekte. Eine häufige Folge ist die Pauschalkritik: Politik, Wirtschaft, Medien – sie alle gehören zu einem vermeintlichen Establishment der „da oben“. Dieses Gefühl verstärkte sich vor allem durch die Schuldenkrise in Europa, als es gerade in der Mittelschicht – medial in voller Laustärke orchestriert – Sorgen um die eigenen Besitzstände gab.
Postdemokratischer Protest
Pegida ist gewissermaßen die regressive Variante neuer politischer Proteste in den letzten Jahren. Trotz der zumeist großen politischen Unterschiede wiesen diese teilweise verblüffende Gemeinsamkeiten auf. Sie wandten sich alle in einer relativ pauschalisierenden Kritik gegen das Establishment und bezogen sich auf die Montagsdemonstrationen der Wendezeit, nicht zuletzt indem man für sich in Anspruch nahm, „das Volk“ zu repräsentieren. All diese Bewegungen verbindet ein tiefer antiinstitutioneller Impuls der Selbstermächtigung; selbst bei den mittlerweile fast vergessenen Piraten war dies der Fall. Der Wutbürger, wie man ihn etwa bei den Protesten gegen Stuttgart 21 traf, demonstrierte gegen ein aus seiner Sicht unnötiges, teures, die Natur und die Stadt zerstörendes Großprojekt; aber es war auch Protest für mehr Bürgerbeteiligung.
Von seiner Natur her war der Wutbürger eher links, ökologisch und libertär, aber seine soziale Basis, die expert citizens, vertraten ihre Position häufig in einer apodiktischen Weise, die keinen Widerspruch duldete. Hinter seinen plebiszitären, basisdemokratischen Orientierungen lauerte schon damals bei einigen eine „autoritäre Versuchung“, die auf Effizienz und Expertentum setzt.[4]
Bei den Occupy-Protesten ging es hingegen noch eher hippiesk zu. Man protestierte in den Camps gleichermaßen gegen die ungerechte Verteilung als auch gegen die politischen Asymmetrien unter dem Signum der „99 Prozent“. Demokratische und soziale Anliegen waren hier Ausgangspunkt für eine neuartige Protestform, die sich allerdings den traditionellen politischen Formen entzog. Occupy distanzierte sich von den etablierten politischen Akteuren vehement. Man wahrte große Distanz zu den Parteien, verstand sich als jenseits von links und rechts und war programmatisch, abgesehen vom eigenen Repräsentationsanspruch der „99 Prozent“, nicht festgelegt.[5]
Occupy verschwand auch von der politischen Bühne, es folgten die sogenannten Montagsmahnwachen. Diese entstanden in Folge des Ukraine-Konfliktes. Die Mahnwachen mobilisierten, wie bereits die Occupy-Bewegung, ihre Anhänger vor allem im Internet, den Parteien traute man ebenfalls nicht. Man stellte sich auch bewusst in die Tradition der Montagsdemonstrationen der Wendezeit, und zu Anfang gab man sich ebenfalls basisdemokratisch. Auch diese Protestbewegung wurde von einer autoritären Strömung bewässert. Seltsame Esoteriker, bizarre Verschwörungstheoretiker und Querfrontparvenüs tummelten sich ganz selbstverständlich zwischen ernsthaft Friedensbewegten. Es handelte sich bei den Montagsmahnwachen nicht um eine rechte Bewegung im engeren Sinn, aber der Schwelbrand des Ressentiments und des Antisemitismus hatte sich ausgebreitet.[6]
Der Protest aus der Mitte
Pegida entspringt nicht dem gleichen Dunstkreis, ist aber des gleichen Geistes Kind. Eine soziale Bewegung verbindet man gemeinhin mit der Arbeiter-, Frauen- oder Ökologiebewegung. Bei vielen handelt es sich um Bewegungen für Gerechtigkeit, Anerkennung und Identität. Pegida ist gewissermaßen eine postdemokratische und identitäre soziale Bewegung: Man sorgt sich um die kulturelle Integration und um die Werte einer aus den Fugen geratenen Welt. Aber dieser Konflikt ist keiner um die Anerkennung ethnischer Differenz, sondern einer um den Erhalt von Etabliertenvorrechten.
Wer nun eigentlich bei Pegida mitläuft, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen. Die bisherigen Anstrengungen sozialwissenschaftlicher Untersuchungen stießen in Dresden an ihre Grenzen, da die meisten Anhänger sich verweigerten. Jene Teilnehmer, die Auskunft gaben, waren nicht mehr ganz jung, in der großen Mehrheit männlich und überdurchschnittlich gebildet[7]; sozioökonomisch gehörten viele zur (unteren) Mittelschicht. Leider differenzierten die Studien nur sehr wenig in Bezug zum Erwerbsstatus. So weit man aus den verschiedenen Quellen schließen kann, ist Pegida tatsächlich die sich selbst als sozial und kulturell bedroht sehende untere Mittelschicht: Selbstständige, Erwerbstätige aus den Zwischenzonen von Sicherheit und Unsicherheit, deren Leben besonders stark aus dem täglichen Kampf der Selbstbehauptung besteht. Inwieweit die traditionelle Arbeiterklasse oder das abgehängte Prekariat sich Pegida zugehörig fühlten, ist kaum festzustellen.[8]
In Europa waren es in der Vergangenheit vor allem die Modernisierungsverlierer aus der alten Arbeiterklasse, die – allerdings nicht in der Mehrheit – anfällig für rechtspopulistische Positionen waren.[9] Jetzt scheint dieser Virus auf die Mitte übergesprungen zu sein. Zwar gilt die Mitte normalerweise als Ort von Maß und Mäßigung, als Ort der politischen Integration.[10] In der Nachkriegsgeschichte war sie auch tatsächlich ein Ort des Ausgleichs und der Affektkontrolle.
Aber gerade wenn die Mitte sich bedroht fühlt, kann sie einen eigenen Radikalismus entwickeln.[11] Der Nationalsozialismus war für viele Beobachter auch das Resultat eines „Extremismus der Mitte“.[12] Von solch einer Konstellation sind wir heute weit entfernt, und die Mitte ist nach wie vor ein Stabilitätsanker der Demokratie. Aber die Mitte fragmentiert. Das Ressentiment ist ihr nicht mehr fremd und Teile der Mitte sind von einem autoritären Syndrom befallen. Dies hat ökonomische, soziale und politische Ursachen.
Für viele Bürger ist die soziale Welt immer weniger lesbar, ja mehr noch: hochgradig angstbesetzt. Alle Diskurse und Dispositive der Gesellschaft sind auf Aufstieg ausgerichtet. Doch aus der Gesellschaft des sozialen Aufstiegs der alten Bundesrepublik ist inzwischen eine Abstiegsgesellschaft geworden. Die Mitte ist in den unteren Bereichen geschrumpft, Abstiegsängste haben sich ausgebreitet.[13] Man trampelt auf der Stelle. Man gibt sich dem Wettbewerb hin, bildet sich fort, arbeitet immer mehr und entgrenzter, verdichtet die Poren des Tages immer produktiver im Dienste der Leistung. Man verzichtet auf Ansprüche an das gute Leben, ist pflichtbewusst und verhält sich konformistisch – aber es geht nicht voran.
Kurzum: Die eigene Sicherheit sehen viele nun zur Disposition gestellt, sei es durch die Eurokrise, die soziale Ungleichheit oder auch den Zuzug von Migranten.
Der Autoritarismus der marktkonformen Demokratie
In der Postdemokratie, so die Diagnose von Colin Crouch, sind die formalen Institutionen und Prozesse der Demokratie intakt, aber sie erodieren endogen, da die politischen Entscheidungen zunehmend den Interessen der Wirtschaft und der Lobbyisten folgen. In der marktkonformen Demokratie hat sich diese Logik radikalisiert. Hier wird die Demokratie der Wirtschaft untergeordnet, es gilt die vollständige Rationalität der ökonomischen Alternativlosigkeit; die Wettbewerbsfähigkeit der Märkte ist eine allseits geteilte Oikodizee.[14] Die Märkte werden zur sozialen und politischen Kontrollinstanz, die keinen Widerspruch duldet, die unsichtbare Hand stellt sich für viele als Faust dar, der Kapitalismus ist autoritär geworden.[15] Angela Merkel will künftig stärker im Sinne eines liberalen Paternalismus regieren, der die Menschen über Anreize in das Spinnennetz des Marktes schubst.[16] Im Grunde ist der autoritäre Geist in die meisten Politikfelder eingezogen: Die Politik der Austerität ist nicht nur autoritär, weil sie keine ökonomischen Alternativen zum Sparen vorsieht, sondern weil sie alle Ausgaben unter den Vorbehalt der Effizienz stellt. Im Falle der Arbeitsmigration unterscheidet der Diskurs zwischen „nützlichen“ Fachkräften aus dem Ausland und den unproduktiven Belastungen des Sozialsystems durch Flüchtlinge.
Die Angst vor dem Abstieg bringt zudem einen ganz eigenen Autoritarismus hervor. Die Abstiegsängste, das beständige Bewähren im gesellschaftlichen Wettbewerb, die Statuskämpfe um Anrechte auf Wohlstand, die enttäuschten Erwartungen an Aufstieg und Sicherheit führen zu einer „Entnormativierung“ und „Verwilderung“ sozialer Konflikte.[17] Die in der alten Bundesrepublik relativ erfolgreiche Regelung und Befriedung sozialer Konflikte gerät aus der Bahn. Dies kann zu sozialen und solidarischen Protesten führen, wie es beispielsweise in Spanien seit 2011 der Fall war. Aber dieser Zusammenhang entsteht nicht automatisch, er hängt von vielen Faktoren und Zufälligkeiten ab. Was man jedoch sagen kann: Entstehen in solchen Konstellationen keine sozialen und solidarischen Proteste und Gemeinschaften, steigt die Wahrscheinlichkeit von ressentimentgeladenen Konflikten.
Bei Pegida handelt es sich in diesem Sinne um einen Protest, der ein neues autoritäres Syndrom der Mittelklassen reflektiert. Dieses Syndrom resultiert aus der oben skizzierten nervösen Gesellschaft, in der alte Gewissheiten nicht mehr gelten und künftige Erwartungen fragil erscheinen. Sie ist gleichzeitig unordentlich, instabil und autoritär. Kein Wunder also, dass soziale Pathologien entstehen. Pointiert ließe sich sagen: Die Bevölkerung wurde so lange postdemokratisch regiert, bis sie schließlich selbst postdemokratisch wurde.
Das autoritäre Syndrom – und wo es herkommt
Die bedeutendste Studie zum Autoritarismus stammt von Theodor W. Adorno. Ausgehend von Studien über die Verbreitung antisemitischer Einstellungen, wollten er und die anderen Forscher eines größeren Teams die dafür notwendigen allgemeinen psychologischen Grundlagen in den Persönlichkeitsdispositionen der Menschen untersuchen. Die autoritäre Persönlichkeit war für sie der Schlüssel, der Menschen antidemokratisch, ressentimentgeladen und potentiell faschistisch werden ließ.
Die autoritäre Charakterstruktur zeichnet sich durch eine Reihe zusammenhängender Merkmale aus, die sich zu einem Syndrom verknüpfen: unter anderem Konventionalität, Unterwürfigkeit und Aggression, Machtdenken, Mangel an Empathie, Stereotypisierungen, Zynismus, eine Obsession bezüglich Sexualität und schließlich Projektivität.[18] Zum Wesen des Autoritarismus gehört, dass man seine Aggressionen nicht gegen die Autorität richtet, sondern auf andere überträgt. Es ist häufig ein doppeltes Moment der Projektion: Einerseits überträgt man die eigenen, aber einem selbst als unakzeptabel erscheinenden Triebe auf andere, um diese dann verurteilen zu können. So wird etwa die Missachtung von Frauenrechten, wie in den 19 Punkten von Pegida, als Grund für die Kritik am Islam aufgeführt – ausgerechnet von jener Sorte Menschen, die zu Hause in der Regel an sehr traditionellen Rollenvorstellungen festhalten. Denn gleichzeitig gehört zu den 19 Punkten, dass man endlich Schluss mit einer sogenannten Genderisierung machen soll.
Politik und Wirtschaft erscheinen immer komplizierter – Verschwörungstheorien sind da ein einfacher Mechanismus der Komplexitätsreduktion. Ressentiments und Stereotype haben auch eine Orientierungsfunktion, primitive Formeln reduzieren die realexistierende Unübersichtlichkeit und bringen Ordnung in das vermeintliche Chaos. Deshalb entsteht andererseits auch das Phänomen, auf Fremdgruppen die eigenen Abstiegssorgen zu projizieren. Gerade in Ostdeutschland gibt es häufig stärker ausgeprägte Gefühle der Deprivation, des Zu-kurz-gekommen-Seins. Die Nachwendejahre, als viele ihre soziale Position einbüßten und bis heute nur wenig Aufstiegsperspektiven dazugekommen sind, haben tiefe Spuren hinterlassen. Deshalb will man aber auch die eigenen (imaginierten) Vorrechte, den eigenen Lebensstil umso erbitterter verteidigen. Der eigene Konformismus schlägt daher um in die Abwertung all jener, die anders und vermeintlich unproduktive Mitesser in einem unter Stress stehenden Sozialsystem sind: Flüchtlinge, Migranten und Muslimen.
Autoritäre Haltungen zeichnen sich dadurch aus, dass man sich offizieller traditioneller Ideen und Werte bedient, man gibt ihnen jedoch in Wirklichkeit eine andere Bedeutung. So kritisiert man die Demokratie, weil sie nicht hält, was sie verspricht – ist aber bereit, sie gegen ein System „auszutauschen, das alle Ansprüche auf menschliche Würde und Gerechtigkeit preisgibt“.[19] Bei Pegida schlägt die Unzufriedenheit mit den demokratischen Institutionen in eine Verachtung ebendieser um. Den ursprünglich linken Topos vom „Verblendungszusammenhang“ kehrt Pegida im Jargon der Nationalsozialisten in „Lügenpresse“ um. Statt die Demokratie dafür zu kritisieren, dass sie ökonomische Ungleichheiten immer wieder in Widerspruch zur politischen Gleichheit geraten lässt, neigt die autoritäre Persönlichkeit dazu, die Demokratie im Grunde abschaffen zu wollen und eine „direkte Herrschaft derjenigen herbei[zu]führen, die sie ohnehin für die Mächtigen [hält].“[20] Insofern ist es nur folgerichtig, wenn auf den Demonstrationen der Ruf nach der Hilfe des „lupenreinen Demokraten“ Wladimir Putin erschallt. In der Masse strömen die Individuen im Wunsch nach „Identifizierung“ und „affektiver Gemeinsamkeit“ – in Anlehnung an eine Autorität, der man sich auch wider realistischen Wissen unterwerfen kann.[21] Für einige ist dieser Führer bizarrerweise eben Putin, aber die institutionalisierte Autorität ist heute etwas Abstraktes: das Primat der Wirtschaft.
Autoritäre Mentalitäten entstanden für Adorno und Co. nicht im luftleeren Raum. Sie sind Ergebnis der Sozialisation der Individuen, des politischen und ökonomischen Umfeldes, aber vor allem des geistigen Klimas der Zeit. Nicht zuletzt relevante Teile der Mittelklasse wenden sich von einer „egalitärredistributiven“ Gesellschaft ab.[22] Dies zeigt sich empirisch jüngst auch in umfangreichen Studien. In der gesamten Bevölkerung sogar etwas stärker, aber eben auch in der Mitte ist ein „marktkonformer Extremismus“ entstanden, der in Verbindung mit unternehmerischen Selbstoptimierungsnormen Abwertungen anderer befördert. Vor allem bei jenen, die Angst um ihren Lebensstandard haben, tritt dieser Extremismus mit doppelt so hoher Wahrscheinlichkeit auf. [23] Gerade die Unterwerfung unter die vermeintliche ökonomische Alternativlosigkeit setze „autoritäre Aggressionen“ frei.[24]
In Politik und Medien werden zwar zumeist demokratische Werte vermittelt, aber auch eifrig viele Stereotype bedient. Dies schlägt sich auch in den oben zitierten Studien zu Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit nieder. Dort kommt man zwar in vielen Einzelaspekten zu unterschiedlichen Ergebnissen, aber in den Grundzügen zu den gleichen Befunden: Der manifeste Rechtsextremismus ist in den letzten Jahren zurückgegangen, die Ressentiments sind jedoch gestiegen. Vor allem Muslimen, Sinti, Roma und Asylbewerbern wird zunehmend mit Vorurteilen begegnet. Jenseits der realen Probleme, die bestimmte Teile des Islams in europäischen Gesellschaften bereiten, ist vor allem die Islamfeindschaft in der Regel das neue Gewand des Rassismus, der vor allem die vermeintliche kulturelle Überlegenheit der westlichen Kultur herausstellt. Dazu passt auch das hohe Maß an Konfabulation – es leben nur 6 Prozent Muslime in Deutschland, aber in der Bevölkerung schätzt man ihren Anteil auf 19 Prozent.
Was tun?
Pegida wird als Protestbewegung schon bald ihr Ende gefunden haben, die autoritäre Menge braucht neue Reize, sonst zerfällt sie schnell.[25] Aber damit wird der Spuk längst nicht vorbei sein. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die AfD massiv von Pegida profitieren wird.[26] Der Einzug der AfD in den Hamburger Senat hat dies bereits deutlich gemacht, damit ist die AfD endgültig auch im Westen des Landes angekommen. Sollte der Vorsitzende Bernd Lucke in einem künftigen Machtkampf „fallen“ oder inhaltlich umfallen, käme Deutschland der europäischen Normalität auch insofern näher, weil es dann schon bald eine rechtspopulistische Kraft geben könnte, die auch für das Prekariat attraktiv wird. Dieses ist Pegida bisher weitgehend ferngeblieben. Diese Mischung wäre die größte Gefahr für alle abendländischen Werte, für die Pegida sich vermeintlich einsetzt.
Pegida muss uns deshalb wachrütteln. Die Reaktionen der Politik sind allerdings verblüffend: Angela Merkel, die mit ihrer präsidialen Stilllegung politischer Konflikte die marktkonforme Demokratie erst etabliert hat und damit bedeutenden Anteil an der Entstehung von Pegida trägt, zeigt sich in ungekannter Weise politisch, indem sie Pegida in ungewohnter Schärfe angegriffen hat. Der sozialdemokratische Vizekanzler Sigmar Gabriel, dessen Partei durch die Agenda 2010 erheblich zu den Abstiegsängsten in Deutschland beigetragen hat, erklärt hingegen das Recht auf Rechtssein zum demokratischen Grundrecht. Damit wird er aber keine neuen Wähler für die darbende SPD gewinnen, sondern einzig Ressentiments legitimieren und normalisieren.
Aber es wird auch nicht damit getan sein, Pegida mit demokratischer und kultivierter Abscheu zu begegnen. Das wird eher zu einer deutschen Tea-Party-Bewegung führen. Vielmehr muss, auch wenn es schwerfällt, die Gesellschaft sich selbst befragen, wie es zu Pegida kommen konnte, und endlich bei sich selbst, bei den etablierten Institutionen und Akteuren, ansetzen.
[1] Vgl. Albrecht von Lucke, Terror und Pegida: Gebt uns ein Feindbild!, in: „Blätter“, 2/2015, S. 5-8.
[2] Vgl. Richard Gebhardt, Die Mär vom unpolitischen Hooligan, in: „Blätter“, 1/2015, S. 9-12.
[3] Vgl. Peter Mair, Ruling the Void. The Hollowing of Western Democracy, London 2013.
[4] Franz Walter u.a., Die neue Macht der Bürger. Was motiviert die Protestbewegungen?, Reinbek 2013, S. 323.
[5] Vgl. Fabienne Décieux und Oliver Nachtwey, Postdemokratie und Occupy, in: „Forschungsjournal Soziale Bewegungen“, 1/2014, S. 75-88.
[6] Vgl. Prisca Daphi u.a., Montagsmahnwachen für den Frieden. Antisemitisch? Pazifistisch? Orientierungslos?, in: „Forschungsjournal Soziale Bewegungen“, 3/2014, S. 24-31.
[7] Wobei man auch immer berücksichtigen muss, dass mit steigendem Bildungsgrad auch die Bereitschaft steigt, an Umfragen teilzunehmen und den eigenen Bildungsgrad preiszugeben.
[8] Vgl. Franz Walter u.a. (Göttinger Institut für Demokratieforschung), Studie zu Pegida, 19.1.2015, www.demokratie-goettingen.de; Dieter Rucht u.a. (Institut für Bewegungsforschung), Befragung PEGIDA-Demonstration 2015, protestinstitut.eu.
[9] Tim Spier, Modernisierungsverlierer? Die Wählerschaft rechtspopulistischer Parteien in Westeuropa, Wiesbaden 2010.
[10] Herfried Münkler, Mitte und Maß. Der Kampf um die richtige Ordnung, Reinbek 2010.
[11] Theodor Geiger, Panik im Mittelstand, in: „Die Arbeit“, 10/1930, S. 637-656.
[12] Seymour Lipset, Political Man. The Social Basis of Politics, New York 1960.
[13] Vgl. Oliver Nachtwey, Abstiegsgesellschaft. Über das Aufbegehren in der regressiven Modernisierung, Frankfurt a. M. 2015, i.E.
[14] Vgl. Joseph Vogl, Das Gespenst des Kapitals, Zürich 2010.
[15] Vgl. Frank Deppe, Autoritärer Kapitalismus. Demokratie auf dem Prüfstand, Hamburg 2013; Ulrich Brinkmann, Die unsichtbare Faust des Marktes. Betriebliche Kontrolle und Koordination im Finanzmarktkapitalismus, Berlin 2011.
[16] Philip Plickert und Hanno Beck, Kanzlerin sucht Verhaltensforscher, in: „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 26.8.2014.
[17] Axel Honneth, Verwilderung des sozialen Konflikts. Anerkennungskämpfe zu Beginn des 21. Jahrhunderts, in: Axel Honneth, Ophelia Lindemann und Stephan Voswinkel (Hg.), Strukturwandel der Anerkennung. Paradoxien sozialer Integration in der Gegenwart, Frankfurt a. M. 2013, S. 17-39.
[18] Theodor W. Adorno u.a., Studien zum autoritären Charakter, Frankfurt a. M. 1995, S. 45 ff.
[19] Ebd., S. 199.
[20] Ebd., S. 221.
[21] Sigmund Freud, Massenpsychologie und Ich-Analyse [1921], Frankfurt a. M. 1993.
[22] Ingolfur Blühdorn, Simulative Demokratie. Neue Politik nach der postdemokratischen Wende, Berlin 2013, S. 158.
[23] Andreas Zick und Anna Klein, Fragile Mitte. Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2014, Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 2014, S. 102 ff.
[24] Oliver Decker, Johannes Kiess und Elmar Brähler, Die stabilisierte Mitte. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2014, Leipzig 2014, S. 68.
[25] Vgl. Elias Canetti, Masse und Macht, Frankfurt a. M. 1980.
[26] Vgl. Alban Werner, Vor der Zerreißprobe: Wohin treibt die AfD?, in: „Blätter“, 2/2015, S. 83-90.
(aus: »Blätter« 3/2015, Seite 81-89)
https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2015/maerz/rechte-wutbuerger
Blockupy und anderer Wahn: Das Korrektiv der Migrantenkinder
Von Sofia Taxidis am 22.03.2015 auf Achgut.com
Migrantenkinder wünschen sich oft ein Deutschland, das die Multikultis am liebsten abschaffen wollen.
Wir Menschen mit Migrationshintergrund – früher sagte man auch mal locker: Kinder mit ausländischen Wurzeln oder Zugezogene, auch gerne mal Einwandererkind – haben vielfach eines gemein: Die gleiche, unverstellte Sicht auf eine von der linken Seite erkrankten Gesellschaft. So schrieb anlässlich der tumben Zerstörungswut von Linksextremisten am Mittwoch dieser Woche um Blockupy in Frankfurt, Filip Piatov auf Welt Online:
“Ich bin mir als Migrant meiner Privilegien bewusst. Meine Eltern und ich wissen, was wir Deutschland schulden. Jedenfalls nicht das Eigentum anderer zu zerstören oder die Polizei zu attackieren”.
Piatov ist kein irregeleiteter Verräter. Es ist auch kein migrantisches Einzelkind, das dem betreuten Kindergarten der Migrationsbehüter entlaufen ist. Wie er denken sehr, sehr viele Migrantenkinder. Nicht weil wir klüger sind – sondern weil der Blick von außen oft Klarheit schafft.
So sind wir zwar mit dem Wissen um die Kollektivschuld des Holocaust aufgewachsen, aber uns fehlt dieser zersetzende Selbsthass, die Abwertung der eigenen Lebensform zugunsten einer beinahe geisteskranken Überhöhung jeder noch so andersartigen Gesellschaftsform wie zB. der des strengen Islam.
Im Gegenteil: Für viele von uns ist der Islam das Gefängnis, aus dem unsere Eltern entflohen sind, und in das wir garantiert nicht zurück wollen. Und außerdem fühlen wir uns sehr wohl in Deutschland – eine Aussage, die bei den Multikultis mit ihrem Fürsorgeblick regelmäßig zur Schockstarre führt: Kann man denn in Deutschland glücklich und zufrieden sein? Klar, man kann, wenn man weiß, wie es anderswo wirklich ausschaut und sich lebt, wenn man erst die Ghettos von Club Robinson und die Kuschelwärme der Back-Packer-Hostel verlässt. Und ehrlich: So schlimm ist das gar nicht mir der Anpasseritis; Assimilation tut nicht weh, sondern befreit, wenn man aus der gesellschaftlichen Enge der Auswandererländer kommt.
Die Reise nach Absurdistan
Soll jeder machen, wie er meint, aber einem anderen damit tunlichst nicht auf den Senkel gehen. Eigentlich selbstverständlich: Wer herkommt, ordnet sich in einer freien Mehrheitsgesellschaft und deren Werten ein. Nicht umgekehrt. Manche Einwanderer, die vor 30 Jahren hergekommen und geblieben sind, sich hier ein Leben, nicht selten mit etwas Wohlstand erarbeitet haben, sagen sich heute allerdings mit dem Blick auf dem Einscheren und Kuschen vor jeder noch so kleinen Minderheit: “Wir reisten damals nach Deutschland, heute sind wir in Absurdistan.”
Wir Kinder von Migranten sind dankbar für all die vielfältigen Möglichkeiten. Und wir verteidigen die Errungenschaften einer liberalen und offenen Gesellschaft mit einer größeren Vehemenz und Entschlossenheit als viele “Biodeutsche”. Denn wir wissen, was es bedeutet, in einer Welt mit wenigen oder keinen Chancen, ohne gute Bildung, unter den Bedingungen von Korruption und Unterdrückung zu leben. Davor sind unsere Eltern geflohen oder haben ihre alte Heimat verlassen und gegen eine neue Welt eingetauscht.
Für uns ist es eher bedrückend mit anschauen zu müssen, wie uns die Vergangenheit einholt: Wie uns wieder das Kopftuch über die Nase und wie ein Brett vor den Kopf gezogen werden soll; wie Leistungsbereitschaft bestraft und das karge Leben nach den Regeln von Hartz IV als erstrebenswert verstanden wird, wie der Klientelismus der Volksparteien das Land überzieht wie Mehltau und die Segnungen einer offenen, wahrhaft liberalen, weltoffenen Gesellschaft durch den grünen Mief der ökologischen Verbotswirtschaft erstickt wird.
Wir wollen ein anderes Deutschland. Das Alte.
Eines aber brauchen wir ganz bestimmt nicht: eure Sozialarbeiter, Minderheitenbeauftragten, Muslim-Nachbeter, Öko-Muftis und weinerlichen Ausländer-Versteher, die gut daran verdienen, indem sie behaupten, uns zu verstehen und zu vertreten, aber dabei eines ganz gewiss nicht begreifen: Dass wir ein ganz anderes Deutschland wollen.
Ein Deutschland, das diese weinerliche Gruppe von rotgrünen Ausländer-Geschäftemachern so unbedingt zerstören will.
Zugegeben, man sieht und hört wenig von uns. Weil wir mit dem Leben hier voll beschäftigt sind und nicht damit, unser Anderssein stets und ständig zu betonen und zur Show zu stellen. Wir leben aus eigener Kraft und nicht von den Subventionen der Ämter für multikulturelle Angelegenheiten und ähnlicher Selbstbedienungsläden für deutsche Sozialarbeiter und Jammerkinder mit Migrationshintergrund.
Und im übrigen finden wir Deutschland gut. Vielleicht sollten wir laut werden. Damit die Alt-Deutschen uns Neu-Deutschen dieses schöne Land nicht wieder wegnehmen und komplett verhunzen.
Sofia Taxidis ist Kommunikationswirtin und hat ihr Studium an der Westdeutschen Akademie für Kommunikation parallel zu ihrer Tätigkeit bei RTL in Köln abgeschlossen. Deutsch-griechisch im Ruhrgebiet aufgewachsen, hat sie ihre berufliche Laufbahn im Eventmanagement begonnen, wo sie zehn Jahre lang u.a. für Platten- oder Filmunternehmen Veranstaltungen konzipiert und durchgeführt hat. In Filmen und Serien sieht sie das Medium, in dem sich Zeitgeist manifestiert und vorweg genommen wird: experimentell, voller Widersprüche und widersprüchlich.
Zuerst erschienen hier auf Roland Tichys Blog Einblick.
Studie zum Linksextremismus
Der Extremismus des Mainstreams
Was sagt die Studie über den deutschen Linksextremismus eigentlich über die Geisteshaltung des Mainstreams aus?
Von Sebastian Müller
Im Zuge der Blockupy-Proteste brannte die Frankfurter Innenstadt. Kein Wunder, haben doch sage und schreibe 17 Prozent der Bundesbürger eine “linksextreme Grundhaltung”. Das zumindest besagt eine im Februar von der FU Berlin veröffentlichte Studie über Linksextremismus in Deutschland.
So vielbeachtet diese Studie in der Öffentlichkeit auch war, ihr Aussagewert kann dennoch nur begrenzt sein, weil er eine Frage der Perspektive ist. Das ist insofern der Fall, als dass (links)extremistische Einstellungen aus dem vermeintlich unbedenklichen Hort der Mitte, sprich aus der Perspektive eines politisch-medialen Konsensus des Mainstreams lokalisiert werden.
Wesentlich wertvoller ist da die Definition eines Nikolaus Kowall, weil er jüngst eine plausible und stringente Eingrenzung der Begrifflichkeiten linksextremistisch, linksradikal, sozialistisch, sozialdemokratisch links der Mitte lieferte.
Freilich interessiert solche Differenziertheit im medialen Etikettendschungel kaum. Just zu einem Zeitpunkt, wo allenthalben mit Radikalismen und Extremismen um sich geworfen werden und die wenigen politischen Akteure, die ein wirkliches Interesse an einem – durch den demokratischen Willensbildungsprozess theoretisch und normativ ermöglichten – politischen Pfadwechsel haben, einem Shitstorm der vermeintlich pluralistischen deutschen Leitmedien ausgesetzt sind (siehe Yanis Varoufakis), erscheint nun die besagte Studie.
Zu erwähnen sei in diesem Kontext, dass der Begriff des “Radikalismus” an vielen Stellen erst 1973 durch den Begriff des “Extremismus” ersetzt wurde, um politische Einstellungen und Bestrebungen der äußersten Ränder des politischen Spektrums zuzuordnen. Bis heute gibt es jedoch im allgemeinen Sprachgebrauch keine klare Abgrenzung zwischen “Radikalismus” und “Extremismus”. Umso befremdlicher ist es da, dass linke Parteien wie Podemos oder Syriza von den Medien als “linksradikal” bezeichnet werden, obwohl sie es nicht sind – schon gar nicht nach der Definition der Studie selbst.
Dass Parteien des sozialdemokratischen Spektrums als Linksradikal, also nah an der Grenze zur Verfassungsfeindlichkeit etikettiert werden, wirft natürlich ein entsprechendes Licht auf die Urheber solcher Stigmatisierungen – und den oben erwähnten Konsensus des Mainstreams selbst, der jeden Hauch einer politischen Alternative als “radikal” diskreditieren will. So ist das wirklich Interessante an der Studie auch vielmehr, dass die dort veranschlagten Kriterien ebenso dazu verwendet werden könnten, um einen Extremismus der Mitte zu diagnostizieren. Dann nämlich, wenn Alternativlosigkeit und antidemokratische Tendenzen als Definition des letzteren gelten.
“Zugespitzt wird die Mitte extremistisch, wenn sie etwas für alternativlos erklärt”
Damit wird nicht auf Pegida rekurriert, auch nicht auf den Islamismus oder den ohnehin gut beleuchteten Rechts- und Linksextremismus, der immer mehr in der Mitte Fuß fassen soll. Während die sogenannte Antifa mit Kanonen auf Spatzen schießt, entsteht der wirklich gefährliche Extremismus in Form eines wachsenden Totalitarismus. Er kommt nicht mit Pauken und Trompeten, sondern er entwickelt sich schleichend. Und er wird selten zur Kenntnis genommen, weil Extremismus ausschließlich mit Totalitären Bewegungen wie dem Stalinismus oder Nationalsozialismus in Verbindung gebracht wird.
“Solche historisch munitionierte Gegenwartsblindheit erwartet Unheil offenbar nur dann, wenn es in Uniform auftritt.” – Harald Welzer
Darin scheint, wie Harald Welzer es treffend sagte, “die ganze Dialektik der Freiheits- und Demokratiebedrohungen auf, wie sie aus dem staatlich-informationsindustriellen Komplex resultieren.” Statt über die Potentiale eines modernen, in ganz neutral-technoidem und/oder ökonomistisch-technokratischem Gewand erscheinenden Totalitarismus besorgt zu sein, verlässt man sich auf “die rituelle Macht des nachholenden Widerstands.” Das heißt, “um nicht gegen das sein zu müssen, was heute Freiheit und Demokratie bedroht, tritt man öffentlich gegen das auf, was vor einem dreiviertel Jahrhundert geschehen war.”
Aus dem Blick gerät so ein Extremismus der ökonomischen, politischen und medialen Eliten, jene Träger der staatlichen Ordnung also, die auch die Definitionshoheit über den Begriff der Mitte haben. Überhaupt ist es auffällig, wie sehr es alle etablierten politischen Parteien zur “Mitte” drängt. So sehr “die Mitte” zum Chiffre für politische Unbedenklichkeit mutiert ist, wird die “Insel der Mitte” quantitativ zwar immer voller – und damit zum Mainstream, inhaltlich aber immer begrenzter. Denn was vor 40 Jahren noch als Mitte galt, mag heute schon “links”, wenn nicht “linksradikal” sein.
So ist es bezeichnend, wenn die Studie die Ablehnung eines nicht im Grundgesetz verankerten Wirtschaftssystems schon als ein mögliches Merkmal linken Extremismus deutet. Damit lässt sie sich hervorragend für die Legitimierung eines Status Quo instrumentalisieren, der nur noch graduelle Richtungswechsel zulässt und somit in seinem Kern selbst Merkmale des Extremen trägt.
Letztendlich ist die blasphemische Frage naheliegend, ob diejenigen, die eine fundamentale Kritik an einem entfesselten Markt üben, ein Einstellungsmuster des Extremismus erfüllen, oder jene, die einen solchen Markt mit allen Mitteln verteidigen wollen? Hat jenes Drittel extremistisches Potential, dass den Kapitalismus mit Armut und Hunger assoziiert, oder jene, die gar solche Verwerfungen als eine funktionelle Notwendigkeit des Systems betrachten?
Was sagt es eigentlich umgekehrt über die politische Ordnung aus, wenn in der Umfrage mehr als 60 Prozent der Befragten die Demokratie nicht für eine echte halten, da die Wirtschaft und nicht die Wähler das Sagen hätten? Wenn 27 Prozent, – das sind mehr als es derzeit SPD-Wähler gibt -, der Studie zufolge befürchten, dass Deutschland durch eine zunehmende Überwachung von Bürgern auf dem Weg in eine neue Diktatur sei?
Ist das alles wirklich nur verschwörungstheoretisch angesichts der Tatsache, dass Angela Merkel und ihr Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel ein transatlantischen Freihandelsabkommen namens TTIP vorantreiben, das Konzerne der staatlichen Rechtssprechung entziehen soll? Auch der Umgang mit dem NSA-Skandal oder den Whistleblowern Assange und Snowden, die Aushöhlung des Datenschutzes, Vorratsdatenspeicherung und die quasi nicht mehr existente Privatsphäre der Bürger sprechen nicht gerade für einen Ausbau, sondern eher für einen Abbau des Rechtsstaates.
Indem wie gesehen, zum Teil willkürlich festgeschrieben wird, was radikal oder extremistisch ist, kontrolliert die vermeintliche Mitte die Grenzen des politischen Denkens. In dieser begrenzten Welt werden schon Politiker „links“ genannt, die einer neoliberalen Sparpolitik das Wort reden. Wer die Sozialdemokratie noch als solche versteht, ist da bereits ein radikaler. Eine politische Kultur, die solch Etikettenschwindel betreibt, um sich sämtlicher Alternativen zu entledigen, macht sich selbst des Totalitarismus verdächtig. Doch wer zeigt sich schon gerne selbst an.
Klaus Schroeder, Mitautor der Studie, sagte in einem Zeit-Interview, dass zugespitzt die Mitte dann extremistisch werden würde, wenn sie etwas für alternativlos erklärt. Ahnend, welche Assoziationen dieser Satz auslösen könnte, schob er nach, er wolle Angela Merkel keinen Extremismus unterstellen. Doch in einer offenen Gesellschaft gäbe es immer Alternativen, die diskutiert werden müssten.
http://le-bohemien.net/2015/03/27/wenn-der-mainstream-zum-extremismus-wird/
Wie links war die NSDAP?
Götz Aly, 07. Februar 2012,Frankfurter Rundschau
Vergangene Woche twitterte Deutschlands Obervertriebene Erika Steinbach (CDU) in dieser Schreibweise: „Die NAZIS waren eine linke Partei. Vergessen? NationalSOZIALISTISCHE deutsche ARBEITERPARTEI.“ Heinrich-August Winkler konterte: „Die NSDAP war die rechteste Partei, die es je gegeben hat.“ Das Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung sekundierte, die NSDAP pflegte nicht „internationalistischen“, sondern „deutschen Sozialismus“, der auf „Exklusion, Verfolgung und Vernichtung“ ausgerichtet war. Gerade so, als hätte der sozialistische Internationalismus weder in der Sowjetunion noch in China, Jugoslawien oder Kambodscha jemals zu „Exklusion, Verfolgung und Vernichtung“ geführt.
Wer den „Befreiungskampf des palästinensischen Volkes“ gerecht und links findet, wird in der Nazi-Welt Geistesverwandte treffen. Wer den deutschen Mieter- und Kündigungsschutz, das Kindergeld, die Krankenversicherung für Rentner oder den Naturschutz für fortschrittlich hält, sollte bedenken, dass die Gesetze 1937, 1934, 1937, 1941 und 1938 erlassen oder in ihrer Schutzfunktion erheblich gestärkt wurden.
Nicht wenige Deutsche identifizieren Rechts mit Böse und Links mit Gut. Ihrem geschichtlichen Durchblick hilft das nicht. So belegen zum Beispiel neu entdeckte Foto- und Filmaufnahmen, dass Hitler am 26. Februar 1919 im Trauerzug für den von einem Rechtsradikalen ermordeten bayerischen (zudem jüdischen) Ministerpräsidenten Kurt Eisner mitlief. In den dramatischen Wochen der Münchener Räterepublik war Hitler von der Revolutionsregierung als Wache in den Hauptbahnhof entsandt worden. Seine Kameraden wählten ihn zum stellvertretenden Soldatenrat ihres in die Revolutionsarmee eingegliederten Regiments.
Im Mai 1919, nach der Niederlage der Räterepublik, beobachte Ernst Bloch, was dann geschah: „Dieselben Menschen, welche bei Eisners Begräbnis in zahllosen Trauerzügen die Straßen geschwärzt hatten, brüllten den Sozialisten nach dem Hosiannah das Kreuzige, hetzten die Führer von gestern in den Tod. Von heute auf morgen wechselten die Fahnenschäfte den Sowjetstern mit dem Hakenkreuz.“ Bloch sah „auch organisiertes Proletariat“ am Werk, nicht allein verelendete Kleinbürger, sondern „die rachsüchtige, kreuzigende Kreatur aller Zeiten“. Karl Kautsky beurteilte die Lage ähnlich, ebenso der leider vergessene linke SPDler Curt Geyer. Er berichtete über die revolutionären Mansfelder Bergarbeiter: Sie wurden „bald zu einer der radikalsten Gruppen in der deutschen Arbeiterschaft“, schritten im März 1921 zum bewaffneten Aufstand und folgten dann „unmittelbar nach ihrem radikalsten Unternehmen in Massen deutschnationalen Organisationen“.
Einer unserer besten Historiker, Friedrich Meinecke, schrieb 1946: „Die große in der Luft liegende Idee, die Verschmelzung der nationalen und der sozialistischen Bewegung, fand in Hitler ohne Frage ihren brünstigsten Verkünder und den entschlossensten Exekutor.“ Der nationale und der soziale Egalitarismus hatten sich zum Killervirus verschmolzen. Hannah Arendt analysierte die Übergänge in ihrem Totalitarismus-Buch. Wir Heutigen konnten sie nach 1989 überall im ehemaligen Ostblock beobachten. Das Gezeter um Erika Steinbach lenkt ab. Denktabus verstellen den Blick.
Götz Aly ist Historiker.
http://www.fr-online.de/meinung/kolumne-zur-steinbach-debatte-wie-links-war-die-nsdap-,1472602,11584232.html
Wie die Nazis ihr Volk kauften
Götz Aly,
Warum standen so viele Deutsche treu zu Hitler? Weil sie von seinen mörderischen Raubzügen profitierten. Diese These des Historikers Götz Aly hat eine heftige Debatte entfacht. Hier antwortet Aly seinen Kritikern.
In den 1980er Jahren arbeitete Wolfgang Mattheuer an seiner Plastik Sie zeigt das Ebenbild des einfachen, nach besseren Lebensbedingungen strebenden Deutschen: kaum Rumpf, kaum Hirn, nur eine weit ausholende Bewegung. Nackt der Fuß des rechten, weit vorgestreckten Beins. Es gehört einem Menschen, der sich Schuhe nicht leisten kann, und ist scharf zum Hakenkreuzstummel abgewinkelt. Der Fuß des linken, in Knie und Ferse ebenfalls überstark geknickten Standbeins steckt im gewichsten Soldatenstiefel. Der rechte Arm weist nach oben, die Hand zur Kommunistenfaust geballt.
Seinen winzigen, noch ungebildeten, doch für Beglückungsideologien jeder Art zugänglichen Kopf trägt der Jahrhundertschrittler tief in den Uniformkragen gezogen, so, als wolle er nicht gesehen werden. Die eigenen Taten und Absichten sind ihm offenkundig nicht geheuer. Er zeigt sich entschlossen und ängstlich zugleich, tatendurstig, scheinbar zielbewusst und dennoch desorientiert. Es erscheint ungewiss, ob er, dessen linker, zum Hitlergruß gereckter Arm ins Nichts weist, die Spannung hält, den beabsichtigten Riesenschritt schafft oder nicht doch im nächsten Moment in sich zusammensackt, den Zusammenbruch erleidet und die Gründe dafür rasch vergisst.
In der wenig sympathischen Fortschrittsgestalt erkannte Mattheuer den Archetyp des deutschen Volksgenossen im 20. Jahrhundert. Dieser Ahnherr unserer Gegenwart bildet den Mittelpunkt meines Buches Hitlers Volksstaat, das davon handelt, in welchem – lange gut verdrängten – Ausmaß sich die NS-Führer als Sachwalter der kleinen Leute verstanden. Der Perspektivwechsel von der Elitenverantwortung zum Nutznießertum des Volkes hat erwartungsgemäß nicht nur Zustimmung gefunden, nach dem britischen Wirtschaftshistoriker J. Adam Tooze in der taz (12./13., 15., 16. März) hat zuletzt der prominente Bielefelder Historiker Hans-Ulrich Wehler im Spiegel (14/05) energisch widersprochen.
Das Unbehagen an meiner These mag damit zusammenhängen, dass ich in der Struktur der nationalsozialistischen Steuer- und Sozialpolitik ein linkssozialdemokratisches Grundmuster erkenne. Das unterschied den Zweiten Weltkrieg vom Ersten. Mit Hilfe der populären Nichtbelastung der deutschen Arbeiter und Bauern, der kleinen Handwerker, Angestellten und Beamten und der deutlichen und weithin sichtbaren Belastung der Besserverdienenden konnten sich die Stimmungspolitiker der NS-Zeit das hohe Maß an innerer Integration jeden Tag neu erkaufen. Während beispielsweise die Unternehmen massiv besteuert wurden und die Körperschaftsteuer von 20 Prozent im Jahr 1933 auf 40 Prozent (1940) und schließlich auf 55 Prozent stieg, hatten die deutschen Durchschnittsverdiener zwischen 1939 und 1945 keinerlei direkte Kriegssteuern zu bezahlen. Neben der ausgesprochen volkstümlichen klassenbewussten Verteilung der Kriegslasten beschaffte sich Nazideutschland einen wesentlichen Teil der materiellen Ressourcen auf der Basis von Erobern und Vernichten.
Gestützt auf glänzend ausgebildete Experten, transformierte die Regierung Hitler den Staat im Großen in eine Raubmaschinerie ohnegleichen. Im Kleinen verwandelte sie die Masse der Deutschen in eine gedankenlose, mit sich selbst beschäftigte Horde von Vorteilsnehmern und Bestochenen. Diese Politik des gemeinnützigen Ausraubens fremder Länder, so genannter minderwertiger Rassen und Zwangsarbeiter, bildet den empirischen Kern meiner Studie über Hitlers Volksstaat.
Dabei geht es nicht um das Verschieben der Schuld von einer sozialen Klasse auf die andere. Auch ist es nicht das Ziel des Buches, die abgestandene These von der Kollektivschuld neu zu beleben, wie einige Rezensenten befürchten. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie das NS-Regime sich trotz seiner – aus heutiger Sicht – offensichtlich halsbrecherischen und selbstzerstörerischen Politik so lange halten konnte. Das Ergebnis ist bedrückend, aber es führt zu einem missing link, das die politische Dynamik der Nazizeit meines Erachtens besser erklärt als die bisherigen Versuche: Eben weil fast alle Deutschen – die vielen Millionen Nicht- und Antinazis eingeschlossen – von den Raubzügen profitierten, zu Nutznießern beispielloser Verbrechen wurden, entwickelte sich nur marginaler Widerstand.
Göring sprach zum „Herzen und zum Magen“ der Deutschen
Als im Sommer 1942 die auskömmliche Ernährung der deutschen Bevölkerung ernsthaft gefährdet war, verlangte Göring von den für die besetzten Länder Europas verantwortlichen, wegen des Partisanenkrieges zum Teil zögerlichen Kommissaren und Militärbefehlshabern die drastische Erhöhung der Lebensmittelexporte in das Reich: „Es ist mir dabei gleichgültig, ob Sie sagen, daß Ihre Leute wegen Hungers umfallen. Mögen sie das tun, solange nur ein Deutscher nicht wegen Hungers umfällt.“ Die deutsche Besatzungsregierung in Polen fasste daraufhin den Beschluss, die Ermordung der Juden massiv zu beschleunigen: „Die Versorgung der bisher mit 1,5 Millionen Juden angenommenen Bevölkerungsmenge fällt weg, und zwar bis zu einer angenommenen Menge von 300000 Juden, die noch im deutschen Interesse als Handwerker oder sonst wie arbeiten. Die anderen Juden, insgesamt 1,2 Millionen, werden nicht mehr mit Lebensmitteln versorgt.“ Bereits vier Monate später waren mehr als eine Million polnischer Juden ermordet. In seiner am 4. Oktober 1942 gehaltenen, im ganzen Reich ausgestrahlten „Erntedank-Rede“ versprach Göring „Sonderzuteilungen“ zu Weihnachten und verkündete: „Von heute ab wird es dauernd besser werden; denn die Gebiete fruchtbarster Erde besitzen wir. Eier, Butter, Mehl, das gibt es dort in einem Ausmaß, wie Sie es sich nicht vorstellen können.“ Er habe „zum Herzen und zum Magen gesprochen“, kommentierten die Volksgenossinnen an der Heimatfront. Genauso verbanden sich Volkswohl und Verbrechen in zahlreichen, bisher kaum diskutierten Hitler-Entscheidungen.
Solche Befunde kritisiert Hans-Ulrich Wehler als „engstirnigen Materialismus“ und erhebt den Vorwurf, mein Buch vernachlässige den „radikalisierten Antisemitismus“. Nun ist der Antisemitismus nicht Thema meines Buches, vielmehr handelt es, wie der Untertitel ankündigt, von dem Beziehungsdreieck Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus. Es geht mir um die Frage, warum sich die Deutschen immer wieder neu für die Nazipolitik mobilisieren ließen, obwohl sie in ihrer übergroßen Mehrheit keine aktiven Antisemiten waren, wie auch Wehler in seiner Deutschen Gesellschaftsgeschichte zutreffend feststellt.
Wenn also die Integrationskraft des Nationalsozialismus nicht auf der radikalisierten antisemitischen Ideologie basierte, worauf gründete sie sich dann? Wer sich für eine Antwort interessiert, sollte sich auch in der Analyse der nationalsozialistischen Judenpolitik den politischen Faktoren zuwenden, die Wehler auf jenen immerhin 300 Seiten seiner Gesellschaftsgeschichte, die von der NS-Zeit handeln, auslässt, weil er – gegen alle von ihm sonst mit Erfolg genutzten sozialhistorischen Erkenntnismöglichkeiten – die „charismatische Herrschaft“ Hitlers zur wichtigsten Triebkraft erklärt.
Wehler will nichts davon wissen, dass die staatlichen Zusatzeinnahmen aus der Arisierung im Haushaltsjahr 1938/39 knapp zehn Prozent der laufenden Reichseinnahmen betrugen. Da er sich in seiner Gesellschaftsgeschichte lieber auf den gewiss kritikwürdigen Arisierungsvorteil der Deutschen Bank kapriziert, entgeht ihm, dass sich der deutsche Geldmarkt 1938 nicht mehr bereitfand, die ständig wachsende Flut der staatlichen Schuldverschreibungen aufzunehmen. Die Börsen misstrauten Hitler. Eben deshalb wurden vom Sommer 1938 an mehrere Milliarden Reichsmark aus den Vermögenswerten deutscher Juden in Zwangsanleihen umgewandelt. Nachdem die Juden zunächst zur Auswanderung getrieben und die noch verbliebenen später deportiert worden waren, verfügte der Reichsfinanzminister 1942, die ihnen zuvor aufgezwungenen Schuldtitel der öffentlichen Hand seien „ohne Angabe des Namens“ aus dem Schuldbuch des Reiches zu streichen, und schuf so Platz für neue Kriegsschulden. Wer sich auf Wehlers Gesamtdarstellung verlässt, erfährt kein Wort darüber, dass ausgerechnet im November 1938 – als den Juden wenige Tage nach dem Pogrom die „Bußzahlung“ von einer Milliarde Reichsmark (heute etwa zehn Milliarden Euro) abgepresst wurde – nach der Mitteilung des Finanzministeriums die Zahlungsunfähigkeit des Reiches „unmittelbar bevorstand“.
Dass es für eine solche Politik auch der Propaganda bedurfte, die die Juden als Parasiten, Verräter und Untermenschen brandmarkte, ist banal. Aber es erscheint doch erstaunlich, wenn ausgerechnet ein deutscher Historiker wie Wehler den systematischen Raub des Eigentums der europäischen Juden als „sekundäre Folge“, als „schauerliche Geschichte“ abtut und empirisch ertragreiche Forschungen dazu in merkwürdiger Ignoranz als „Hyperrealismus“ und als „anachronistischen Vulgärmaterialismus“ zurückweist. Zwischendrin erklärt Wehler, ich hätte Dinge herausgefunden, die „bisher noch kein Historiker gewagt und geschafft“ habe, um dann gleich wieder zu erklären, das meiste sei altbekannt. Aber warum haben sich so wenige an die systematische Ausplünderung Europas und an die materiellen Seiten der Judenverfolgung „gewagt“? Eben weil einflussreiche Leute wie Wehler solche Arbeiten lange für irrelevant erklärt und entsprechende Arbeiten nicht gefördert haben.
Was war Hitler – charismatischer Führer oder Gefälligkeitsdiktator?
Das Buch Hitlers Volksstaat versteht sich nicht als Gesamterklärung der NS-Zeit. Das wird an keiner Stelle behauptet. Doch zeigt es die Techniken, mit denen die NS-Führung ihre Macht im Inneren immer wieder stabilisierte. So breitete sich im Herbst 1940, nach dem Sieg über Frankreich, für einige Wochen eine merkwürdige Spannung in Deutschland aus, weil unklar war, wie die zur Systemerhaltung zwingend erforderliche kriegerische Expansion fortgeführt werden sollte. Das Regime vertraute aber nicht auf Propaganda, vielmehr beschenkte die NS-Regierung die deutschen Arbeiter mit einer deutlichen Lohnerhöhung in Gestalt der damals eingeführten und bis heute gültigen Steuer- und Sozialabgabenfreiheit für die Zuschläge auf Feiertags- und Nachtarbeit. Als die deutschen Armeen im Herbst 1941 vor Moskau scheiterten und die Alten in Deutschland in düsteren Worten an ihre Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg erinnerten, verfügte Hitler eine Rentenerhöhung von 15 Prozent und führte die Krankenversicherung für Rentner ein, die sich bis dahin im Krankheitsfall mehrheitlich an die Sozialfürsorge hatten wenden müssen.
Schließlich wurde um Weihnachten 1942 absehbar, dass die Feierlichkeiten zum zehnten Jahrestag der so genannten Machtergreifung mit der endgültigen Niederlage bei Stalingrad zusammenfallen würden. Hitler dachte angesichts dieser unvorteilhaften Lage keinesfalls an eine rassenideologische Großrede, sondern meinte kleinlaut zu Bormann: „Das Wirkungsvollste wäre, wenn wir dem deutschen Volk an diesem Tag erneut eine Erhöhung seiner Lebensmittelrationen und sonstigen Zuteilungen mitteilen könnten.“ Bezeichnend erscheint auch, wie Goebbels in seinem Tagebuch reagierte, als Italien im Sommer 1943 die Seite wechselte: „Noch sozialistischer als früher haben wir uns an das Volk anzuschließen. Das Volk muß auch immer wissen, daß wir seine gerechten und großzügigen Sachwalter sind.“
Die Beispiele für solche sozialtaktischen Entscheidungen der Gefälligkeitsdiktatur sind Legion. Doch Wehler scheint entschlossen, an der von ihm behaupteten zentralen Bedeutung des Führerkults festzuhalten. Er tut sich schwer damit, politische Dynamiken adäquat zu analysieren. Aber die Historiografie einer Zeit, in der sich unvergleichlich starke Energien entluden und die durch ein extrem hohes geschichtliches Tempo gekennzeichnet ist, kann nicht so betrieben werden, als handle es sich um ein Wachsfigurenkabinett oder um das Anordnen von Zinnsoldaten. Alle Beteiligten handelten fortgesetzt und reagierten fortgesetzt aufeinander. Deshalb ist es für die innere Stabilität 1942 wenig interessant, wie die Deutschen zehn Jahre zuvor wählten. Die von Wehler behauptete konstante, allein ideologisch fundierte „freiwillige Loyalität“ findet sich in den Quellen nicht, aber das Gegenstück bildet selbstverständlich auch nicht die terroristisch erzwungene Loyalität. Vielmehr musste die NS-Führung im permanenten Kampf um die öffentliche Stimmung, unter ständigem Schielen auf das innenpolitische Politbarometer die allgemeine Unterstützung immer wieder neu erringen.
Aus demselben Grund sind auch die Einwendungen unerheblich, die der britische Wirtschaftshistoriker J. Adam Tooze erhoben hat. In der mit ihm geführten, eher marginalen Auseinandersetzung geht es um die Frage der deutschen Kriegsschulden. Ich sage, die laufenden Einnahmen für den außerordentlichen Kriegshaushalt des Reiches seien zu zwei Dritteln aus den Kontributionen der eroberten Länder, den konfiszierten Löhnen der Zwangsarbeiter und dem Eigentum der europäischen Juden bezahlt worden. Demgegenüber insistiert Tooze auf den (nach der Niederlage) faktischen Kriegsausgaben, die zu rund 50 Prozent auf Kreditbasis finanziert wurden. Dadurch wird der deutsche Anteil natürlich deutlich höher. Was die Zahlen betrifft, besteht zwischen uns keine nennenswerte Differenz, ich halte aber die Einbeziehung der Reichsschuld für falsch, wenn man die Erfolge des Stimmungspolitikers Hitler analysiert. Damals wie heute interessieren sich die Leute für die Staatsschulden nur am Rande, aber sie schreien auf, wenn ihnen plötzlich die Steuern um 10 oder gar um 50 Prozent erhöht werden. Darauf kommt es in meiner Analyse an. Sie handelt vom spekulativen Zusammenspiel zwischen Volk und Führung und nicht von den nach der Niederlage fälligen Kriegskosten.
Gegen Tooze lässt sich im Übrigen gut mit Wehler argumentieren. In seiner Gesellschaftsgeschichte steht: Die deutsche Politik sei seit 1939 „ohne jede verantwortungsbewusste Kalkulation auf die fixe Idee fixiert“ gewesen, „später die Lasten auf die besiegten Staaten abwälzen zu können“. Genau deshalb spreche ich von den Reichsschulden unter der Kapitelüberschrift Virtuelle Kriegsschulden, schließlich erklärte die Staatsführung ihrem Volk immer wieder: Die Kriegskredite seien durch das „gewaltige Sachvermögen“ gedeckt, das in Osteuropa erobert worden sei.
Gefreut hat mich der Vorwurf, den Wehler gegen mein Gesamtwerk erhebt. Alys „Interpretation des Massenmords schwankt freilich“, meint er im Hinblick auf andere von mir (mit)verfasste Bücher. Das heißt aber nur: Wir arbeiten eben nach verschiedenen Prinzipien. Während Wehler meint, über eine „erklärungskräftige Interpretation“ zu verfügen, bevorzuge ich den Perspektivwechsel, arbeite an einem Zyklus und lasse mich, auch das ein erheblicher Unterschied, gerne von Quellen im Archiv überraschen. Mal gilt es, die Vordenker der Vernichtung zu betrachten, dann das Schicksal eines ermordeten jüdischen Mädchens, die Politik der ethnischen Säuberung, die Deportation der ungarischen Juden oder nun die Gefälligkeitsdiktatur. Aus allem zusammen ergibt sich ein multiperspektivisches Bild. Es ist verwirrend und nicht so plakativ wie die begrifflich eindimensionalen Produktionen, die andere bevorzugen. In dieses vielschichtige Bild gehören auch die analytischen Einsichten vieler anderer, gewiss auch der „charismatische Führer“, aber deutlich kleiner und nicht alles andere überblendend, wie Hans-Ulrich Wehler sich das vorstellt.
Götz Alys Buch „Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus“, erschienen im März bei S. Fischer, liegt in der vierten Auflage vor und wird in fünf Sprachen übersetzt. Der Autor, 1947 in Heidelberg geboren, ist derzeit Gastprofessor am Fritz-Bauer-Institut der Universität Frankfurt am Main
http://www.zeit.de/2005/15/Erwiderung_Wehler/komplettansicht
Frieden ist zweifellos ein wünschenswerter Zustand. Aber gilt das auch für die Friedfertigkeit?

Illustration: Benjamin Güdel
Ich war einmal an einer Friedensdemonstration, und dabei fiel mir auf, dass die Leute eigentlich gar nicht für den Frieden demonstrierten, sondern gegen die eigene Regierung. Diese Regierung erwog, in den Krieg einzugreifen, den ein Diktator vom Zaun gebrochen hatte. Dieser Diktator pflegte jeweils seine Minister zu erschiessen, wenn diese während einer Sitzung auf die Uhr zu schauen wagten.
Mit seinem Volk ging er nicht viel besser um und schon gar nicht mit jenen, deren Land er überfallen hatte. Er war, um es freundlich auszudrücken, ein absolut unfriedlicher Mensch. Aber auf den Transparenten der Demonstranten kam sein Name nicht vor. Dort stand nur der des eigenen Regierungspräsidenten, der als Kriegstreiber bezeichnet wurde. Die Demonstranten setzten sich für ihre Überzeugung so vehement ein, dass ich dachte: «Mann, wenn die schon so sind, wenn’s um den Frieden geht, wie sind sie dann erst, wenn sie mal Krieg machen?» Es war recht interessant, die auf die Demonstration folgende Strassenschlacht mit der Polizei aus sicherer Entfernung zu verfolgen. Dabei fragte ich mich, wo genau das Problem lag. Und ich kam zum Schluss, dass das Problem die Friedfertigkeit war beziehungsweise dass Friedfertigkeit eine problematische Haltung ist.
Frieden ist zweifellos ein wünschenswerter Zustand. Aber gilt das auch für die Friedfertigkeit? Das scheint eine dumme Frage zu sein. Denn die begriffliche Verknüpfung von Frieden und Friedfertigkeit führt schnell zur Überzeugung, dass es ohne Friedfertigkeit keinen Frieden geben kann. Aber stimmt das? Wir wollen jetzt die Friedfertigkeit mal auf den Seziertisch legen. Ich möchte nämlich beweisen, dass sie den Wert eines Latte macchiato besitzt (siehe Schluss).
Da die Friedfertigkeit unantastbar ist – denn wer ausser Taubenvergiftern und Motorradbanden könnte etwas gegen sie haben? –, muss man sie, um an sie heranzukommen, erst mal vom Begriff «Frieden» entkoppeln. Die Friedfertigkeit lebt nämlich vom guten Ruf des Friedens, hat aber mit ihm nicht das Geringste zu tun. Auf den ersten Blick sieht es zwar so aus, als sei Friedfertigkeit die Weigerung, Konflikte mit Gewalt zu lösen. In der Theorie mag das so sein. Aber in der Praxis ist Friedfertigkeit fast immer die Weigerung, einen Konflikt überhaupt als solchen zu akzeptieren. Die Logik ist: Würde die eigene Seite sich human und friedfertig verhalten, gäbe es den Konflikt gar nicht. Als Ursache einer Krise kommt also immer nur die eigene Seite in Frage. Auf diese Weise wird die Mitverantwortung der anderen Seite am Konflikt aus der Welt geräumt. In der Logik der Friedfertigkeit ist die andere Seite immer unschuldig oder zumindest schwach und hilflos oder sogar im Recht, so dass ein geplanter Militäreinsatz der eigenen Seite noch viel ungerechter und verdammungswürdiger erscheint, als es militärische Eingriffe im Denken der Friedfertigen ohnehin schon sind.
Durch diese Simplifizierung von Konfliktursachen und die Eindimensionalität des eigenen Blicks entsteht die Überzeugung von der schreienden Unrechtmässigkeit eines Kriegseinsatzes. Diese Überzeugung ist echt. Das erklärt die Vehemenz, mit der die Friedfertigen solche Einsätze ablehnen. Ihr Hass auf die eigene Seite ist nicht gespielt und keine Koketterie mit der Rebellion. Sie glauben wirklich, dass die eigene Seite verbrecherisch handelt, oder besser gesagt: Sie müssen es glauben. Denn ihre Friedfertigkeit erlaubt es ihnen nicht, auch die andere Seite zu kritisieren. Wer genauso lautstark gegen die Politik eines anderen Staates protestiert wie gegen die des eigenen, könnte schwerlich noch als friedfertig bezeichnet werden – es hätte den Ruch der Kriegstreiberei, des Neokolonialismus. Man wäre dann so verkommen wie die eigene kriegslüsterne Regierung. Wo kämen wir denn da hin! Eine Kritik des Verhaltens der anderen Seite widerspricht der Logik der Friedfertigkeit und wird folglich selbst dann nicht geäussert, wenn die Spatzen die Mitschuld der anderen Seite von den Dächern pfeifen.
Die Kritik der Friedfertigen kann also immer nur gegen innen gerichtet sein, gegen die kriegerischen Tendenzen der eigenen Seite. Die andere Seite muss zwangsläufig geschont werden, andernfalls bricht das Kartenhaus zusammen. Das ist die Falle, in die Friedfertigkeit führt. Denn weil die andere Seite nicht kritisiert werden darf, kann man sie auch nicht so sehen, wie sie wirklich ist. Fehler der anderen Seite müssen schöngeredet oder heruntergespielt werden. Wenn das nicht gelingt, übertreibt man die Fehler der eigenen Seite und unterstellt ihr grenzenlose Niedertracht so lange, bis auf der eigenen Seite das reine Böse herrscht, vor dem nicht nur die andere Konfliktpartei, sondern die ganze Welt geschützt werden muss. Uff!
Die Rettung der ganzen Welt ist für die Friedfertigen natürlich sehr anstrengend und frustrierend, vor allem, wenn auch noch die historischen Erfahrungen umgedeutet werden müssen, damit sie zur eigenen Haltung passen. Besonders schwierig ist die Umdeutung im Fall des grossen siebzigjährigen europäischen Friedens, der leider ganz offensichtlich den Nuklearwaffen und einer verbesserten zwischenstaatlichen Kommunikation zu verdanken ist – aber keineswegs der Friedfertigkeit. Auch kann man nicht behaupten, dass Nazideutschland durch Friedfertigkeit besiegt worden ist.
Friedfertigkeit ist auch nicht das, wovor sich die Kämpfer des Islamischen Staates am meisten fürchten. Es gibt in der Geschichte überhaupt keinen Beleg dafür, dass Friedfertigkeit jemals einen Krieg verhindert oder einen Frieden herbeigeführt oder ihn erhalten hätte. Friedfertigkeit ist völlig nutzlos. Aber die gute Nachricht ist: Wenn sie privat bleibt, kann sie ein schönes Gefühl sein. Dann ist sie etwas Ähnliches wie ein Latte macchiato, den man an einem sonnigen Sommertag in einem schattigen Café geniesst. Als privates Vergnügen vermittelt sie ein Wohlgefühl und sorgt für gute Laune, und wer gut gelaunt ist, ist ein angenehmerer Mitmensch. Ich finde, das reicht schon.
Der Schweizer Autor Linus Reichlin schreibt für die Weltwoche in loser Folge über «Grundbegriffe des Lebens» wie Ehre, Treue, Liebe et cetera. Reichlin wurde für seine Reportagen, Kolumnen und Bücher mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet. Zuletzt erschien der Roman «In einem anderen Leben» (Galiani-Verlag). Reichlin, Jahrgang 1957, lebt in Berlin.
Remember: Do X! Don´t do Y!
Protect innocent, respect life, defend art, preserve creativity!
http://www.jsbielicki.com/jsb-79.htm
Psychoanalytische Arbeitsstation
DJ Psycho Diver Sant – too small to fail
Tonttu Korvatunturilta Kuunsilta JSB
Tip tap tip tap tipetipe tip tap heija!
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They are on the run, we are on the march!
Be patient, work hard, follow your passions, take chances and don’t be afraid to fail.
Dummheit ist, wenn jemand nicht weiß, was er wissen könnte.
Dummheit äußert sich heute als empörter Moralismus.
Liebe: nur bestenfalls eine Mutter akzeptiert ihr Kind, so wie es ist, ansonsten muß man Erwartungen anderer erfüllen, um akzeptiert zu werden.
Früher galt als mutig, wer ein Revolutionär war, heute reicht es schon, wenn einer seine Meinung behält.
“Jeder fünfte Bewohner des Westjordanlandes ist ein israelischer Siedler”, greint die Generaldelegation Palästinas heute auf ihrer Homepage.
Und jeder fünfte Bewohner Israels ist ein palästinensischer Araber.
So what?
Werte ohne Einfühlungsvermögen sind nichts wert.
„Sagen Sie meiner Mutter nicht, daß ich in der Werbung arbeite. Sie denkt, ich bin Pianist in einem Bordell.“ – Jacques Seguela
BILD: FAZ für Hauptschüler
Nonkonformistische Attitüde und affirmative Inhalte – einer Kombination, die schon immer die linksdeutsche Ideologie gekennzeichnet hat. – Stephan Grigat
Es sind dieselben, die behaupten, das Geschlecht wäre nicht biologisch angeboren, sondern nur ein soziales Konstrukt, und zugleich daß die Homosexualität kein soziales Konstrukt wäre, sondern biologisch angeboren.
Antisemitismus ist, wenn man Juden, Israel übelnimmt, was man anderen nicht übelnimmt.
„Es gibt zwei Dinge“, so wußte Hitler schon 1923, „die die Menschen vereinigen können: gemeinsame Ideale und gemeinsame Kriminalität“ .
Nach der gewaltsamen Beendigung des Mordens durch die Alliierten waren die Deutschen (und sind es bis heute geblieben) noch deutscher als zuvor.
„Der Staat sind wir“: Dies Credo der Sozialdemokratie Ferdinand Lassalles war die Wahrheit der Volksgemeinschaft, und der Nazismus war die vermittlungslose Basisdemokratie der Deutschen.
Die Demokratie der Bürger ist die interessierte Demutsadresse an den autoritären Staat.
„Die deutsche Nation ist das Apriori dieser seltsamen Wissenschaft, die
vorgibt, nichts zu kennen als Quellen, Quellen und nochmals Quellen, nichts als das
lautere Plätschern der Tatsachen und das ungetrübte Sprudeln der Empirie. Die
Quelle aber ist der Historie, was der Jurisprudenz das Indiz: Spielmaterial, bloße
Illustration des Systemzwangs zum Rechtsfrieden, d.h. empirische Legitimation der
vorab existenten letzten Instanz, an der jede Berufung aufhört und jede Revision
endet. Egal, wer Recht hat, solange nur Recht ist; was immer die Quellen sagen,
ein Beweis gegen die Nation wird sich daraus nie und nimmer folgern lassen.“ (…)
„Historische Wahrheit wird nach dem Modell von Meinungsumfragen vorgestellt;
kein Sample jedoch wird je repräsentativ genug sein,
um der deutschen Nation als solcher die Taten der Nazis zuzurechnen.
Die juristische Methode dieser seltsamen Wissenschaft, die sich die Behandlung der
Geschichte anmaßt, weiß so überaus sorgfältig zwischen Intention und Resultat zu
scheiden, daß der einzig noch mögliche Weg historischer Wahrheitsgewinnung, der
allerdings leider ausgeschlossen ist, Psychoanalyse wäre.“ – Joachim Bruhn
Da die Psychoanalyse heute auch nur noch ein korruptes Racket ist, würde sie nicht helfen.
Der Himmel, wenn er sich schon öffnet, zitiert sich am liebsten selbst.
Je verkommener eine menschliche Kreatur, desto eher fühlt sie sich beleidigt, respektlos behandelt, in ihrer Ehre verletzt.
Der religiöse Rassismus der Islamisten, der den völkischen Rassismus der Nazis ersetzt hat, erklärt Allah zum Führer und die Jihadisten zu seiner privilegierten Kampftruppe: Wenn man so will, zu Allahs SS. Der Zusammenhalt dieser Kampftruppe wird über die Jenseitserwartung von Hölle und Paradies, also über das Instrument der religiösen Angst, sichergestellt. Diese Selbstbildfantasie der Islamisten ist mit ihrer (zumeist antijüdischen) Feindbildfantasie untrennbar verknüpft. – Matthias Küntzel
Irritationen verhelfen zu weiteren Erkenntnissen, Selbstzufriedenheit führt zur Verblödung,
Wenn ein Affe denkt, „ich bin ein Affe“, dann ist es bereits ein Mensch.
Ein Mensch mit Wurzeln soll zur Pediküre gehen.
Zufriedene Sklaven sind die schlimmsten Feinde der Freiheit.
Kreativität ist eine Intelligenz, die Spaß hat.
Wen die Arbeit krank macht, der soll kündigen!
Wenn Deutsche über Moral reden, meinen sie das Geld.
Ein Mensch ohne Erkenntnis ist dann lediglich ein ängstlicher, aggressiver, unglücklicher Affe.
Denken ist immer grenzüberschreitend.
Der Mob, der sich das Volk nennt, diskutiert nicht, sondern diffamiert.
Legal ist nicht immer legitim.
Wer nicht verzichten kann, lebt unglücklich.
Humorlose Menschen könner nur fürchten oder hassen und werden Mönche oder Terroristen.
Menschen sind nicht gleich, jeder einzelne Mensch ist ein Unikat.
Erkenntnis gilt für alle, auch für Muslime, Albaner, Frauen und Homosexuelle.
Islam gehört zu Deutschland, Judentum gehört zu Israel.
Der Konsensterror (Totalitarismus) ist in Deutschland allgegenwärtig.
Es wird nicht mehr diskutiert, sondern nur noch diffamiert.
Es ist eine Kultur des Mobs. Wie es bereits gewesen ist.
Harmonie ist nur, wenn man nicht kommuniziert.
Man soll niemals mit jemand ins Bett gehen, der mehr Probleme hat, als man selbst.
Man muß Mut haben, um witzig zu sein.
Dumm und blöd geht meistens zusammen.
Je mehr sich jemand narzisstisch aufbläht, desto mehr fühlt er sich beleidigt und provoziert.
Was darf Satire? Alles! Nur nicht vom Dummkopf verstanden werden, weil es dann keine Satire war.
Islamimus ist Islam, der Gewalt predigt.
Islam ist eine Religion der Liebe,und wer es anzweifelt, ist tot.
Islam ist verantwortlich für gar nichts, Juden sind schuld an allem.
Islamisten sind Satanisten. Islamismus ist eine Religion von Idioten.
Leute fühlen sich immer furchtbar beleidigt, wenn man ihre Lügen nicht glaubt.
Jeder ist selbst verantwortlich für seine Gefühle.
“Zeit ist das Echo einer Axt
im Wald. “
– Philip Larkin, Gesammelte Gedichte
„Die sieben Todsünden der modernen Gesellschaft: Reichtum ohne Arbeit Genuß ohne Gewissen Wissen ohne Charakter Geschäft ohne Moral Wissenschaft ohne Menschlichkeit Religion ohne Opfer Politik ohne Prinzipien.“
―Mahatma Gandhi
„Wo man nur die Wahl hat zwischen Feigheit und Gewalt, würde ich zur Gewalt raten.“
―Mahatma Gandhi
Warum zeigt sich Allah nicht? Weil er mit solchen Arschlöchern nichts zu tun haben will.
Politische Korrektheit verlangt eine Sprache für ein Poesiealbum.
Psychoanalyse ist frivol, oder es ist keine Psychoanalyse.
Bunte Vielfalt, früher: Scheiße
Die Realität ist immer stärker als Illusionen.
Islam will keine Unterwerfung! Islam will Sieg, Vernichtung und Auslöschung.
Die Welt wurde nicht nur für dich alleine erschaffen.
Was hat Gott mit uns vor, wenn er dem Teufel immer mehr Territorien freiräumt?
Muslima mit Kopftuch nerven weniger, als deutsche Mütter mit ihren Kinderwagen.
Prothesen-Menschen – sehen aus wie Frau und Mann, sind aber keine.
Das Patriarchat ist seit Jesus erledigt.
Deutschland gestern: der Wille zur Macht.
Deutschland heute: der Wille zur Verblendung.
Deutschland morgen: 德國
Deutsche Psychoanalyse? Großartig, wie deutscher Charme, deutscher Humor und deutscher Esprit.
Der Widerstand fängt mit einer eigenen, anderen Sprache als die der Diktatur.
Smart phones for stupid people.
Ein Linker kann, muß aber nicht dumm sein.
Nur die Reinheit der Mittel heiligt den Zweck.
Ein extremer Narzißt ist ein potentieller Terrorist, und jeder Terrorist ist ein extremer Narzißt.
„Wird Freiheit mit Zügellosigkeit verwechselt, entsteht Rücksichtslosigkeit.
Am Schluss Gleichmacherei.
Ihr seid aber nicht alle gleich.
Noch nie wart ihr alle gleich.
Ihr lasst es euch aber einreden.
So werdet ihr immer respektloser, ungenießbarer gegeneinander.
Vergeudet in Kleinkriegen eure Zeit, als hättet ihr ein zweites Leben.
Weil ihr tatsächlich alles verwechselt.
Behauptungen mit Beweisen.
Gerechtigkeit mit Maß.
Religion mit Moral.
Desinteresse mit Toleranz.
Satire mit Häme.
Reform mit Veränderung.
Nachrichten mit Wirklichkeit.
Kulturunterschiede haltet ihr für Softwarefragen und ihre Analyse ersetzt ihr mit Anpassung.
Ihr habt die Maßstäbe verloren.
Der Gordische Knoten ist ein Keks gegen eure selbstverschuldete Wirrsal.
Der Separatismus gendert sich in die Köpfe, sitzt in Regierungen.
Männer sind keine Männer mehr. Frauen keine Frauen, sondern ‚Menschen mit Menstruationshintergrund’, Quote ist Trumpf.
Auf gar keinen Fall sollen Mann und Frau sich noch als zwei Teile eines Ganzen begreifen. Damit die Geschlechter noch mehr aneinander verzweifeln.
Bis alle in destruktiver Selbstbezogenheit stecken.
Am Ende: Mann ohne Eier. Frau ohne Welt.
Auf die Erschöpfung des Mannes wird aber nur die Erschöpfung der Frau folgen, das sage ich euch.
Auf die Verstörung der Kinder folgt die Zerstörung der menschlichen Schöpfung.“– Hans Dieter Hüsch
Was dem einen seine Souveränität, ist dem anderen seine Eigenmächtigkeit.
Kein Nazifaschist hat je wirklich geglaubt, er bezöge die Ermächtigung seiner Ansprüche aus dem Teutoburger Wald; keiner seiner demokratischen Erben hat jemals tatsächlich gedacht, ihnen erwüchse Legitimität im Resultat des “Lernens aus der Geschichte”; niemals war ein Sozialist der Ansicht, es sei die famose “Befreiung der Arbeit” und nicht vielmehr das Recht auf Beute, was seine Politik im Interesse der Arbeiterklasse motivierte. Und keinesfalls erwächst den Palästinensern irgendein Recht aus der Tatsache, daß sie zuerst da waren. Einer Gesellschaft, der Hunger kein Grund ist zur Produktion, kann auch das Leiden kein Grund sein zur Solidarität. Es ist die Ideologie, die mit der Unmittelbarkeit des Leidens agitiert, die aus dessen fragloser Evidenz Sinn zu schlagen sucht, sei es im Sinne von Caritas oder Amnesty International, sei es im Sinne der Freunde des palästinensischen Volkes für den Israelhaß der Antisemiten wie für den Islamfaschismus dieses Volkes. Ariel Scharon jedenfalls, der Zionist und praktische Antifaschist, ist dem aufgelösten Rätsel der Geschichte näher als die deutsche Linke, deren “Antifaschismus” sich als Aufstand der Anständigen à la Gerhard Schröder oder als Solidarität mit dem palästinensischen Volk ausagiert. (…) Im Wesen Israels als des ungleichzeitigen Staates der Juden liegt es aber nicht nur, Reaktion auf den Verrat an Aufklärung und Weltrevolution, nicht nur, Notwehrversuch gegen den Nazifaschismus und Asyl zu sein. Sondern eben auch, daß die üblichen Muster der bürgerlichen Rollenverteilung – hier das Gewaltmonopol des bürgerlichen Staates im allgemeinen und dort die Personen, die die Regierungsausübung im besondern besorgen – für den israelischen Staates aufgrund seiner Konstitutionsbedingungen keine Geltung mehr hat. Was sich unter anderem darin zeigt, daß diese “Kritiker” der israelischen Regierungspolitik für den faschistischen Mob und die Behörden, die Selbstmordattentäter belohnen, Verständnis aufbringen (Folge von Besatzung und Ausbeutung), dagegen für den Versuch, die militärische Infrastruktur der Gegner Israels zu zerschlagen, am liebsten die Begriffe Auslöschung oder Ausrottung der palästinensischen Bevölkerung im Munde führen. Wie hinter der treudoofen Frage, ob es nicht möglich sein müsse, Spekulanten als das zu bezeichnen, was sie sind, ohne gleich als antisemitisch zu gelten, so verbirgt sich hinter der treulinken Frage, ob nicht auch in Israel, weil es sich auch dort um eine bürgerliche Gesellschaft handele, Faschismus möglich sei, die Erkenntnis dieser Fusion in verquerer und verschrobener Gestalt. Verquer, weil ja gerade erklärt werden sollte, wie Israel, dieser Fusion zum Trotz, eine parlamentarische Demokratie ist und bleibt; verschroben, weil diese Einheit von Staat und Regierung im Übergang von einem unerträglichen Alten (die Vernichtungsdrohung) zum noch nicht erreichten Neuen (die herrschaftslose Gesellschaft) ja doch den Inbegriff dessen ausmacht, was einmal als “Diktatur des Proletariats”, als Emanzipationsgewalt und organisierte politische Macht der Revolution, auch und gerade auf den roten Fahnen stand. In Anbetracht der Grundidee des Staates Israel, vor dem Hintergrund der linken Staatsmythen, betreffend die “Diktatur des Proletariats”, muß jede Beurteilung der Handlungen der Regierungsvertreter auch die völlig andere Qualität dieses Staates, verglichen mit allen anderen, deutlich werden lassen. (…)
Wenn diese Linke über Israel schwadroniert, dann hört sich das nicht minder grausig an. Dabei liegt der Zusammenhang zwischen dem Antisemitismus und dem Vernichtungswillen gegen die zum Staat gewordene bürgerliche Gesellschaft der Juden, gegen Israel, eigentlich auf der Hand: Der sogenannte Antizionismus stellt nichts anderes dar als die geopolitische, globalisierte Reproduktion des Antisemitismus, das heißt die Erscheinungsform, die er in Weltmarkt und Weltpolitik nach Auschwitz annehmen muß. Der Antizionismus ist der aus den kapitalisierten Gesellschaften in die Welt herausgekehrte Antisemitismus. So ist Israel der Jude unter den Staaten; die Verdammung des Zionismus als eines “Rassismus” durch die UNO gibt es zu Protokoll. Das macht: die moralische Verurteilung der menschlichen Unkosten der Konstitution bürgerlicher Staatlichkeit allein am Beispiel Israels führt vor Augen, was die Welt der Volksstaaten vergessen machen will – daß die Zentralisation der politischen Gewalt über Leben und Tod keineswegs die natürliche Organisationsform der Gattung Mensch darstellt, sondern Ausdruck eben von Herrschaft und Ausbeutung. Dabei ist Israel – und das macht die Kritik an diesem Staat so perfide und muß deshalb immer wieder gesagt werden – der einzige Staat dieser Welt, der für sich eine nicht zu bezweifelnde Legitimität beanspruchen kann. Israel, das ist der ungleichzeitige Staat, der entstanden ist sowohl als Reaktion auf das Dementi aller Versprechungen der bürgerlichen Nationalrevolution, sowohl als Antwort auf den stalinistischen Verrat an der kommunistischen Weltrevolution als auch als zu spät gekommene Notwehr gegen den Massenmord an den europäischen Juden. (…) Israel ist das Schibboleth jener doch so naheliegenden Revolution; es ist der unbegriffene Schatten ihres Scheiterns. Israel ist das Menetekel, das zum einen (und ganz unfreiwillig) die kategorischen Minimalbedingungen des Kommunismus illustriert, und das zum anderen sämtliche Bestialitäten zu demonstrieren scheint, zu denen der bürgerlich-kapitalistische Nationalstaat fähig ist. Wer Israel nicht begriffen hat, wer den Haß auf diesen Staat, den Antizionismus, und wer den Antisemitismus, das heißt den Vernichtungswillen sowohl gegen die in diesem Staat lebenden als auch gegen die kosmopolitisch verstreuten Juden, nicht begriffen hat als das, was Antisemitismus wesentlich darstellt: den bedingungslosen Haß auf die Idee einer in freier Assoziation lebenden Gattung, der hat den Kommunismus nicht als das “aufgelöste Rätsel der Geschichte” begriffen. –
Der ostentative Muslimeifer aber, der sich im Alltag mancher ‚Allahu-Akbar‘-Brüller vielleicht doch sehr in Grenzen hält, findet im blanken Judenhass unverhoffte Nahrung, wo ihnen unter unendlich öden Koranrezitationen und geistlosen, absurden Vorschriften längst das bisschen ungeglaubten Glaubens zwischen den Fingern zerrann und ihr Muslimsein kaum je mehr ist als das typisch dauerbeleidigte, immer schon jeder Verantwortung ledige Gruppengefühl. Überhaupt will jeder Eifer – insbesondere der aktuelle, rasende Eifer des weltweit angreifenden Islam – den Stachel eines weniger drohenden als hinterrücks längst geschehenen Glaubensverlustes kompensieren.“ Mit anderen Worten: Muslime wurden nicht für ihr abstraktes Muslimsein kritisiert, sondern dafür, was – global betrachtet – die Mehrheit konkret darunter versteht: Die von Gott gegebene Ermächtigung zu Terror, Entrechtung, Antisemitismus. Wer differenziert, sollte nicht unerwähnt lassen, dass Osama bin Laden, Hassan Nasrallah und wie all die schrecklichen Figuren so heißen, in der muslimischen Welt als Helden gefeiert werden – und zwar nicht von einer minoritären Sekte, sondern von Millionen Muslimen, auch in Deutschland. (,,) Der unfreiwillige und verborgene Essentialismus der Postmoderne macht das Begreifen unmöglich, weil er die Beziehung zwischen Allgemeinem, Besonderem und Einzelnem nicht mehr zu thematisieren vermag. Wenn nur noch Vielfalt herrscht und Einzelnes und Allgemeines gewaltsam auseinandergerissen werden, bleibt die Verstandesleistung des begreifenden Subjekts auf der Strecke und die scheinbar ursprüngliche Differenz wird zum Mythos. Nicht nur dem Begriff des Allgemeinen, das ja ein noch einzulösendes ist, wird Gewalt angetan, auch dem Besonderen, dessen Unglück darin besteht, nur ein Besonderes zu sein, und das sich, weil es kein versöhnendes Ganzes gibt, dem schlecht-Allgemeinen, dem Racket nämlich, anschließen muss. – JAN HUISKENS
„Vernunft und Rationalität sind in dieser durchmedialisierten Welt chancenloser denn je. Ein unangenehmer Typ „Heckenschütze“ terrorisiert die Gesellschaft. Seine aktuelle Waffe: Der Phobienvorwurf.“ – Bettina Röhl
„Man wähnt, wenn man nach wissenschaftlichen Regeln sich richtet, dem wissenschaftlichen Ritual gehorcht, mit Wissenschaft sich umgibt, gerettet zu sein. Wissenschaftliche Approbation wird zum Ersatz der geistigen Reflexion des Tatsächlichen, in der Wissenschaft erst bestünde. […] Je tiefer man ahnt, daß man das Beste vergessen hat, desto mehr tröstet man sich damit, daß man über die Apparatur verfügt.“ (Theodor W. Adorno, Philosophie und Lehrer, AGS 10.2, 491)
„Vieles, was im Sinne von Foucaults »Mikrophysik der Macht« populär werden sollte; also die Erkenntnis, daß Macht nicht pyramidal hierarchisch, sondern durch sämtliche gesellschaftliche Bereiche hindurch wirkt, findet sich bereits in der Medizinkritik der Kritischen Theorie. Daß diese Thesen häufig übersehen wurden, mag daran liegen, daß sich Horkheimers entscheidende Äußerungen über Medizin und Psychiatrie nicht in den breit rezipierten Hauptwerken finden, sondern über die Gesamtausgabe verstreut sind. Wiemer suchte sie zusammen und zeigt, wie Horkheimer anhand der Medizin einen wesentlichen Charakterzug des modernen Kapitalismus ausmachte. Mediziner funktionieren laut Horkheimer wie fast jede wirtschaftliche Gruppe im Sinne eines Rackets. »Ein Racket«, erklärt er, »ist eine unter sich verschworene Gruppe, die ihre kollektiven Interessen zum Nachteil des Ganzen durchsetzt.« Allgemein betrachtet heißt das, daß sich die Klassengesellschaft in eine »neofeudale« Struktur verwandelt hat, innerhalb der Interessenverbände »nach dem Prinzip der Selbsterhaltung und der Machtakkumulation« funktionieren. Diesen Wandel macht Horkheimer an den Medizinern fest; und alles, was Horkheimer in seiner Kritik aussparte, von den Krankenversicherungen bis zum Pfusch in Krankenhäusern, wird von Carl Wiemer polemisch auf den neuesten Stand gebracht“ – Max Horkheimer
„Ein Shitstorm hat auch seine positive Seite. Da politisch korrekte Gülle meist in Richtung Originalität, Kreativität und Intelligenz geworfen wird, fliegt sie oft genug auf Leute, die zu lesen wirklich lohnt.“ – Evidenz-basierte Ansichten
Post-Pop-Epoche: der Sieg der Mode über die Sitten.
„Wir brauchen schadhafte Gebäude, durch deren geborstene Wände man hindurch sehen kann, um wenigstens einen Anfang zum Denken zu gewinnen.“ – Victor Tausk
„Was man in römischer Zeit das »Abendland« und später »Europa« nennen wird, ist die politische Konsequenz des individualistischen Martyriums, das ein gesprächsfreudiger Stadtstreicher auf sich nahm, um die Legitimität des im universalistischen Dialekt vorgebrachten Neuen gegen die entkräfteten lokalen Sitten zu demonstrieren.“ – Peter Sloterdijk
„Was nützt einem die Gesundheit wenn man ansonsten ein Idiot ist.“ – Theodor Adorno
„Ich bin eine Feministin. Das bedeutet, daß ich extrem stark behaart bin und daß und ich alle Männer haße, sowohl einzelne als auch alle zusammen, ohne Ausnahmen.“– Bridget Christie
„Die Tragödie isolierter persönlicher Leidenschaften ist für unsere Zeit zu fade. Aber weshalb? Weil wir in einer Epoche der sozialen Leidenschaften leben. Die Tragödie unserer Epoche ist der Zusammenstoß der Persönlichkeit mit dem Kollektiv.“ – LeoTrotzki 1923
Stupidity is demonstrated by people lacking the knowledge they could achieve
Stupidity manifests itself as outraged moralism
Love: only, and not always, a mother loves her child, just as it is, otherwise you have to meet the expectations of others, to be accepted.
Values without empathy are worth nothing
“In arguments about moral problems, relativism is the first refuge of the scoundrel.” Roger Scruton
They are the same who claim the sex/gender would not be biologically innate, but only a social construct, and at the same time that homosexuality was not a social construct, but biologically innate.
Antisemitism is when one blames the Jews or Israel for issues, he does not blame others
„There are two things,“ said Hitler in 1923, „which can unite people: common ideals and common crime“
After the violent termination of Murder by the Allies were the German (and have remained so to this day) more german than before.
The depraved human creature, the more she feels insulted, disrespected, offended in their honor.
Craziness is, when one always does the same but expects a different outcome
If a monkey thinks “I am a monkey”, then it is already a human
A man with roots should go for a pedicure
Self smugness leads to idiocy, being pissed off leads to enlightenment
Happy slaves are the worst enemies of freedom.
Creativity is an intelligence having fun.
If working makes you sick, fuck off, leave the work!
If Germans talk about morality, they mean money.
A man without an insight is just an anxious, aggressive, unhappy monkey.
Thinking is always trespassing.
The mob, who calls himself the people, does not discuss, just defames.
Legal is not always legitimate.
Who can not do without, lives unhappy.
People without a sense of humor are able only to fear or to hate and become monks or terrorists.
People are not equal, each single person is unique.
Insight applies to everyone, including Muslims, Albanians, women and homosexuals.
Islam belongs to Germany, Judaism belongs to Israel.
The totalitarian Terror of consensus is ubiquitous in Germany.
There are no discussions anymore, but defamations only.
It is a culture of the mob. As it has already been.
Harmony is only if you do not communicate.
One should never go to bed with someone who has more problems than you already have.
One has to be brave, to have a wit.
Stupid and dull belong mostly together.
Christopher Hitchens: “In a free society, no one has the right not to be offended.“
The more someone narcissistic inflates , the more he feels insulted and provoked.
What may satire? Everything! Except be understood by the fool, because then it was not a satire.
Islamimus is Islam preaching violence.
Islam is a religion of love, and he who doubts is dead.
Islam is not responsible for anything, Jews are guilty of everything.
Germany yesterday: the will to power.
Germany today: the will to blindness.
Germany tomorrow: 德國
German psychoanalysis? Great, like German charm, German humor and German wit.
The resistance starts with its own language other than that of the dictatorship.
Smart phones for stupid people.
A leftist can, but do not have to be stupid.
Only the purity of the means justify the end.
“I am a feminist. All this means is that I am extremely hairy and hate all men, both as individuals and collectively, with no exceptions.” – Bridget Christie