Wer nicht klar schreibt, der denkt auch nicht klar
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.03.2016, Nr. 71, S. 12
Wer nicht klar schreibt, der denkt auch nicht klar
Meinungen eines Juristen von sehr erheblichem Verstand: Thomas Fischer behauptet, stets im Recht zu sein
Der Autor bearbeitet den in Deutschland meistverbreiteten Kommentar zum Strafgesetzbuch, den „Fischer“; jährlich erscheint eine Neuauflage dieses Meisterwerks an Klarheit und höchster Verdichtung. Übrigens vertreibt der Verlag das weit über zweieinhalbtausend kleinbedruckte Seiten umfassende Werk als Kurzkommentar – „kurz“ ist auf den verschlungenen Wegen des Strafrechts eben etwas anderes als auf denjenigen einer Kurzgeschichte. Fischer, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, ist auch über seinen Kommentar hinaus wissenschaftlich präsent und hat zudem seit Anfang des Jahres 2015 noch die Zeit gefunden, wöchentlich bei „zeit-online.de“ eine Kolumne zu verfassen; einige dieser „Einlassungen“ hat er in dem vorliegenden Band zusammengestellt.
Insbesondere bei den seiner Kommentierung nahestehenden Themen sind Fischer wahre Kabinettstücke gelungen, so etwa zum Thema „Über die Schwierigkeit, einen Raub zu begehen“. Konkret geht es um das Problem, „Waffen“, „gefährliche Werkzeuge“ und „andere Mittel oder Werkzeuge“ bei den Erschwerungen des Raubs, des Diebstahls und der Körperverletzung sinnvoll zu ordnen. Der Gesetzgeber, die Senate des Bundesgerichtshofs und auch dessen Großer Senat sind an dieser Aufgabe gescheitert. Genauer, wer eine Schreckschusspistole einer verletzungsgeeigneten Waffe gleichstellt, sollte wissen, dass er den Begriff der Waffe aufhebt oder, wenn man auf das Bedrohungspotential abstellt, doch spaltet und damit verwässert. Fischer: „sprachlogischer Super-GAU“.
Zum Thema „NS-Verbrecher und die Beihilfe“ findet Fischer einen schlecht verkappten Unwillen zur Vergangenheitsbewältigung, und zwar wegen der Anwendung der sogenannten subjektiven Tätertheorie, wonach Täter einer Tat derjenige ist, der den maßgeblichen Willen zu ihrem Zustandekommen aufbringt. Nicht was jemand tut steht im Vordergrund, sondern welche Haltung der Beteiligte zur Tat aufweist. Das ermöglicht es denjenigen Personen, von denen die Opfer des Nationalsozialismus eigenhändig erschlagen, erschossen, vergast oder sonst umgebracht wurden, sich hinter der Haltung ihrer Vorgesetzten zu verstecken und mangels eines Täterwillens zu Randfiguren zu regredieren. Die subjektive Tätertheorie, die allerdings bereits aus dem späten neunzehnten Jahrhundert stammt, wurde so zum Vehikel, mit dessen Hilfe sich Verantwortung weichzeichnen ließ.
Die meisten der „Einlassungen“ werden von einem rechtspolitischen Impetus geprägt, sei es als Aufforderung zur Mäßigung beim Umgang mit Terroristen oder zur weiteren Perhorreszierung der Todesstrafe. Im Bereich der Strafbarkeit sexuell motivierter Taten plädiert Fischer gegen die Einführung eines allgemeinen Missbrauchstatbestands; der Beitrag wurde allerdings lange vor der Kölner Silvesternacht verfasst. Sehr engagiert fällt seine Stellungnahme zur Sterbehilfe aus, „Im Zweifel gegen die Freiheit?“. Fischer: „Warum eigentlich soll Sterbehilfe erst dann in den Bereich des menschlich Verständlichen oder weithin Tolerierten rücken, wenn die betroffene Person bereits die Kraft und Gelegenheit verloren hat, den eigenen Tod selbst herbeizuführen, um den Sterbeprozess abzukürzen?“ Von Ärzten, zumal Krankenhausärzten, fühlt Fischer sich nicht gut vertreten („40-jährige Schnösel mit … 0,7er Abitur und panischer Angst vor der Nähe zu Menschen“).
Die Ansicht, es lasse sich in Einzelfällen, zumal solchen der indirekten Euthanasie (Schmerzlinderung auch auf die Gefahr hin, dadurch das Leben zu verkürzen), eine Lösung nach dem Ermessen des behandelnden Arztes finden, hält er für skandalös; denn „wenn die Vereinigungen der Atomkraft-Ingenieure oder der Piloten oder der Richter mit solch frommen Sprüchen kämen, um uns zum Wegsehen zu bewegen, würden wir ihnen den Vogel zeigen.“
Auch von Professoren der Rechtswissenschaft hält Fischer nicht viel, da sie zu theorieverliebt seien (was ihn allerdings nicht hindert, deren Produkte in seinem Kommentar geschickt anzuführen). Schlimmeres soll hinzukommen: „Kein einziger Ordentlicher Professor des Rechts hat jemals eine Ausbildung in Didaktik, Pädagogik, Menschenführung absolviert.“ Dieses Manko teilen die Heutigen allerdings mit Feuerbach, Savigny und vielen anderen, deren Werke Jahrhunderte überdauert haben. Den Grund für diesen Erfolg trotz des Mankos an Didaktik deutet Fischer selbst an: „Wer Jurist werden will, muss lesen und sprechen lernen, falls er es nicht schon kann. Das einzige Hilfsmittel der Jurisprudenz ist die Sprache . . . Wer nicht klar schreiben kann, der kann auch nicht klar denken.“
Das lässt sich dergestalt weiterspinnen, dass mit klaren Gedanken schon fast alles gewonnen ist; die Didaktik stellt sich dann von selbst ein. Was der Autor von der Juristenausbildung hält, wird sich jeder nach dem vorangegangenen Urteil über die akademische Lehre selbst ausmalen können. Nicht juristisches Denken wird gelehrt und in den Examina geprüft, sondern ein Jonglieren mit Meinungen.
Diese Kritik ist nicht völlig zu verwerfen, wenn auch dagegen spricht, dass die Universitäten immerhin zuverlässig die Nachwuchselite der Rechtsberufe produzieren, aber doch zu relativieren: Das Studium des Rechts erfolgt eben sehr oft aus einer Verlegenheit heraus, zumal wenn die Abiturnote für ein Fach mit numerus clausus nicht „reicht“. Bei dieser Lage wäre es illusionär, Zustände zu erwarten, wie sie bei der Mathematik als Hauptfach gang und gäbe sein mögen. Man begegnet mancher Aussage von verblüffender Deutlichkeit, so etwa bei der Schilderung der seltsamen Wandlung eines RAF-Rechtsanwalts namens Schily zum Bundesinnenminister, die insbesondere deshalb bemerkenswert sein dürfte, weil eben dieser Anwalt den Antrag gestellt hatte, die Terroristen als Kriegsgefangene zu behandeln.
Auch erfährt man, dass die ersten sechs Generalbundesanwälte sämtlich ehemals Mitglieder der NSDAP waren (teils allerdings in relativer Jugendzeit), und was Buback betrifft, wird die Nummer seines Mitgliedsausweises sogleich mitgeliefert. Auch ein Hinweis auf die braune Vergangenheit des seinerzeit für das Strafrecht zuständigen Unterabteilungsleiters im Bundesjustizministerium, Dreher (der Begründer des von Fischer bearbeiteten Kommentars), fehlt nicht, noch weniger eine Schilderung der von ihm 1968 verschuldeten „Panne“ bei einer Gesetzesänderung, die zur Verjährung von Mordbeihilfe aus nationalsozialistischer Zeit führte.
Zwei etwas beckmesserische Feststellungen seien erlaubt. Erstens: Das Reichsgericht hat die Teilnahme an der Tötung eines unehelichen Kindes durch die Mutter in oder gleich nach der Geburt entgegen Fischer nicht nach dem seinerzeit privilegierenden Tatbestand beurteilt, sondern als Teilnahme an einem Mord oder einem Totschlag (für Kenner: RGSt 74, S. 84, 86). Zweitens: Unterlassene Hilfeleistung kann mit höchstens einem Jahr Freiheitsstrafe geahndet werden; fünf Jahre gibt’s dafür nicht. Und schließlich: Fischer schreibt, viele Terroristen seien nicht feige; dem mag man zustimmen. Dann folgt: „Feige ist vielleicht, wer den Führerbunker rechtzeitig vor der Explosion der Aktentasche verlässt.“ Der Autor hat nicht selten betont eigene Ansichten.
GÜNTHER JAKOBS
Thomas Fischer: „Im Recht“. Einlassungen von Deutschlands bekanntestem Strafrichter.
Droemer Verlag, München 2016. 336 S., geb., 19,90 [Euro].

Bundesgerichtshof: Immer nur um Fischer
Thomas Fischer verabscheut die Mäßigung. Aber er ist Richter geworden und per Gesetz zur Mäßigung verpflichtet. Fischer verachtet Opportunisten. Aber er schreibt jede Woche so, dass ihm der Jubel seiner Fangemeinde gewiss sein kann. Er macht sich lustig über den Mittelstand, der „nichts so sehr wie den Exzess“ fürchte und „Juristen wie Ameisen“ gebäre, aber ihm gehören ein Wohn- und ein Arbeitshaus in Baden-Baden. Für eine erfolgreiche Richterkarriere brauche man keine „ausdifferenzierte Intellektualität“, Meeresschildkröten oder Spermien bewältigten die Aufgabe mit „annähernd derselben Perfektion“.
Aber er selbst hat für seine Spitzenposition am Bundesgerichtshof in Karlsruhe mit harten Bandagen gekämpft. Er ist aufbrausend und aggressiv in seinen Schriften, aber sanft im persönlichen Gespräch. Er beschimpft und beleidigt öffentlich Kollegen, Journalisten, Professoren und Politiker, aber kann selbst sachliche Kritik nicht ertragen. Fischer ist ein Mann voller Widersprüche.
Richter sprechen gewöhnlich durch ihre Urteile. Sie müssen sich innerhalb und außerhalb ihres Amtes so verhalten, dass das Vertrauen in ihre Unabhängigkeit nicht gefährdet wird. So verlangt es das Deutsche Richtergesetz. Der Rechtsstaat lebt vom Vertrauen seiner Bürger. Doch Fischer kann und will sich niemandem unterordnen. Wer sich gegen seine Angriffe wehrt oder gar versucht, ihm Grenzen aufzuzeigen, muss damit rechnen, mit Klagen überzogen und öffentlich niedergemacht zu werden.
Fischer sieht sich „im Recht“ – so lautet der Titel seiner Kolumne auf „Zeit Online“. Fremdwahrnehmung und Selbstwahrnehmung gehen dabei weit auseinander: Er bemühe sich, sich in seinen Texten zurückzunehmen, er falle über niemanden her, sagte Fischer kürzlich – und tut genau das in einer Art, die nicht nur von seinen „Opfern“ als böswillig und diffamierend empfunden wird. In seinen Texten erscheinen Richter als feige, Ostdeutsche als in der DDR zurückgeblieben und Journalisten als bestenfalls ahnungslos. In seiner Kolumne spielt Fischer nur allzu oft Ankläger, Richter und Vollstrecker in einer Person, gegen deren Urteil es keine Berufungsmöglichkeit gibt.
Der 62 Jahre alte Fischer hat ein bewegtes Leben hinter sich. Als Teenager brach er die Schule ab, um Rockmusiker zu werden, arbeitete als Kraftfahrer und Paketzusteller. Erst mit Ende zwanzig begann er sein Jurastudium, dann aber hat er die Karriereleiter sehr schnell erklommen. Er nimmt für sich in Anspruch, „Deutschlands bekanntester Strafrichter“ zu sein. Wiederholt wurden ihm fachliche Brillanz und intellektuelle Schärfe bescheinigt. Doch sein Geltungsbedürfnis ist nicht befriedigt.
Schaden nimmt deswegen insbesondere der Bundesgerichtshof. Besonders peinlich ist der jüngste Vorfall im Februar: Das Oberlandesgericht Frankfurt rügt den 2. Strafsenat, dem Fischer vorsitzt, er habe ein Strafverfahren verzögert und damit das Recht des Beschuldigten auf ein faires und rechtsstaatliches Verfahren verletzt. Solch eine Rüge ist selten. Die Frankfurter Richter sahen sich gezwungen, den Haftbefehl gegen einen Rauschgifthändler aufzuheben. Zwar bestehe weiter Fluchtgefahr, aber nach über zwei Jahren und neun Monaten sei die Fortsetzung der Untersuchungshaft nicht mehr verhältnismäßig.
Die Verantwortung dafür, dass der Drogenhändler auf freiem Fuß gesetzt werden musste, sieht das Oberlandesgericht bei Fischer: Fast vier Monate hätten die Akten bei ihm gelegen, bevor er sie an den Berichterstatter weitergeleitet habe. Wenn der Senat überlastet ist, muss der Vorsitzende das Präsidium informieren, damit die Arbeit unter den Senaten anders verteilt wird. In seiner Stellungnahme gegenüber dem Frankfurter Gericht gab Fischer an, die Verzögerung beruhe auf der „allgemeinen Geschäftslage des Senats“. Dennoch hatte er keine Überlastungsanzeige gestellt. Das erklärt er im Telefongespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung so: „Es lag an meiner persönlichen Belastungslage, ich hatte sehr viel zu tun.“ Einen Widerspruch zu seiner Stellungnahme gegenüber dem Gericht sieht er darin nicht.
„Während andere im Urlaub wandern, fahre ich auf Tagungen“
Dass Fischer sich nicht über zu viel Arbeit im Gericht beschweren wollte, könnte auch andere Gründe haben: Wenn dienstliche Interessen beeinträchtigt sind, kann das Präsidium Nebentätigkeiten untersagen. Für Fischer würde das bedeuten, dass er auf einen großen Teil seiner öffentlichen Wirkung verzichten müsste. Als die Frankfurter Akte ungelesen auf seinem Schreibtisch lag, war er noch nicht einmal wöchentlicher Kolumnist. Doch sogar ohne die etwa 25.ooo Zeichen, die er nach eigenen Angaben immer am Sonntagmorgen schreibt, bewältigt Fischer ausweislich seiner Internetseite Nebentätigkeiten in enormem Umfang. Pro Monat hält er meist mehrere Vorträge, er besucht Tagungen, veröffentlicht Beiträge in Fachzeitschriften, ist Honorarprofessor an der Universität Würzburg. Jedes Jahr erscheint sein Kommentar zum Strafgesetzbuch, 2500 Seiten beackert Fischer ganz alleine – zu allen Paragraphen muss er die aktuelle Rechtsprechung und Literatur ergänzen.
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Fischer bestreitet, dass dienstliche Interessen durch seine Nebentätigkeiten beeinträchtigt seien. „Während andere im Urlaub wandern, fahre ich auf Tagungen“, sagt er. Doch was man in Karlsruhe hört, klingt ganz anders: Im 2. Senat gehe es chaotisch zu, heißt es. Es sei kaum möglich, sich an zwei oder drei Tagen hintereinander zu Beratungen zu treffen, wie es in den anderen Senaten üblich sei.
Dass im 2. Senat etwas schief läuft, zeigt auch ein Blick auf die veröffentlichten Statistiken des Bundesgerichtshofs. Von den Strafsenaten entscheidet Fischers Senat mit großem Abstand die wenigsten Fälle im Jahr. 220 Revisionsverfahren blieben 2015 unerledigt. In den anderen Senaten waren beim Jahreswechsel nur noch zwischen 101 und 115 Verfahren anhängig. Die Zahl der Neueingänge am Anfang des Jahres war bei allen Senaten etwa gleich hoch. Ganz ähnlich ist der Befund in den Jahren 2014 und 2013.
Fischer wurde im Sommer 2013 zum Vorsitzenden ernannt. Auch in den beiden vorherigen Jahren waren die Rückstände beim 2. Senat höher. Auch daran hat Fischer seinen Anteil: Er hatte verhindert, dass der Posten des Senatsvorsitzenden besetzt wird. Der damalige Gerichtspräsident Klaus Tolksdorf hielt Fischer für ungeeignet – doch der war nicht bereit, die Beurteilung hinzunehmen und klagte. So konnten zwischenzeitlich drei Vorsitzendenposten nicht besetzt werden.
Schon damals gab es genug Anzeichen dafür, dass Fischer die ausgleichenden Fähigkeiten fehlen, die ein Senatsvorsitzender mitbringen sollte. Drei Richterkollegen ließen sich versetzen – seinetwegen, wurde in der Presse berichtet. Bevor im Frühjahr 2011 der Streit über die Besetzung ausbrach, sind im 2. Senat nicht mehr Akten liegen geblieben als in den anderen Senaten.
Nun ist Schnelligkeit sicherlich nicht das entscheidende Kriterium. Wenn der 2. Senat intensiver nachdenken, sorgfältiger recherchieren und umfassender diskutieren würde, könnte man kaum etwas dagegen haben, dass die Verfahren sich in die Länge ziehen. Im Schnitt gibt es im 2. Senat mehr mündliche Verhandlungen als in den anderen Senaten. Doch das lässt nicht unbedingt den Schluss zu, dass der Senat sich eingehender mit den Fällen befasst. Fischer hat eine eigene Erklärung: „Wir können uns im Senat nur schwer einigen.“ Wenn sich die Richter in der Beratung nicht einig sind, müssen sie eine mündliche Verhandlung ansetzen. „Es liegt an den Menschen“, sagt Fischer. Es ist kein Geheimnis, dass er in seinem Senat Freunde und auch Feinde hat.
Außerhalb des Senats hat Fischer in Karlsruhe vorwiegend Feinde. Auch viele der Kollegen, die sich während des Streits mit Tolksdorf auf seine Seite gestellt hatten, sind von ihm abgerückt. Sie sind Fischers überhebliche Vorhaltungen leid. Er wirft ihnen Verstöße gegen die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit vor, wenn sie langjährig praktizierte Rechtsprechung anwenden. Auf seinen Berufsstand blickt er in seiner Kolumne so: „Der Jurist ist seiner Natur nach ein furchtsamer Mensch. Er bewegt sich nur ungern dort, wo es heiß, staubig, laut und gefährlich ist.“
Fischers Senat wird in Justizkreisen „Rebellensenat“ genannt. Er ist dabei, einen Grundsatz nach dem anderen umzustoßen. So entschied der 2. Senat, dass Aussagen von Zeugen im Ermittlungsverfahren, die mit dem Angeklagten verwandt sind, im Prozess überhaupt nicht verwertet werden können – auch nicht über den Umweg einer Vernehmung des Ermittlungsrichters. Jahrzehntelang teilten alle Senate die Auffassung, dass die Vernehmung des Richters zulässig ist; auch Fischer sah das früher so. Doch nun urteilt sein Senat, dass diese Praxis „eines Rechtsstaats nicht würdig“ sei. Volles Kaliber!
„Wir können den Feminismus verordnen oder den Ganzkörperschleier“
Fischer weist mit dem Finger auf Kollegen, die nicht alle Akten lesen. Dabei folgt auch der 2. Senat nach Fischers eigenen Angaben inzwischen wieder dem bewährten „Vier-Augen-Prinzip“, nach dem nur Berichterstatter und Vorsitzender die Akten kennen.
Alleingänge bringen Unruhe und Unfrieden in den Bundesgerichtshof. „Ruhe ist doch nicht per se etwas Positives“, sagt Fischer. Doch damit hintertreibt er die Funktion des Bundesgerichtshofs, der die Rechtsprechung vereinheitlichen soll. Und schlimmer noch: Er untergräbt das Vertrauen der Bürger in die Justiz.
Auch außerhalb Karlsruhes verliert Fischer an Unterstützung. Unter Grünen hörte man früher viel Positives über ihn. Nach seinen Ausführungen zum Sexualstrafrecht hat sich das geändert. Er habe ein „gestörtes Verhältnis zu Frauen“, heißt es in der Bundestagsfraktion. Und: „Rechtspolitisch nimmt ihn inzwischen niemand mehr ernst.“ Das Vorhaben, Schutzlücken bei der Vergewaltigung zu schließen, ist für Fischer bloße „Sehnsucht nach Strafe“. Die große Koalition will Frauen, die zum Widerstand gegen ihren Vergewaltiger unfähig sind, besser schützen. Fischer schreibt dazu: „Wir können die Freiheitsspielräume der Menschen so klein machen, dass sie wie die Ratten in der Falle quietschen. Wir können den Feminismus verordnen oder den Ganzkörperschleier …“
Fischers Kommentar zum Strafgesetzbuch ist nach wie vor eine Pflichtanschaffung für jeden Referendar. Doch zunehmend hört man die Klage, der Kommentar gebe die herrschende Meinung gar nicht mehr wieder, sei für die Praxis daher nicht tauglich – „zu viel Fischer im Fischer“, heißt es. Sogar Strafverteidiger wenden sich ab. Einer, der einst zu seinen größten Unterstützern zählte, sagt: „Bei Fischer geht es immer nur um Fischer.“