German Angst
“DJ Psychosputnik” 2011 © by Julian S. Bielicki 120x90cm oil in canvas
German Angst
Julian S. Bielicki
Deutsche neigen zur Wahnbildung einer „Willkommenskultur“ zwecks Angstverdrängung ihres schwachen ICHs angesichts des Islamofaschismus, ihr Autoritärer Charakter (Adorno) erträgt Ambivalenzen nicht.
German Angst ist ein Begriff in der Welt, der eine kollektive Anfälligkeit, Bereitschaft, Sucht, Manie der Deutschen bezeichnet, nicht nur Angst zu haben, sondern auf Teufel komm raus Angst haben zu wollen. „Wenn der Deutsche beginnt, Angst zu haben, wenn sich ihm die geheimnisvolle deutsche Angst ins Gebein schleicht, dann erst erregt er Schrecken und Mitgefühl. […] Und gerade dann wird der Deutsche gefährlich.“ schreibt Curzi Malaparte in seinem berühmten Roman „Kaputt“. Heute jährt sich zum fünfundsiebzigsten Mal die Reichspogromnacht, der Anfang der Ermordung der europäischen Juden durch Deutsche. Wieso haben Deutsche es getan? Weil sie böse wären? Nein, Deutsche sind keine bösen Menschen, sie pflegen jedoch das kollektive Gefühl der Angst, wie ein sie wärmendes Kaminfeuer -nichts dagegen, sie sollen aber dazu nicht Juden verwenden. In einem sich selbst verstärkenden Gefühl der Angst vor ihrem Phantombild der Juden, der Bolschewiken, der Juden als Bolschewiken, der Juden als Kapitalisten, der Juden als Unglück der Deutschen, haben Deutsche einen Angstwahn entwickelt, aus dem heraus sie überzeugt waren, durch die Vernichtung der Juden würden sie das Böse in der Welt vernichten. Einen solchen deutschen Angstfuror hegen Deutsche heute in ihrer Angst vor allem Möglichem, vor Umweltgiften, vor Erziehungsfehlern, vor Kapitalismus, vor Amerika, vor Israel, vor Pädophilen, und und und, die Aufzählung könnte ich unendlich fortsetzen. Die Nazis, die deutsche Volksgemeinschaft, die Mörder der Völker Europas, hielten sich für hoch moralisch und meinten, durch ihren Krieg gegen das vermeintlich Böse, die Welt zu retten, vor allem das christliche Abendland. Heinrich Himmler hat 1943 in einer Rede vor SS-Offizieren, Reichs- und Gauleitern den Mord an Juden moralisch rechtfertigt und als Heldentat glorifiziert, er sagte: „Ich meine jetzt die Judenevakuierung, die Ausrottung des jüdischen Volkes. Es gehört zu den Dingen, die man leicht ausspricht. – ‚Das jüdische Volk wird ausgerottet’, sagt ein jeder Parteigenosse‚ ‚ganz klar, steht in unserem Programm, Ausschaltung der Juden, Ausrottung, machen wir.’ […] Von allen, die so reden, hat keiner zugesehen, keiner hat es durchgestanden. Von Euch werden die meisten wissen, was es heißt, wenn 100 Leichen beisammen liegen, wenn 500 daliegen oder wenn 1000 daliegen. Dies durchgehalten zu haben, und dabei – abgesehen von Ausnahmen menschlicher Schwächen – anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht. Dies ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte. […] Wir hatten das moralische Recht, wir hatten die Pflicht gegenüber unserem Volk, dieses Volk, das uns umbringen wollte, umzubringen.“
Hütet Euch vor Moralisten, die Welt retten wollen, es sind die schlimmsten Menschenschinder der Weltgeschichte! Eher kann man auf Menschlichkeit bei einem Dieb, Betrüger, bei einem Kriminellen rechnen, als bei einem Moralisten. Denn Moral ist aus psychoanalytischer Sicht die triebhafte Aggression, die ins Gehirn als erstarrte moralische Kacke eingewandert ist und dort Terror ausübt, gegen den Einzelnen und gegen Alle. Diesen aggressiven Ausdruck der „toten Masse“, wie Freud die Moral als Scheisse bezeichnet hat, finden Sie in der Empörung. Denn von der Empörung zum Mord ist nur ein kleiner Schritt, denn der Empörte ist von der moralischen Richtigkeit seiner Empörung ja überzeugt. Ja, kann jemand fragen, aber wenn nicht die Moral, dann woran soll sich der Mensch richten? An dem Mitgefühl soll sich der Mensch richten. Wer mitfühlen kann, braucht keine Moral. Denn auch Tiere helfen sich manchmal gegenseitig in Not, ohne jegliche Moral. Sonst ist diese Angst nur ein Alibi für Aggressionen, die dahinter geführt werden. Vorne Angst, dahinter Hass.
Es gibt natürlich auch neurotische Angst, Menschen die ängstlich sind, ohne daß sie aggressiv werden, die kann aber nur ein Fachmann vom Rest der Angstaktivisten unterscheiden, denn wenn alle Angst äußern, dann weiß der wirklich Ängstliche den Unterschied nicht.
Aber diese Angst ist für die sprichwörtliche Katze, denn zum Leben braucht man Mut, und dieses Wort werden Sie in Deutschland kaum hören, so viel wird ständig von Angst geredet und es wird Angst propagiert, jede Woche wird ein anderer Weltuntergang prophezeit. Googelt man z.B. „Außenminister Steinmeier warnt“ erhält man ungefähr 77.900 Ergebnisse.
Mut bedeutet nicht, daß man keine Angst hat, denn wenn man gar keine Angst hat, dann ist man entweder ein Idiot, oder besoffen. Mut bedeutet, daß man die Angst überwindet. Daß man das tut, was man für richtig hält, auch wenn ein Risiko besteht, daß es nicht klappt. Denn sonst kann man sich gleich die Kugel geben, denn das Leben enthält immer Risiken. Aber auch Chancen. Sonst hätten die Germanen nicht von Skandinavien aus ganz Europa 250 Jahre lang durchgewandert, bis nach Afrika, aus Neugierde, was es denn hinter dem Horizont so alles gibt? Und Columbus wäre nicht nach Amerika gesegelt, und wir würden immer noch auf den Bäumen sitzen, denn alles außer der Mutti ist gefährlich.
Wie man aber mit Mut, Fleiß und Kreativität aus seiner Misere herauskommen kann, erzählt folgende wahre Geschichte:
Es gibt ein Mühlheim hinter Offenbach, da fährt man schnurstracks durch, wenn man zum Grünen See oder nach Seligenstadt will oder so. Mühlheim hinter Offenbach sieht etwa wie eine amerikanische Kleinstadt aus, auf der Straße keine Menschen und man fährt an Schildern vorbei, die „Jacqueline ´s Haarstudio“, „Finanzberatung Schmidt“ und „Fachpraxis für Physiotherapie“ ankündigen. Irgendwie das Dreigespann dieser Geschäfte ist in jeder hessischen Kleinstadt zu sehen, Haarstudio, Finanzberatung und Physiotherapie. Meistens kommt noch „Café Rimini“ oder „Trattoria Amalfi“ dazu. Ich sehe es gerne und es erspart mir weite Reise nach USA. In diesem Mühlheim lebte eine junge Frau, die in einer Handyfabrik gearbeitet hat, so ähnlich wie in Aki Kaurismäkis Film „Das Mädchen aus der Streichholzfabrik“. Auch sein neuester Film „Le Havre“ ist sehr empfehlenswert. Wenn ich schon bei Finnland angelangt bin, dann war es auch eine Nokia-Niederlassung. Diese Fabrik wurde geschlossen, als Nokia in eine Finanzkrise geriet und damals gab es noch keine Rettungsschirme, wie heute. Also wurde diese junge Frau arbeitslos. Sie saß zu Hause und war immer mehr traurig, denn es war eine sehr tüchtige Frau. Da fiel der jungen Frau ein, daß in dem Haus, in dem sie wohnte, sich auch eine Kleintierpraxis befand. Und sie sprach den Tierarzt darauf an, ob er ihr nicht Kundschaft für Kleintierbestattung vermitteln würde? Warum nicht, dachte der Tierarzt, es gibt ja so viele Menschen die ihr Hündchen, Kätzchen, Kaninchen, Hamster usw. nicht dem ungewissen Ausgang aus diesem Leben überlassen möchten. Und die junge Frau fing an am Grünen See, zwar im Naturschutzgebiet, es handelte sich aber um regenerierbare Energieabfallprodukte, die Aktion war also grün wie sonstwas, sie fing also dort feierlich, in schwarz gekleidet, mit einem Gedicht, das sie selbst anfertigte, die armen Verschiedenen und die noch ärmsten Hinterbliebenen mit einer Beisetzung die sich gewaschen hat, zum letzten Abschied zu geleiten. Das Geschäft lief unerwartet gut an. Da fiel der jungen Frau ein, sie könnte ja auch eine Zierfischbestattung anbieten. Sie heuerte einen alten Mann mit einem Holzruderboot an, sie strichen das Boot schwarz an, der Charon wurde auch schwarz eingekleidet und der jeweils verschiedene Kleinfisch (es gab aber auch ein Seepferdchen) wurde in ein mit Wasser gefülltes Rundglas eingesetzt, das Glas wurde mit einem geschwärzten Verbandsmull zugedeckt und die Trauergesellschaft fuhr mit dem Boot auf den See, wo die Bestatterin letzte Worte sprach, während die Trauernde ihr schluchzend im Arm hing und der Bootsfahrer düster ins grüne Wasser starte. Die besonders tüchtige und offenbar ebenso kreative junge Frau entwickelte eine weitere Geschäftsidee und bot dazu noch Beisetzungen vom Gefiederten an. Dazu engagierte sie drei Hornbläser aus dem benachbarten Jägerverein, die grün-schwarz gekleidet in voller Bewaffnung auf der Brücke, die über den grünen See führt, jeweils zu abendlichen Stunden zunächst „Ich hatte einen Kameraden“ spielten, dann den kleinen Vogel in eine schwarze Alufolie einpackten und in eine kleine tragbare Tontaubenkanone stopften. Dann wurde die Kanone abgefeuert und die drei Jäger schossen mit ihren Schrottflinten den Vogel ab, dessen Gefieder in den schwachen Strahlen der untergehenden Sonne langsam zu Wasser schwenkte. Ach, war es schön! Die junge Frau konnte dadurch zu ihrem ALG2 ganz schön dazu verdienen, und wenn sie noch lebt, dann ist sie glücklich und zufrieden.
Das ist ein gutes Beispiel dafür, daß man mit Fleiß, Mut und Kreativität aus seiner Misere herauskommen kann.
2013 © by Julian S. Bielicki
Prof. Dr. Walter Krämer 11.04.2015 Achgut.com
German Angst
Das Faktum ist nicht zu bestreiten: Deutsche Medien produzieren weit mehr Angst- und Panikmeldungen als ihre Konkurrenten in Italien, Frankreich, Spanien, England und den USA. So war etwa von Anfang des Jahres 2000 bis Ende 2010 im redaktionellen Teil der Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Rundschau rund viermal so oft von Asbestbelastung, Dioxinvergiftung, BSE und Schweine- oder Vogelgrippe zu lesen wie im spanischen El Pais, im französischen Figaro, oder in der italienischen la Repubblica. Und dergleichen Meldungen sind in Deutschland nicht nur häufiger, sie haben auch mehr Platz und stehen öfter auf der Seite eins. Das lässt sich durch eine Standardauswertung einschlägiger Datenbanken zweifelsfrei beweisen.
Die vorläufig letzte medieninduzierte deutsche Massenhysterie – neben dem Dauerbrenner Kernenergie – war die Dioxinpanik im Januar 2011. Denn „Schauergeschichten über Essen und Trinken ziehen immer, davon ist wirklich jeder betroffen,“ konstatierte in seltener Einsicht einmal die Frankfurter Rundschau. „Und damit lässt sich prima Angst schüren.“ Die Inszenierung folgte den üblichen Regeln. Akt 1 (Vorspiel): Irgendwo, in diesem Fall auf einem westfälischen Bauernhof, werden bei Routinekontrollen “teilweise deutlich erhöhte Dioxinbelastungen festgestellt” (Frankfurter Rundschau vom 30. 12. 2010). Betroffen waren Schweinefleisch und Eier. Auch die Bedeutung von „deutlich erhöht“ wird –zumindest für die Eier – angegeben: “Bei einer Eierprobe hätten die ermittelten Werte um das vierfache über dem zulässigen Grenzwert gelegen.” Bei Fleisch ist schon von Grenzwerten nicht mehr die Rede, nur von Existenz, das deutet schon die Richtung an. „Die Behörden sperrten drei Ställe und weiteten die Kontrollen aus. Der Fall hat möglicherweise bundesweite Dimensionen.”
Und ob! Denn jetzt kommt Akt 2 (Panik): Nach diesem vergleichsweise neutralen Auftakt, der so oder ähnlich in der gesamten deutschen Presse zu lesen war und auch in eine sachliche Diskussion des ganzen hätte überleiten können, kommt es zu einer impliziten Übereinkunft der Medien, diesen Fall zu einem Hauptthema zu machen. Wäre etwa zeitgleich Queen Elisabeth gestorben oder im Berliner Zoo ein zweiköpfiger Pandabär geboren worden, hätte es die nun folgende Dioxin-Panik so wohl nicht gegeben. Da aber republikweit immer nur ein Thema zugleich die Emotionen anzuheizen in der Lage ist, war es diesmal eben Dioxin. Ab Anfang Januar macht jede Zeitung, jede Nachrichtensendung in Rundfunk und Fernsehen tagelang mit diesem Thema auf, vor und hinter den Kameras und Mikrofonen prostituieren sich Betroffenheitskasper aller Art, die nicht mehr wissen, wo sie ihre Frühstückseier kaufen sollen. Die forcierte Bereiterstattung und das dadurch gereizte Publikum schaukelten sich zu einer wahren Hysterieorgie empor, Nordrhein-Westfalens Landesregierung beantragt eine Sondersitzung der Verbraucherschutz-Ministerkonferenz, Landwirtschaftsministerin Aigner gerät in Turbulenzen. Wenige Tage später sind mehrere tausend Bauernhöfe in der Republik gesperrt, Dutzende von Existenzen zerstört, zahlreiche gesunde Firmen in den Ruin getrieben.
Akt 3: Die Volksseele kocht. Nachdem der Sündenbock feststeht, darf ohne Hemmungen auf ihn eingedroschen werden; Mitarbeiter der betroffenen Futtermittelfirma werden als „Mörder“ beschimpft und mit den Worten „Wir machen Euch fertig“ bedroht. „Eine geldgierige, kriminelle Minderheit macht diese Systeme kaputt und der Staat merkt wie immer erst etwas, wenn der Schaden schon eingetreten ist“ (aus den Netzseiten von Bayern-Radio). „Diese Verbrecher schaden dem gesamten Volk […] Exempel starten [!]:Panscher im Schnellverfahren einsperren.“ „Eines Tages wird sich das Volk erheben gegen solche Verbrecher.“ Exempel statuieren, Vermögen einziehen, Volk erheben, Schnellverfahren – haben wir das nicht schon mal gehört?
Akt 4: Die Stunde der Politik. Auch bei den verantwortlichen Politikern setzt das Denken aus. Bzw., was noch schlimmer ist, man läuft, wohl wissend, dass man Unsinn redet, der Wählermehrheit hinterher. „Härteste Bestrafung und die Zerschlagung oder Enteignung der verantwortlichen Firmen“ fordert der Geschäftsführer des Bauernverbandes Nordharz. „Schonungslose Aufklärung“ (die brandenburgische Verbraucherschutzministerin Anita Tack) und „härteste Bestrafung der Verbrecher“ (Bernd Buseman, Justizminister Niedersachen) werden, dem Volkszorn entgegenkommend und ihn dadurch rechtfertigend, ohne weitere Untersuchung angeboten. „Hier muss die Justiz hart durchgreifen“ (Landwirtschaftsministerin Aigner), „Lebensmittelvergifter ins Gefängnis!“ (der bayrische Umweltminister Markus Söder).
Akt 5 (Abgesang): Alles stellt sich als heillose Übertreibung heraus. Die erlaubten Höchstwerte von 3 Billionstel Gramm Dioxin pro Gramm Fett im Ei oder 12 Billionstel Gramm (12 Pikogramm) pro Gramm Fett im Schwein z. B. wurden hie und da überschritten, aber reale Gefahren für Gesundheit, Leib und Leben waren nie vorhanden. Wie man von Anfang an hätte wissen können oder sollen, war während der ganzen Zeit in regulär vermarkteten Ostseefischen pro Gramm weit mehr Dioxin enthalten als in den am schlimmsten „verseuchten“ Eiern überhaupt. Für Lachs, Makrele und Heilbutt erlaubt die Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel Werte von zwei bis drei Billionstel Gramm pro Gramm Frischgewicht, für Aale sogar 12 Billionstel Gramm, und dieser ganz legale Grenzwert wird in der Praxis oft weit überschritten, ohne dass irgend jemand sich darüber aufregt. Ganz allgemein darf ein fetter Fisch 40 mal mehr Dioxin enthalten als ein mageres Schweinefilet, ohne daß dies als illegal gebrandmarkt würde. Und so wurde die Hetzjagd nach vier Wochen wieder abgeblasen.
Diese ausgeprägte Tendenz der deutschen Medien, die Risiken und Gefahren und weniger die Potentiale und Chancen des modernen Lebens herauszustellen, spiegelt sich in einer überproportionalen Bereitschaft des Publikums, dann auch tatsächlich Angst zu haben. „Zwei Reiher aus Porzellan haben in einer Frankfurter Kleingartenanlage einen Vogelgrippe-Fehlalarm ausgelöst,“ war auf dem Höhepunkt einer weiteren Massenhysterie in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung zu lesen. „Wie die Polizei am Freitag mitteilte, hatte sich ein besorgter Bürger auf der Wache gemeldet und von einem Vogel berichtet, der in einer Parzelle regungslos und völlig steif stehe. Aus Angst, der Vogel könne möglicherweise mit der Vogelgrippe infiziert sein, ging der Mann zur Polizei, die daraufhin das Ordnungsamt um Hilfe bat.“ Kann man sich einen solchen Vorfall anderswo als in Deutschland vorstellen? Kaum. Nur hier ist Angst die erste Bürgerpflicht, nur hier ist Panik statusfördernd, nur hier darf man stolz mit einem Aufkleber „Ich habe Angst“ auf dem Pullover durch die Gegend laufen, ohne dass die Polizei gerufen wird. „Stimmt es,“ schrieb ein besorgter Leser Anfang des Jahrtausends an die Rheinische Post in Düsseldorf, „dass ich mich mit BSE anstecken kann, wenn ich lange auf meinem Rindsledersofa sitze?“
Das alles wäre ja noch halbwegs nachzuvollziehen, entspräche das Ausmaß der Aufregung dem Ausmaß der Gefahr. Aber hier ist fast das Gegenteil der Fall. In den vier Wochen der Dioxin-Panik 2011 wurden in Deutschland über 200 Menschen von Autos totgefahren, mehr als 700 fielen im Haushalt von der Leiter und brachen sich das Genick (oder kamen bei andern häuslichen Unfällen ums Leben), 46 starben an verschluckten Fischgräten und Schinkenscheiben, je 14 durch Ertrinken (im Januar!) und Erfrieren, 30 an Verbrennungen und mehrere Hundert durch Unfälle bei der Arbeit. Hier ließe sich mit wenig Aufwand noch viel Gutes tun. Stattdessen wird das begrenzte menschliche und mediale Aufmerksamkeitspotential auf Kinkerlitzchen abgelenkt.
Auch an BSE ist in Deutschland noch kein einziger Mensch gestorben, aber die dadurch verursachte Panik hat den Steuerzahler rund eine Milliarde Euro und zahlreiche Landwirte das Leben und die Existenz gekostet. Davor gab es Aids, Asbest und Amalgam, alles “Skandale”, von denen heute kaum noch jemand weiß, sowie das Ozonloch und das berühmte „Waldsterben“ unseligen Angedenkens, das inzwischen als riesiger Medienschwindel entlarvt worden ist. Es folgten die Vogel- und die Schweinegrippe, Acrylamid und Nitrophen, die SARS-Panik von 2003, dann im Januar 2011 die republikweite Aufregung wegen Dioxin in Hühnereiern. Und wenige Wochen später die große Verunsicherung über das Atomdesaster in Japan. Aus Anlass der zwei -jährigen Wiederkehr produzierte die Tagesschau eine Falschmeldung von 20.000 dadurch angeblich verursachten Todesfällen, die dann auch zu Unstatistik des Monats März 2013 geworden ist (eine Aktion von Gerd Gigerenzer, Thomas Bauer und Walter Krämer, die jeden Monat eine besonders irreführende Statistik aufspießt, siehe http://www.unstatistik.de). In Wahrheit sind durch den Reaktorunfall bisher zwei Menschen ums Leben gekommen. Und das auch nicht durch die Strahlenbelastung: Die beiden Mitarbeiter starben zwar auf dem Gelände der Atomanlage, offenbar wurden aber auch sie bereits durch das Erdbeben oder den Tsunami getötet. Gegenüber den wahren Gefahren für das Leben sind sowohl die Medien wie die Menschen in Deutschland eher blind. Da sterben zehntausende von Bundesbürgern jedes Jahr unnötig im Krankenhaus an dort erst entstandenen Infektionen, und die Aufregung ist gering. Zwar gibt es hie und da einen sozusagen pflichtgemäß ins Blatt eingerückten mahnenden Artikel, der aber keine großen Wellen schlägt. Und auch unsere panikgeilen Fernseh-Politmagazine erzeugen diesbezüglich keine große Resonanz. Dito Gefahr durch Lebensmittel. Jeweils mehr als hundert Menschen hierzulande sterben pro Jahr an Salmonellenvergiftung, Magen-Darm-Infektionen oder Wurmkrankheiten wie Trichinose, Listeriose oder Morbus Krohn. Da grassieren Fisch- und Fleischvergiftungen in Werkskantinen und Altersheimen aller Art, von den mehr als 200.000 vermeidbaren Todesfällen jedes Jahr durch zu viel Alkohol und Fett gar nicht zu reden. Aber die öffentliche und mediale Aufmerksamkeit ist auch hier begrenzt. Dann torkelt eine Kuh, und das Land steht Kopf. Ganz klar ein Fall für Sigmund Freud.
http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/german_angst1
Auf dem Höhepunkt der Rindfleisch-Hysterie zu Beginn des Jahrtausends richtete ein besorgter Bürger folgenden Leserbrief an die Rheinische Post in Düsseldorf: „Stimmt es, dass ich mich mit BSE anstecken kann, wenn ich lange auf meinem Rindsledersofa sitze?“
Damit sprach er vielen Landsleuten aus der Seele. Der typische Bundesbürger sorgt sich gerne und intensiver als Menschen andernorts um die Umwelt, um Gefahren durch Technik oder vermeintlich artfremde Tierhaltung und Chemie. Aber allenfalls durch Zufall sind diese Sorgen mit den wahren Gefahren korreliert. Insbesondere werden naturinduzierte Risiken systematisch ignoriert. Jahr für Jahr sterben über 200 Bundesbürger an naturinduzierten Lebensmittelvergiftungen und –infektionen, (besonders gefährlich: Listerosebakterien in der Milch vom Bio-Bauern), mehrere Dutzend ersticken an verschluckten Fischgräten und Schinkenscheiben, ohne dass davon Notiz genommen würde.
Dann torkelt eine Kuh, und die Republik steht Kopf.
Sozialpsychologen sprechen hier von „synthetischer Risikoverzerrung“ (synthetic risk bias). Diese synthetische Risikoverzerrung ist international und vorwiegend genetisch programmiert: natürliche Risiken ließen sich über den größten Verlauf der Menschheitsgeschichte kaum vermeiden, die Angst davor brachte keinen Überlebensvorteil. War man dagegen vor den Machenschaften böser Nachbarn wie etwa skrupelloser Rindfleischproduzenten auf der Hut, konnte man damit das Überleben sichern.
Vor zwei Jahren die 125.000 € Frage in der Fernsehquizzshow „Wer wird Millionär“ von Günter Jauch: „Was ist eine Naturfaser: A Trevira, B Dralon, C Lycra, D Asbest?“ Wie aus der Pistole geschossen der Kandidat: „D kann ich ausschließen, das ist schädlich, also muss es künstlich sein.” Und im Umkehrschluss: wenn etwas nicht künstlich, also natürlich ist, dann kann es auch nicht schädlich sein. Aber D war richtig, der Irrtum hat den Kandidaten 125.000 € gekostet.
Zu dieser weltweiten synthetischen Risikoverzerrung kommt dann noch etwas typisch deutsches hinzu. Das ist die von Daniel Kahnemann so genannte „Verfügbarkeitsheuristik“ im Zusammenspiel mit den deutschen Medien, mit Süddeutscher Zeitung, ARD und ZDF.
Verfügbarkeitsheuristik heißt: Unser Denksystem bemisst die Bedeutung, die Häufigkeit, die Praxisrelevanz eines Phänomens, ob angsteinflößend oder nicht, zunächst einmal nach der Leichtigkeit, mit der jüngere und möglichst plastische Beispiele aus dem Gedächtnis abgerufen werden können. Und da bekommt unser Denksystem beim Thema Panik, Angst und Risiko vor allem von den deutschen Medien ganz große Unterstützung. Eine Untersuchung, wie viele Hinweise auf ausgewählte Risiken es in deutschen und internationalen sogenannten „Qualitätszeitungen“ in der Zeit von 2000 bis 2010 gab, zeigt ein aufschlussreiches Bild.
Die Süddeutsche Zeitung und die Frankfurter Rundschau veröffentlichten rund viermal so viel einschlägige Meldungen wie Le Figaro in Frankreich, La Repubblica in Italien oder El Pais in Spanien. Und das ist sogar noch untertrieben: In deutschen Medien sind derartige Meldungen nicht nur häufiger, sie haben auch mehr Platz und stehen öfter auf der Seite eins. Dabei ist es für die Verfügbarkeitsheuristik vergleichsweise unerheblich, ob es tatsächlich Panikmeldungen sind (in Klammern: es wahren mehrheitlich tatsächlich welche), Hauptsache, das Risiko wird in den Köpfen der Menschen wachgehalten, und ist damit für das humane Denksystem sofort präsent. Und deshalb, weil das menschliche Denksystem in Deutschland keine Schwierigkeiten hat, bei der Erwähnung gewisser Risiken Beispiele zu finden und aufrüttelnde Bilder abzurufen, werden diese Risiken ganz automatisch auf geradezu groteske Weise aufgebauscht.
Zuweilen schaukelt sich das zu regelrechten sogenannten „Verfügbarkeitskaskaden“ auf. Paradebeispiel sind Fukushima, BSE, Tschernobyl, oder die Dioxinpanik im Januar 2011. Da stand wegen angeblich dioxin-vergifteter Hühnereier die deutsche Medienlandschaft einen Monat lang in Brand, keine deutsche Zeitung erschien ohne aktuelle Meldung zum Dioxinskandal auf dem Titelblatt. Bis dann herauskam: Es war von Anfang an nicht die geringste Gefahr vorhanden. Die erlaubten Höchstwerte von 3 Billionstel Gramm Dioxin pro Gramm Fett im Ei oder 12 Billionstel Gramm (12 Pikogramm) pro Gramm Fett im Schwein z. B. wurden hie und da überschritten, aber wie man von Anfang an hätte wissen können oder sollen, war während der ganzen Zeit in regulär vermarkteten Ostseefischen pro Gramm weit mehr Dioxin enthalten als in den am schlimmsten „verseuchten“ Eiern überhaupt.
Aber die Verführbarkeitskaskade entrollte sich trotzdem mit ungeheurer medialer Wucht, die Medien und die Verbraucher trieben sich gegenseitig in eine regelrechte Pogromstimmung hinein, der Volkszorn bebte, der nackte Affe reagierte, wie er es aus dem Urwald kennt. Mitarbeiter der betroffenen Futtermittelfirma wurden als „Mörder“ beschimpft und mit den Worten „Wir machen Euch fertig“ bedroht. „Eine geldgierige, kriminelle Minderheit macht diese Systeme kaputt und der Staat merkt wie immer erst etwas, wenn der Schaden schon eingetreten ist“ – „Diese Verbrecher schaden dem gesamten Volk […] Exempel starten [!]:Panscher im Schnellverfahren einsperren.“ – „Da gibt es nur eins, und das ohne großen Prozess: Firmeninhaber in die JVA. Komplettes Vermögen einziehen und an die Geschädigten verteilen.“ (Aus den Netzseiten von Bayern Radio).
Und die Politik passte sich in ihrer bekannten Rückgratlosigkeit sehr schnell des Volkes Meinung an. „Härteste Bestrafung und die Zerschlagung oder Enteignung der verantwortlichen Firmen“ fordert der Geschäftsführer des Bauernverbandes Nordharz. „Schonungslose Aufklärung“ (die brandenburgische Verbraucherschutzministerin Anita Tack) und „härteste Bestrafung der Verbrecher“ (Bernd Buseman, Justizminister Niedersachen) werden, dem Volkszorn entgegenkommend und ihn dadurch rechtfertigend, ohne weitere Untersuchung angeboten. „Hier muss die Justiz hart durchgreifen“ (Landwirtschaftsministerin Aigner), „Lebensmittelvergifter ins Gefängnis!“ (der bayrische Umweltminister Markus Söder).
Ich muss sagen, da habe ich mich für die deutschen Medien und die deutsche Politik geschämt.